Der Schwarze Peter geht an Kiew von Thomas Röper Anti-Spiegel

Der Schwarze Peter geht an Kiew

Der letzte Satz ist in meinen Augen entscheidend, denn damit bleibt er bei der Aussage, dass die USA der Ukraine natürlich nach Kräften helfen, aber mit dem Zusatz, dass Kiew „letztendlich die Entscheidung treffen“ muss, waschen sich die USA schon mal ihre Hände in Unschuld, weil die Gegenoffensive faktisch gescheitert ist.

Der Schwarze Peter geht an Kiew

von Thomas Röper

26. Juli 2023

Umsetzung des RAND-PapiersDer Ton in Washington ändert sich und von einer „Unterstützung der Ukraine, so lange, wie es nötig ist“ wird immer weniger gesprochen. Stattdessen wird bereits über Verhandlungen Kiews mit Moskau gesprochen.

Ich berichte immer wieder darüber, dass sich die Anzeichen häufen, dass das RAND-Papier vom Januar umgesetzt wird. In dem Papier hat die RAND-Corporation der US-Regierung empfohlen, einen Ausweg aus dem Ukraine-Abenteuer zu suchen, denn die Ziele, die die USA in der Ukraine verfolgt haben (Russland wirtschaftlich zerschlagen, international isolieren und die russische Armee entscheidend schwächen) wurden nicht erreicht.

Stattdessen mussten die USA die Ukraine mit inzwischen über 100 Milliarden Dollar unterstützen und ein Ende ist nicht abzusehen, während die USA in dem Konflikt nichts zu gewinnen haben, denn – so RAND – wo die Grenzen der Ukraine verlaufen, ist für die USA unwichtig und die ungeheuren Kosten nicht wert. Ich berichte seit Februar über dieses Papier und die Anzeichen dafür, dass es offenbar umgesetzt wird.

Die Schuld wird auf Kiew abgewälzt

In meinem letzten Artikel über die Entwicklungen, die in meinen Augen darauf hindeuten, dass das RAND-Papier umgesetzt wird, habe ich berichtet, dass der Plan der USA sein dürfte, die Schuld für alle Misserfolge auf Kiew abzuwälzen und Kiew schlussendlich dazu zu drängen, Gespräche mit Moskau zu suchen. Um von der eigenen Niederlage abzulenken, kann der US-geführte Westen dann behaupten, dass wäre die Entscheidung Kiews und die unterstütze man natürlich.

Die Frage, die in meinen Augen offen ist, ist die, ob Moskau sich mit Gesprächen mit dem Kiewer Regime zufrieden geben wird, oder man in Moskau die USA am Tisch haben möchte, um die wirklichen Ursachen des Konfliktes zu besprechen. Aber darum soll es heute nicht gehen.

In den letzten Tagen gab Meldungen, die in meinen Augen bestätigen, dass die USA diesen Plan umsetzen. Dabei geht es um einen Auftritt von Jake Sullivan, dem Nationale Sicherheitsberater des US-Präsidenten, beim jährlichen Sicherheitsforum des Aspen-Instituts, bei dem Sullivan sehr interessante Dinge erzählt hat.

Fireside Chat with Antony J. Blinken: Aspen Security Forum 2023

Sullivan wurde beispielsweise gefragt, ob es stimme, dass „die echte Gegenoffensive erst bevorstehe“. Nach einigen Worthülsen über die ukrainische Gegenoffensive fügte Sullivan hinzu, dass „die Ukraine über eine beträchtliche Anzahl von Streitkräften verfügt, die sie noch nicht in den Kampf einbezogen hat“ und dass „sie versucht, den Zeitpunkt zu wählen, an dem der Einsatz dieser Kräfte in den Kampf die größte Wirkung auf dem Schlachtfeld haben wird. Und wir beraten uns eng mit den Ukrainern über die Bedingungen dafür. Aber letztendlich werden sie die Entscheidung treffen.“

Der letzte Satz ist in meinen Augen entscheidend, denn damit bleibt er bei der Aussage, dass die USA der Ukraine natürlich nach Kräften helfen, aber mit dem Zusatz, dass Kiew „letztendlich die Entscheidung treffen“ muss, waschen sich die USA schon mal ihre Hände in Unschuld, weil die Gegenoffensive faktisch gescheitert ist. Das Scheitern wird natürlich die Schuld Kiews sein, nicht die der USA.

