US-Militärpolitik erhöht Risiko eines Atomkriegs mit Nordkorea Von David Goeßmann

Ich danke David Goeßmamann für die Genehmigung seinen heute auf Telepolis erschienenen Artikel, auf der Hochblauen Seite zu übernehmen. Evelyn Hecht-Galinski

https://www.telepolis.de/features/US-Militaerpolitik-erhoeht-Risiko-eines-Atomkriegs-mit-Nordkorea-9953375.html

US-Militärpolitik erhöht Risiko eines Atomkriegs mit Nordkorea

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Überquerung einer schwimmenden Brücke während eines gemeinsamen Trainings von US- und südkoreanischen Streitkräften in Südkorea, 13. März 2023. Bild: Chin-U Pak / US Army Pacific

In Washington und Seoul kursieren Pläne zur Nuklearisierung Südkoreas. USA provozieren mit Großmanövern und atomarer Drohkulisse. Warum das gefährlich ist.

Seit einiger Zeit schon nehmen die nuklearen Spannungen auf der koreanischen Halbinsel zu. Im Dezember letzten Jahres drohten die USA und Südkorea, dass jeder Einsatz von Atomwaffen durch Nordkorea „das Ende des (Kim-Jon-)Un-Regimes bedeuten wird“.

Die USA schickten ein atomwaffenfähiges U-Boot nach Südkorea, um der Drohung Nachdruck zu verleihen. Nordkorea reagierte mit einem weiteren Test einer ballistischen Rakete, die US-amerikanisches Festland erreichen könnte.

Kriegsspiele

Vor gut zwei Wochen führte das US-Militär in Korea zudem eines der größten Kriegsspiele der Welt durch: Ulchi Freedom Shield (UFS). UFS ist der aktuelle Name für eine jährliche Reihe von Militärübungen, die vom Combined Forces Command durchgeführt werden, der Kommandostruktur, unter der das südkoreanische Militär US-Generälen unterstellt ist.

Seit 1976 werden im Rahmen dieser „Kriegsspiele“ regelmäßig Zehntausende von Soldaten zusammen mit „strategischen Mitteln“ der USA wie Flugzeugträgern, schweren atomwaffenfähigen Bombern und U-Booten eingesetzt, um echte Invasionen zu simulieren [1]. Die diesjährige UFS umfasste enorme 48 einzelne Kriegsübungen, bei denen 19.000 südkoreanische Soldaten, 200 Militärflugzeuge und eine unbekannte Anzahl von US-Soldaten zum Einsatz kamen.

Die USA haben 28.500 Soldaten [2] auf 62 Militärbasen in Südkorea stationiert und geben jährlich Milliarden dafür aus.

Die militärischen Planspiele fanden dieses Jahr vor dem Hintergrund einer bedeutsamen Eskalation statt. Es handelt sich dabei um Pläne, US-Atomwaffen eventuell nach Korea zu verlegen, und einer anschwellenden Rhetorik in Seoul, sich selbst zu nuklearisieren.

Atomwaffen für Südkorea „eine Option“

Seit dem Zusammenbruch der Gespräche zwischen Südkorea und den USA auf der einen und Nordkorea auf der anderen Seite im Jahr 2020 werden Forderungen des rechten Flügels in Washington und Seoul nach einer Versorgung Südkoreas mit Atomwaffen immer lauter.

Anfang des Monats erklärte [3] der südkoreanische Verteidigungsminister Kim Yong-hyun, dass der Erwerb von Atomwaffen „eine der möglichen Optionen“ sei, um auf die wachsende nukleare Bedrohung durch Nordkorea zu reagieren – das jüngste Beispiel dafür, wie in Seoul die Idee, ein Atomwaffenstaat zu werden, immer mehr in die politische Debatte eindringt.

Die konservative Regierung in Südkorea liebäugelt schon seit einiger Zeit mit dem Plan, selbst Atomwaffen zu beschaffen, wobei Motive wie Härte signalisieren, Nordkorea einschüchtern oder bei Verhandlungen mit Washington ein Druckmittel zu besitzen, diesen Vorschlägen Auftrieb geben.

