Gaza-Krieg: Israel bereitet finalen Einmarsch vor, trotz Warnungen vor Katastrophe David Goeßmann

Dank an David Goeßmann für die Genehmigung seinen neuen Telepolis Artikel auf der Hochblauen Seite zu veröffentlichen

Gaza-Krieg: Israel bereitet finalen Einmarsch vor, trotz Warnungen vor Katastrophe

Israelische und ägyptische Vertreter sprechen von sechswöchiger Operation. Satellitenbilder zeigen Evakuierungscamps. Über den Plan und seine Folgen.

Gaza-Krieg: Israel bereitet finalen Einmarsch vor, trotz Warnungen vor Katastrophe

Israelische Panzer sammeln sich am Rand des Gazastreifens bei ersten Einsätzen 2023. Bild: IDF

Israelische und ägyptische Vertreter sprechen von sechswöchiger Operation. Satellitenbilder zeigen Evakuierungscamps. Über den Plan und seine Folgen.

Eine Evakuierung der Zivilbevölkerung aus Rafah unter den gegenwärtigen Bedingungen sei nicht „möglich“, da der Gazastreifen völlig zerstört ist. Das erklärten [1] Vertreter des Roten Kreuzes gestern, während Israel sich auf die Invasion der Stadt vorbereitet.

Wohin sollen die Menschen fliehen?

„Wenn wir das Ausmaß der Zerstörung im mittleren Teil (des Gazastreifens) und im Norden sehen, ist es für uns nicht klar, wohin die Menschen gebracht werden sollen … wo sie eine angemessene Unterkunft und die wichtigsten Dienstleistungen erhalten können“, sagte Fabrizio Carboni, Direktor für den Nahen Osten beim Roten Kreuz, gegenüber AFP [2].

Mit den Informationen, die wir haben, und von unserem Standpunkt aus, halten wir diese (massive Evakuierung) nicht für möglich.

Nach Berichten des Wall Street Journals [3] (WSJ) bereitet sich das israelische Militär darauf vor, in den südlichen Gazastreifen um Rafah einzumarschieren. Dort sind bis zu 1,5 Millionen Palästinenser geflohen, da der Norden vom israelischen Militär eingenommen wurde.

Washington und Kairo wollen scheinbar kooperieren

Die Invasion wurde seit einiger Zeit angekündigt und scheint nun bevorzustehen, während Israel seine Angriffe auf den gesamten Gazastreifen intensiviert [4] und bei Angriffen am Wochenende 22 Menschen in Rafah tötete, darunter 18 Kinder. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu sagte [5] am Sonntag:

In den kommenden Tagen werden wir den militärischen und diplomatischen Druck auf die Hamas erhöhen, denn nur so können wir unsere Geiseln frei bekommen und unseren Sieg erringen.

Nach Angaben von WSJ, das sich auf ägyptische Quellen beruft, soll Israels Evakuierung von Zivilisten aus der Stadt zwei bis drei Wochen dauern. Die Durchführung geschehe dabei in Zusammenarbeit mit den USA, Ägypten und anderen arabischen Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate.

Evakuierungszonen und Zeltkomplexe

„Erstens: Es wird geschehen. Zweitens werden wir einen sehr straffen Einsatzplan haben, weil die Situation dort sehr komplex ist. Drittens gibt es gleichzeitig eine humanitäre Reaktion“, sagte [6] ein israelischer Sicherheitsbeamter.

Die Invasion soll dabei schrittweise umgesetzt werden. Die israelischen Streitkräfte werden sich dabei auf Gegenden konzentrieren, wo Hamas-Führer vermutet werden. Die Operation soll laut WSJ voraussichtlich mindestens sechs Wochen andauern.

Im Rahmen der Evakuierung sollen Zivilisten unter anderem in die nahe gelegene Stadt Khan Younis in Gaza gebracht werden, wo Israel Unterkünfte mit Zelten, Lebensmitteln und medizinischen Einrichtungen einrichten wird. Satellitenfotos, die von Associated Press untersucht wurden [7], zeigen offenbar einen neuen Zeltkomplex, der in der Nähe der Stadt errichtet wurde.

Die israelische Zeitung Haaretz berichtet, dass Ägypten das Lager im Hinblick auf eine mögliche israelische Offensive in Rafah aufbauen lasse, ohne allerdings die Quelle dafür zu benennen. Die israelischen Verteidigungsstreitkräfte erklärten [8] gegenüber AP, dass sie nicht hinter dem Bau der Zelte stehen.

