Netanjahu will Krieg gegen den Iran: Warum Biden ihn unbedingt daran hindern sollte von David Goeßmann

Dank an David Goeßmann für die Genehmigung seinen neuen Telepolis Artikel auf der Hochblauen Seite zu veröffentlichen. Evelyn Hecht-Galinski

Netanjahu will Krieg gegen den Iran: Warum Biden ihn unbedingt daran hindern sollte

Israel kündigt Vergeltungsschlag an. Damit droht Krieg gegen den Iran, der die USA hineinzieht. Es wäre ein fataler Fehler, wenn Washington das zulässt. Kommentar.

Netanjahu will Krieg gegen den Iran: Warum Biden ihn unbedingt daran hindern sollte

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Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu spricht 2012 vor der UN-Generalversammlung und fordert eine rote Linie für Irans Atomwaffenprogramm. Bild: UN Foto / J Carrier

Israel kündigt Vergeltungsschlag an. Damit droht Krieg gegen den Iran, der die USA hineinzieht. Es wäre ein fataler Fehler, wenn Washington das zulässt. Kommentar.

Liest man die Meldungen und politischen Äußerungen in westlichen Medien nach dem iranischen Vergeltungsschlag gegen Israel am Wochenende – in Reaktion auf die Bombardierung des Konsulats Irans in Syrien durch Tel Aviv am 1. April –, könnte man den Eindruck erhalten, als ob Israels Verbündete in den USA und Europa Netanjahu in den Arm fallen.

Niemand hat die Absicht, Israel in die Schranken zu weisen

Doch das ist keineswegs so. Sie rufen zur Mäßigung auf [1], warnen, was sie im Fall des Gaza-Kriegs seit einem halben Jahr machen. Der Verlauf des Kriegs zeigt jedoch: Ermahnungen alleine bringen nichts.

Netanjahu ist offensichtlich nicht gewillt, auf Rhetorik und Soft-Power zu reagieren. Für eine Verhaltensänderung braucht es mehr: Taten statt Worte.

Auch im Fall der Iran-Konfrontation scheint niemand in den westlichen Hauptstädten bereit, Israel ernsthaft in die Schranken zu weisen. Und das könnte am Ende fatal sein.

Das eine sagen, das andere tun

Israels oberster General, Herzi Halevi, Generalstabschef der israelischen Streitkräfte, hat gestern in den bisher deutlichsten Worten eine militärische Antwort auf Irans Vergeltungsschlag angekündigt [2].

Zwar verkündet das Weiße Haus in Washington, dass man keinen Krieg gegen den Iran wünsche [3]. Währenddessen sucht man im US-Kongress nach schnellen Wegen, ein zusätzliches Waffenpaket über 14 Milliarden Dollar für Israel zu genehmigen.

Die US-Regierung ist der entscheidende Faktor, der engste Verbündete Israels, der mit großem Abstand führende Waffenlieferant Israels [4] und zugleich der diplomatische Schutzwall bei den Vereinten Nationen und auf der Weltbühne.

USA hätten schon Irans Vergeltung verhindern können

US-Präsident Joe Biden hat dabei vielfältige Möglichkeiten, Netanjahu zu hindern, die Eskalation weiterzutreiben und einen Krieg in der Region zu initiieren.

Er hätte schon den iranischen Vergeltungsschlag selbst verhindern können (wohl auch den Provokationsakt zuvor, bei dem Israel das iranische Konsulat bombardierte und hochrangige Militärs tötete. Kaum denkbar, dass die USA von dem Angriff im Vorfeld nichts wussten [5], wie behauptet wird.)

Nach Angaben eines arabischen Diplomaten, der mit Jadeh Iran sprach, hat der Iran den Vereinigten Staaten nach dem Konsulat-Angriff mitgeteilt [6], dass man Israel als Vergeltung dafür angreifen werde, solange die Biden-Regierung im Gegenzug keinen Waffenstillstand im Gazastreifen durchsetzt.

Doch die USA ließen Netanjahu in Gaza weiter gewähren. Biden hätte stattdessen die iranische Bedingung testen können, indem man von Israel einen sofortigen Waffenstillstand verlangt, wie vom UN-Sicherheitsrat gefordert [7] (Die USA enthielten sich bei der letzten Abstimmung im Sicherheitsrat, nach drei Vetos zuvor, wodurch die Resolution passieren konnte).

Der Elefant: Gaza-Krieg und Waffenstillstand

Man hätte Tel Aviv dabei klargemacht, dass es ohne Waffenstillstand keine Waffen oder weitere Unterstützung mehr gibt (im Einklang mit US-Gesetzen [8], die Militärhilfe an Staaten, die damit möglicherweise gegen internationales Recht verstoßen, verbietet). Das Gleiche gilt natürlich auch für Deutschland, den zweitgrößten Waffenexporteur an Israel [9].

