Kann man Putin glauben, dass er kein NATO-Land angreifen will? Thomas Röper von Anti-Spiegel

Kann man Putin glauben, dass er kein NATO-Land angreifen will?

In dem Kommentar wurde behauptet, man könne Putin nicht glauben, dass er keine NATO-Länder angreifen will, weil er das ja auch schon vor Februar 2022 über die Ukraine gesagt habe, dann aber trotzdem die Militäroperation gestartet hat. Weil das wahrscheinlich viele in Deutschland denken, will ich hier noch einmal daran erinnern, dass diese Behauptung unwahr ist.

Nach Ukraine-Eskalation

Kann man Putin glauben, dass er kein NATO-Land angreifen will?

Viele behaupten, dass man Putin nicht glauben kann, wenn er sagt, er wolle kein NATO-Land angreifen und behaupten, das habe Putin auch schon vor der Eskalation in der Ukraine gesagt. Warum das nicht wahr ist, zeige ich hier.
 

Thomas Röper

Ich habe hier unter einem Artikel einen Kommentar von jemandem gesehen, der hier immer wieder die Parolen der westlichen Propaganda unter meine Artikel postet. Damit habe ich kein Problem, solange es respektvoll geschieht, denn ich bin für Meinungsfreiheit.

In dem Kommentar wurde behauptet, man könne Putin nicht glauben, dass er keine NATO-Länder angreifen will, weil er das ja auch schon vor Februar 2022 über die Ukraine gesagt habe, dann aber trotzdem die Militäroperation gestartet hat. Weil das wahrscheinlich viele in Deutschland denken, will ich hier noch einmal daran erinnern, dass diese Behauptung unwahr ist.

Ab Dezember 2021 war es absehbar

Im Dezember 2021 war absehbar, dass Russland in der Ukraine aktiv werden könnte. Das sage ich nicht als Besserwisser im Nachhinein, das habe ich schon in der Tacheles-Sendung #76 Ende Dezember 2021 gesagt.

Der Grund war, dass der Westen sich im November 2021 offiziell vom Minsker Abkommen, also dem Versuch, den Krieg im Donbass friedlich zu lösen, verabschiedet hat. Zusätzlich wurden im Westen Stimmen lauter, die Ukraine möglichst bald in die NATO aufzunehmen, was für Russland immer eine rote Linie war. Damit standen die Zeichen bereits sehr auf Eskalation.

Putin hat aber noch einen Versuch gemacht, die Lage zu entspannen und eine Lösung zu finden. Das war für ihn nicht einfach, denn nach all den gebrochenen Versprechen des Westens der Jahre davor, war die Stimmung in der russischen Regierung und dem Beamtenapparat dagegen, weil man in Moskau mittlerweile der Meinung war, dass Absprachen und Verträge mit dem Westen das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben werden. Um die russischen Diplomaten davon zu überzeugen, noch einen Versuch zu machen, hat Putin am 18. November 2021 sogar extra eine Rede vor den leitenden Beamten des russischen Außenministeriums gehalten, in der er für einen letzten Verhandlungsversuch geworben hat. Dass er dabei Überzeugungsarbeit leisten musste, zeigte beispielsweise dieser Teil seiner Rede:

„Natürlich, und ich sehe hier, auch wenn Sie Masken tragen, in Ihren Augen, dass viele von Ihnen skeptisch lächeln, ob wir auf die Ernsthaftigkeit möglicher Vereinbarungen in dieser Richtung zählen und hoffen können, wenn wir bedenken, dass wir es mit, gelinde gesagt, nicht sehr zuverlässigen Partnern zu tun haben: Sie brechen alle früheren Vereinbarungen mit Leichtigkeit. Wie schwierig es auch sein mag, wir müssen daran arbeiten, und ich bitte Sie, dies zu bedenken.“

Der letzte Versuch

Daraufhin machte die russische Regierung noch einen letzten Versuch und Mitte Dezember machte Russland den USA und der NATO ultimativ den Vorschlag, gegenseitige Sicherheitsgarantien abzuschließen. Um der Welt zu zeigen, dass nicht Russland an einer möglichen Eskalation Schuld ist, hat Russland die Vertragsvorschläge sofort veröffentlicht, so dass die ganze Welt schwarz auf weiß lesen konnte, worum es ging.

Russlands Vorschläge waren fair und vor allem nicht einseitig. Alle von Russland vorgeschlagenen Maßnahmen sollten für beide Seiten gelten. Was genau Russland vorgeschlagen hat, können Sie hier nachlesen, aber die Kernpunkte waren:

  • Keine NATO-Militärmanöver nahe der russischen Grenze, keine russischen Militärmanöver nahe der Grenze zu NATO-Staaten
  • Keine Stationierung von atomwaffenfähigen Mittelstreckenraketen in Europa, also auch nicht im europäischen Teil Russlands
  • Keine Stationierung von Atomwaffen außerhalb des eigenen Landes (was auch einen Abzug der amerikanischen Atomwaffen aus Europa bedeutet hätte)
  • Keine Bomber so nahe an der Grenze des anderen patrouillieren lassen, dass ein Angriff möglich wäre
  • Keine Kriegsschiffe so dicht an die Grenze des anderen bringen, dass sie ihn mit Raketen angreifen könnten
  • Rückkehr zur NATO-Russland-Grundakte, die eine dauerhafte Stationierung von NATO-Truppen in Osteuropa verbietet

„Militär-technisch“ reagieren

Wichtig ist, dass Russland kein Geheimnis daraus gemacht hat, was passieren würde, wenn die USA und die NATO diese gegenseitigen Sicherheitsgarantien ablehnen würden. Die Formulierung der russischen Regierung bis hoch zu Putin war, dass Russland im Falle einer Ablehnung dieser gegenseitigen Sicherheitsgarantien „militär-technisch“ reagieren würde. Jedem Experten war daraufhin klar, dass Russland seine Sicherheit dann mit Gewaltmitteln, also einer Intervention in der Ukraine, die den NATO-Beitritt verhindert, durchsetzen würde.