In den letzten Jahren haben auch namhafte US-amerikanische Wissenschaftler und Vertreter des nationalen Sicherheitsapparats in den Vereinigten Staaten dieses Vorhaben begrüßt. Erst vor wenigen Monaten ging der ehemalige Außenminister Mike Pompeo Berichten zufolge so weit zu sagen [4]: „Es gibt keinen Grund, warum wir etwas dagegen haben sollten“, dass Südkorea seine eigenen Atomwaffen entwickelt.

Nukleare Notfall-Simulation

Elbridge Colby, der voraussichtliche Nationale Sicherheitsberater des Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, Donald Trump, findet die Idee der Nuklearisierung Südkoreas ebenfalls gut [5]. Andere, wie Senator Roger Wicker vom US-Streitkräfteausschuss, haben sich für die Rückkehr der taktischen US-Atombomben auf die Halbinsel eingesetzt [6].

Die Biden-Regierung hat sich Aufrufen, Südkorea mit Nuklearwaffen auszustatten, zwar nicht angeschlossen. Trotzdem unternahm man Schritte, die atomare Bedrohung Richtung Nordkorea zu erhöhen.

Im Jahr 2023 gründeten Seoul und Washington die Nuclear Consultative Group [7], eine zwischenstaatliche Stelle, die Richtlinien für die strategische nukleare und konventionelle militärische Integration entwickeln soll. Es ist letztlich ein Gremium, das die Aufgabe hat, einen Prozess zu erstellen, mit dem Südkorea US-Atomwaffen übergeben werden können, um sie in einem möglichen Krieg zu verwenden.

Im Juli und August dieses Jahres trafen sich hochrangige Militärs beider Regierungen zu einer ersten Militärübung, bei der diese Richtlinien überprüft wurden. Am 5. und 6. September fand in Washington D.C. eine ressortübergreifende „Table-Top Simulation“ [8] (Besprechung der Vorgehensweise im Notfall) der Nuclear Consultative Group zwischen den USA und Südkorea statt.

Atomare Drohgebärden

Das US-Verteidigungsministerium erklärte, die Simulation stärke „den Ansatz der Allianz zur kooperativen Entscheidungsfindung in Bezug auf die nukleare Abschreckung und die Planung für potenzielle nukleare Eventualitäten auf der koreanischen Halbinsel“. Man betonte dabei, dass die nukleare Schutzverpflichtung der Vereinigten Staaten unerschütterlich sei.

Das nordkoreanische Außenministerium erklärte daraufhin, dass es ernsthaft besorgt sei, weil die „feindlichen Kräfte“ USA und Südkorea offen versuchten, einen Atomangriff auf einen souveränen Staat zu unternehmen. Das würde die Möglichkeit eines nuklearen Zusammenstoßes erhöhen, hieß es. In einer Mitteilung erklärte das Ministerium weiter [9]:

Die nukleare Bedrohung und Erpressung durch die USA wird durch die perfektionierten und fortgeschrittenen nuklearen Fähigkeiten der DVRK [Demokratischen Volksrepublik Korea] zur Selbstverteidigung gründlich abgeschreckt werden.

Nordkorea werde die Sicherheitslage auf der koreanischen Halbinsel „streng kontrollieren und managen“ und weiterhin praktische Maßnahmen ergreifen, um mit einer „langfristigen nuklearen Konfrontation“ mit den USA fertig zu werden, warnte das nordkoreanische Außenministerium.

Die Rolle der USA

Bei der Frage nach den Gründen für die Eskalation in den letzten Jahren wird im Westen, in den USA und Europa, immer wieder auf die Feindseligkeiten und die Rhetorik, die aus Pjöngjang kommen, verwiesen. Sicherlich sind die wiederholten Atom- und Raketentests Nordkoreas zu verurteilen, die gegen die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats verstoßen.

Doch dabei wird ausgelassen, wie diverse US-Regierungen durch ihre aggressive Militärpolitik den Konflikt provoziert und immer weiter angeheizt haben. Denn die Situation auf der koreanischen Halbinsel war nicht immer derart angespannt wie im Moment.

In den 2000er-Jahren kam es zu Fortschritten und Annäherungen zwischen Nord- und Südkorea. Wirtschaftssanktionen gegen Nordkorea wurden gelockert, woraufhin Nordkorea seine Verpflichtung zur Einstellung der Raketentests bekräftigte.