Ferner gibt es noch weitere Mittel [10] wie Sanktionen, Handelsbeschränkungen oder Klagen, um das „Verhalten“ von Staatsführungen an die „regelbasierte internationale Ordnung“ anzupassen. Das Beispiel Russland zeigt, was der Westen in petto hat, wenn es um Fehlverhalten von Staaten geht.

Doch die USA unterlassen es bis heute, einen Waffenstillstand durchzusetzen, was den iranischen Vergeltungsschlag hätte verhindern können, wobei Netanjahu diesen jetzt benutzen kann, um weiter zu eskalieren.

Solange die israelische Regierung nichts Ernsthaftes von der Biden-Regierung zu befürchten hat, wird Netanjahu die Eskalationsleiter weiter hinaufsteigen und eine neue Vergeltung oben draufsetzen. Der israelische Regierungschef hat bekanntlich verschiedene Gründe, die regionalen Konflikte zu verschärfen [11], am Ende auch persönliche [12].

Hardliner in USA und Israel sehen ihre Stunde gekommen

Die sogenannten „Falken“ in den USA und Israel sehen in dem von Netanjahu bewusst provozierten Vergeltungsschlag Irans nun die Möglichkeit gekommen [13], einen lange gehegten Plan Wirklichkeit werden zu lassen.

Ein Krieg mit dem Iran wird von Netanjahu bereits seit zwei Jahrzehnten ins Visier genommen. Immer wieder versuchte er auf verschiedene Weise US-Präsidenten unter Druck zu setzen und nuklearen Alarm gegen Teheran auszulösen, um Washington zu militärischen Angriffen gegen den Iran zu bewegen.

Doch die unterschiedlichen US-Regierungen unternahmen diesen Schritt nicht [14], auch wenn sie den Iran mit Sanktionen überzogen.

Selbst Donald Trump in seiner Amtszeit, der den unter Barack Obama ausgehandelten Iran-Deal wieder aufkündigte, folgte Netanjahu keineswegs. Laut Axios [15], das sich auf einen leitenden US-Vertreter beruft, soll Trump das Gefühl gehabt haben, dass Netanjahu „bereit war, den Iran bis zum letzten US-amerikanischen Soldaten zu bekämpfen“.

Der nächste Schlag Irans wird ohne Ankündigung kommen

Biden erklärte [16] zwar nach dem iranischen Vergeltungsschlag am Wochenende, dass sich die Vereinigten Staaten nicht an offensiven militärischen Maßnahmen Israels gegen den Iran beteiligen oder diese unterstützen werden, sondern sie, „unerschütterlich“ an der Seite Tel Avivs, im Falle eines erneuten Angriffs auf Israel nur defensive Hilfe leisten wollen.

Aber das sind Worte, die am Ende in sich zusammenfallen werden, wie Trita Parsi vom Quincy Institute in Foreign Policy klarmacht [17]. Denn wenn Israel zum Beispiel, wie John Bolton, Trumps ehemaliger nationaler Sicherheitsberater, auf CNN vorschlägt [18], nukleare Anlagen im Iran angreift, dann würde Teheran in einer weit stärkeren Weise als beim ersten Mal darauf antworten.

Bei den Schlägen am Wochenende hielt sich der Iran, so Beobachter, deutlich zurück, um keinen wirklichen Schaden anzurichten. Man kündigte die Raketen- und Drohnenschläge 72 Stunden vorher an, damit die USA, Großbritannien, Frankreich, Jordanien und Israel genug Zeit hatten, sie abzufangen [19]. Es war ein abschreckender Warnschuss, nach dem Motto: Schaut her.

Beim nächsten Mal wird das nicht geschehen, dann können die Verbündeten Israels nicht mehr beim Abfangen helfen (vor allem die USA waren es ja, die die meisten Drohnen und Raketen abfingen [20]) und der Schaden wird sicherlich größer, da das israelische Iron-Dome-Abwehrsystem nicht alles abhalten wird.

Die Mär von rein defensiver Unterstützung

Ab diesem Zeitpunkt ist die Unterscheidung defensiv vs. offensiv dann irrelevant. Denn Biden hat erklärt, Israel bei seiner Verteidigung zu unterstützen. In dem Moment sind die USA mittendrin im voll entfalteten Nahost-Krieg.

Parsi fordert daher von Biden, dass er jetzt klar und deutlich gegenüber Israel und auch dem Iran eine rote Linie ziehen muss: keine weitere Eskalation. Was nichts anderes heißt wie: sonst folgen echte Konsequenzen.

Die USA haben immer wieder erklärt, dass sie keinen Krieg in der Region wollen, auch der Iran will das nicht [21]. Aber Biden muss das mit Taten hinterlegen und Israel nicht nur zur Zurückhaltung, sondern zum Verzicht von Gegenschlägen auffordern.

