Der Rabin-Mörder Yigal Amir von  Moshe Zuckermann

Ich danke Moshe Zuckermann für die Genehmigung der Zweitveröffentlichung seines heutigen, auf Overton Erstveröffentlichung- publizierten Artikels  Evelyn Hecht-Galinski

Der Rabin-Mörder Yigal Amir

In einer israelischen TV-Sendung hat man diese Woche die Freilassung des Rabin-Mörders Yigal Amir gefordert. Wie kann das sein?

In einem Sketch von 1997 der legendären israelischen Satiregruppe “Hachamischia hakamerit” (Das Kammerquintett) spielt das Ensemblemitglied Rami Heuberger den in der Gefängniszelle sitzenden Rabin-Mörder Yigal Amir. Mit einem zynischen Lächeln auf den Lippen spricht er, zum Publikum gewandt: “Eines Tages in zwanzig Jahren werde ich begnadigt werden. Ihr wisst es. Tief in eurem Herzen wisst ihr, dass ich eine Begnadigung kriegen werde […] Ich werde sagen, dass es mir sehr leid tut; dass ich es unter dem Einfluss der öffentlichen Stimmung getan habe. Und ich werde frei kommen. […] Ich werde in Jerusalem wohnen. Und jedes Mal, wenn ich auf die Straße gehen werde, wird mir das ganze Viertel auf der Straße rhythmisch applaudieren […] Nach einem Jahr wird es Kommunalwahlen geben, und der Bürgermeister wird kommen, um sich mit mir fotografieren zu lassen. Ihr wisst das doch. …” Und so weiter und so fort.

Die Vision ließ im Jahr 1997 so manchen Israeli erschaudern: Den Rabin-Attentäter freilassen, den Mörder des Premierministers? Schlicht undenkbar. Der schiere Gedanke galt über Jahre als Tabubruch. Nun, zwanzig Jahre sind es zwar nicht gewesen, aber diese Woche ist das Tabu öffentlich gebrochen worden. Auf dem Höhepunkt einer Paneldiskussion des rechten TV-Kanals 14 proklamierte der zur Gesprächsrunde eingeladene Ari Shamai, ehemaliger Rechtsanwalt von Yigal Amir, dass es an der Zeit sei, den Attentäter freizulassen.

Dies konnte sich selbst der Natanjahu-hörige Sender nicht leisten, und Shamai wurde sogleich von der Teilnahme an künftigen Sendungen im Kanal ausgeschlossen. Diese Reaktion bot sich an, denn selbst der Faschismus bedarf eines Lippenbekenntnisses, wenn es um ein Vergehen gegen Unantastbares geht. Aber die vermeintlich kritisch-entrüstete Reaktion wurde spontan durch das vom Sender zur Live-Veranstaltung eingeladene Studiopublikum Lügen gestraft: Es brach in Beifall aus. Auch die Moderatoren der Sendung verurteilten nicht Shamais Proklamation, sondern gingen zur Werbung über. Relevant war dabei nicht die offizielle Stellungnahme des Senders, sondern die sich direkt und impulsiv kundtuende vox populi inhumana (Adorno). Populistische Politiker wie Trump oder Netanjahu wissen schon immer, dass man auf solche medialen Manifestationen des Stammtischgedröhns hinhorchen musss.

In der Tat mag man sich fragen, ob derlei provokante Tabubrüche nicht mehr sind als lediglich spontane Ungehörigkeiten. An der Oberfläche durfte man über Jahrzehnte die Verurteilung des Rabin-Mordes nicht antasten, geschweige denn hinterfragen. Aber subkutan etablierte sich unter rechten bzw. rechtsextremen israelischen Bewegungen sehr bald nach dem schockierenden historischen Ereignis ein gegenläufiges Parallelnarrativ: Der Verbrecher sei Rabin gewesen, Yigal Amir habe märtyrerhaft Israel vor einer großen Katastrophe bewahrt.

Das Bestreben Rabins, sich im Rahmen des Osloprozesses möglicherweise auf ein Friedensabkommen mit den Palästinensern einzulassen, welches mit Gebietsabtretungen im Westjordanland und Abbau von Siedlungen einherzugehen hatte, galt den nationalreligiösen Siedlern (heute ministerial durch Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir in der Regierung vertreten) damals schon als Unglück endzeitlichen Ausmaßes, das es unbedingt zu verhindern galt.

Im nachhinein darf man behaupten, dass die Tat Yigal Amirs in der Tat gravierend dazu beigetragen hat, den Osloprozess zum Einsturz zu bringen. Nicht von ungefähr fand der Begriff “Oslo-Verbrecher” Eingang in den gängigen rechten israelischen Politdiskurs. Die anfangs noch gewahrte Emphase der jährlichen Gedenkfeiern zur Erinnerung an das Attentat und Wahrung von Rabins Friedensvermächtnis – ein Dorn im Auge der rechten Nationalreligiösen – verblasste schnell genug. Die Gedenkfeiern wurden im Lauf der Regierungsjahren Netanjahus ganz eingestellt.

Die Autoren des Sketches von 1997 haben das erkannt. Das “Tief in eurem Herzen wisst ihr…”, das sie dem gespielten Yigal Amir in den Mund legten, indizierte nicht nur das Wissen darum, das viele in Israel Yigal Amir nicht verurteilen, vielmehr ihn ganz im Gegenteil verehren, sondern auch die Ahnung davon, dass selbst wenn viele Israelis den historischen politischen Mord verabscheuen, sie doch auch wissen, dass sie in einer politischen Kultur leben, die diesen Mord ermöglicht hat und im nachhinein zu legitimieren vermag.

In der israelischen Regierung sitzen gegenwärtig Minister, die sich mit Yigal Amir heimlich solidarisieren, und zwar nicht erst seit heute: Man bedenke, dass der amtierende Polizeiminister Israels, der Kahanist Itamar Ben-Gvir, ein Verehrer Baruch Goldsteins war, jenes Siedlers, der im Jahr 1994 bei einem Terroranschlag 29 betende palästinensische Muslime ermordete und etwa 125 verletzte. Jahrelang hing das Bild Baruch Goldsteins in Ben-Gvirs Arbeitszimmer. Er musste es als Minister nun von der Wand abnehmen. Man darf aber annehmen, dass seine Verehrung für den Massenmörder noch immer besteht. Von seinen Anhängern darf man das ganz gewiss behaupten. Und sie sind in Israel des Jahres 2023 auf dem Vormarsch. Tief in unserem Herzen wissen wir es alle.

1 Kommentar zu Der Rabin-Mörder Yigal Amir von  Moshe Zuckermann

Kommentar hinterlassen

Entdecke mehr von Sicht vom Hochblauen

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen