Werner Rügemer über sein neues Buch „Verhängnisvolle Freundschaft: Wie die USA Europa eroberten“
In den vergangenen 100 Jahren bauten die USA ihre Macht über Europa immer weiter aus. Wie diese Entwicklung vonstattenging, davon handelt das neue Buch von Dr. Werner Rügemer. Im Interview gibt er einen Einblick in die US-Strategien und Akteure bei der Beherrschung Europas.
Werner Rügemer über sein neues Buch „Verhängnisvolle Freundschaft: Wie die USA Europa eroberten“
Von Felicitas Rabe
Der Publizist Dr. Werner Rügemer veröffentlichte im Juli sein neues Buch „Verhängnisvolle Freundschaft: Wie die USA Europa eroberten. 1. Stufe: Vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg.“ In der Buchbeschreibung schreibt Rügemer auf seiner Webseite:
„Das Buch zeigt die Gene der als Sklavenstaat gegründeten USA, die als ‚God’s own Country‘ im Zangengriff von Militär und Kapital, auch von NATO und Marshall-Plan, schrittweise auch (West)Europa eroberten und jetzt über die Ukraine ganz Eurasien anzielen.“
Schon vor dem 2. Weltkrieg seien die europäischen Diktatoren Mussolini, Franco und Hitler von US-Konzernen unterstützt worden, um den US-Einfluss auf Europa zu fördern. Dazu habe Hollywood für Goebbels produziert und die von der Wall Street geführte Bank for International Settlemets (BIS/Schweiz) Raubgold für Nazi-Deutschland gewaschen.
Ab 1945 praktizierten die USA die Doktrin des nuklearen Erstschlags – Atombomben auf die Zivilbevölkerung eines militärisch besiegten Feindes. Diese Doktrin sei laufend bekräftigt worden, zuletzt unter Präsident Obama: Der mögliche Schauplatz wäre Europa, wo die guten Freunde leben. Im Interview mit Felicitas Rabe beantwortet Werner Rügemer Fragen zu seinem neuen Buch und zur Entwicklung der US-Hegemonie in den letzten 100 Jahren.
Dr. Rügemer, welche Rolle spielten die USA vor dem 1. Weltkrieg? Wie sah die Machtverteilung aus?
Der US-Staat und Unternehmen hingen im 19. Jahrhundert weitgehend von europäischen Banken in London, Paris, Amsterdam und Frankfurt ab, auch hinsichtlich ihrer Kriegsfinanzierung. So wurden die beiden Kriegsparteien des Bürgerkriegs von europäischen Banken finanziert: Die Banken Seligman, Lazard und Rothschild finanzierten die Nordstaaten, während Erlanger, Henry Schröder und wieder Rothschild die Südstaaten mit Finanzen ausstatteten.
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts waren führende europäische Banken und Konzerne dann auch mit Filialen in den USA präsent, wie zum Beispiel aus Deutschland etwa die Deutsche Bank und Siemens. Gleichzeitig eroberten die USA mit Kapital und Militär ihren lateinamerikanischen „Hinterhof“, drangen dann wie die europäischen Kolonialstaaten auch in Asien vor, auf Inseln wie Hawaii und in China. Um die Jahrhundertwende eroberten sie die spanischen Kolonien Kuba, Puerto Rico und die Philippinen, spalteten durch einen Putsch Panama als Separatstaat von Kolumbien ab und bauten hier den Panama-Kanal.
Wie nutzten die USA den 1. Weltkrieg zur Etablierung einer weltweiten Vormachtstellung?
Im 1. Weltkrieg errangen die USA noch keine weltweite Vormachtstellung. Aber sie manövrierten die wichtigsten europäischen Staaten in die Abhängigkeit, auch mithilfe der kurz vor dem Krieg gegründeten Zentralbank Federal Reserve. Sie kreditierten die Kriegsführung der Alliierten England, Frankreich und Italien, die dafür die Kriegsgüter in den USA kaufen mussten. US-Präsident Woodrow Wilson hielt zwar bis 1917 an seinem Wahlversprechen fest, dass die USA sich nie in den europäischen Krieg einmischen. Aber die Wall-Street-Banken handelten mit Kriegsbeginn 1914 nach dem Motto: „Der Krieg in Europa ist eine großartige Gelegenheit.“
Nach dem Krieg gaben sie auch Deutschland Kredite (Dawes-Plan, Young-Plan): Erstens damit Deutschland die Reparationen aus dem Versailler Vertrag an Frankreich, England, Italien zahlen konnte, die damit dann ihre Kredite an die USA zurückzahlten. Zweitens damit US-Konzerne Filialen in Deutschland gründen und Anteile an deutschen Unternehmen kaufen konnten. Deutschlands extreme Verschuldung nutzten die USA nach dem 2. Weltkrieg auch als Erpressungsmittel gegen die Bundesrepublik Deutschland.
