Julian Assange, das „Hinweisgeberschutzgesetz“ und der „Digital Service Act“ Von Annette Groth

Dank an Annette Groth für ihre zwei Artikel zu Julian Assange der Pressefreiheit und dem Whistleblower Gesetz

Julian Assange, das „Hinweisgeberschutzgesetz“ und der „Digital Service Act“

Von Annette Groth

  1. Februar 2024

Anlässlich der medial weltweit beachteten Anhörung im High Court in London über das Schicksal des WikiLeaks-Gründers, Julian Assange, am 20. und 21. 2. 2024 wurde er und seine Verdienste nach langer medialen Versenkung wieder öffentlich debattiert. Gegenstand der Verhandlung war die Frage, ob Julian Assange das Oberste Gericht in London anrufen kann, um seine Auslieferung an die USA zu stoppen.

In vielen Ländern gab es Mahnwachen und Demonstrationen, um die Bevölkerung über Julian Assange und seine „Verbrechen“ aufzuklären. Sein „Verbrechen“, für das er inzwischen seit fast fünf Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London gefangen gehalten wird, ist die Veröffentlichung eines Videos, „Collateral Murder“ genannt. Das Video zeigt einen US-Militärhubschrauber, der das Feuer auf eine Gruppe irakischer Zivilisten eröffnet. Mehrere Menschen wurden bei dem Angriff getötet, darunter auch zwei Journalisten der britischen Nachrichtenagentur Reuters.

Nachdem Assange fast sieben Jahre in der ecuadorianischen Botschaft in London Asyl hatte, in die er sich aus Angst vor Auslieferung nach Schweden geflüchtet hatte und aus der er im April 2019 mit Polizeigewalt entführt wurde, sitzt er unter härtesten Haftbedingungen in dem britischen „Guantanamo“. Er wird 23 Stunden in seiner Zelle eingeschlossen, die eine Stunde Freizeit ist er ebenso unter Aufsicht in einem geschlossenen Raum.

Der frühere UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, bezeichnet die Haftbedingungen als Folter.

Immer wieder wurden in etlichen Ländern Kampagnen für die Freilassung von Julian Assange initiiert, auch in Deutschland.

So haben die fünf großen Zeitungen, darunter der „Spiegel“, die am 28. November 2010 die ersten 251.000 so genannten „Cablegate“-Nachrichten des US-Außenministeriums von WikiLeaks veröffentlichten und damit viel Aufsehen erregten – und viel Geld verdienten – am 28. November 2022 eine gemeinsame Presseerklärung veröffentlicht. Darin äußerten sie ihre große Besorgnis in Bezug auf die Pressefreiheit: „Die Anklage gegen Assange ist ein gefährlicher Präzedenzfall und ein Angriff auf die Pressefreiheit.“ Sie forderten die sofortige Einstellung der Verfolgung von Julian Assange aufgrund der Veröffentlichung geheimer Dokumente einzustellen. „Denn Journalismus ist kein Verbrechen.“

Auch schon vor über vier Jahren, am 6. Februar 2020 veröffentlichten über 130 Prominente aus Politik, Wissenschaft, Medien und Kultur einen gemeinsamen Appell mit der Forderung, den australischen Whistleblower umgehend aus der Haft zu entlassen.

Auf einer Pressekonferenz stellte der Initiator der Kampagne, Investigativ Journalist Günter Wallraff, den Appell gemeinsam mit den ehemaligen Bundesministern Sigmar Gabriel (SPD) und Gerhart Baum (FDP) sowie der Linken-Abgeordneten Sevim Dağdelen vor. „Ich sitze heute hier, weil die Pressefreiheit kriminalisiert werden soll“, betonte der ehemalige FDP-Innenminister Baum.

Unter Verweis auf die Warnungen des UN-Sonderberichterstatters Nils Melzer drücken die UnterzeichnerInnen ihre Sorge um das Leben von Julian Assange aus. Melzer hatte den Journalisten und Wikileaks-Gründer im Mai 2019 mit einem Ärzteteam in der Haft besucht. Die Ärzte hätten ihm bescheinigt, dass Assange Symptome „langdauernder psychischer Folter“ aufweise. Dessen Haftbedingungen stellten „schwere Verstöße gegen menschenrechtliche und rechtsstaatliche Grundprinzipien“ dar. Dağdelen sprach von einer „Bankrotterklärung der westlichen Rechtsstaatlichkeit“.

Die UnterzeichnerInnen des Appells fordern die Bundesregierung dazu auf, sich bei der britischen Regierung für eine Freilassung von Assange einzusetzen. (1)

Im Wahlkampf für die Bundestagswahl 2021 und als grüne Kanzlerkandidatin forderte Annalena Baerbock im September 2021 ebenso „die sofortige Freilassung von Julian Assange“:

„Aufgrund schwerwiegender Verstöße gegen grundlegende Freiheitsrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention im Umgang mit Julian Assange – allen voran gegen das Verbot von Folter (Art. 3), gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5), gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6) und gegen das Recht, keine Strafe ohne Gesetz zu erhalten (Art. 7) – schließen wir uns der Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 27. Januar 2020 sowie dem Appell des UN-Sonderbeauftragten Nils Melzer an und fordern die sofortige Freilassung von Julian Assange.“ (2)

Als Außenministerin ignorierte sie monatelang Anfragen zu dem inhaftierten Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks. Ein bis dahin ungekanntes Vorgehen eines Bundesministeriums.

Stella Assange, Anwältin und Julians Ehefrau besuchte im April 2023 Berlin und wollte Baerbock treffen, aber dazu kam es nicht. Stattdessen empfing eine Beauftragte im Auswärtigen Amt die Juristin – unter der Bedingung, dass das Treffen geheim gehalten werden müsse. Die Staatsministerin für Kultur, Claudia Roth ließ sich von Stella Assange über die Lage des prominenten politischen Häftlings informieren und erklärte kurz darauf in einem taz-Interview: „Eine Freilassung von Assange wäre ein gutes und wichtiges Signal für die Pressefreiheit.“

Auffällig ist auch, dass es weltweit nur sehr wenige Journalisten gibt, die sich seit vielen Jahren für Assange einsetzen. Zu diesen Journalisten gehört die italienische Journalistin Stefania Maurizi, die als einzige Journalistin Ungereimtheiten in Bezug auf das Auslieferungsverfahren von Assange in Schweden und Großbritannien nachging und durch Klagen etliche Dokumente ans Tageslicht beförderte, die die Justiz der beiden Länder in einem sehr dunklen Licht erscheinen lässt. Es ist also zu vermuten, dass die USA hinter den Kulissen massiven politischen Druck auf die jeweiligen Länder ausgeübt haben. Das könnte auch auf Baerbock zutreffen, die vermutlich vor dem politischen Druck der USA in die Knie geht.

Maurizi betont in ihrem Buch „Secret Power and the Persecution of Julian Assange“, dass etwas noch viel Schlimmeres als die Verbrechen der CIA in dem Fall Assange die politische Apathie der Öffentlichkeit im Fall Assange sei.

Die USA wollen Julian Assange auf der Grundlage ihres Spionagegesetzes von 1917 verurteilen. Wenn dies so erfolgt, kann Journalismus jederzeit als Spionage definiert werden. Jeder Journalist, jeder Verleger weltweit wird dadurch eingeschüchtert. Das wäre das Ende der Pressefreiheit. Deswegen ist der Fall Julian Assange für uns alle wichtig.

Am 24.2. ist kein Schiedsspruch ergangen, d.h. Julian Assange sitzt weiter im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, sein Gesundheitszustand wird immer schlechter. Es ist ein Verbrechen und ein langsamer Mord.

Nach der Anhörung über das Auslieferungsverfahren von Julian Assange am 20. und 21.2. 2024 in London gibt Moritz Müller auf den Nachdenkseiten einen lesenswerten Bericht über den Ablauf dieser Anhörung. (3)

Deutsches Whistleblower-Gesetz – „Hinweisgeberschutzgesetz“

Um Whistleblower wie Julian Assange in Zukunft besser zu schützen, trat am 2. Juli 2023 in Deutschland ein neues Gesetz in Kraft: Das Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen, kurz „Hinweisgeberschutzgesetz“ genannt. Der Publizist Ulrich Mies nennt das Gesetz „Spitzelunddenunziantengesinnungsförderungsgesetz“, weil es der Denunziation Tür und Tor öffnet. Das war schon während der Corona-Zeit zu beobachten. (4)

Laut Gesetz müssen Behörden und Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern Anlaufstellen schaffen, die Meldungen von Hinweisgebern vertraulich entgegennehmen und bearbeiten. Wer gegen das Gesetz verstößt, dem droht ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro.

