Verfassungsschutz Gaza-Hilfe beschlagnahmt Von Dieter Reinisch, Wien

Verfassungsschutz: Gaza-Hilfe beschlagnahmt

Österreich: Der Hilfsverein Rahma Austria steht mit seinen Hilfsprojekten in arabischen Ländern im Visier der Behörden * Foto: Issam Abdallah/REUTERS

Aus: Ausgabe vom 30.05.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Verfassungsschutz

Gaza-Hilfe beschlagnahmt

Österreich: Der Hilfsverein Rahma Austria steht mit seinen Hilfsprojekten in arabischen Ländern im Visier der Behörden
Von Dieter Reinisch, Wien
 
Erinnerung an PLO-Chef Jassir Arafat: Szene im Flüchtlingslager Burdsch Al-Baradschna (Beirut, 2.11.2022)

Hintergrund: Operation Luxor

Am 9. November 2020 stürmten Tausende Beamte Hunderte Einrichtungen und Wohnhäuser in ganz Österreich. Die »Operation Luxor« war eine der größten Polizeiaktionen in der Zweiten Republik.

Am Freitag wird ein Seniorenheim im palästinensischen Flüchtlingslager in Burdsch Al-Baradschna eröffnet. Es ist eines von zwei Hilfsprojekten, die am Wochenende von der österreichischen NGO Rahma Austria im Süden der libanesischen Hauptstadt Beirut eingeweiht werden. Auch an einem Projekt für ein neues Waisenhaus in Beirut arbeitet der Verein gerade, erzählt der Projektkoordinator Tarkan Teg im jW-Gespräch.Weiterlesen in jungewelt.de

The Austrian state’s attack on Muslims shows no sign of easing

Three years after Operation Luxor, with many Muslim lives ruined, there have been no arrests or charges. Yet Austria’s leaders remain committed to cracking down on Islam

Die Moschee des Islamischen Zentrums in Wien, Österreich (AFP)

Der Angriff des österreichischen Staates auf Muslime lässt nicht nach
Von Farid Hafez
10. März 2024
Drei Jahre nach der Operation Luxor, bei der viele muslimische Leben ruiniert wurden, gab es keine Verhaftungen oder Anklagen. Doch Österreichs Politiker sind weiterhin entschlossen, gegen den Islam vorzugehen

Am 9. November 2020, sieben Tage nachdem ein Schütze in Wien vier Menschen erschossen hatte, führte die österreichische Polizei eine groß angelegte Operation durch, die sich gegen Einzelpersonen und Organisationen der muslimischen Zivilgesellschaft richtete, darunter Hilfsorganisationen wie Rahma Österreich und muslimische Vereine, die Moscheen betreiben.

Es handelte sich um eine groß angelegte Polizeiaktion, an der 940 Beamte beteiligt waren und die sich gegen mehr als 70 Personen und Organisationen richtete.

Zwei Tage später vertrat Lorenzo Vidino, Leiter des Extremismusprogramms an der George Washington University, in einem Beitrag für Foreign Policy die Ansicht, dass „Österreich, nicht Frankreich, das Vorbild für Europas Vorgehen gegen Islamisten ist“.

In dem Artikel lobte Vidino den damaligen österreichischen Rektor Sebastian Kurz dafür, dass er dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron voraus sei, der ähnlich drakonisch gegen das vorgegangen sei, was die französische Regierung als „islamistischen Separatismus“ bezeichnet hatte.
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In der Tat sangen sowohl Macron als auch Kurz vom selben Notenblatt, indem sie vorgaben, die große Gruppe der „friedlichen Muslime“ vor den gefährlichen wenigen, den organisierten zu schützen, den Mitgliedern dessen, was die französische und die österreichische Regierung „islamistischen Separatismus“ oder „politischen Islam“ nannten.

In Wirklichkeit bedeutete dies, dass das öffentliche Bekenntnis zum Islam, die politische Beteiligung und der Kampf gegen Islamophobie kriminalisiert werden sollten. Sowohl die französische als auch die österreichische Regierung gingen mit aller Härte gegen die so genannten „Ermöglicher des Terrorismus“ vor und lobten ihre eigenen Initiativen als erfolgreiche Maßnahmen im Kampf gegen die besagte Bedrohung.

Mehr als drei Jahre später könnte nichts mehr falsch sein: Österreichs politische Führung hat sich in ihrem hyper-antimuslimischen Populismus verloren, nur um die Bürgerrechte von Muslimen zu bedrohen, indem sie das Vermögen und die Bankkonten von Einzelpersonen und Vereinen einfriert und damit ihre Existenzgrundlage zerstört, und das auf der Grundlage buchstäblich keinerlei Beweise.

Das war in Österreich nicht immer so – ganz im Gegenteil.

