Das große Rätselraten über Putins Rede von Thomas Röper

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Das große Rätselraten über Putins Rede

von Thomas Röper

27. Juni 2023

Am Montagabend wurde in Russland gemeldet, Putin werde in Kürze eine „schicksalsträchtige“ Rede an die Nation halten. Russland wartete gespannt und es kam… fast nichts.

Die Meldung, die sich auf Kremlsprecher Dmitri Peskow berief, Putin werde in Kürze eine „schicksalsträchtige“ Rede an die Nation halten, hat in Russland wohl alle elektrisiert und wurde mit großer Spannung erwartet. Die Rede dauerte dann aber nur fünf Minuten und war angesichts der Erwartungen enttäuschend. Sie finden die komplette Übersetzung der Rede am Ende dieses Artikels.

Die „schicksalsträchtige“ Rede

Putin dankte in der Rede allen, die geholfen hatten, den Wagner-Aufstand friedlich zu beenden. Er wiederholte, dass für alle Straffreiheit gilt und dass sie selbst entscheiden können, ob sie in Zukunft der regulären russischen Armee dienen, nach Hause zurückkehren oder nach Weißrussland gehen wollen. Ob das bedeutet, dass die Wagner-Gruppe aufgelöst wird, ist nicht sicher. Aber offenbar wird sie im Donbass als eigenständige Einheit keine Rolle mehr spielen.

Putins Rede war also alles andere als „schicksalsträchtig“ für Russland und als in sozialen Netzwerken nach dem Ende der Rede Spott über den Kremlsprecher hereinbrach, hat der erklärt, dass er das Wort „schicksalsträchtig“ gar nicht benutzt hätte, das habe sich irgendwer ausgedacht und es sei dann viral gegangen.

Schoigu ist wieder da

Mit großem Interesse wurde in Russland außerdem aufgenommen, dass Putin im Anschluss an die Ausstrahlung seiner Rede noch eine Sitzung mit den Leitern der russischen Sicherheitsbehörden einberufen hatte. Von der Sitzung wurden nur Putins Eröffnungsworte und ein kurzer Kameraschwenk über die Anwesenden gezeigt. Und am Tisch saß auch Schoigu.

Schoigu war seit dem Wagner-Putsch nicht mehr öffentlich aufgetreten, weshalb es für viel Aufsehen sorgte, dass er dort am Tisch saß als sei nichts gewesen. Ich habe einen Artikel veröffentlicht, in dem ich – was ich bekanntlich selten tue – ein wenig spekuliert habe. Die Tatsache, dass Schoigu weiterhin seiner Arbeit nachgeht, zeigt, dass ein Teil dessen, worüber ich spekuliert habe, wohl nicht zutrifft. Aber ich habe, wie ich in dem Artikel auch geschrieben habe, selbst nicht daran geglaubt, dass diese Spekulationen zutreffend sind.

Lukaschenko-Rede abgesagt

Trotzdem muss ich auch jetzt noch einmal spekulieren, auch wenn ich das gar nicht tun will. Interessant war nämlich, dass auch eine zeitgleiche Rede des weißrussischen Präsidenten angekündigt war, die aber nicht stattfand und kurz nach dem Ende von Putins Rede abgesagt wurde. Etwas später wurde aus Weißrussland gemeldet, dass Lukaschenko sich am nächsten Morgen den Fragen der Journalisten stellen würde.

Weil aber zunächst zeitgleiche Reden der beiden Präsidenten angekündigt waren, war die Neugier, was die Präsidenten denn verkünden würden, entsprechend groß. Und nachdem Putin seine Rede beendet hatte, konnte man förmlich hören, ganz Russland im Chor sagte: „War das alles???“ Natürlich explodierte zehn Minuten das russische Internet von Witzen über die „schicksalsträchtige“ Rede, weshalb der Kremlsprecher mitteilte, diese Formulierung sei nicht von ihm gekommen.

Einige Rätsel bleiben

Wie ich in meinem Artikel, in dem ich ein wenig spekuliert habe, schon erklärt habe, bleibe ich vorerst bei dem, was ich am Wochenende als meine Interpretation der Ereignisse geschrieben habe.

Es bleiben aber einige offene Fragen. Dass Putin Schoigu offenbar die Treue hält, wird in russischen sozialen Netzwerken scharf kritisiert. Allerdings kann Putin Schoigu nach dem Putschversuch gar nicht feuern, selbst wenn er es wollte, weil das aussehen würde, als würde er im Nachhinein vor den Forderungen der Putschisten einknicken.

Ob die Wagner-Truppen quasi als Zivilisten nach Weißrussland gehen, oder doch als militärische Einheit, wie immer noch gemeldet wird, ist auch noch nicht endgültig klar.

Putins Rede

Nun zeige ich noch den kompletten Wortlaut von Putins Rede.

Beginn der Übersetzung:

Liebe Freunde!

Heute wende ich mich noch einmal an alle Bürger Russlands. Ich danke Ihnen für Ihre Ausdauer, Ihre Einigkeit und Ihren Patriotismus. Diese bürgerliche Solidarität hat gezeigt, dass jede Erpressung, jeder Versuch, inneren Aufruhr zu erzeugen, zum Scheitern verurteilt ist.

