Die zweite deutsche Teilung Von Dagmar Henn

Die zweite deutsche Teilung

Wiedervereinigt? Sieht nicht danach aus; dafür muss man nur einen Blick in die Zeitung werfen. Im Gegenteil. Die Bewohner des 1990 erworbenen Teils sind entweder der Feind im Inneren oder irgendwie zurückgeblieben. Wie kam es dazu?

Die zweite deutsche Teilung

Von Dagmar Henn

 

Wiedervereinigt? Sieht nicht danach aus; dafür muss man nur einen Blick in die Zeitung werfen. Im Gegenteil. Die Bewohner des 1990 erworbenen Teils sind entweder der Feind im Inneren oder irgendwie zurückgeblieben. Wie kam es dazu?

Manchmal führt eines zum anderen, und das Gesprächsprotokoll zwischen dem US-Außenminister James Baker und Michael Gorbatschow führte zu einem abermaligen Nachdenken über diesen so verheerend abgelaufenen Prozess namens „Wiedervereinigung“. Wie hätte sich Deutschland entwickelt, hätte nicht Helmut Kohl die Wahl im Dezember 1990 gewonnen? Oder, andersherum, wie kommt es, dass das Land über 30 Jahre nach einer angeblichen Wiedervereinigung tiefer gespalten ist, als es das zu jener Zeit, als noch zwei deutsche Staaten bestanden, jemals war?

Um zu erkennen, wie tief diese Spaltung reicht, muss man sich nur einen der regelmäßig wiederkehrenden Texte über die „undemokratischen Ostdeutschen“ nehmen und die „Ostdeutschen“ durch Franzosen, Polen oder Italiener ersetzen. Sofort hätte man einen Text vor sich, der auf den ersten Blick als überheblich, ja geradezu als chauvinistisch zu erkennen ist. Von Russen einmal abgesehen, die auch in dieser Hinsicht mit den „Ostdeutschen“ zu einer Kategorie zu gehören scheinen, gibt es keine ethnische Gruppe, über die in dieser Weise geschrieben werden dürfte, ohne sofort des Rassismus beschuldigt zu werden.

Wie konnte es dazu kommen? Wie in vielen anderen Fällen ist es schwer, zwischen unbewussten strukturellen Zwängen und Absicht zu unterscheiden; manche Prozesse, die quasi unbewusst beginnen, werden dann nutzbar gemacht, und nicht alles, was böse Wirkung zeigt, ist tatsächlich böse gemeint. Aber werfen wir einen Blick auf die Bundesrepublik Ende der 1980er.

Der erste Punkt, der es zumindest sehr erleichterte, anschließend den Bewohnern der fünf annektierten Bundesländer das Etikett der „Rechten“ anzuhängen, war das Ergebnis der Wahl 1990. Die jüngere Generation hoffte auf eine Abwahl dieses drögen, provinziellen Kanzlers, und die Bundestagswahl 1990 schien endlich die Chance zu sein, sich von Saumagen und geistig-moralischer Wende zu befreien – bis die Wähler auf dem Gebiet der DDR der Birne eine Mehrheit verschafften.

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