Im Jahr 2002 hielt US-Präsident George W. Bush dann seine berühmt-berüchtigte Rede, in der er Nordkorea, den Irak und den Iran als „Achse des Bösen“ bezeichnete, weil sie weiterhin „Massenvernichtungswaffen“ bauten. Die Verhandlungen zwischen Washington und Pjöngjang brachen daraufhin zusammen. Es führte letztlich zum Austritt Nordkoreas aus dem Atomwaffensperrvertrag.

Was will Nordkorea?

Nordkorea bekräftigte [10] danach immer wieder, dass sein Atomprogramm eine Reaktion auf die feindselige Politik der USA sei und die Denuklearisierung von einer Sicherheitsgarantie der USA abhänge. Nach seinem fünften Test im September 2016 stimmte Nordkorea [11] für die Aufnahme von UN-Verhandlungen über einen internationalen Vertrag zum Verbot von Atomwaffen.

Die USA kommen derweil ihren Abrüstungsverpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag und ihrem Programm zur Modernisierung der Atomwaffen nicht nach [12]. Das und anderes wiederum bestärkt die Führung in Pjöngjang darin, eine nukleare Verteidigung aufzubauen, die sie nicht zuletzt angesichts der westlichen Kriege gegen den Irak und Libyen als Garantie gegen einen Angriff der USA ansieht.

Nachdem der damalige US-Präsident Donald Trump 2017 gedroht hatte [13], „Feuer und Flamme“ auf die Halbinsel loszulassen, näherten sich Nord- und Südkorea wieder an, unterzeichneten 2018 zwei Abkommen [14], um Frieden und die friedliche Wiedervereinigung voranzutreiben.

Der nordkoreanische Präsident Kim Jong-un gab Trump sogar das Versprechen [15], weitere Atomwaffentests auszusetzen, was er bis heute nicht gebrochen hat. Doch bei einem Gipfeltreffen zwischen den USA und Nordkorea 2019 wurde der vielversprechende Annäherungsversuch abrupt beendet.

Die Biden-Yoon-Eskalation

Die US-Führung verlangte [16] von Nordkorea eine einseitige Abrüstung ohne weitere Zugeständnisse und wies die Forderung [17] nach einer teilweisen Reduzierung der Sanktionen [18] ab.

Unter dem neuen US-Präsidenten Joe Biden (ab 2021) und dem konservativen Präsidenten Yoon Suk-yeol in Südkorea (ab 2022) verschlechterte sich das Verhältnis weiter. Yoon sprach [19] von möglichen Präventivschlägen gegen Nordkorea, erklärte das Land zum „Hauptfeind“ und kündigte [20] das interkoreanische Militärabkommen von 2018 auf.

Seoul hat zusammen mit den USA wieder mit Schießübungen [21] und Propagandasendungen [22] an der entmilitarisierten Zone nahe der Grenze begonnen, während kaum verhüllt Pläne für einen Regimewechsel [23] in Nordkorea geäußert werden.

Besonders provokativ für Nordkorea sind die gemeinsamen Militärmanöver [24] der USA und Südkoreas, die von Jahr zu Jahr umfangreicher und ausgefeilter werden (im letzten Jahr fanden sie an insgesamt 200 Tagen statt). Gleichzeitig werden US-amerikanische nuklearfähige Bomber immer häufiger eingesetzt, manchmal direkt an der nordkoreanischen Grenze.

Trump, Harris und die Alternative

Währenddessen schmieden die USA im Pazifikraum an diversen Allianzen (Quad, Jakus Aukus), was manchmal als Aufbau einer „asiatischen Nato“ bezeichnet wird, in die auch Südkorea zunehmend eingegliedert wird. Vor allem Japans Militär wächst im Zuge des Bündnisaufbaus stark, was Nordkorea als Bedrohung ansieht.

Als im Präsidentschaftswahlkampf Trump und seine Herausforderin von den Demokraten, Kamala Harris, über Nordkorea und Kim Jong-un stritten, wobei Trump behauptet hatte, Kim unterstütze ihn, stellte die staatliche Nachrichtenagentur Nordkoreas klar [25]:

Egal, welche Regierung in den USA ihr Amt antritt, das politische Klima, das durch die internen Machtkämpfe der beiden Parteien durcheinander gebracht wird, ändert sich nicht, und dementsprechend ist uns das auch egal.