Warnungen vor humanitärer Katastrophe

Nach Reuters-Berichten und Satellitenbildern vom Februar hat Ägypten auf dem Sinai in der Nähe der Grenze zu Rafah bereits eine Sicherheitszone errichtet [9]. Es wurde gemutmaßt, dass es Exodus-Vorkehrungen sein könnten, um fliehende Gaza-Bewohner im Zuge eines israelischen Einmarsches aufzunehmen. Kairo erklärte, dass es sich lediglich um ein Logistik-Zentrum für Hilfslieferungen für den Gazastreifen handele.

Nach israelischen Angaben ist Rafah, wo nach Angaben von Tel Aviv vier intakte Bataillone der Hamas stationiert sind [10], die letzte große Hochburg der Hamas in Gaza, nachdem die israelischen Streitkräfte im Norden und im Zentrum der palästinensischen Enklave einmarschiert sind und kämpfen.

Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen warnen vor einer humanitären Katastrophe, sollte Israel seine Pläne im Süden durchführen. Auch der wichtigste Verbündete Tel Avivs, die USA, haben sich von dem Vorhaben distanziert. US-Außenminister Antony Blinken sagte [11] am Freitag:

Präsident Biden hat sich in dieser Frage sehr deutlich geäußert: Wir können eine größere Militäroperation in Rafah nicht unterstützen.

Biden-Regierung warnt und liefert Waffen

Eine solche Aktion hätte „schreckliche Folgen“ für alle Zivilisten, die in der Stadt verblieben sind. Israels Kriegsziele, so Blinken, könnten auch mit anderen Mitteln erreicht werden.

Letzte Woche haben US-amerikanische und israelische Vertreter über den möglichen Angriff gesprochen. Das Weiße Haus erklärte, beide Seiten verfolgten das „gemeinsame Ziel, die Hamas in Rafah zu besiegen“.

Es wird jedoch nicht davon ausgegangen, dass die Biden-Regierung die israelische Führung daran hindern wird, final einzumarschieren. Das zentrale Druckmittel, die Einstellung militärischer Unterstützung vonseiten der Vereinigten Staaten, hat Washington bereits aus der Hand gegeben.

Am Wochenende stimmte der US-Kongress dafür, insgesamt 26 Milliarden US-Dollar an Hilfen, darunter ein großer Teil für zusätzliche Waffenlieferungen, für Israel bereitzustellen [12] – auch wenn 40 Demokraten, eine historische Anzahl, dagegen votierten. Biden erklärte gestern zudem in einer emotionalen Rede [13], Israel außerdem Geheimdienst-Informationen und Militärexperten bereitzustellen.

Historisches Leid: Tote, Hungersnot, Zerstörung

Die humanitäre Lage im Gazastreifen nach 200 Tagen Krieg ist jetzt schon katastrophal. Eine Hungernot [14] greift dort mehr und mehr um sich (30 Kinder sollen an Hunger bereits gestorben sein [15]), über eine Million Menschen leben unter katastrophaler Lebensmittelverknappung, die gleich Anzahl soll sich mit Krankheiten im Zuge der Binnenvertreibungen angesteckt haben.

Mehr als 34.000 Menschen sind getötet worden [16], der größte Teil davon Kinder und Frauen, fast 78.000 wurden verwundet, Tausende werden noch vermisst. Jede zehn Minuten wird in Gaza ein Kind verletzt oder getötet, erklärt [17] der Menschenrechtsbeauftragter der Vereinten Nationen, Volker Turk.

62 Prozent aller Häuser und 26 Krankenhäuser sind in Gaza zerstört worden. Hunderte Ärzte, medizinische Hilfskräfte und Sanitäter sind getötet worden, rund 200 Mitarbeiter von Hilfsorganisationen sind laut UN [18] im Zuge von israelischen Angriffen gestorben. Die WHO spricht von einer medizinischen Notlage [19].

In einem Massengrab [20] in der Nähe von zwei Krankenhäusern in Khan Younis in Gaza wurden Berichten zufolge mehr als 300 Leichen entdeckt. Augenzeugen berichteten, dass israelische Soldaten bei ihrer zweiwöchigen Razzia in al-Shifa im vergangenen Monat Zivilisten hingerichtet hätten.

Der UNRWA-Fake-Skandal?

