Kritik am Höcke-Urteil: Warum Meinungsfreiheit uneingeschränkt gelten muss Von David Goeßmann

Dank an David Goeßmann für die Genehmigung der Veröffentlichung seines Telepolis Artikels auf der Hochblauen Seite. Evelyn Hecht-Galinski

Kritik am Höcke-Urteil: Warum Meinungsfreiheit uneingeschränkt gelten muss

Thüringischer AfD-Chef wurde wegen Nazi-Parole verurteilt. Das wird allgemein begrüßt. Dabei ist es kein gutes Zeichen für unsere Demokratie. Ein Kommentar.

Kritik am Höcke-Urteil: Warum Meinungsfreiheit uneingeschränkt gelten muss

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Björn Höcke bei einer Kundgebung in Mödlareuth, 2019. Bild: PantheraLeo1359531 / CC BY-SA 4.0 Deed

Thüringischer AfD-Chef wurde wegen Nazi-Parole verurteilt. Das wird allgemein begrüßt. Dabei ist es kein gutes Zeichen für unsere Demokratie. Ein Kommentar.

Björn Höcke ist am Dienstag vom Landgericht in Halle zu einer Geldstrafe in Höhe von 13.000 Euro verurteilt worden [1]. Der Vorsitzende der Thüringer AfD hatte im Mai 2021 bei einer öffentlichen Rede die Worte „Alles für Deutschland!“ verwendet. Dieser Satz war auf dem Dienstdolch der SA (Sturmabteilung) der NSDAP eingraviert.

Höcke alle Grundrechte absprechen?

Andere Parteien in Thüringen haben das Urteil begrüßt [2]. Die Linke-Fraktion im Landtag sieht die Verurteilung, die allerdings bisher nicht rechtskräftig ist, als ein wichtiges Signal an, womit Höcke Konsequenzen aufgezeigt würden.

Auch in der Presse heißt es zustimmend, dass der „deutsche Staat“ nicht „achselzuckend“ danebensteht, „wenn neurechte Politiker altrechte Parolen skandieren“ (Berliner Morgenpost [3]), und der Rechtsstaat „sich nicht von scheinheiligen Ausflüchten blenden lässt“, während Höcke versuche, mit den „Grenzen des Sagbaren“ auch die „Grenzen des Machbaren“ zu verschieben (Süddeutsche Zeitung [4]).

Zugleich läuft eine Petition [5], die bereits von 1,7 Millionen Menschen unterschrieben wurde, die Höcke die Grundrechte entziehen will. Damit verlöre er neben der Meinungsfreiheit und vielen weiteren Rechten auch das Recht, sich zur Wahl aufstellen zu lassen.

Die beschränkte Meinungsfreiheit in Deutschland

Es ist sicherlich keine Übertreibung, in Björn Höcke einen Neofaschisten zu erkennen, der geschickt Nazi-Terminologie einführen will. Aber trotzdem: Mit staatlichen Meinungsverboten solche inakzeptablen Äußerungen zurückzudrängen ist nicht nur falsch, sondern untergräbt das Grundprinzip der Demokratie.

Die Meinungsfreiheit sollte, mit sehr wenigen Ausnahmen, uneingeschränkt gelten. Doch das ist in Deutschland, wie in vielen anderen Ländern, nicht der Fall. Im Grundgesetz und durch Bestimmungen im Strafgesetzbuch wird sie eingeschränkt, was auch in der Praxis immer wieder umgesetzt wird.

Das Grundgesetz spricht [6] von „Schranken“ für die Meinungsfreiheit, die „in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre“ liegen. Es muss also eine Güterabwägungen stattfinden, die in Verboten enden können, wenn Menschen diffamiert und beleidigt, Lügen oder verleumderische, „volksverhetzende“ Aussagen gemacht werden.

Einschränkungen als Kontrollfunktion

Im Klartext: Holocaust-Leugnung ist verboten, Hassreden sind verboten, nur beweisbare Anschuldigungen gegen Unternehmen sind erlaubt („Imageschädigung“).

