ADL: Wie US-Wachhund gegen Israelkritik über Jahrzehnte Spionage betrieben hat David Goeßmann

Dank an David Goeßmann für die Genehmigung der Veröffentlichung Evelyn Hecht-Galinski

ADL: Wie US-Wachhund gegen Israelkritik über Jahrzehnte Spionage betrieben hat

Anti-Defamation League betreibt Spionagenetzwerk, so Untersuchungen. Politische Gruppen werden infiltriert, Daten an Israel gegeben. Um Antisemitismus ging es kaum.

ADL: Wie US-Wachhund gegen Israelkritik über Jahrzehnte Spionage betrieben hat

ADL-Vorsitzender Jonathan Greenblatt bei einer Konferenz im Gespräch mit dem Gouverneur von Maryland Wes Moore in Washington D.C., Mai 2023. Bild: Maryland GovPics / CC BY 2.0 Deed

Anti-Defamation League betreibt Spionagenetzwerk, so Untersuchungen. Politische Gruppen werden infiltriert, Daten an Israel gegeben. Um Antisemitismus ging es kaum.

Vielleicht erinnern Sie sich noch: Anfang 2013 klagte die Anti-Defamation League (ADL) in den USA den Spiegel-Erben, -Kolumnisten und Freitag-Herausgeber Jakob Augstein an, mit seiner Kritik an Israel und der Israel-Nähe der US-Außenpolitik „die Grenze zum antisemitischen Verschwörungsdenken“ überschritten zu haben [1].

Augstein landete damals auch auf der Liste der zehn größten Antisemiten des Jahres 2012, eine Liste, die von der jüdisch-politischen Organisation Simon Wiesenthal Center mit Sitz in Los Angeles erstellt wird.

Israel-Kritik als Antisemitismus

Die ADL-Kritik wurde damals von vielen Seiten zurückgewiesen als vollkommen überzogen und am Ende selbst diffamierend. Auch im Zuge des jüngsten Gaza-Kriegs zeigt sich erneut der Hang zur Übertreibung und politischen Instrumentalisierung von Antisemitismus durch die Anti-Defamation League.

So veröffentlichte man am 9. Januar wenige Wochen nach einer großen pro-palästinensischen Demonstration in New York City einen Bericht [2], in dem über 3.000 antisemitische Vorfälle in den drei Monaten seit Beginn des Gaza-Kriegs aufgelistet sind. „Antisemitische Vorfälle in den USA sind nach dem Angriff in Israel um 360 Prozent angestiegen“, warnte die ADL in einer Pressemitteilung.

„Die amerikanisch-jüdische Gemeinschaft ist mit einem Bedrohungsniveau konfrontiert, das in der modernen Geschichte beispiellos ist“, sagte ADL-Leiter Jonathan Greenblatt. „Es ist schockierend.“

Die Medien in den USA übernahmen die Botschaft und die Zahlen der ADL unkommentiert in vielen Berichten mit entsprechenden Headlines.

ADL schießt über eigentliches Ziel hinaus

Doch ein Großteil davon war Hype. Bei vielen der zitierten „Vorfälle“ handelte es sich nicht um Angriffe auf Juden aufgrund ihrer religiösen oder ethnischen Identität, sondern um Aktionen, die gegen Israels Kriegsführung in Gaza protestieren – Fälle, von denen die ADL später zugeben sollte, dass sie fast die Hälfte der Gesamtzahl ausmachten.

„Insgesamt scheint ein großer Teil der Vorfälle Ausdruck von Gegnerschaft gegenüber Israel zu sein und nicht die traditionellen Formen des Antisemitismus, auf die sich die Organisation [ADL] in den vergangenen Jahren konzentriert hatte“, stellte Arno Rosenfeld in The Forward fest [3]. Bei vielen der Fälle handelte es sich lediglich um Proteste von Bürgerrechtsorganisationen wie „Students for Justice in Palestine“.

Anfang des Jahres vertrauten einige ehemalige ADL-Mitarbeiter Jewish Currents an [4], dass Greenblatt den Fokus der Organisation auf pro-palästinensischen Aktivismus ausgerichtet habe, anstatt sich auf Antisemitismus in der US-Gesellschaft zu konzentrieren.

Die ADL schießt aber nicht erst seit Kurzem, sondern schon seit geraumer Zeit über ihr eigentliches Ziel hinaus. Angetreten war die Organisation damit, die Bürger:innen in den Vereinigten Staaten über die wachsenden Gefahren des Antisemitismus zu unterrichten. Die Organisation wurde 1913 gegründet und hatte immer sehr enge Beziehungen zum US-Kongress, zum Weißen Haus und dem sogenannten Washington Establishment.

Zivilgesellschaft infiltrieren

Doch schon seit den 1990er-Jahren steht der Antisemitismus-Wachhund immer wieder selbst im Fokus von Kritik und kriminellen Untersuchungen. Und wird von Kritikern als „Wachhund Israels in den USA“ angesehen [5].

So zeigte sich, dass die Organisation ein beachtliches nationales Spionagenetzwerk [6] erschaffen hat. Im New Yorker Büro wurden z.B. unter dem Spionage-Paten Irwin Suall, der das Netzwerk von Ermittlern und Agenten von 1960 bis 1997 aufbaute, heimlich Informationen über mehr als 12.000 Einzelpersonen [7] und mehr als 950 religiöse, Arbeiter-, Friedens- und Menschenrechtsgruppen in den USA gesammelt.

