Die Auslöschung Palästinas     Von Omar Suleiman

Erasing Palestine

What is happening in Palestine today is not genocide, ethnic cleansing or mass extermination – it is total erasure.


Dieses Bild aus der südlichen israelischen Stadt Sderot zeigt eine Rauchwolke, die während der israelischen Bombardierung des nördlichen Gazastreifens am 19. Oktober 2023 aufsteigt [Jack Guez/AFP]


Was in Palästina geschieht, kann nicht mehr als Völkermord oder gar als ethnische Säuberung bezeichnet werden. Es ist mehr als Massenvernichtung – es ist die totale Auslöschung.

Die Auslöschung Palästinas
    Von Omar Suleiman

19. Oktober 2023

Während die Belagerung und Bombardierung des Gazastreifens mit voller Wucht weitergeht, jeden Tag Hunderte von Menschen getötet, viele weitere verstümmelt und ganze Familien aus dem Personenstandsregister gestrichen werden, sieht die internationale Gemeinschaft immer noch tatenlos zu. Die weltweite Diskussion über den Angriff auf den Gazastreifen verlagert sich auf die Annexion eines weiteren Teils des historischen Palästinas durch Israel, wobei Länder in aller Welt sich beeilen, nicht um das Unrecht zu verhindern, sondern um sicherzustellen, dass die Palästinenser, die dadurch zu Flüchtlingen werden, nicht zu ihnen kommen.

Heute ist die Angst vor dem, was als Nächstes kommt, für die Palästinenser größer als die Grausamkeit der offensichtlichen Gleichgültigkeit der Welt gegenüber ihrem Leiden.

Diesmal wird die Nakba im Fernsehen übertragen, und das hat den Beigeschmack der Endgültigkeit. Was in Palästina geschieht, kann nicht mehr als Völkermord oder gar als ethnische Säuberung bezeichnet werden. Es ist mehr als Massenvernichtung – es ist die totale Auslöschung.

Neben der geistesgestörten und moralisch verwerflichen Militärkampagne, die darauf abzielt, das Leben unschuldiger palästinensischer Zivilisten – zumeist Frauen und Kinder – auszulöschen, gibt es eine ebenso unheilvolle, wenn nicht noch unheilvollere Kampagne, die darauf abzielt, ihre Identität vollständig auszulöschen.

Öffnen Sie Apple, Google oder eine andere digitale Karte. Geben Sie „Palästina“ ein. Sie werden es nicht finden. Sie werden nur Israel finden. Wenn Sie Glück haben, werden Sie zu einem kleinen Flickenteppich geleitet, der als „Palästinensische Gebiete“ bezeichnet wird und fest in Israel eingebettet ist, damit niemand fälschlicherweise glaubt, es handele sich um einen unabhängigen Nationalstaat. Und natürlich werden Sie nirgendwo auf einer Karte das Schlüsselwort finden, das vor „Palästinensische Gebiete“ steht, um die hässliche, aber notwendige und erschütternde Wahrheit zu verdeutlichen: „Besetzt“.

Jeder einzelne heute lebende Palästinenser hat entweder die brutale Erfahrung gemacht, staaten- und/oder heimatlos zu werden, oder er ist mit der Realität aufgewacht, dass das Heimatland seiner Eltern offenbar eine Fiktion ist. Ich werde nie die Erfahrung vergessen, die ich als kleiner Junge, der in Louisiana geboren und aufgewachsen ist, machen musste, als meine Mutter mir erklären musste, warum meine Lehrerin in der zweiten Klasse sagte: „Palästina existiert nicht.“ Plötzlich waren alle Karten, Flaggen, Bilder, Kultur und sogar alte Münzen aus der Zeit vor 1948, auf denen „Palästina“ stand, angeblich eine Lüge. Und das, obwohl mein Vater fünf Jahre älter ist als der Staat Israel. Alles über uns ist angeblich nicht existent.

Es ist nicht nur das palästinensische Volk oder der Name des Landes, der verschwindet, sondern das Wort Palästina selbst. Palästina wird absichtlich aus unserem Bewusstsein und Diskurs gelöscht, im Krieg und sogar im Frieden.

Das Abraham-Abkommen, der vermeintliche Blockbuster-Deal, der von den Vereinigten Staaten vermittelt wurde, um die Beziehungen zwischen den arabischen Staaten und Israel zu normalisieren, schafft es irgendwie, den Hauptgeschädigten auszuschließen: die Bevölkerung Palästinas. Man sollte annehmen, dass die Notlage der Palästinenser, die angeblich das größte Hindernis für den Frieden zwischen den arabischen Staaten und Israel darstellt, das palästinensische Volk zu einem entscheidenden, wenn nicht gar dem zentralen Akteur in einem solch monumentalen Abkommen gemacht hätte. Doch was das Abraham-Abkommen betrifft, so sind die Palästinenser nicht existent.