Man kann argumentieren: Was schadet es, wenn Hass, Lügen und Diffamierungen staatlich verboten werden. Auf den ersten Blick scheint es eine gute Sache, einen Cordon sanitaire zu errichten.

Es ist aber keineswegs so, dass der Staat aus reiner Wahrheits- und Gerechtigkeitsliebe die Meinungsfreiheit per Gesetz von oben einschränkt. Es stellt immer ein gutes Mittel dar, mit dem die Bevölkerung auf Linie gehalten werden kann.

So werden mit den „Schranken“ insgesamt Meinungen attackiert, die für inakzeptabel gehalten werden, und dazu zählen eben nicht nur rechtsextreme Ansichten, sondern auch und insbesondere wertvolle Kritik und Debatten, während mächtige Institutionen die „Leitplanken“ nutzen, um unliebsames im Keim zu ersticken.

Zwei Cancel Cultures

Unternehmen gehen derart mit Klagen oder Klagedrohungen [7] gegen investigative journalistische Berichterstattung vor. Parlamente und Regierungen verbieten Protestformen und Meinungen, wie jetzt im Zuge von Israels Gaza-Krieg [8].

Damit wird das Freiheitsprinzip des demokratischen Austausches vom Staat empfindlich beschädigt, statt der Zivilgesellschaft die freie Debatte und die Schaffung von Regeln zu überlassen.

Auch viele Progressive und Linke unterstützen staatliche Eingriffe in die Meinungsäußerung, um politisch Falsches und Anfeindungen aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Das wird heute unter dem Begriff „Cancel-Culture“ gefasst, die tatsächlich nur die winzige Spitze einer viel breiteren politischen Cancel-Culture im Mainstream [9] darstellt.

Die Prinzipienlosigkeit

Die Prinzipienlosigkeit der Einschränkungsbefürworter ist dabei universell. Im Establishment geht man nicht gegen die eigenen Lügen und Verleumdungen vor, wie sie zum Beispiel bei der Stützung westlicher Angriffskriege [10] anzutreffen sind. Linke wollen nicht staatlich eingeschränkt werden, aber ziehen den Kopf ein oder nicken, wenn es Rechte trifft.

Überall, von konservativ bis links, zeigt sich dabei ein tiefes Misstrauen gegenüber den Fähigkeiten der Menschen, der Demokratie und freien Debatte, sich mit Krudem und Falschem auseinanderzusetzen.

Am skurrilsten ist der Doppelstandard bei den Rechtsextremen. Björn Höcke, wie Wilders, Trump und Co., attackieren zwar immer die „Meinungswächter“ [11] und fordern „Meinungsfreiheit“. Aber wenn Rechte an die Macht kommen, nutzen sie die staatlichen Mittel oft autoritär und brutal, um die für sie unliebsamen Meinungen zu attackieren.

Als Meinungsfreiheit noch was zählte

Wir sind heute weit entfernt von dem, was klassische Liberale und Aufklärer des 18. Jahrhunderts hochhielten. In einer Voltaire zugeschriebenen Äußerung in einem Brief an M. le Riche von 1770 sagte er [12]:

Ich verabscheue, was Sie schreiben, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie weiter schreiben können.

Später schrieb Rosa Luxemburg in einer Kritik an der rigiden Parteidisziplin der Bolschewisten nach der Oktoberrevolution von 1917 in einer berühmt gewordenen Bemerkung [13]:

Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.

Freiheit, die keine ist

Freiheit nur für akzeptable Meinungen und Aussagen ist eben keine Freiheit. Die Meinungsfreiheit muss insbesondere für nicht-akzeptable Meinungen gelten, sonst gibt es keine Meinungsfreiheit.

Das heißt natürlich nicht, dass man Hassreden, Verleumdungen und Lügen akzeptieren oder einfach hinnehmen muss. Es gibt einen Unterschied zwischen der Unterstützung einer Position und der Verteidigung des Rechts, sie zu sagen.