Das konnte man in westlichen Medien praktisch nicht erfahren, über den Inhalt der von Russland vorgeschlagenen gegenseitigen Sicherheitsgarantien haben sie nicht berichtet. Und darüber, wie ernst Russland das meinte, auch nicht.

Um das zu erfahren, musste man in Deutschland entweder den Anti-Spiegel oder RT-DE lesen. RT-DE berichtete beispielsweise Ende Dezember 2021, dass Konstantin Gawrilow, Leiter der russischen Delegation bei den Verhandlungen über militärische Sicherheit und Rüstungskontrolle in Wien, sagte, dass Washington verpflichtet sei, mit Moskau einen Dialog über Sicherheitsgarantien zu führen, um den Frieden auf dem Kontinent zu sichern, ob die Regierungen dies wollten oder nicht. Der Diplomat fügte hinzu:

„Das Gespräch muss ernsthaft geführt werden und jeder in der NATO ist sich trotz aller Stärke und Macht vollkommen bewusst, dass es notwendig ist, konkrete politische Maßnahmen zu ergreifen. Andernfalls wäre die Alternative eine militär-technische und militärische Antwort Russlands.“

Laut Gawrilow hatte, so sagte er, in den Beziehungen zwischen Moskau und Brüssel „die Stunde der Wahrheit geschlagen“.

Man konnte aus Moskau also ganz offen hören, dass es nicht „nur“ um eine militär-technische, sondern um eine „militärische Antwort Russlands“ ging. Deutlicher konnte man das nicht sagen, aber westliche Medien haben über den Ernst der Lage nicht berichtet.

Aus diesem Grund habe ich bereits Ende Dezember 2021 in der Tacheles-Sendung gesagt, dass es wohl zu einem russischen Eingreifen in der Ukraine kommen dürfte, wenn der Westen diese gegenseitigen Sicherheitsgarantien ablehnt.

Und genau das haben die USA und die NATO Ende Januar/Anfang Februar 2022 getan (die Antwort der NATO finden Sie hier, die Antwort der USA finden Sie hier). Damit war klar, dass die Lage eskalieren musste.

Russland will einen Krieg mit der NATO verhindern

Daher ist die Aussage, Russland habe vor seiner Intervention in der Ukraine im Februar 2022 gesagt, es werde kein Eingreifen geben, schlicht unwahr. Dass Russland seine Pläne inklusive des Datums der Operation nicht vorher veröffentlicht hat, ist normal. Aber jeder Experte wusste, was passieren würde. Die Medien haben die westliche Öffentlichkeit jedoch dumm gehalten, um die Legende des „unprovozierten russischen Angriffskrieges“ in die Welt setzen zu können.

Russland ist in der Ukraine gerade deshalb aktiv geworden, weil es einen Krieg mit der NATO verhindern wollte, denn der wäre unausweichlich gewesen, wenn die Ukraine der NATO beigetreten wäre und dann beispielsweise versucht hätte, die Krim gewaltsam zurückzuerobern, wie Selensky es im März 2021 in der ukrainischen Militärdoktrin festgeschrieben hat.

Wenn Russland in der Ukraine interveniert hat, um einen Krieg mit der NATO zu verhindern, wie wahrscheinlich ist es dann, dass Russland nach dem Ende der Kämpfe in der Ukraine gegen ein NATO-Land vorgeht und einen Krieg mit der NATO provoziert, wie gewisse Falken aus dem Westen behaupten?

 

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1 Kommentar zu Kann man Putin glauben, dass er kein NATO-Land angreifen will? Thomas Röper von Anti-Spiegel

  1. Wieder ein gut begründeter und besonders wichtiger Beitrag von Th.Röper. Denn die Politik des Westens fußt in der Tat ganz überwiegend auf dem Argument, Russland wolle nach der Ukraine weitere Staaten angreifen. Th. R. liefert zum Schluss ein wichtiges Argument, nämlich, dass Russland in die Ukraine einmarschiert ist, weil es gerade kein Land der Nato angreifen will. Dass der Westen vorgibt, Russland wolle nach der Ukraine das Baltikum und danach weitere Staaten angreifen , unterstellt in unfassbarer Weise, dass Putin so verrückt ist, es mit der gesamten Nato aufzunehmen. Besonders nach dem verlustreichen, bereits 2 Jahre andauernden Krieg in der Ukraine eine grandiose, wie dumme Feleinschätzung! Und der Westen lässt weiterhin außer acht, dass Russland sich eine neutrale Ukraine gewünscht hat, als Pufferzone, damit russische Soldaten nicht denen der Nato direkt gegenüber stehen. Es zeugt von einer beispiellosen westlichen Hybris, dass er diese wichtige Vorkehrung im Zeitalter von Atombomben nicht begreifen will.

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