Im Visier standen dabei [8] afroamerikanische Gruppen wie die NAACP, die Rainbow Coalition, Bürgerrechtsgruppen wie ACLU, die American Indian Movement, Greenpeace, die United Farm Workers, Reporter der Los Angeles Times und des öffentlichen Fernsehens KQED sowie mindestens acht jüdische Friedensgruppen und eine Reihe pro-palästinensischer Organisationen.

Wie die Los Angeles Times schon in der Vergangenheit berichtete [9], offenbarten Untersuchungen der Polizei und des FBI Details des nationalen Geheimdienstnetzwerks der ADL, das über Jahrzehnte im Hintergrund arbeitete und Daten sammelte. Dabei geht es um Undercover-Agenten wie den Kunsthändler Roy Bullock in San Francisco, Infiltration von politischen Gruppen, Geldwäsche, geschredderte Dokumente, Hoteltreffen mit ausländischen Agenten und Code-Namen.

Weitergabe von vertraulichem Material

Es gab zudem damals, 1993, schon Hinweise darauf, dass es Kontakte zu Todesschwadronen gegeben hat, während man bei Verdächtigen Utensilien wie schwarze Hauben für Verhöre sicherstellen konnte.

Im Fokus der Untersuchungen stand u.a. Tom Gerard, ein ehemaliger CIA-Agent und Polizeibeamter aus San Francisco, der nach Befragungen in die Philippinen flüchtete, und beschuldigt wurde, Material aus Polizeiakten an die Anti-Defamation League weitergegeben zu haben.

Die Ermittler vermuten, dass Gerard und andere Polizeiquellen der ADL vertrauliche Führerschein- oder Fahrzeugzulassungsinformationen über eine große Zahl von Personen gegeben haben, darunter bis zu 4.500 Mitglieder des Arab-American Anti Discrimination Committee.

Die Anti-Defamation League hat zwar eingeräumt, dass sie seit Langem Informationen über antisemitische, extremistische oder rassistische Gruppen sammelt.

Auch Kongressabgeordnete im Visier

Die auf Computern sichergestellten Beweise zeigten jedoch schon in den 1990er-Jahren, dass die ADL-Spione Daten über mindestens 950 Gruppen aller politischen Richtungen enthielten, darunter die American Civil Liberties Union, das Earth Island Institute, die United Auto Workers, Jews for Jesus, die Zeitschrift Mother Jones, das Center for Investigative Reporting usw.

Die Computerdateien umfassten auch Informationen über mehrere Kongressabgeordnete, darunter die Demokratin Nancy Pelosi, den Vorsitzenden des Ausschusses für Streitkräfte im Repräsentantenhaus, Ron Dellums, und den ehemaligen republikanischen Abgeordneten Pete McCloskey.

Die verdächtigten ADL-Agenten erklärten in Polizei-Befragungen schon 1993, dass die Anti-Defamation League seit Jahrzehnten Informationen über politische Aktivisten im Raum Los Angeles sammelt. Dabei habe man mit drei auf Geheimdienstarbeit spezialisierten Sheriffs zusammengearbeitet.

Untersuchungen und Gerichtsdokumente weisen zudem darauf hin, dass die ADL und ihre Spione die von ihnen beschafften Informationen an die israelische Regierung weiterreichten. Suall soll sich dabei mit Vertretern des israelischen Geheimdienstes in Israel getroffen haben.

Enge Kontakte zu Israel

Und die engen Kontakte nach Israel bestanden von Anfang an. In einem internen ADL-Dokument heißt es bereits 1961 [10]:

Unsere Informationen sind nicht nur für unsere eigenen Operationen wichtig, sondern waren auch für das Außenministerium der Vereinigten Staaten und die israelische Regierung von großem Wert und Nutzen. Alle Daten wurden beiden Ländern zur Verfügung gestellt, wobei jedes Land wusste, dass wir die Quelle waren.

Bisher kam die ADL wegen ihrer „robusten Methoden“ mit Geldstrafen davon. Kritiker des ADL in den USA sehen aber noch einen anderen Skandal, den die Medien stärker beachten sollten, wie der Bestseller-Autor und mit Preisen ausgezeichnete Journalist James Bamford in The Nation schreibt [11]:

Die Priorität der ADL liegt heute – wie schon seit Jahrzehnten – in der Verfolgung von US-Amerikanern, die einfach nur gegen Israels endlose Besetzung und Unterdrückung der Palästinenser sind. Die bevorzugten Ziele der Gruppe sind Studenten, Professoren, Aktivisten und Demonstrierende – und nicht etwa Antisemiten, vor allem solche von der extremen Rechten.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.jpost.com/international/adl-slams-german-spiegel-author-for-anti-semitism
[2] https://www.adl.org/resources/press-release/us-antisemitic-incidents-skyrocketed-360-aftermath-attack-israel-according
[3] https://forward.com/news/575687/anti-defamation-league-adl-antisemitism-count-anti-zionism/
[4] https://jewishcurrents.org/top-executive-leaves-adl-over-ceos-praise-of-elon-musk
[5] https://www.thenation.com/article/society/adl-israel-criticism-antisemitism-claims/
[6] https://psmag.com/news/kings-garbage-76228
[7] https://www.latimes.com/archives/la-xpm-1993-04-27-mn-27930-story.html
[8] https://www.wrmea.org/1993-june/it-s-now-the-adl-spy-case.html
[9] https://www.latimes.com/archives/la-xpm-1993-04-13-mn-22383-story.html
[10] https://www.israellobby.org/adl-ca/ExhibitA.pdf
[11] https://www.thenation.com/article/society/adl-israel-criticism-antisemitism-claims/

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