Eine Alternative zu immer weiterer Eskalation, inklusive atomaren Drohungen, wäre es, wenn sich die USA dazu entschließen würden, sich von der koreanischen Halbinsel mit ihren Streitkräften und ihren Interventionen zurückzuziehen, um einer internen, diplomatischen Lösung nicht weiter im Weg zu stehen.

Eine Region ohne Atomwaffen

Diese Forderungen wird schon seit Langem von Koreaner:innen in beiden Ländern erhoben. Auch in den USA gibt es eine Kampagne der koreanischen Community mit dem Namen „US Out of Korea“ [26], die sich dafür einsetzt.

Denn überall dort, wo sich die Vereinigten Staaten militärisch und geopolitisch stark einmischen und ihre Interessen robust verfolgen, vom Nahen Osten über die Ukraine bis hin zum Pazifik rund um China und die koreanische Halbinsel, steigt zusehends die Gefahr eines möglichen Atomkriegs. Das sollte zu denken geben.

Um eine langfristige Stabilität in der Region zu erreichen, müssten die Gespräche einen Friedensvertrag zur Beendigung des Koreakriegs, die Formalisierung gegenseitiger Erklärungen, keine feindlichen Absichten zu hegen, und die Einrichtung einer nordostasiatischen atomwaffenfreien Zone [27] umfassen, die die nordkoreanischen Atomprogramme eliminieren und gleichzeitig Südkorea und Japan verpflichten würde, ebenfalls atomwaffenfrei zu bleiben.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.icanw.org/nuclear_tensions_rise_on_korean_peninsula
[2] https://www.newsweek.com/north-news-korea-slams-america-nuclear-threat-1950702
[3] https://en.yna.co.kr/view/AEN20240902006000315
[4] https://www.economist.com/asia/2024/08/15/what-if-south-korea-got-a-nuclear-bomb
[5] https://thediplomat.com/2024/05/the-great-debate-over-south-korea-developing-nuclear-weapons-is-back/
[6] https://www.koreaherald.com/view.php?ud=20240530050106
[7] https://www.defense.gov/News/Releases/Release/Article/3801107/
[8] https://www.defense.gov/News/Releases/Release/Article/3898151/
[9] https://www.newsweek.com/north-news-korea-slams-america-nuclear-threat-1950702
[10] https://cnduk.org/resources/north-korea-and-the-us-nuclear-threats/
[11] https://web.archive.org/web/20170910164123/http://www.icanw.org/campaign-news/voting-on-un-resolution-for-nuclear-ban-treaty/
[12] https://cnduk.org/resources/north-korea-and-the-us-nuclear-threats/
[13] https://www.nytimes.com/2017/08/08/world/asia/north-korea-un-sanctions-nuclear-missile-united-nations.html
[14] https://www.washingtonpost.com/news/worldviews/wp/2018/04/27/the-panmmunjom-declaration-full-text-of-agreement-between-north-korea-and-south-korea/
[15] https://www.washingtonpost.com/world/north-korean-leader-suspends-nuclear-and-missile-tests-shuts-down-test-site/2018/04/20/71ff2eea-44e7-11e8-baaf-8b3c5a3da888_story.html
[16] https://koreapeacenow.org/wp-content/uploads/2021/02/Path-to-Peace-WEB.pdf
[17] https://www.theguardian.com/world/2019/feb/28/vietnam-summittrump-and-kim-play-down-hopes-of-quick-results-nuclear-talks
[18] https://www.jiia.or.jp/en/strategic_comment/2019/03/column-17.html
[19] https://english.hani.co.kr/arti/english_edition/e_national/1027059.html
[20] https://apnews.com/article/north-korea-south-korea-balloons-military-agreement-e98754a2d25b38cc501eefb46015cb98
[21] https://www.aa.com.tr/en/americas/us-south-korea-forces-hold-live-fire-drills-near-border-with-north-korea/3290569
[22] https://www.voanews.com/a/south-korea-boosts-propaganda-broadcasts-north-korea-flies-more-trash-balloons-/7706786.html
[23] https://english.hani.co.kr/arti/english_edition/e_national/1154035.html
[24] https://www.icanw.org/nuclear_tensions_rise_on_korean_peninsula
[25] https://www.msn.com/en-us/news/world/north-korea-snubs-donald-trump-for-saying-kim-jong-un-misses-him-we-don-t-care/ar-BB1qBnGb
[26] https://usoutofkorea.org/
[27] https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/25751654.2023.2191563#d1e114

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