Das klang im letzten Jahr noch ganz anders, als sich die USA stolz mit ihrer Unterstützung der Ukraine gebrüstet haben, als Kiew in den Gebieten Cherson und Charkow Geländegewinne verzeichnen konnte. Da haben die USA kaum verheimlicht, dass das auch ihr Erfolg war, weil sie Kiew mit Waffen, Aufklärung und sogar bei der Planung unterstützt haben.

Davon ist nun keine Rede mehr, am Scheitern der Gegenoffensive, mit deren Planung sich die USA im Vorwege auch noch gebrüstet haben, wollen sie nun nichts zu tun haben.

Wird Kiew im Herbst die Sprengung der Nord Streams angehängt?

Schon als die USA Anfang März 2023 die Medienkampagne über die „pro-ukrainische Gruppe“ angeschoben haben, die die Nord Streams mit einem kleinen Segelboot und zwei Tauchern gesprengt haben soll, habe ich spekuliert, dass das Teil der Umsetzung des RAND-Papiers sein könnte, um möglicherweise ein Argument zu haben, Kiew die Hilfen zu kürzen.

Zu dieser These passt, dass Schweden vor einiger Zeit gemeldet hat, es werde die Ermittlungen wohl im Herbst abschließen und die Täter benennen können. Der Grund, warum das passt, ist folgender: Die ukrainische Gegenoffensive wird wohl noch den ganzen Sommer fortgesetzt, obwohl sie für die ukrainischen Soldaten ein Selbstmordkommando ist. Nach ihrem Scheitern (vermutlich im Herbst) wird dann die westliche Unterstützung für Kiew zurückgefahren, weil die EU kein Geld mehr hat und weil die westlichen Waffenlager leer sind.

Das wird ein guter Vorwand sein, Kiew zu Verhandlungen mit Moskau zu drängen, weil der Westen seine Unterstützung für Kiew dann senken muss, ob er will oder nicht.

Wenn dazu noch die schwedischen „Ermittlungsergebnisse“ hinzukommen, die Kiew der Nord-Stream-Sprengung beschuldigen, dann kann der Westen damit davon ablenken, dass er seine finanziellen und militärischen Ressourcen gegen Russland verbraucht hat und die Ukraine nicht mehr weiter unterstützen kann.

Wie es der Zufall wollte, hat Sullivan sich bem Aspen Institute auch dazu geäußert. Der Moderator sagte, dass „jeder weiß, auch wenn die US-Regierung es noch nicht zugegeben hat, dass die Ukrainer diese Sabotage aus völlig verständlichen Gründen durchgeführt haben“ und ob es nicht an der Zeit sei, zuzugeben, dass es, „natürlich aus völlig verständlichen Gründen, genau so geschehen ist?“

Sullivan nahm diese Steilvorlage geschickt auf und antwortete:

„Wie Sie wissen, gibt es in verschiedenen Ländern Europas laufende Ermittlungen. Ich wäre der Letzte, der sich dazu äußern würde, bevor die Untersuchungen unserer europäischen Verbündeten abgeschlossen sind. Wir werden sehen, zu welchen Schlussfolgerungen sie kommen.“

Damit liegt der Ball bei den Schweden, warten wir mal ab, was sie im Herbst verkünden.

Plötzlich reden die USA von Verhandlungen

Besonders interessant war vor diesem Hintergrund eine weitere Aussagen von Sullivan beim Aspen Institute. Bisher war das Credo aus Washington immer, man werde die Ukraine so lange unterstützen, wie nötig. Das klang nun plötzlich etwas anders. Plötzlich sprach Sullivan von Verhandlungen.

Seine Ausführungen dazu begannen zwar mit den üblichen Worthülsen von „Souveränität und territorialer Integrität“ der Ukraine und von „gewaltsamer Eroberung“ durch die Russen, aber das Ende seiner Ausführungen war aufschlussreich:

„Und letztendlich wird die Ukraine die Entscheidung treffen, ob und wann sie verhandeln will, zu welchen Bedingungen und mit welchem Ziel. Wir werden sie dabei unterstützen. Im Moment geht es darum, ihnen zu helfen, die günstigste Position auf dem Schlachtfeld einzunehmen, so dass sie die vorteilhafteste Position am Verhandlungstisch haben, wenn sie sich entscheiden, sich an diesen zu setzen.“

Das bestätigt in meinen Augen, was ich schon vermutet habe: Man wird Kiew hinter den Kulissen dazu drängen, mit Moskau zu reden, es für die Öffentlichkeit aber so darstellen, als sei das die alleinige Entscheidung Kiews, die Washington natürlich akzeptieren wird.