Ich wiederhole: Die Gesellschaft hat die höchste Konsolidierung gezeigt, die Exekutive und die Legislative auf allen Ebenen, öffentliche Organisationen, religiöse Konfessionen, führende politische Parteien und praktisch die gesamte russische Gesellschaft haben eine feste und eindeutige Position der Unterstützung für die verfassungsmäßige Ordnung eingenommen. Alle waren geeint und vereint durch das Wichtigste: die Verantwortung für das Schicksal des Vaterlandes.

Ich möchte betonen, dass von Beginn der Ereignisse an unverzüglich alle notwendigen Entscheidungen zur Neutralisierung der Bedrohung, zum Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung, des Lebens und der Sicherheit unserer Bürger getroffen wurden.

Der bewaffnete Aufstand wäre in jedem Fall niedergeschlagen worden. Die Organisatoren des Aufstandes konnten das trotz des Verlustes ihres Realitätssinns nicht übersehen. Sie haben alles verstanden, auch die Tatsache, dass sie kriminelle Handlungen begangen haben, um das Land, das jetzt einer enormen äußeren Bedrohung, einem noch nie dagewesenen Druck von außen ausgesetzt ist, zu spalten und zu schwächen, während unsere Kameraden mit den Worten „Keinen Schritt zurück!“ an der Front sterben.

Doch die Organisatoren des Aufstandes, die ihr Land, ihr Volk verraten haben, haben auch diejenigen verraten, die sie in das Verbrechen hineingezogen haben. Sie haben sie belogen, sie haben sie in den Tod getrieben, um ihre eigenen Leute zu erschießen.

Genau dieses Ergebnis – Brudermord – wollten die Feinde Russlands: die Neonazis in Kiew, ihre westlichen Strippenzieher und alle Arten von Landesverrätern. Sie wollten, dass sich russische Soldaten gegenseitig umbringen, dass Soldaten und Zivilisten sterben, dass Russland am Ende verliert, dass unsere Gesellschaft zerbricht und in blutigen inneren Auseinandersetzungen versinkt.

Sie rieben sich die Hände und träumten davon, sich für ihre Misserfolge an der Front und bei der so genannten Gegenoffensive zu rächen, aber sie hatten sich verkalkuliert.

Ich danke allen unseren Soldaten, Ordnungskräften und Spezialeinheiten, die sich den Aufständischen in den Weg gestellt haben und ihrer Pflicht, ihrem Eid und ihrem Volk treu geblieben sind. Der Mut und die Selbstaufopferung der gefallenen heldenhaften Piloten haben Russland vor tragischen zerstörerischen Folgen bewahrt.

Gleichzeitig wussten und wissen wir, dass die überwiegende Mehrheit der Kämpfer und Kommandeure der Wagner-Gruppe auch Patrioten Russlands sind, die ihrem Volk und ihrem Staat treu ergeben sind. Das haben sie mit ihrem Mut auf dem Schlachtfeld bei der Befreiung des Donbass und von Noworossija bewiesen. Es wurde versucht, sie auf dunkle Weise gegen ihre Waffenbrüder zu benutzen, mit denen sie gemeinsam für das Land und seine Zukunft gekämpft hatten.

Deshalb wurden auf meine direkte Anweisung hin von Beginn der Ereignisse an Maßnahmen ergriffen, um ein großes Blutvergießen zu vermeiden. Dafür brauchte es unter anderem auch Zeit, um denjenigen, die einen Fehler begangen hatten, die Möglichkeit zu geben, zur Vernunft zu kommen und zu erkennen, dass ihr Handeln von der Gesellschaft entschieden abgelehnt wurde und dass das Abenteuer, auf das sie sich eingelassen hatten, tragische und zerstörerische Folgen für Russland, für unseren Staat hatte.

Ich danke den Soldaten und Befehlshabern der Wagner-Gruppe, die die einzig richtige Entscheidung getroffen haben – sie haben sich nicht für ein brudermörderisches Blutvergießen entschieden, sie haben an der letzten Linie Halt gemacht.

Heute haben Sie die Möglichkeit, Russland weiter zu dienen, indem Sie einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium oder anderen Sicherheitsdiensten unterzeichnen, oder zu Ihren Angehörigen zurückzukehren. Wer will, kann auch nach Weißrussland gehen. Mein Versprechen wird eingehalten. Ich wiederhole, die Entscheidung liegt bei jedem von Ihnen, aber ich bin sicher, dass es die Entscheidung russischer Soldaten sein wird, die ihren tragischen Fehler erkannt haben.

Ich bin dem weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko für seine Bemühungen und seinen Beitrag zur friedlichen Lösung der Situation dankbar.

Aber noch einmal, es war der patriotische Geist der Bürger, der Zusammenhalt der gesamten russischen Gesellschaft, der in jenen Tagen die entscheidende Rolle spielte. Diese Unterstützung hat es uns ermöglicht, gemeinsam die schwierigsten Prüfungen für unser Heimatland zu meistern. Weiterlsen im anti-spiegel.ru

Dafür danke ich Ihnen.

2 Kommentare zu Das große Rätselraten über Putins Rede von Thomas Röper

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