JAZZ 32 (Jürgens Anmerkung zum Zeitgeschehen)
Alles über einen Kammvon Jürgen Scherer10. November 2024Es gab schon immer die Verallgemeinerer. Die, die alles gern über einen Kamm scheren, einfach um nicht differenzieren zu müssen. In letzter Zeit so richtig en Vogue war diese Methode während der Coronazeit. Damit ließ sich einfacher Politik machen, zum Beispiel die beliebte Einteilung in Gut und Böse. Es war eben bequemer zu „wissen“, wer „Coronaleugner“ war und wer nicht, wer zu den „Verschwörungstheoretikern“ gehörte und wer nicht. Denn die Maxime „Teile und Herrsche“ gehörte schon immer zu den bewährten Herrschaftsmethoden von Regierenden.Weil das so gut funktioniert, dachte wohl eine Mehrheit im Parlament: Machen wir nochmal. Hat sich bewährt. Und brachte mit der neuesten Resolution zur Antisemitismusbekämpfung in unserem Land ein schillerndes Schiff auf die seichten Gewässer unserer Demokratie. Sie tauften es auf den Namen:“Nie wieder ist jetzt. Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken.“Hört sich eigentlich ganz gut an. Scheint aber, wie so oft, das „Kind mit dem Bade auszuschütten“. Denn Basis dieser Resolution sind zwei hinterfragenswerte Aspekte: Erstens die seit Kanzlerin Merkel, nicht in breitem demokratischen Diskurs erörterte, Maxime, dass die Existenz Israels zu Deutschlands Staatsraison gehöre. Zweitens eine dezidiert sich als Arbeitshypothese verstehende Definition von Antisemitismus der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance); diese Hypothese war von Anfang an dafür gedacht, Hilfsmittel zum Erkennen von Antisemitismus zu sein, nie jedoch Leitlinie für gesetzliches Handeln oder gar der Einschränkung von Wissenschaftsfteiheit, so sein Hauptverfasser Kenneth Stern.Insofern ist es zunächst unverständlich, dass die Verfasser der o.g. Resolution nach über einem Jahr genau dies getan haben, nämlich Sterns Text tatsächlich als Grundlage und Leitlinie zu verwenden. Es sei denn das erkenntnisleitende Interesse der parlamentarischen VerfasserInnen war mehr die merkelsche Staatsraisondoktrin und weniger die differenzierte Diagnose antisemitischen Verhaltens und entsprechender Umgang damit. Eine solche Vermutung liegt deshalb nahe, weil der „Zeitgeist politischen Handelns“ seit Corona eher auf autoritären Umgang mit der Bevölkerung hinausläuft denn auf konsensorientierten in und mit ihr. Will heißen: Die verabschiedete Resolution legt den Schwerpunkt nahezu allein auf repressive Reaktionen bei „Antisemitismusverstößen“ statt auf diskursives Eingreifen und „Beheben“. Eindeutig ein Rückschritt im demokratischen Gefüge unserer Republik.Die Ursache dafür ist m.E. der Staatsraisonkurs der Fregatte „Nicht jetzt“. Denn mit diesem Kurs soll zukünftig antisemitisch konnotiert sein, wenn berechtigte Kritik an der Politik Israels im Nahen Osten geübt wird. Das aber ist m.E. aber mehr als hanebüchen; denn ein Staat, der, gelinde gesagt, problematischen Umgang mit seinen „Kriegsgegnern“ an den Tag legt, muss sich demokratische Kritik an seinem Vorgehen gefallen lassen und darf diese nicht permanent mit dem wohlfeilen Argument des Antisemitismus als unzulässig darstellen. Differenziertes Vorgehen ist vonnöten. Auch und gerade von einem auf besondere Art mit Israel verbundenen Land wie der Bundesrepublik wäre eine solche Haltung zu erwarten. Denn nibelungentreues Verhalten, wie es unsere Politiker derzeit gegenüber Israel praktizieren, war schon immer eher unklug, weil sie dem Motto unterstand: Mitgegangen, mitgefangen.Die derzeitige Maxime, wer bei uns Israel ob seines Vorgehens in seiner Politik im Nahen Osten kritisiert, sei zugleich antisemitisch zu verorten, erweist sich so als „Antisemitismuskeule“, die weder der Bekämpfung des Antisemitismus dient, noch der Sache Israels, Deutschlands und der Demokratie in beiden Staaten. Es muss möglich sein, eine allem Anschein nach auch menschenverachtende Verteidigungspolitik solidarisch zu kritisieren, ohne an den antisemitischen Pranger gestellt zu werden.Die vom Bundestag mehrheitlich verabschiedete Resolution scheint mir jedenfalls kein guter Maßstab im Umgang mit Antisemitismus unserem Land, zumal sie mit dem Tunnelblick der Staatsraisondoktrin erstellt wurde. Doktrinäres Handeln hat eben immer ein autoritäres Gschmäckle!PS: Es gibt übrigens einen guten Vorschlag zum mehr demokratischen engagierten und orientierten Umgang mit Antisemitismus in unserem Land. Er wurde von 6 WissenschaftlerInnen verfasst und am 23.10. dieses Jahres als Gastbeitrag auf FAZnet veröffentlicht unter der Überschrift „Schutz jüdischen Lebens. Ein Textvorschlag“. Dieser Text fand bis jetzt schon mit mehr als 2000 Unterschriften Unterstützung.
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