Erdoğan trotzt dpa-Vertreter: „Sie als Christ stört es nicht, wenn Kirchen zerbombt werden?“

Erdoğan trotzt dpa-Vertreter: „Sie als Christ stört es nicht, wenn Kirchen zerbombt werden?“

Der Presseauftritt von Recep Tayyip Erdoğan und Olaf Scholz vor dem gemeinsamen Abendessen zeigte deutliche Differenzen, aber auch zwei sehr unterschiedliche Arten Politiker. Scholz blieb hölzern und formelhaft wie immer; Erdoğan war souverän und wies die deutsche Presse zurecht.

Erdoğan trotzt dpa-Vertreter: „Sie als Christ stört es nicht, wenn Kirchen zerbombt werden?“

 

Der Presseauftritt von Recep Tayyip Erdoğan und Olaf Scholz vor dem gemeinsamen Abendessen zeigte deutliche Differenzen, aber auch zwei sehr unterschiedliche Arten Politiker. Scholz blieb hölzern und formelhaft wie immer; Erdoğan war souverän und wies die deutsche Presse zurecht.
Quelle: www.globallookpress.com © Bernd von Jutrczenka

Der Presseauftritt von Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ließ große Differenzen erkennen. Einig waren sie sich im Grunde nur in Bezug auf die lange Themenliste. Dazu gehörten die bilateralen Beziehungen, die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU, der Konflikt in der Ukraine und der israelische Einmarsch in Gaza sowie die langfristige Lösungsperspektive zu Israel/Palästina. Der Höhepunkt der kurzen Pressekonferenz war die Reaktion Erdoğans auf höchst ideologische Fragen des dpa-Vertreters.

Zu Beginn erklärte Scholz eine Einigkeit in der Sicht auf den russischen Militäreinsatz in der Ukraine, die – gerade vor dem Hintergrund der Friedensverhandlungen in Istanbul im März 2022 – in dieser Weise keinesfalls belegt ist, bedankte sich für die Vermittlung beim Getreidedeal und erklärte, er hoffe auf einen positiven Beschluss zum Beitritt Schwedens in die NATO.

Scholz betonte mehrfach, Israel habe „das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich zu verteidigen“; „auch das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung bedrückt uns“.

Die Türkei habe beim Getreidedeal eine wichtige Vermittlerrolle gespielt. Bei den Beziehungen zwischen der Türkei und der EU seien „wir in den vergangenen Jahren hinter unserem Potenzial zurückgeblieben“. Das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei solle verlängert werden.

Erdoğans Statement war weitaus konkreter und länger, und er äußerte sich deutlich zum Gazakrieg. Nachdem er sich für die Einladung durch Scholz bedankt und die gemeinsamen Themen wiederholt hatte, sagte er zum Gazastreifen:

„Wir sprechen von 13.000 Kindern, Frauen, alten Menschen, die getötet worden sind. Daneben gibt es schon fast keinen Ort mehr, den man Gazastreifen nennen kann, alles ist dem Erdboden gleichgemacht worden.“

Er betonte, dass die Waffen der Hamas nicht mit jenen Israels zu vergleichen seien. „Hat Israel Nuklearwaffen? Ja.“

Gotteshäuser und Krankenhäuser zu zerbomben komme weder in der Tora noch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vor. „Werden wir dort einfach nur schweigen?“

Die Türkei habe keinerlei Schuld abzutragen. Er habe sich persönlich auch immer gegen Antisemitismus gewandt. Erdoğan forderte eine humanitäre Waffenruhe.

„Wie kann die Türkei einen Beitrag leisten? Wie Deutschland? Und wie können wir diese Schritte gemeinsam tun, und sind wir dazu bereit oder nicht?“

Er habe Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gebeten, nach Israel zu reisen, um sich für eine humanitäre Waffenruhe einzusetzen. Die Türkei sei bereit, auch bei der Rettung der Geiseln der Hamas zu helfen, aber man müsse auch die Geiseln von palästinensischer Seite berücksichtigen. „In Israel gibt es das Mehrfache an Geiseln, die in Israel gefangen sind.“

Die Türkei werde weiter gemeinsam an der Ausbildung muslimischer Geistlicher arbeiten. Die Fortsetzung des EU-Beitrittsprozesses sei der innigste Wunsch. „Seit 52 Jahren wartet die Türkei an der Tür der Europäischen Union.“ Eine Vereinfachung und Beschleunigung von Visaverfahren sei ein erster möglicher Schritt.

Er betonte den Einsatz, den die Türkei für den Gazastreifen leiste. Zehn Flugzeuge mit Hilfsgütern seien nach Ägypten geschickt worden, zuletzt ein Lazarett und 666 Tonnen Lebensmittel per Schiff, man habe Krebspatienten, die aus dem Gazastreifen evakuiert wurden, zur Behandlung in die Türkei gebracht, aber das Beenden des Blutvergießens sei der wichtigste Schritt.

Es wurden nur zwei Fragen aus der Presse zugelassen, eine von türkischer, eine von deutscher Seite. Die Frage aus der türkischen Presse richtete sich an Scholz. Wolle Deutschland auch Patienten aufnehmen? Und müsse Israel angeklagt werden? Scholz antwortete darauf erwartbar. „Die Zivilbevölkerung in Gaza ist Geisel der Hamas“, meinte er, forderte von Israel nur Feuerpausen, immer mal wieder, aber keine Waffenruhe, und erklärte, man dürfe „die Selbstverteidigung nicht in Frage stellen“.

Michael Fischer von der dpa wollte dann von Erdoğan wissen, ob er sich zum Existenzrecht Israels bekenne, was er mit dem Vorwurf meine, Israel sei faschistisch, warum er das israelische Vorgehen für Völkermord halte und die Hamas für eine Befreiungsorganisation. Seine Frage an Bundeskanzler Scholz lautete dann, warum er nicht deutlicher gegen Erdoğan Stellung nehme und ob Rüstungsexporte in die Türkei noch angemessen seien.

Erdoğan verwies darauf, dass Tausende Palästinenser von Israel getötet worden seien. Krankenhäuser, Kirchen zerbombt.

„Ich als Muslim störe mich daran. Sie als Christ stört es nicht, wenn Kirchen zerbombt werden?“

In Bezug auf die Lieferung von Eurofightern antwortete er entspannt: „Es gibt viele Länder, die Kampfflugzeuge herstellen.“ Die Art der Fragestellung fand er allerdings unangemessen:

„Als Pressevertreter sollten Sie uns damit nicht drohen. Stellen Sie uns solche Fragen, die gewissenhaft sind, die menschlich sind, auf die wir entsprechende Antworten geben können.“

Scholz betonte noch einmal die Rolle der Türkei beim Getreidedeal und sagte dann bezogen auf den Gazastreifen: „Man kann keinen Unterschied machen zwischen den zivilen Toten, die entstehen, egal, woher sie kommen.“ Dann aber erklärte er, dass er das israelische Ziel, die Hamas zu vernichten, für angemessen halte. Damit war die Pressekonferenz beendet.

Das darauffolgende Gespräch dürfte wenig Einigkeit herstellen; selbst in der Frage der Zweistaatenlösung, zu der sich beide bekannten, ist dennoch kaum Übereinstimmung zu erwarten, denn Erdoğan sprach explizit von einer Zweistaatenlösung „nach den Grenzen von 1967“, was eine Auflösung sämtlicher israelischer Siedlungen im Westjordanland voraussetzt; eine Variante, die Scholz, der es mit Mühe schafft, gelegentliche Feuerpausen zu fordern, mit Sicherheit nicht teilt.

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