Neue Vorwürfe: Steckt Russland wirklich hinter Havanna-Syndrom? David Goeßmann

Dank an David Goeßmann für die Genehmigung seinen heutigen Telepolis Artikel, auf der Hochblauenseite zu veröffentlichen. Evelyn Hecht-Galinski

Neue Vorwürfe: Steckt Russland wirklich hinter Havanna-Syndrom?

US-Botschaft in Kuba. Bild: US-Außenministerium

Medienuntersuchung macht hinter US-Botschafts-Erkrankungen russische Einheit verantwortlich. Es geht um Energiewaffen und Agenten vor Ort. Was sind die Belege?

Ein kollaborative Untersuchung [1] von drei Medien, The Insider, CBS 60 Minutes und Der Spiegel, hält es für wahrscheinlich, dass eine russische Geheimdiensteinheit die Ursache für die mysteriösen Symptome des sogenannten Havanna-Syndroms ist. Dieses Syndrom zeigt sich u.a. an Gehirnschäden und Hörverlust, die in den letzten Jahren bei US-Diplomaten aufgetreten sind.

Neue Recherchen: Russische Einheit verantwortlich für Syndrom

Das Ergebnis widerspricht Schlussfolgerungen von US-Recherchen, die vor einem Jahr veröffentlicht wurden. Danach seien die „anomalen Gesundheitsvorkommnisse“ bei Botschaftsmitarbeitern in Kuba, China und in Europa nicht durch „Energiewaffen“ oder einen ausländischen Feind verursacht worden.

Am Montag hatte das US-Verteidigungsministerium bekannt gegeben, dass ein weiterer hoher US-Beamter, der im vergangenen Jahr an einem Gipfeltreffen der Nato in Vilnius (Litauen) teilgenommen hatte, ähnliche Symptome zeige.

Neue Belege, die in dem gemeinsamen Medienbericht, der sich auf ein Jahr Recherchen stützt, legen nun nahe, dass Schallwaffen, die von der Einheit 29155 des russischen Militärgeheimdienstes GRU entwickelt und eingesetzt wurden, möglicherweise die Ursache des Havanna-Syndroms sind.

150 Fälle

Über das sogenannte Havanna-Syndrom wurde zuerst im Jahr 2016 berichtet. Diplomaten in Kuba haben danach von Schädigungen erzählt, die auftraten, nachdem sie einen durchdringenden Ton in der Nacht hörten. Die Symptome enthalten Nasenbluten, Kopfschmerzen und Wahrnehmungsstörungen.

In der Medienrecherche wird nun ein Betroffener zitiert [2], der von einem Auftreten des Syndroms schon im Jahr 2014 erzählt – im US-Konsulat in Frankfurt am Main. Man schätzt in US-Regierungskreisen [3], dass 150 Fälle auf das Havanna-Syndrom zurückzuführen sind. Im Bericht von The Insider heißt es [4]:

Das Havanna-Syndrom weist alle Merkmale einer russischen Operation der hybriden Kriegsführung auf. Sollte sich herausstellen, dass der Kreml tatsächlich hinter den Anschlägen steckt, würde eine solche anhaltende, jahrzehntelange Operation ohne weiteres als einer der größten strategischen Siege Wladimir Putins gegen die USA gelten.

US-Geheimdienste kommen zu anderem Resultat

Der Bericht dokumentiert eine Reihe von Vorfällen, bei denen US-Botschaftsmitglieder gesundheitlich geschädigt wurden. Nach der Theorie der Medienuntersuchung sollen Schallwaffen dafür eingesetzt worden sein. Im Jahr 2020 habe das FBI einen russischen Spion deswegen verhört [5], der in Restaurants in New York City und Washington D.C. arbeitete.

Eine Untersuchung der sieben US-amerikanischen Geheimdienste kam jedoch vor einem Jahr nach mehrjährigen Recherchen zu dem Resultat, dass die „vorliegenden Erkenntnisse“ durchweg „gegen eine Beteiligung von US-Gegnern an den gemeldeten Vorfällen“ sprechen.