„Die Einrichtung interner Meldestellen liegt im ureigenen Interesse der Beschäftigungsgeber, da sie nur so die Gelegenheit haben, einen Verstoß intern abzustellen, und dieser nicht direkt an eine externe Meldestelle gemeldet und somit nach außen getragen wird“, heißt es aus dem Justiz-Ministerium, das dieses Gesetz aus der Taufe gehoben hat.

Seit dem Inkrafttreten des sogenannten Whistleblower-Gesetzes sind bei der neu geschaffenen externen Meldestelle des Bundes mehr als 100 Hinweise eingegangen. Wie eine Sprecherin des Justizministeriums auf Anfrage mitteilte, hat die beim Bundesamt für Justiz angesiedelte Meldestelle von Anfang Juli bis zum 12. September insgesamt 113 Meldungen erhalten. Die meisten davon gingen den Angaben zufolge über ein Online-Formular ein. (5)

Angesichts der Diffamierung von Israel-kritischen oder Friedens-Aktivisten, die sich für Waffenstillstand in Gaza und in der Ukraine einsetzen, könnte auch eine Meldung mit Hinweis auf das „Hinweisgeberschutzgesetz“ lanciert werden. Mit welchen Methoden dann die entsprechende Person sanktioniert oder bestraft wird, bleibt abzuwarten. Im Rahmen der vorherrschenden Cancel-Culture Praxis, dem inzwischen viele WissenschaftlerInnen, SchriftstellerInnen, KünstlerInnen und auch Prominente wie Julius Frantz und Theodor Currentzis zum Opfer gefallen sind, ist das Hinweisgeberschutzgesetz ein sehr geeignetes Instrument, um Andersdenkende zu diffamieren und mundtot zu machen.

Der Publizist Norbert Häring führt seit Februar 2023 ein „Cancel-Culture-Tagebuch“. Darin dokumentiert er Vorkommnisse, mit welch schmutzigen Methoden Menschen, die sich den herrschenden Meinungen und Regierungsnarrativen nicht unterwerfen, drangsaliert und aus dem öffentlichen Leben gedrängt werden. „Der Cancel-Culture-Terror richtet sich maßgeblich gegen Abweichler in den Universitäten, aber nicht nur gegen diese. Unbotmäßige, das heißt kritische Menschen hat das politische Establishment als potenzielle Unruheherde und Gefahr erkannt. Daher müssen alle, die nicht auf Linie sind, aussortiert oder zumindest maximal unter Stress gesetzt werden. Die in aller Regel nie bewiesenen oder nachgewiesenen Standard-Totschlagskeulen heißen „Antisemitismus“ und „Rassismus“. (6)

„Digital Services Act“ (DSA), das „Gesetz über digitale Dienste“

Um Desinformationen und Hass-Meldungen zu unterbinden, trat im August 2023 der „Digital Services Act“ (DSA), das EU-„Gesetz über digitale Dienste“ in Kraft, das in Deutschland am 17. Februar 2024 rechtskräftig wurde. Laut dem pensionierten Richter und Rechtsanwalt Manfred Kölsch wird dieses Gesetz dafür sorgen, „dass betreutes Denken um sich greift“. (7)

„Digital Services Act – Ein Aufruf zur Denunziation“ bezeichnet Alexander Grau, promovierter Philosoph und freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist, dieses Gesetz, weil die Bestimmungen auch Verordnungen enthalten, „die zu Denunziation und Zensur förmlich aufrufen. Das schadet der Demokratie mehr als es ihr nützt“. (8)

„Artikel 1 des Digital Services Act bekräftigt, dass Meinungs- und Informationsfreiheit entsprechend der „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ geschützt werden. Die Europäische Kommission bestimmt, dass ausschließlich rechtswidrige Einträge gelöscht werden dürften. Einträge, die nur schädlich seien, dürften keiner Pflicht zur Entfernung unterliegen, weil das schwerwiegende Auswirkungen auf den Schutz der Meinungsfreiheit hätte. Dieses Bekenntnis zum Schutz von Artikel 11 der EU-Grundrechtecharta, Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention und letztlich auch Artikel 5 des Grundgesetzes ist aber nur Fassade. Dahinter wird die Axt an fundamentale Grundsätze unseres demokratischen Gemeinwesens gelegt. Nach Artikel 34 des DSA haben die Plattformen nicht nur rechtswidrige Einträge zu löschen. Sie sollen bei der Überprüfung der Einträge auf deren Löschungsbedürftigkeit ihr besonderes Augenmerk auf „kritische“ und auf „nachteilige“ Einträge legen. Die sogenannten Erwägungsgründe zum DSA verdeutlichen das demokratiefeindliche Anliegen der Kommission. Nach Nr. 5 sind nicht nur rechtswidrige, sondern auch „anderweitig schädliche Informationen“ zu löschen. Nach Nr. 84 sollen sich die Plattformbetreiber auch auf nicht rechtswidrige Informationen konzentrieren. Sie sollen verhindern, dass „irreführende und täuschende Inhalte, einschließlich Desinformationen“ verbreitet werden. Der Begriff Desinformation ist in dem DSA indes nirgends definiert. Die Kommission hat in dem Begriff im Jahre 2018 „nachweislich falsche und irreführende Informationen“ gesehen.“ (9)