Jahrzehntelang war Österreich stolz auf seine relativ tolerante Integration von Muslimen. Aufgrund des seit langem bestehenden rechtlichen Rahmens, der auf das Islamgesetz der österreichisch-ungarischen Monarchie aus dem Jahr 1912 zurückgeht und der dazu beitrug, Bedingungen für die Integration von Menschen muslimischen Glaubens in die Gesellschaft zu schaffen, die in Europa ihresgleichen suchen, konnten Muslime Vereine gründen, die – zumindest theoretisch – mit anderen kleinen Minderheitskirchen und -konfessionen wie dem Protestantismus und dem Judentum gleichgestellt waren.
Zerstörte Existenzen

Dies änderte sich weitgehend mit dem Machtantritt von Kurz, der im Mai 2017 Parteivorsitzender der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und im Dezember desselben Jahres Bundeskanzler von Österreich wurde.

Auf der Wahlebene geschah dies vor allem mit Hilfe einer kultivierten antimuslimischen Stimmung, die schon vor seiner Machtübernahme vorhanden war und die er in einer Weise umgestaltete, die für die Wählerschaft akzeptabler war.
Wie Österreich unter dem Deckmantel der „Terrorismusbekämpfung“ bürgerliche Freiheiten abbaut
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Als Kurz an der Macht war, schaffte er das Islamgesetz von 1912 ab und schuf ein neues: das Islamgesetz von 2015. Mit dem neuen Gesetz wurden Muslime in einer Weise kontrolliert und überwacht, wie es bei keiner anderen gesetzlich anerkannten Kirche oder Glaubensgemeinschaft der Fall war, und es wurden diskriminierende Praktiken und Maßnahmen gegen die muslimische Gemeinschaft eingeführt.

So verhängte die erste Kurz-Regierung (2017-2019) als Vorläufer von Plänen zum Verbot des Hidschabs in der gesamten Belegschaft ein Verbot des Hidschabs im Kindergarten und in der Volksschule. Sie schloss auch mehrere Moscheen.

Diese Initiativen wurden im Namen der Bekämpfung des sogenannten politischen Islams ergriffen. Beide Maßnahmen wurden von den Gerichten wieder rückgängig gemacht.

Ein Jahr bevor Kurz 2021 im Zuge einer Korruptionsuntersuchung auf dem Höhepunkt seiner Macht entlassen wurde, führte der österreichische Staat die größte Razzia in Friedenszeiten in der jüngeren österreichischen Geschichte durch – die Operation Luxor.

Die Operation richtete sich gegen mehr als 70 Personen und mehrere Organisationen, die angeblich mit der Muslimbruderschaft in Verbindung stehen, und beschuldigte sie unter anderem, Staatsfeinde, terroristische Organisationen und kriminelle Vereinigungen zu sein sowie Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu betreiben.

Unter den Beschuldigten, gegen die nie Anklage erhoben wurde, befand sich auch der ehemalige Vorsitzende des Islamischen Rates Österreichs, Anas Schakfeh, der zwischen 1997 und 2011 an der Spitze der Muslime in Österreich stand und stets sehr gute Beziehungen zur politischen Führung des Landes hatte.

Dies war ein deutliches Zeichen für die Muslime Österreichs, dass sich die Dinge geändert haben. Der Islamrat Österreich wurde nämlich nicht mehr als Partner gegen den Extremismus betrachtet, sondern als potenzielle Bedrohung für die österreichische Sicherheit, die Extremisten beherbergt.

Existenzen wurden zerstört, da die Bankkonten und Vermögenswerte von Unternehmen eingefroren wurden.

Die Polizeiaktion wurde zunächst weitgehend mit Schweigen quittiert, auch von der Zivilgesellschaft. Die Medien schlossen sich weitgehend der Botschaft der Regierung an, die von einer „Verkürzung der Wurzeln des politischen Islam“ sprach. Für die Behörden war dies ein Angriff auf die „Anstifter des Terrorismus“, auch wenn kein „Terror“ im Spiel war.
Keine Verantwortung übernehmen

Nur sieben Monate später entschied das Berufungsgericht in allen neun Berufungsverfahren, dass die Razzien rechtswidrig waren und, was noch wichtiger ist, dass die gesamte Untersuchung keine rechtliche Grundlage für strafrechtliche Ermittlungen hatte.

Doch anstatt den schrecklichen Fehler und den entstandenen Schaden anzuerkennen und zuzugeben, griffen weder Österreichs Justizministerin Alma Zadic von den Grünen noch Innenminister Karl Nehammer von der ÖVP, der später als Nachfolger von Kurz zum Rektor aufstieg, ein.

Nachforschungen ergaben, dass die private Schweizer Sicherheitsfirma Alp Services im Vorfeld der Operation Geheimdienstinformationen in die Vereinigten Arabischen Emirate schickte.

Tatsächlich schoben beide Minister die Schuld auf die Staatsanwaltschaft und übernahmen keine Verantwortung.