Man muss solchen Äußerungen auch kein Forum bieten, während keiner daran gehindert wird, das Arsenal einer demokratischen Gesellschaft zu nutzen, Inakzeptables mit den Mitteln von Aufklärung, Kritik und Debatte anzugehen und politisch zu bekämpfen.

Was wir von Humboldt lernen sollten

Demokratie ist Reibung, das war die Ansicht von Wilhelm von Humboldt, dem Begründer des Bildungsideals in Deutschland. Der Staat wolle jedoch „Wohlstand und Ruhe“, so Humbold [14]t, würge den Streit der Einzelnen ab, während die Menschen „Mannigfaltigkeit und Thätigkeit“ anstreben müssten, um sich zu entwickeln.

Wenn Menschen auf Befehl agierten, so fährt er fort, könne man vielleicht bewundern, wenn sie Richtiges und Schönes hervorbringen, aber man verachte zugleich, was sie seien. Sie verhielten sich nicht wie Menschen, sondern wie Werkzeuge in den Händen von anderen.

Ohne Fehler, kein Lernprozess, keine demokratischen Kurskorrekturen, die aus der gesellschaftlich freien Debatte erwachsen, und damit auch kein echter Fortschritt. Es sollte Menschen erlaubt sein, Falsches, auch Grundfalsches und Verletzendes, zu sagen. Denn nur so können Dinge als falsch erkannt werden, nicht durch staatliche Verordnung.

Die wirkliche Gefahr für die Demokratie

Vielleicht sollten wir beginnen, der Bitte des Marquis von Posa an König Philipp II. von Spanien in Schillers Don Carlos nachzukommen: „Geben Sie Gedankenfreiheit.“ Das könnte unsere Demokratie wieder beleben.

Denn es ist ein Alarmzeichen, dass bei Umfragen [15] heute nur noch 40 Prozent der Befragten in Deutschland sagen, man könne politisch frei reden (1990 waren das noch 78 Prozent). Zudem sagen 44 Prozent heute (gegenüber 16 Prozent 1990), dass man besser vorsichtig sein müsse.

Die Gefahr für unsere Demokratie geht nicht von rechtsextremen Parolen aus, sondern von der Unfähigkeit unserer Gesellschaft, den Menschen nachvollziehbar zu machen, dass es bessere Angebote gibt.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9720953

Links in diesem Artikel:
[1] https://taz.de/Urteil-gegen-AfD-Politiker/!6009855/
[2] https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/hoecke-reaktionen-urteil-parole-nationalsozialismus-100.html
[3] https://www.morgenpost.de/politik/article242337254/Bjoern-Hoecke-und-seine-Freunde-muessen-sich-nun-in-acht-nehmen.html
[4] https://www.sueddeutsche.de/meinung/hoecke-urteil-afd-1.7251208?reduced=true
[5] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/petition-grundrechtsverwirkung-hoecke-100.html
[6] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html
[7] https://www.deutschlandfunk.de/juristen-gegen-journalisten-wenn-anwaelte-redaktionen-100.html
[8] https://www.telepolis.de/features/SWR-Moderatorin-Fares-der-Antisemitismus-Vorwurf-und-das-Klima-der-Angst-9681253.html
[9] https://paradoxpolitics.com/2021/02/noam-chomsky-cancel-culture-harpers-letter/
[10] https://www.telepolis.de/features/Lieber-Bundestag-Afghanistankrieg-war-kein-strategischer-Fehler-sondern-Aggressionsakt-9632259.html
[11] https://dserver.bundestag.de/btd/19/283/1928342.pdf
[12] https://wiki.c2.com/?MrVoltaire
[13] https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/dokumentationen/090116_RL-Konferenz/beitraege/Tanja_Storlokken.pdf
[14] https://www.deutschestextarchiv.de/book/view/humboldt_grenzen_1851?p=55
[15] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1067107/umfrage/umfrage-zur-meinungsaeusserung-in-deutschland/

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