Da müssen die Alarmglocke laut schrillen.

Wer bestimmt, was Desinformation ist? Ist es etwa Desinformation, wenn behauptet wird, dass ein Friedensvertrag zwischen der Ukraine und Russland im März 2022 unterschriftsreif vorlag, und dass Boris Johnson, der ehemalige Premierminister Großbritanniens, nach Kiew flog und dazu NJET/NEIN sagte. Damit war der Vertrag vom Tisch und der Krieg ging weiter, bis heute. Das ist Tatsache und keine Desinformation oder fake news, was leider viele Leute glauben.

Ist es „Desinformation“, dass es in der Ukraine zahlreiche Nazi-Gruppe gibt und dass eine von denen, die „Asow“-nahe ukrainische Neonaziorganisation „Centuria“ einen Ableger in Magdeburg hat? (10)

Angeblich hat das sächsische Innenministerium darüber keine Informationen, was höchst merkwürdig ist, zumal die Vereinigung Demonstrationen anmeldet, Mitglieder rekrutiert, rassistische Hetze verbreitet und Spenden sammelt.

Jedenfalls ist bei diesem DAS-Gesetz höchste Vorsicht geboten und höchste Zeit für lauten Protest. Denn damit ist die Meinungs- und Pressefreiheit zutiefst gefährdet.

„Demokratiefördergesetz“

Und damit die Demokratie insbesondere vor dem Rechtsextremismus mit allen Mitteln geschützt wird, will Innenministerin Faeser noch das „Demokratiefördergesetz“ verabschieden.

Nancy Faeser hatte am 13. Februar erklärt: „Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen.“ Florian Warweg, Redakteur der Nachdenkseiten und akkreditierter Journalist auf der Bundespressekonferenz, wollte wissen, was die Bundesregierung konkret unter „Verhöhnung des Staates“ versteht. Die Antwort des zuständigen Vertreters des Bundesministerium des Inneren war ebenso nebulös wie der Begriff der „Desinformation“: „Es geht wie bei dem ganzen Maßnahmenpaket, das die Bundesinnenministerin hier gestern an gleicher Stelle vorgestellt hat, um Rechtsextremisten, um den Kampf gegen Rechtsextremismus und für den Schutz der Demokratie. Insofern steht das ganz klar in dem Kontext. Dabei hat sie einen sogenannten ganzheitlichen Ansatz vorgestellt, der beispielsweise im Bereich der Verfolgung der organisierten Kriminalität gilt.“ Da bislang das Verhöhnen über den Staat und seine Institutionen noch kein „elementarer und nicht strafbewehrter Bestandteil der politischen und medialen Kultur der Bundesrepublik“ ist, bleibt abzuwarten, wann das „Verhöhnen und aus welchen Gründen „ein Straftatbestand“ wird. (11) Auf eine klare Definition zum Straftatbestand des „Verhöhnens“ kann man gespannt sein, wenn sie dann überhaupt kommt.

Eine gute, aber auch höchst beunruhigende Analyse zu dem Gesetz veröffentlichte Dagmar Henn unter dem Titel: „Faesers Reichstagsbrand: Der Schritt in die Rundumverfolgung“. (12)

Zusammenfassend kann resümiert werden, dass mit den oben erwähnten Gesetzen, die kaum in der Öffentlichkeit debattiert wurden, ein beängstigender Trend zur Einschränkung von Presse- und Meinungsfreiheit festzustellen ist. Mit dem Begriff der „Desinformation“ und unter dem Vorwand „Kampf gegen Rechts“ werden demokratische Prinzipien und Grundgesetze ausgehebelt. Das Schlimme: der Einzelne kann sich kaum dagegen wehren. Wir sind in einem autoritären und repressiven Staat angekommen.

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