Wer ruft in Belgrad zum „Maidan“ auf?
Mehr als 38 festgenommene Demonstranten und mehrere verletzte Polizisten sind die Bilanz der in Gewalt und Zerstörung ausgearteten Proteste der Opposition am Sonntag in Belgrad. Die Polizei wirft den Randalierern vor, mit ihrem Verhalten eine Änderung der Verfassungsordnung durchdrücken zu wollen.
Wer ruft in Belgrad zum „Maidan“ auf?
Von Marinko Učur
Von Marinko Učur
Die Organisatoren der Proteste, die sich in der Koalition „Serbien gegen Gewalt“ zusammengeschlossen haben, wollten diese friedlich gestalten, verloren aber in einem Moment die Kontrolle und es kam zu den gewalttätigen Szenen. Der Oppositionsführer und ehemalige Bürgermeister von Belgrad, Dragan Đilas, reagierte zwar auf die Anschuldigungen, einer der Anstifter der Demonstrationen zu sein. Als diese jedoch zu aggressiv wurden, beschuldigte er Hooligans und Fußballfans, hinter der Gewalt zu stecken.
Neu an der Unzufriedenheit mit der angeblichen Unregelmäßigkeit im Wahlverfahren, deren Ordnungsmäßigkeit nicht ernsthaft infrage gestellt wurde, ist die Tatsache, dass die Oppositionsparteien Studenten der Universität Belgrad in die Proteste einbezogen haben. Am Montag blockierten Studenten einige Straßen der Stadt und veranstalteten eine Performance, bei der sie auf dem Asphalt saßen und eine Wiederholung der Wahlen in der serbischen Hauptstadt forderten. Proteste werden auch für die Abendstunden der folgenden Tage angekündigt und anhand der Botschaften, die von den Demonstranten zu hören sind, haben die Proteste eine klare prowestliche Note.
Menschenrechtsorganisationen haben der Polizei übermäßige Gewaltanwendung vorgeworfen, obwohl die Polizei sich defensiv verhielt, bis die Proteste am Eingang des Rathausgebäudes, was auch die breite Öffentlichkeit sehen konnte, einen destruktiven Charakter annahmen. Der Oppositionsabgeordnete im serbischen Parlament, Srđan Milivojević, sagte, er werde keinen Bürger der „Gnade und Ungnade der Polizei von Vučić“ überlassen.
Die serbische Premierministerin Ana Brnabić erklärte gegenüber den Medien unmissverständlich, dass die Proteste eindeutig vom Westen unterstützt würden. Sie fügte hinzu, dass es „in Serbien keinen Maidan geben wird“ und spielte damit auf die damaligen Ausschreitungen in Kiew an. Gleichzeitig dankte sie Russland für diesbezüglich erhaltene Geheimdienstinformationen, die die Entwicklung der Ereignisse andeuteten. Dies verärgerte vor allem einige russophobe Oppositionsführer, darunter den oppositionsnahen Universitätsprofessor Čedomir Čupić:
„Es ist inakzeptabel, dass sich Staatspräsident Alexander Vučić in einer so ernsten Lage zuerst mit dem russischen Botschafter Alexander Botsan-Kharchenko trifft und mit ihm Geheimdienstinformationen austauscht“, protestiert Čupić.
In einer Erklärung gegenüber den russischen Medien brachte der russische Botschafter in Belgrad nämlich seine Erkenntnisse zum Ausdruck, wonach die Proteste der Opposition „vom Ausland aus gefördert und unterstützt werden“. Der Botschafter vermied es, über die Einzelheiten seines Treffens mit Präsident Vučić zu sprechen, da es sich um vertrauliche Informationen handelte, die ihm offenbar vom serbischen Präsidenten mitgeteilt wurden. Klar ist jedoch, dass einige westliche Länder als Auslöser der Unruhen genannt wurden.
Trotz allem gilt die Sicherheitslage in Serbien nach Angaben des Büros für die Koordinierung der Arbeit der serbischen Sicherheitsdienste als stabil.
„Der Staat wird keinen gewaltsamen Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung zulassen, sondern durch Institutionen für Ordnung, Frieden und die Lösung sämtlicher Probleme sorgen“, sagte der Leiter des Büros und derzeitige Außenminister Ivica Dačić.
Er sagte allen zuständigen Behörden seine volle Unterstützung bei ihren Anstrengungen zu, all diejenigen zu bestrafen, die Gewalt anwenden, in der Erwartung, dass Polizei und Staatsanwaltschaft im Einklang mit dem Gesetz handeln werden.
Zur Ankündigung neuer Proteste der Opposition, die das Wahlergebnis der Stadt Belgrad nicht anerkennt, bekräftigte Dačić, dass der Staat keine Gewalt zulassen werde. Der Vorsitzende der Fraktion „Wir, die Stimme des Volkes“, Branimir Nestorović, der bei den vergangenen Wahlen hinsichtlich der Wahlergebnisse eine große Überraschung darstellte und sich jetzt weigert, sich irgendeiner Seite anzuschließen, geht hingegen davon aus, dass die Proteste der Opposition anhalten werden:
„Ich glaube nicht, dass sie aufgeben werden und befürchte, dass der richtige ‚Maidan‘ noch kommen wird. Ich habe gesagt, dass es nur darum geht, ‚den Puls zu spüren‘, wie die Polizei und der Staat reagieren werden, ich glaube nicht, dass die Opposition aufgeben wird, denn das wäre für sie politischer Selbstmord.“
In jedem Fall stehen Serbien vor dem Jahreswechsel turbulente und unsichere Tage bevor. Obwohl die Proteste nicht so groß sind, dass sie das Funktionieren der lebenswichtigen städtischen Dienstleistungen ernsthaft gefährden könnten, liegt eine gewisse Spannung in der Luft. Zehntausende Touristen werden in den Neujahrsferien erwartet, und die Bilder, die in die Welt hinausgehen, verzerren in gewisser Weise das Bild von Belgrad als einer weltoffenen und friedlichen Stadt.
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