Wie und warum unterstützten die USA nach dem 1. Weltkrieg Diktatoren in Europa?
Das US-Militär war schon nach dem Krieg nicht nur zusammen mit den Alliierten, sondern auch mit den ehemaligen Kriegsgegnern wie Deutschland 1919 in Russland einmarschiert, um die Oktoberrevolution und den ersten sozialistischen Staat zu vernichten. Das blieb erstmal erfolglos. Aber gegen die „kommunistische Gefahr“, die nach dem Krieg in allen wichtigen europäischen Staaten „drohte“ – und auch in den USA war die Arbeiterbewegung erstarkt –, unterstützten die USA alle Kräfte, die die sozialistischen und kommunistischen Parteien und die Gewerkschaften vernichten wollten oder schon vernichtet hatten:
Mussolini wurde sofort mit Krediten überhäuft und in den USA zum Medienstar. Franco wurde mit Militärfahrzeugen, Benzin und Öl beliefert und sofort diplomatisch anerkannt und auch während des 2. Weltkriegs wirtschaftlich gefördert, ebenso Salazar in Portugal und Metaxas in Griechenland. Ähnlich gingen die USA auch in Lateinamerika vor. Außerdem finanzierten die USA in China den faschistischen Diktator Tschiang Kai-schek und schickten Militärberater – zusammen mit Hitler-Deutschland.
Warum finanzierten und unterstützten die USA das NS-Regime in Deutschland?
Es begann mit Henry Ford, der schon ab 1922 Beziehungen zu Hitler aufbaute. Hitler und Ford bewunderten sich gegenseitig. Ford war nicht nur in den USA der führende und frei agierende Antisemit, sondern wurde das auch im kapitalistischen Europa. Sein Pamphlet „Der internationale Jude“ – Auflage in den USA 500.000 – wurde sofort in allen wichtigen europäischen Sprachen herausgebracht. 1922 erschien die deutsche Ausgabe. Noch in der Weimarer Republik gab es die 26. Auflage, unter Hitler erschien schließlich die 33. Auflage.
Ford hatte aber für Hitler weitere Vorzüge: Er war der erfolgreichste neue Unternehmer der USA. Er unterdrückte die Gewerkschaften, sorgte aber auch paternalistisch für ihren Lebensalltag. Das war eine wichtige Vorprägung des Hitler-Faschismus. Hitler wurde in den frühen 1920er Jahren auch von Großkapitalisten beispielsweise aus den Niederlanden und der Schweiz finanziert. Er wurde sowohl vom europäischen Adel als auch von den britischen Royals verehrt. US-Konzerne wie IBM, ITT, Ford, General Motors, Raytheon trugen als damalige Technologieführer dazu bei, dass die von praktisch null an aufgebaute NS-Wehrmacht das damals modernste Militär wurde, blitzkriegsfähig.
Schließlich sorgte das Olympische Komittee der USA dafür, dass die Olympischen Spiele 1936 in Berlin stattfinden konnten. Sie setzten sich somit gegen die internationale Boykottbewegung durch, die von der damals breiten jüdischen Sportbewegung, der Sowjetunion und der spanischen Republik getragen wurde. 1937 wurde auf Druck von US-Konzernen der bisherige, NS-kritische US-Botschafter in Berlin durch einen Hitler-Fan ausgetauscht.
Auch im Krieg war die Produktion von US-Konzernen für die Wehrmacht höchst lukrativ. Coca Cola produzierte in Deutschland weiter. Der Einsatz von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen war selbstverständlich. Die von der Wall Street in der Schweiz geleitete Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ, Basel) wusch NS-Raubgold und NS-Raubaktien, damit Deutschland mit US-Dollars, Schweizer Franken, schwedischen Kronen, spanischen Peseten und portugiesischen Escudos kriegswichtige Waren und Rohstoffe kaufen konnte.
Wie schafften es die USA nach dem 2. Weltkrieg, ihre Macht über Europa zu konsolidieren und bis heute aufrecht zu erhalten?
Die USA setzten vor allem vier Werkzeuge ein: 1. den Marshall-Plan; 2. die NATO; 3. Geheimdienste; 4. Softpower. Der Marshall-Plan hatte vor allem den Zweck, den nach dem Krieg eingebrochenen US-Wirtschaftsboom wieder anzukurbeln und zivile wie militärische US-Produkte in Europa zu verkaufen. Im Zangengriff mit der NATO sicherten die USA ihre Präsenz in Europa ab. Die US-Geheimdienste förderten und finanzierten Wissenschaftler, Künstler, Schriftsteller, Journalisten, verdeckt über Konzernstiftungen wie Ford und Rockefeller: Die Geförderten durften kritisch und auch irgendwie sozialistisch sein, sie mussten aber antisowjetisch sein.
Besondere Aufmerksamkeit der US-Geheimdienste galt den politischen Parteien: Die neugegründeten „christlichen“ Parteien wurden gefördert, die linken Parteien wurden bekämpft, gespalten oder instrumentalisiert. Über den US-Dachverband der Gewerkschaften AFL/CIO wurden die Gewerkschaften unterwandert, umgepolt, personell umbesetzt. Nach 1990 wurde das in den ex-sozialistischen Staaten Osteuropas fortgesetzt.
Schon ab 1992 wurde etwa die United States Agency for International Development (USAID) in der Ukraine aktiv, vergab Stipendien, finanzierte Jugendorganisationen und US-freundliche Medien, organisierte Wahlen. Schon Ende der 1990er Jahre machten US-Militärs gemeinsame Manöver mit dem Militär der Ukraine. US-Großkonzerne wie Philip Morris (Zigaretten), John Deere (Landwirtschaftsmaschinen), Cargill (Getreidehandel) und Monsanto (Saatgut) beherrschen ebenfalls seit den 1990er Jahren in der Ukraine die jeweiligen Märkte.
Warum konnten sich die europäischen Nationen bis heute nicht von der Herrschaft der USA befreien?
Die US-amerikanische Durchdringung Europas – auch mithilfe der EU – war und ist ein schrittweiser Prozess, der sich über ein Jahrhundert hinzieht. Die professionelle US-Illusions-, Unterhaltungs- und Fake-Industrie spielt auch eine Rolle: Von Hollywood über Disney und „Social Media“ für die Massen, mit New York Times usw. für das „gebildete“ Publikum.
Unternehmensberater, Kanzleien, Rating- und PR-Agenturen aus den USA beraten Regierungen, Unternehmen und auch die Europäische Kommission. US-Stiftungen vergeben Stipendien an ausgesuchte Politiker, Journalisten, Wissenschaftler, Manager. Und mit der Finanzkrise von 2008 haben die neuen, ganz großen Kapitalorganisatoren wie BlackRock und Vanguard sich als führende Aktionärsgruppen in die wichtigsten Banken und Unternehmen Europas eingekauft.
Sie haben auch das Rüstungs- und Energiegeschäft – einschließlich Frackinggas – in der Hand. Die Versuche der EU, die US-Digitalkonzerne zu regulieren, etwa hinsichtlich Monopolbildung und Steuerflucht, blieben ohne Erfolg. Mit den Sanktionen gegen Russland hat die Abhängigkeit der EU eine neue Dimension erreicht, die hoffentlich durch neue internationale Kooperationen in das Gegenteil umschlägt.
Dr. Werner Rügemer ist interventionistischer Philosoph und Publizist aus Köln. Sein vorheriges Buch „Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Gemeinverständlicher Abriss zum Aufstieg der neuen Finanzakteure“ erschien auch in russischer Ausgabe, Verlag Nashe Zavtra, Moskau 2022. Darin wird u.a. der Einfluss US-amerikanischer Investoren und Berater unter Präsident Boris Jelzin dargestellt und wie sie unter Wladimir Putin in die Schranken gewiesen wurden. 2023 erschien das Buch auch in chinesischer Ausgabe, Verlag Dongfang/Oriental Press, Peking 2023. Die chinesische Rezension dazu schrieb der Präsident der World Association for Political Economy, Prof. Cheng Enfu.
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