Türk forderte [21] eine „unabhängige, effektive und transparente“ Untersuchung der Tötungen und Massengräber und fügte hinzu, dass „angesichts des vorherrschenden Klimas der Straflosigkeit internationale Ermittler daran beteiligt werden sollten“.

Währenddessen zeigt ein UN-Bericht [22], dass die Anschuldigungen Israels gegen das UN-Hilfswerk für die Palästinenser (UNRWA) nicht gedeckt sind von Beweisen. Israel habe die Vorwürfe bisher nicht belegen können, so der Bericht unter der Leitung der früheren französischen Außenministerin Catherine Colonna.

Deutschland erklärte darauf hin [23], dass man in Kürze die Kooperation mit und Finanzierung von UNRWA, die man aufgekündigt hatte, wieder aufnehmen werde, wie schon Australien, Kanada, Schweden, Japan und andere Staaten zuvor.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9696426

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.yahoo.com/news/rafah-evacuations-not-possible-under-174122569.html?guccounter=1&guce_referrer=aHR0cHM6Ly9uZXdzLmFudGl3YXIuY29tLw&guce_referrer_sig=AQAAAFrsayE3c5rsIzYpfxvYSTI1HB0U6NEwLrTZcnMhhT8CRZ_kEt4CAPsGrWwmzfl_CZRTl3eyagYVJU64aMdbWMFW_2y9m8YRYf1RFCjPG2xirdo7RNi1hV5EN4DYzAj-4QLpoXk7Y_grPv--3lMCJBrDg0jBvkKlNvM34igzmW3U
[2] https://news.antiwar.com/2024/04/23/red-cross-says-rafah-evacuation-not-possible-as-israel-prepares-for-invasion/
[3] https://www.wsj.com/world/middle-east/israel-moves-closer-to-rafah-invasion-as-iran-crisis-wanes-84147f2f
[4] https://news.antiwar.com/2024/04/18/white-house-says-us-israel-have-shared-objective-to-see-hamas-defeated-in-rafah/
[5] https://www.wsj.com/world/middle-east/israel-moves-closer-to-rafah-invasion-as-iran-crisis-wanes-84147f2f
[6] https://www.wsj.com/world/middle-east/israel-moves-closer-to-rafah-invasion-as-iran-crisis-wanes-84147f2f
[7] https://www.timesofisrael.com/satellite-images-show-tent-compound-construction-in-south-gaza-ahead-of-possible-rafah-op/
[8] https://www.timesofisrael.com/satellite-images-show-tent-compound-construction-in-south-gaza-ahead-of-possible-rafah-op/
[9] https://www.theguardian.com/world/live/2024/feb/16/middle-east-crisis-live-israel-gaza-rafah-hamas-biden-cairo-ceasefire-talks-live-news
[10] https://www.timesofisrael.com/satellite-images-show-tent-compound-construction-in-south-gaza-ahead-of-possible-rafah-op/
[11] https://www.wsj.com/world/middle-east/israel-moves-closer-to-rafah-invasion-as-iran-crisis-wanes-84147f2f
[12] https://www.commondreams.org/news/historic-number-dems-vote-no-israel
[13] https://responsiblestatecraft.org/biden-remarks-israel-hamas/
[14] https://www.telepolis.de/features/Gaza-Krieg-US-Regierung-spricht-erstmals-von-Hungersnot-und-liefert-Israel-weiter-Waffen-9683161.html
[15] https://www.aljazeera.com/news/2024/4/23/by-the-numbers-200-days-of-israels-war-on-gaza
[16] https://www.aljazeera.com/news/2024/4/23/by-the-numbers-200-days-of-israels-war-on-gaza
[17] https://www.ohchr.org/en/press-releases/2024/04/un-human-rights-chief-deplores-harrowing-killings-children-and-women-rafah
[18] https://www.reuters.com/world/middle-east/un-chief-hopes-israel-quickly-effectively-boost-gaza-aid-access-2024-04-05/
[19] https://www.emro.who.int/images/stories/Sitrep_-_issue_27.pdf
[20] https://www.commondreams.org/news/un-rights-chief-mass-graves
[21] https://www.commondreams.org/news/un-rights-chief-mass-graves
[22] https://www.theguardian.com/world/2024/apr/22/israel-unrwa-staff-terrorist-links-yet-to-provide-evidence-colonna-report
[23] https://www.theguardian.com/world/live/2024/apr/24/middle-east-crisis-live-us-envoy-says-risk-of-famine-in-gaza-very-high-despite-israels-steps-to-allow-more-aid

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