Zadic, die gegenüber dem Staatsanwalt weisungsbefugt ist, argumentierte, dass der Staatsanwalt unabhängig ermitteln müsse und sie sich nicht einmischen werde. Unterdessen übernahm Nehammer keine Verantwortung für die kruden Verschwörungstheorien seines Geheimdienstes, die dazu beitrugen, die Ermittlungen anzuheizen und am Leben zu erhalten.

Mehrere Medien berichteten über die Ermittlungen. Nach Enthüllungen in The New Yorker im April 2023 zeigten Recherchen der Wochenzeitung Profil, dass die private Schweizer Sicherheitsfirma Alp Services im Vorfeld der Operation Geheimdienstinformationen in die Vereinigten Arabischen Emirate schickte.

Dies wirft Fragen zu den persönlichen Verbindungen zwischen Kurz und dem emiratischen Regime sowie anderen Personen auf, die die Operation Luxor verteidigt haben, darunter Vidino.

Laut Gesetz hat die Staatsanwaltschaft bis zu drei Jahre Zeit, den Fall entweder abzuschließen oder Anklage zu erheben. Doch seit der Operation sind nun mehr als drei Jahre vergangen, und es hat keine einzige Verhaftung oder Anklage gegeben. Nur gegen 27 Personen (von ursprünglich 115) und 11 Einrichtungen wird noch ermittelt.

Die Staatsanwaltschaft ist jedoch fest entschlossen, die Ermittlungen gegen die übrigen Beschuldigten fortzusetzen.

Obwohl Muslime in Österreich fast neun Prozent der Bevölkerung ausmachen (größtenteils Nachkommen türkischer Gastarbeiter sowie Flüchtlinge aus den Kriegen in Tschetschenien und Syrien in den letzten Jahren), fehlt ihnen weitgehend die wirtschaftliche und politische Macht, um ernst genommen zu werden. Sie sind in den etablierten Parteien stark unterrepräsentiert, mit weniger als einer Handvoll Abgeordneter im nationalen Parlament, und die meisten Parteien befürworten auch die von Sebastian Kurz vertretene antimuslimische Politik.
Islam-Karte

Die Mitarbeiter, die den „politischen Islam“ problematisierten und später die Razzien legitimierten, sind immer noch im Amt. Während diese Mitarbeiter und die Staatsanwaltschaft seither eine juristische Niederlage nach der anderen erlitten haben, hält die politische Führung weiterhin an ihnen fest.

Die Razzia stützte sich auf einen Bericht von Lorenzo Vidino und ein Gutachten von Heiko Heinisch und Nina Scholz.

Heinisch und Scholz wurden aufgrund von Zweifeln an ihrer Unparteilichkeit aus ihren Funktionen entfernt.
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Heinisch und Vidino sind nach wie vor im Beirat des Dokumentationszentrums Politischer Islam tätig, das im Juli 2020 gegründet wurde, um muslimische Verbände kontinuierlich zu überwachen.

Es wurde berüchtigt, nachdem der Europarat es für die Veröffentlichung seiner Islamkarte kritisiert hatte, auf der alle muslimischen Verbände und ihre Standorte sowie die Namen einiger Vertreter verzeichnet waren.

Die österreichische Regierung will noch weiter gehen und versuchen, die Haltung gegenüber Muslimen in anderen europäischen Ländern in ihrem Sinne zu gestalten.

Zu diesem Zweck hat sie verschiedene Einrichtungen geschaffen, wie das paneuropäische Wiener Forum zur Bekämpfung von Segregation und Extremismus im Kontext der Integration, das Minister und Bürokraten aus europäischen Ländern sowie Terrorismus- und Deradikalisierungsexperten zusammenbringt, um ihre Version der Bekämpfung des „politischen Islam“ zu fördern.

In jüngster Zeit, nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober, hat der neue Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) sogar die Operation Luxor wieder aufgewärmt und sie als laufenden Versuch dargestellt, gegen den Islamismus vorzugehen.

Im vergangenen Monat wurde gegen eine Hilfsorganisation mit Schwerpunkt Gaza, einen ehemaligen Kläger, der von allen Vorwürfen freigesprochen wurde, erneut ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, dieses Mal wegen finanzieller Probleme. Mehr als das: Gegen 700 Einzelspender wird ermittelt, was nach einer Einschüchterungskampagne riecht.

Gewöhnliche Muslime werden zu Islamisten gemacht. Alltägliche Handlungen werden zu terroristischen Handlungen umgedeutet.

Das harte Durchgreifen gegen Österreichs Muslime und das uneinsichtige und unvernünftige Verhalten der österreichischen Regierung, das von der Justiz regelmäßig korrigiert wird, spricht Bände über die Hartnäckigkeit der konservativen politischen Führer und ihren Umgang mit der muslimischen Bevölkerung, drei Jahre nach einer Operation, die als „gigantischer Flop“ bezeichnet wurde.

Farid Hafez ist Distinguished Visiting Professor of International Studies am Williams College und Non-Resident Senior Researcher bei The Bridge Initiative der Georgetown University.
Übersetzt mit deepl.com

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