Und was ist mit China?

Wir dürfen nicht vergessen, dass der Hauptgegner aus Sicht der USA nicht Russland ist. Der Hauptgegner ist China, das die USA wirtschaftlich überflügelt und so den Weltmachtanspruch der USA gefährdet. Das dürfte einer der Gründe sein, warum RAND den Ausstieg aus dem Ukraine-Abenteuer fordert, denn die ursprüngliche Idee war es ja, Russland in der Ukraine in einer Art wirtschaftlichen, diplomatischen und militärischen „Blitzkrieg“ entscheidend zu schwächen. Das hätte Chinas wichtigsten Verbündeten geschwächt und den USA das Vorgehen gegen den eigentlichen Gegner China erleichtert.

Es ist aber genau andersherum gekommen: Der Westen ist geschwächt (die Wirtschaft der EU ist irreparabel geschädigt, die Waffenarsenale des Westens sind leer und auf der internationalen Bühne hat sich kein einziges nicht-westliches Land auf die Seite des US-geführten Westens gestellt) und Russland steht insgesamt ganz gut da, während China wirtschaftlich sogar von den westlichen Sanktionen profitiert hat, die Peking den russischen Markt auf dem Silbertablett präsentiert haben.

Darüber hat eine Analystin der russischen Nachrichtenagentur RIA am 24. Juli einen sehr guten Artikel geschrieben, den ich übersetzt habe, weil er das Dilemma der USA sehr gut verständlich aufzeigt.

Beginn der Übersetzung:

Den USA läuft die Zeit davon: Washington hat nur noch „ein paar Monate“ Zeit

Gestern stellte US-Außenminister Anthony Blinken fest, dass die Fortschritte der ukrainischen Gegenoffensive, die nach seinen Worten „sehr hart“ verläuft, weil „die Russen eine starke Verteidigung aufgebaut haben“, für Kiew und den Westen nicht rosig sind. Dennoch äußerte er sich optimistisch über die ukrainischen Aussichten an der Front, räumte aber ein, dass „das nicht in den nächsten ein oder zwei Wochen enden wird“. Ihm zufolge rechnet Washington mit „einigen Monaten“.

Hier stellt sich natürlich eine Frage: Was wird geschehen und was ist zu erwarten, falls (oder besser gesagt, wenn) die amerikanischen Hoffnungen auf Erfolge der ukrainischen Streitkräfte endgültig zusammenbrechen? Die Frage ist umso relevanter, als Blinken bei weitem nicht der erste ist, der von „ein paar Monaten“ spricht. Auch auf dem jüngsten NATO-Gipfel in Vilnius wurde von verschiedenen Seiten mal verdeckt, mal direkt geäußert, dass Kiew höchstens bis zum Herbst Zeit habe, um zumindest irgendwelche Ergebnisse und Renditen für die Investitionen des Westens in das Land vorzuweisen.

Eine recht beliebte Antwort auf diese Frage lautet, dass sogar ein völliges Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive die Position des Westens, der die Ukraine zu seinem wichtigsten Einsatz im Krieg gegen Russland gemacht hat, nicht grundlegend verändern wird. Die Unterstützer dieses Standpunkts schätzen die wichtigste anti-russische Karte der NATO zwar absolut korrekt ein, irren sich jedoch in einem anderen, viel wichtigeren Aspekt.

Es mag ärgerlich erscheinen, aber Russland ist keineswegs die Hauptrichtung der geopolitischen Bemühungen der USA. Diese Rolle hat China, denn in allen außenpolitischen und militär-politischen Strategien Washingtons ist das direkt niedergeschrieben. Und das ist keine Falle oder Ablenkungsmanöver, sondern die stahlharte Realität, mit der sich die Amerikaner auseinandersetzen müssen.

Geopolitik basiert immer auf Wirtschaft, auf dem Kampf um Märkte, Bodenschätze, technologische Führerschaft und so weiter. China, das zur ersten (oder zweiten, je nach Berechnungsmethode) Wirtschaftsmacht der Welt aufgestiegen ist, ist zur größten Herausforderung für die USA geworden, die zu ihrer eigenen Rettung einfach keine andere Möglichkeit haben, als den gefährlichen Konkurrenten zu erwürgen und zu ertränken.