Und nun wird der derzeitige völkermörderische Feldzug des Besatzungsstaates Israel gegen die Palästinenser allgemein – und fälschlicherweise – als „Krieg zwischen Israel und der Hamas“ bezeichnet. Irgendwie spielt das palästinensische Volk, das vor dem 7. Oktober 75 Jahre lang unter israelischer Besatzung und Unterdrückung lebte, keine Rolle mehr. Dieser düstere PR-Schachzug ist aus zwei Gründen äußerst problematisch.

Erstens ermöglicht er eine vereinfachte Geschichte von Gut gegen Böse, in der Israel die Rolle der friedliebenden, zivilisierten Demokratie übernimmt, die sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmert, und die Hamas die unerklärlich böse und barbarische Milizgruppe ist – geschmückt mit allen erdenklichen antimuslimischen Ausschmückungen und Tropen -, die sie aus heiterem Himmel angreift. Und das, obwohl Israel laut Human Rights Watch, Amnesty und sogar zahlreichen israelischen Menschenrechtsorganisationen in Wirklichkeit ein Apartheidstaat und illegaler Besatzer ist, der das unmenschlichste Freiluft-Gefängnissystem der Welt eingeführt hat. Israel mag Dutzende von politischen Parteien haben, aber die oft wiederholte Behauptung, es sei die einzige „Demokratie“ im Nahen Osten, kann nicht ernst genommen werden, wenn sein altgedienter Premierminister, der mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert ist, die Justiz untergraben und hochrangige Beamte in seine Regierung berufen kann, die sich offen als Faschisten bezeichnen.

Zweitens, und das ist noch viel beunruhigender, weicht Israel durch die strategische Auslöschung Palästinas aus der Erzählung jeder unangenehmen Frage aus, ob die Anschläge vom 7. Oktober mit seiner mehr als 70-jährigen Besatzung des palästinensischen Volkes zusammenhängen.

Die einfache Wahrheit ist, dass das Wort „Palästina“ dem Ansehen Israels auf der internationalen Bühne zutiefst schadet. Das Wort „Palästina“ bringt so viel allgemein anerkannte Opferrolle und so viele Geschichten von Unterdrückung, Unterwerfung und Völkermord mit sich, dass Israel, wenn es in das Gespräch einbezogen wird, seine Verbrechen einfach nicht bestreiten kann, wie verzweifelt es auch versuchen mag. Das moralische Gewicht von Palästina ist so schwer, dass man jedes Mal, wenn das Wort ausgesprochen wird, das leise Zischen aus Israels PR-Blase hören kann. Keine noch so großen Strandresorts und technischen Einhörner können den permanenten Fleck palästinensischen Blutes von Israels Händen wischen.

Deshalb scheint Israel der Meinung zu sein, dass die einzige Möglichkeit, die schwere moralische Last Palästinas loszuwerden, darin besteht, „Palästina“ buchstäblich ganz loszuwerden, und das bedeutet, es vollständig von der Landkarte zu tilgen. Und doch ist es Israel, das Jahr für Jahr vor den Vereinten Nationen steht und darum bittet, vor den „barbarischen“ Nationen geschützt zu werden, die es angeblich von der Landkarte tilgen wollen. Die Ironie mag hysterisch sein, aber die Heuchelei ist real. Übersetzt mit Deepl.com

    Imam Dr. Omar Suleiman ist ein amerikanischer muslimischer Gelehrter und theologisch orientierter Menschenrechtsaktivist. Er ist Gründer und Präsident des Yaqeen-Instituts für Islamische Forschung und Professor für Islamische Studien an der Southern Methodist University.

--

1 Kommentar zu Die Auslöschung Palästinas     Von Omar Suleiman

  1. Sehr gut.-
    Außerdem hetzt Israel die Palästinenser noch gegeneinander. So hatte Israel die Hamas gezielt gegen die Fatah und PLO von Jasir Arafat unterstützt. –
    Schon seit so vielen Jahren werden Ursache und Wirkung, Opfer und Täter vertauscht.
    Israel ha Anspruch auf eine Heimstatt, aber genauso ist es die Heimat des Staates Palästina. Deutschland darf trotz seiner historischen Schuld nicht dem Unrecht dienen.

Kommentar hinterlassen

Entdecke mehr von Sicht vom Hochblauen

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen