“From the River to the Sea – Palestine will be free” Moshe Zuckermann

Ich danke Moshe Zuckermann für die Genehmigung seinen auf Overton publizierten Artikel auf der Hochblauen Seite zu veröffentlichen Evelyn Hecht-Galinski

„From the River to the Sea – Palestine will be free“

Welche Bedeutung ist diesem Slogan beizumessen? Eine Anmerkung zur Ideologie und Praxis

“From the River to the Sea – Palestine will be free”

Propalästinensische Demo am 13. Oktober 2023 in Columbus, Ohio, mit dem Slogan. Bild: Becker1999/CC BY-2.0

Welche Bedeutung ist diesem Slogan beizumessen? Eine Anmerkung zur Ideologie und Praxis.

 

Der Slogan hat Karriere gemacht. Im Rahmen der allgemeinen Aufgewühltheit über alles, was nach Antisemitismus riecht, ist diese Parole gleichsam zum Fanal derer avanciert, die nun den endgültigen Beweis erbracht haben wollen, dass die Hamas darauf aus ist, Israel zu vernichten und vom Erdboden zu tilgen.

Das, was an Deutungen zum Inhalt des Slogans gesagt werden könnte, bleibe hier unerörtert. Was die Intentionen der Hamas Israel betreffend anbelangt, braucht man sich keine Illusionen zu machen. Was die Intentionen Israels im Hinblick auf die Hamas betrifft, auch nicht. Man kann von einer Symmetrie der Vernichtungsvisionen sprechen.

Das gilt aber auch von besagtem Slogan, dessen erster Teil seit vielen Jahrzehnten den Parolenanfang der zionistischen Großisrael-Ideologie abgibt. Verfolgt man die Geschichte dieser Ideologie zurück, stößt man auf das berühmte Lied des geistigen Vaters des revisionistischen Zionismus, Ze’ev Jabotinsky, “Die Ostbank des Jordanflusses” (1929). Die erste Strophe lautet (in der englischen Übersetzung): “As a bridge is held up by a pillar / As a man is kept erect by his spine / So the Jordan, the holy Jordan / Is the backbone of my Israel. // Two Banks has the Jordan – / This is ours and, that is as well.”

Und mit Bezug auf die jüdische Wehklage im babylonischen Exil (Psalm 137:5): “Vergesse ich dein, Jerusalem, so werde ich meiner Rechten vergessen”, heißt es dann in der letzten Strophe: “My two hands I have dedicated to the homeland, / My two hands to sword and shield. / Let my right hand whither / If I forget the East Bank of the Jordan. // Two Banks has the Jordan – / This is ours and, that is as well.”

Der Revisionismus ging also ursprünglich noch weiter als der heute kritisierte Slogan, indem er beide Uferseiten des Jordanflusses für das Territorium des zu errichtenden zionistischen Staates erachtete. Diese Grundauffassung musste nach der Verkündigung des Teilungsplans Palästinas zwar modifiziert werden, aber das Postulat, dass die Westbank (das Westjordanland) Israel gehöre, hat die Großisrael-Ideologie der ehemaligen Cherut-Partei Begins und in deren Nachfolge die heutige Likud-Partei stets beseelt.

Was aber die Verurteilung der symmetrischen Slogan-Verwendung “From the River to the Sea” lächerlich wirken lässt, ist die simple Tatsache, dass es sich bei den Hamas-Bestrebungen um eine Chimäre handelt, während der israelische Anspruch “Vom Jordanfluss bis zum Mittelmeer” de facto seit über einem halben Jahrhundert mit allen dem zionistischen Staat zur Verfügung stehenden Mitteln praktiziert wird. Auch der 7. Oktober hat daran nichts geändert: Die Hamas-Operation konnte nur deshalb das Horrende bewirken, weil die Regierung und die Armee an jenem Tag versagt haben – die Politik, indem sie sich der Konzeption verschrieben hatte, die Hamas sei “abgeschreckt” und werde keinen Angriff wagen; das Militär, indem es von nämlicher Fehleinschätzung geleitet war. Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte die Hamas nicht die geringste Chance gehabt zu erreichen, was sie an “Erfolgen” an jenem Morgen verzeichnen durfte.

Wie es um die realen Kräfteverhältnisse zwischen Israel und der Hamas bestellt ist, konnte man am dann folgenden (noch horrenderen) Vernichtungskrieg beobachten. Die Anhänger der Hamas an den US-amerikanischen Universitäten können noch so emphatisch skandieren “From the River to the Sea – Palestine will be free” – es handelt sich um ein irreales Wunschdenken, um ein ohnmächtiges Wutgeschrei, das dem Medienpublikum allabendlich viel Farbe garantiert, aber an der Realität im territorialen Bereich “from the river to the sea” nichts Wesentliches ändert.

Nein, das stimmt nicht: Es hat sich seit Kriegsbeginn so manches im Westjordanland geändert. Der Siedler-Faschismus benutzt die Wirren des Krieges im Gaza und an der Nordgrenze Israels (gegen die Hisbollah), um eine gesteigerte Terrorisierung der palästinensischen Bevölkerung (ohne Einmischung der Armee) frei zu praktizieren. Von über 400 toten Palästinensern bis März dieses Jahres wird berichtet; von ethnischer Säuberung ist die Rede.

Das verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass die auf völkerrechtswidrige Expansion und Annexion ausgerichteten Siedler ihre Vertretung im Parlament in Polizeiminister Itamar Ben-Gvir und Finanzminister Bezalel Smotrich haben. Beide (nationalreligiösen) Minister sind nicht nur rigoros gegen Beendigung des Krieges (selbst auf die Gefahr hin, dass die meisten entführten Geiseln die Fortsetzung des Krieges kaum überleben dürften), sondern fordern sogar, dass der besetzte Gazastreifen von Juden aufs Neue besiedelt werde. Ben Gvir und Smotrich, zwei in ihrem Amtsbereich versagende Minister, üben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die israelische Politik: Netanjahu ist von ihnen abhängig und durch sie erpressbar, weil er ohne sie seine Regierungskoalition nicht zu wahren vermag, also seine Herrschaft verlieren würde.

Die radikalsten, mithin rassistischsten Vertreter der zionistischen “From the River to the Sea”-Ideologie halten derzeit die israelische Politik an der Kandare, wobei freilich betont werden muss, dass die allermeisten zionistischen Parlamentarier in der Knesset sich selbst an der Logik von “From the River to the Sea” halten. Kein einziger unter ihnen würde sich heute einfallen lassen, den gegenwärtigen Besatzungszustand im Rahmen einer politischen Lösung des Konflikts mit den Palästinensern aufheben zu wollen. Im heutigen Israel bedeutete dies nichts anderes, als seinen politischen Tod.

Wie steht es nun mit dieser Parole im deutschen öffentlichen Raum? Bereits im November 2023 hat das Bundesministerium des Innern und für Heimat im Zuge des Hamas-Verbots auch die Parole verboten. Sie sei als antisemitisch einzustufen, hieß es in der Presse, als Code für die Auslöschung des Staats Israel zu sehen. Verschiedene deutsche Gerichte haben zwar geurteilt, dass die Verwendung der Parole nicht strafbar sei, aber allein die Tatsache, dass dieser Slogan, der, wie gesagt, nichts als ein Slogan ist und ein solcher realiter bleiben wird, als dermaßen bedrohlich behandelt wird, dass es überhaupt zum Verbot kommen konnte, mutet mehr als merkwürdig an. Gehört dies etwa mit zur deutschen Staatsräson, derlei Dressurmaßnahmen zu verordnen, um Israels “Sicherheit” zu garantieren – dieser Ausdruck der palästinensischen Machtlosigkeit?

Aber selbst diese Farce wäre hinnehmbar, wenn sich die deutschen Behörden einfallen ließen, die wirklichen Platzhalter einer gewaltdurchwirkten “From the River to the Sea”-Praxis, die israelischen Siedlerfaschisten, auch nur als solche zu apostrophieren. Dieser Gedanke ist freilich selbst absurd: Wer würde sich im heutigen Deutschland getrauen, Israel offiziell zu kritisieren? Wer will sich schon den Vorwurf des Antisemitismus einhandeln? Unergründlich sind sie, die Wege der deutschen Vergangenheitsbewältigung.

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