Fünf Geheimdienste hielten eine ausländische Beteiligung für „sehr unwahrscheinlich“, einer für „unwahrscheinlich“ und der siebte lehnte es ab, eine Stellungnahme abzugeben.

Beweislage: Forschung an Energiewaffen und Agenten vor Ort

Russland wies die Anschuldigungen als „unbegründet“ zurück. Der Pressesprecher des Kremls, Dmitri Peskow, erklärte gegenüber Reportern [6]:

Es ist kein neues Thema. Seit vielen Jahren wird das sogenannte Havanna-Syndrom in der Presse übertrieben dargestellt, und von Anfang an wurde es mit Anschuldigungen gegen die russische Seite in Verbindung gebracht. Aber niemand hat bisher überzeugende Beweise für diese unbegründeten Anschuldigungen veröffentlicht.

Die Beweislage der neuen Medienrecherchen [7] stützt sich vor allem darauf, dass die verantwortliche Einheit 29155 an Energiewaffen forschte und Agenten scheinbar an jene Orte gereist sind, an denen später US-Diplomaten über Beschwerden klagten. Leitende Mitarbeiter der Einheit sollen in Russland für die Entwicklung von „akustischen Waffen“ Auszeichnungen erhalten haben [8].

Der Aufenthalt von Agenten vor Ort, an dem die Vorfälle auftraten, ergebe sich zudem aus Buchungsdaten, die The Insider vorliegen. Demnach flogen zwei bekannte Agenten der Einheit in den Jahren 2016 und 2017 nach China. Der Spiegel schreibt [9]:

Offiziell arbeiteten sie als Automechaniker bei der Silk Way Rally, einem der wichtigsten Langstreckenrennen der Welt. Wahrscheinlich hatten sie jedoch einen anderen Auftrag. Jedenfalls klagten US-Diplomaten anschließend auch in China über das Havanna-Syndrom.

Aber reichen die Indizien aus?

Doch nicht immer überschnitten sich die Reisedaten der russischen Agenten vollständig mit denen der mutmaßlichen Attacken, „bisweilen haben die Agenten diese eventuell nur vorbereitet“, so der Spiegel weiter.

Ob diese neuen Indizien jedoch ausreichen, um hinter den gesundheitlichen Vorfällen von US-Botschaftsangehörigen in den letzten Jahren eine russische Energiewaffen-Kriegsführung auszumachen, ist fraglich. Insbesondere, da die Untersuchungen der US-Geheimdienste zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen sind.

Zudem fanden die Ermittler auch alternative mögliche Erklärungen [10]. So ging es wohl bei einigen der Fälle um gesundheitliche Erkrankungen, schlecht funktionierende Klima- und Lüftungsanlagen oder elektromagnetische Wellen, die von harmlosen Geräten wie einer Computermaus erzeugt wurden.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9672690

Links in diesem Artikel:
[1] https://theins.ru/en/politics/270425
[2] https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-04/havanna-syndrom-syptome-us-beamter-nato-gipfel-vilnius
[3] https://www.spiegel.de/ausland/havanna-syndrom-setzten-russische-agenten-mikrowellenwaffen-gegen-us-diplomaten-ein-a-1d5d1c2e-ed83-44c8-a446-45bb50f712d5
[4] https://theins.ru/en/politics/270425
[5] https://theins.press/en/politics/270450
[6] https://www.theguardian.com/world/2024/apr/01/havana-syndrome-linked-to-russian-unit-media-investigation-suggests
[7] https://www.spiegel.de/ausland/havanna-syndrom-setzten-russische-agenten-mikrowellenwaffen-gegen-us-diplomaten-ein-a-1d5d1c2e-ed83-44c8-a446-45bb50f712d5
[8] https://www.theguardian.com/world/2024/apr/01/havana-syndrome-linked-to-russian-unit-media-investigation-suggests
[9] https://www.spiegel.de/ausland/havanna-syndrom-setzten-russische-agenten-mikrowellenwaffen-gegen-us-diplomaten-ein-a-1d5d1c2e-ed83-44c8-a446-45bb50f712d5
[10] https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/usa-havana-syndrom-geheimdienste-ursache-101.html

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