Gideon Levy, preisgekrönter israelischer Journalist und Mitglied der Redaktionsleitung der israelischen Zeitung Haaretz, sagte [22] auf Democracy Now in den USA:

Diejenigen, die die Angreifer schickten, um … einen Mordanschlag auf eine iranische diplomatische Einrichtung gegen zwei Generäle und fünf weitere zu verüben, mussten sich klar sein, was am nächsten Tag passieren würde. Und der nächste Tag ist gekommen, und wir wurden angegriffen. Glücklicherweise haben wir unter diesem Angriff nicht gelitten. Die einzige Schlussfolgerung sollte jetzt sein: Nein, wagt es nicht, jetzt Vergeltung zu üben, denn dann werden wir in einen regionalen Krieg verwickelt, und das ist eine ganz andere Sache.

Die USA haben viel zu verlieren

Noch ist Zeit, die Region vor einem sich nähernden Abgrund, Zerstörung und vielen Toten zu bewahren.

Das wäre auch im nationalen Interesse der USA, die bei einem Krieg nichts zu gewinnen, aber viel zu verlieren haben: militärische Ressourcen und viel Geld, eigene Soldaten, arabische Partner und Verbündete, internationales Ansehen der Weltgemeinschaft, während die Ölmärkte (Iran ist einer der größten Ölproduzenten [23] mit den drittgrößten Ölvorräten) und der internationale Handel (siehe Huthi-Angriffe auf Containerschiffe im Roten Meer) auf einen vollen Krieg in Nahost sehr empfindlich reagieren werden.

Auch das kann keiner wollen.

Reißleine jetzt

Für Biden selbst wäre es im Angesicht der US-Präsidentschaftswahl im November zudem eine zusätzliche Belastung für seine Wiederwahlchancen [24]. Schon jetzt drohen viele potenziell demokratische Wähler:innen, ihn nicht zu wählen, wenn er seinen Kurs gegenüber Israel und Gaza nicht ändert.

Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum Biden nicht die Reißleine gegenüber Netanjahu ziehen sollte. Anstatt sich privat über den israelischen Regierungschef zu mokieren [25], kommt es jetzt auf Politik, Taten hinter Worten, an.

Sind die USA dazu fähig? Davon könnte der Frieden einer ganzen Region abhängen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9687058

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.badische-zeitung.de/der-westen-ruft-israel-zu-zurueckhaltung-auf
[2] https://www.theguardian.com/world/2024/apr/15/israel-will-respond-to-iran-missile-attack-idf-chief-of-staff
[3] https://www.aljazeera.com/news/2024/4/15/us-will-not-take-part-in-any-israeli-retaliatory-action-against-iran
[4] https://www.telepolis.de/features/USA-Israel-Allianz-Ist-Joe-Biden-wirklich-machtlos-gegenueber-Netanjahu-9652357.html?seite=all
[5] https://www.pbs.org/newshour/world/u-s-denies-involvement-in-attack-on-iranian-consulate-but-braces-for-retaliation
[6] https://twitter.com/alihashem_tv/status/1777083487763284079
[7] https://www.telepolis.de/features/Wollen-die-USA-die-Vereinten-Nationen-schleifen-9672017.html
[8] https://www.commondreams.org/opinion/us-weapons-to-israel
[9] https://www.telepolis.de/features/Klagewelle-Muss-die-Scholz-Regierung-Waffenexporte-nach-Israel-stoppen-9677891.html
[10] https://www.aljazeera.com/opinions/2024/4/3/the-legal-case-for-imposing-embargoes-on-israel
[11] https://www.irishtimes.com/opinion/2024/04/10/michael-mcdowell-escalation-of-the-conflict-in-gaza-may-be-exactly-what-netanyahu-wants/
[12] https://www.politico.com/news/magazine/2024/01/08/netanyahu-israeli-leader-losing-control-00134146
[13] https://www.youtube.com/watch?v=9OYKd1reSPc
[14] https://www.timesofisrael.com/netanyahus-threats-to-attack-iran-panicked-obama-into-nuke-talks-author-says/
[15] https://www.axios.com/2021/12/15/trump-soleimani-strike-netanyahu-israel
[16] https://www.theguardian.com/world/2024/mar/25/un-gaza-ceasefire-vote
[17] https://foreignpolicy.com/2024/04/15/israel-war-iran-biden-netanyahu-escalation/?mc_cid=dcaeaf8e0f&mc_eid=8eb1550668
[18] https://www.youtube.com/watch?v=9OYKd1reSPc
[19] https://theintercept.com/2024/04/15/iran-attack-israel-drones-missiles/
[20] https://theintercept.com/2024/04/15/iran-attack-israel-drones-missiles/
[21] https://responsiblestatecraft.org/iran-israel-war/
[22] https://www.democracynow.org/2024/4/15/iran_israel_middle_east_escalation
[23] https://jpt.spe.org/iran-signs-13-billion-in-contracts-to-boost-oil-production-at-six-major-fields
[24] https://www.telepolis.de/features/Von-Gaza-bis-Assange-Kann-Joe-Biden-sich-aus-der-Wahlschlinge-befreien-9661601.html
[25] https://www.nbcnews.com/news/investigations/biden-disparages-netanyahu-private-hasnt-changed-us-policy-israel-rcna138282

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