Auf einem anderen Blatt steht, dass die amerikanischen Strategen es völlig richtig berechnet haben: Solange Moskau China den Rücken deckt und es in seiner Konfrontation mit dem Westen aktiv unterstützt, sind die Chancen, mit Peking klarzukommen, nicht sehr hoch. Genau deshalb wurde uns der erste Schlag versetzt.

Die Idee war in ihrer Einfachheit und Schönheit genial: Praktisch bei jedem Ausgang wäre Russland in der Ukraine auf die eine oder andere Weise gebunden worden. Und solche Ausgänge wurden unserem Land zu Dutzenden vorhergesagt – von katastrophalen (mit militärischer Niederlage und Zusammenbruch der Staatlichkeit) bis hin zu scheinbar triumphalen (mit der Übernahme der Kontrolle über das gesamte Gebiet der Ukraine und damit mit der Notwendigkeit, es zu ernähren, was sich natürlich als schwerste Belastung für die Wirtschaft herausgestellt hätte). In jedem Fall wäre Russland gezwungen gewesen, sich auf die Lösung innerer Probleme zu konzentrieren, und hätte keine Energie und Ressourcen für eine aktive Außenpolitik übrig gehabt. Mit so einem leeren Hinterland wäre China in einer direkten Konfrontation mit den USA und ihren Verbündeten sehr viel verwundbarer geworden.

Moskau hat es jedoch geschafft, sich zwischen Skylla und Charybdis zu bewegen und den Konflikt so zu gestalten, dass man heute nicht mehr sagen kann, wer in der Ukraine mehr gebunden ist – Russland oder der Westen. Natürlich kann man darüber diskutieren und streiten, wie die Chancen unseres Landes stehen, in einem langen Zermürbungskrieg gegen die NATO zu bestehen. Aber dem Bündnis, oder besser gesagt den USA, geht die wichtigste „Zutat“ für so einen Konflikt aus – die Zeit. Ihnen läuft die Zeit davon, und zwar sehr schnell.

Wir leben nicht mehr in den 90ern oder gar in den Nullerjahren. Die Amerikaner können es sich nicht mehr leisten, im Rahmen von Jahrzehnten oder auch nur Jahren zu handeln. Sie rechnen in Monaten. Die Prozesse des Abbaus ihrer Hegemonie und des Aufbaus alternativer internationaler Strukturen, die nicht von den USA kontrolliert werden, haben sich entscheidend beschleunigt. Der Verfall der westlichen Wirtschaft und des politischen Einflusses beschleunigt sich so schnell, dass er mit bloßem Auge sichtbar ist. China bereitet sich auf den unvermeidlichen – weil die Logik des historischen Prozesses dazu führt – Zusammenstoß mit dem Westen vor und nutzt jede Stunde der Verzögerung, um „seine Fähigkeiten aufzupumpen“ (und auch, um seine Investitionen in US-Staatsschulden aktiv zu veräußern).

So verschlechtert jeder Monat, jede Woche und sogar jeder Tag der militärischen und politischen Konzentration auf die – aus strategischer Sicht – zweitrangige ukrainische Richtung die Aussichten der USA an ihrer wichtigsten Front, der chinesischen. Jetzt versuchen die Amerikaner verzweifelt, kostbare Zeit zu gewinnen, daher ist es kein Zufall, dass eine Reihe hochrangiger Besucher nach Peking gereist sind (Henry Kissinger war Ende letzter Woche der aktuellste, aber kaum der letzte in dieser Reihe).

Das wird jedoch nichts Dramatisches ändern, denn bald werden die USA die Entscheidung über den Rückzug aus dem ukrainischen Projekt treffen müssen. Sie haben nicht die Ressourcen, um sich an zwei großen Konflikten zu beteiligen, und sie können es sich einfach nicht leisten, China in Ruhe zu lassen, denn das würde ihren geopolitischen Zusammenbruch garantieren.

Zweifellos werden die Amerikaner versuchen, sich so aus der Ukraine zurückzuziehen, dass sie Russland möglichst viele Probleme bereiten und ihr Gesicht wahren können. Aber sie müssen sich unbedingt auf die asiatische Bühne konzentrieren. Dafür bleiben ihnen nur noch wenige Monate Zeit. Weiterlesen im anti-spiegel.ru

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