
Dank an Moshe Zuckermann für die Genehmigung seinen heute auf Overton-Magazin veröffentlichten Artikel, auf der Hochblauen Seite zu übernehmen. Evelyn Hecht-Galinski
https://overton-magazin.de/kolumnen/zwischen-zwei-welten/arturo-ui-in-israel/
Arturo Ui in Israel
Mafiose Praktiken sind der israelischen Politik nicht fremd. Heutzutage sind sie aber nicht mehr nur kurios, sondern Symptom einer gesteigerten verbrecherischen Mentalität.
Bertolt Brechts 1941 geschriebenes Stück “Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui” befaßt sich mit Adolf Hitlers Machteroberung und den Strukturen seines Machtausbaus. Zu diesem Zweck schuf Brecht eine sich in der Gangsterwelt abspielende Parabel, die die Karriereabläufe des Gangsters Arturo Ui, in dessen Gestalt Hitler (wie auch Al Capone) zu erkennen ist, anschaulich aufzeigt. Bei all den dramatischen Stärken und politischen Vorzügen des Stücks weist es einen Makel auf: Hitler war kein Gangster. Wäre er einer (bzw. nur das) gewesen, wäre wohl so manches in der Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts anders verlaufen. Dass sich aber hohe Politik und Gangstertum miteinander verbinden mögen, weiß man von der Rolle, die die Mafia in den USA der Zwischenkriegszeit und in Italiens Politik weit darüber hinaus gespielt hat; auch die Rolle der russischen Mafia nach dem Zerfall der Sowjetunion harrt noch tieferer Untersuchung.
In Israel hat die organisierte Kriminalität keine besonders auffällige Rolle gespielt. Bis vor etwa 30 Jahren hieß es, es gebe sie gar nicht als eine verbreitete Erscheinung. Jedenfalls nicht im Sinne eines bestehenden Mafia-Gangstertums, das Einfluss auf Machtstrukturen der hohen Politik ausübt. Das besagt freilich nicht, dass Mafiamethoden der politischen Praxis Israel ganz fremd wären. Bekannt geworden ist 1993 die sogenannte Affäre des “Heißen Videos”. Benjamin Netanjahu befand sich damals im Wahlkampf um die Likud-Führung. In einer dramatischen Eröffnung während der TV-Abendnachrichten am 14.1.1993 behauptete er, dass “ein gewisser, von einer Verbrecherbande umgebener Mensch” in der Likud-Partei ihn unter Drohung zu erpressen versuche: Wenn er seine Kandidatur nicht zurücknehmen werde, werden diese ein Video veröffentlichen, in der er bei einem Geschlechtsakt zu sehen ist mit einer Frau, die nicht seine Ehefrau sei. Netanjahu bekannte sich zu einem “kurzen Verhältnis” mit einer Frau, das er unterhalten habe, betonte aber zugleich, dass dies nur ihn und seine Frau (die er öffentlich um Verzeihung bat) angehe. Den Namen der Person nannte er zwar nicht, aber der Öffentlichkeit war klar, dass er seinen Rivalen im Wahlkampf, David Levy, meinte. Dieser leugnete entschieden jegliche Verbindung zum Erpressungsakt. Er insistierte auf eine Entschuldigung, die Netanjahu aber erst zwei Jahre später leistete. Netanjahus Kritiker deuteten sein Verhalten am besagten dramatischen TV-Abend als Ausdruck seiner Unfähigkeit, Stresssituationen standzuhalten.
Eine Steigerung dieses innerparteilichen Verhaltens im Likud erregt gegenwärtig die israelische Medienwelt. Netanjahu hat sich seit Jahren mit einem Kreis von Ministern und Medienmenschen umgeben, die sich darin auszeichnen, dass sie, um die Gunst des Partei- und Regierungschefs zu erheischen, ihm gegenüber unbedingte Loyalität, mithin einen entsprechenden Kadavergehorsam bezeugen. Wie es jenen ergeht, die dieser auferlegten Pflicht nicht nachkommen, kann man an den Amtsenthebungen solch (in Kriegszeiten) zentraler Figuren wie des Verteidigungsministers Yoav Galant, des Generalstabschefs Herzi Halewi, des Geheimdienstchefs Ronen Bar und selbst des Militärsprechers Daniel Hagari sehen. Sie alle zeichneten sich darin aus, dass sie das Staatsinteresse dem Privatinteresse Netanjahus voranstellten.
Einer der auffälligen Netanjahu ergebenen Medienmenschen ist Yaakov Bardugo, einflussreicher Moderator und politischer Kommentator (der freilich eher als hinterhältiger Propagandist denn als ernstzunehmender Journalist fungiert, was ihn aber gerade deshalb Netanjahu so liebsam macht und ihn zu dessen engen Berater werden lässt). Dennoch trat letzte Woche Israels Justizminister Yariv Levin mit der Behauptung hervor, Bardugo habe ihn unter Drohungen erpresst: “Da kommt ein Mensch zu mir und stellt persönliche Forderungen, die kein integrer Mensch akzeptieren kann, und sagt mir: ‘Hör mal, wenn du diesen Forderungen nicht erfüllst…’, ich will nicht den Ausdruck verwenden, den er benutzt hat für das, was er mir dann antun möchte’.”
Levin nannte zwar Bardugos Namen nicht, aber allen war sogleich klar, um wen es sich handelt. Israels Kultur- und Sportminister Miki Zohar unterstützte die Aussage des Justizministers: “Wie andere Minister bin auch ich dem Phänomen der Drohungen seitens des interessengeleiteten Yaakov Bardugo begegnet, der die Likud-Repräsentanten in abscheulicher Weise in Angst versetzt.” Er fügte hinzu: “Nichts wird uns stoppen beim Einsatz für unsere ideologischen Wähler, und kein Interessenvertreter wird uns daran hindern, die Wahrheit zu sagen.” Auch Medienminister Shlomo Karhi meldete sich in diesem Zusammenhang zu Wort: “Yaakov Bardugo repräsentiert nicht die (politische) Rechte – er repräsentiert nur sich selbst. [Er ist] ein brutaler Lobbyist, der versucht, den Staat gemäß seinen persönlichen Interessen zu leiten. Die Drohungen, der ausgeübte Druck und die Lügen sind allseits bekannt. Wir schrecken nicht zurück, wir sind nicht gewählt worden, um Kommentatoren mit einem Mikrofon, sondern um das Volk Israel zu bedienen und die Deformationen in der Justiz und den Medien zu reparieren.” Dem fügte er hinzu: “Wir werden nicht wegen eines Bardugos anhalten. Heute verleumdet und beschmutzt er jene, die den Regierungschef lieben, und morgen wird er es dem Regierungschef selbst antun. Ohne mit der Wimper zu zucken. Dasselbe Muster, dasselbe Gift, dieselben Interessen.”
Allzuleicht könnte man der Verführung verfallen, sich in Schadenfreude zu ergehen: Ein brutaler Faschist bedient sich mafioser Gangstermethoden, um ausgemachte Faschisten der israelischen Regierungskoalition in Druck zu versetzen. Weder mit Levin, noch mit Zohar oder Karhi braucht man Mitgefühl zu haben. Sie stehen alle drei an der vordersten Front der unter Netanjahu zur Macht gelangten Politiker, die (ihm hörig) seine Politik der Demontierung der Gewaltenteilung Israels mit besonderer Verve und ideologischer Emphase ausführen. Levin darf als zentrale Figur im 2023 versuchten Staatsstreich gelten, ein Vorhaben, von dem er bis zum heutigen Tag nicht abgelassen hat. Karhi investiert seine ministerielle Energie vor allem in die Bestrebung, die israelischen Medien Likud- bzw. Netanjahu-gerecht gleichzuschalten. Und Zohar vollzieht Entsprechendes im Bereich der Kultur bzw. gegen die kritischen Ansätze in ihr.
Verwunderlich ist gleichwohl, dass gerade die emphatischsten Netanjahu-Groupies diesen Streit unter sich austragen. Ganz unbekannt ist diese Erscheinung freilich nicht: Servile Funktionsträger mit entsprechender Untertanen-Mentalität kämpfen um die väterliche Gunst des angehimmelten Herrschers; nicht von ungefähr redet Karhi von “jenen, die den Regierungschef lieben”. Nicht ausgeschlossen, dass da auch ein Moment von Divide-et-impera seitens Netanjahu mit hereinspielt.
Nun hätte man erwarten dürfen, dass wenn es sich, wie von den drei Ministern glaubhaft bezeugt, um Erpressung von Personen in öffentlichen Ämtern handelt, die Polizei einschreitet. In der Tat hat sich die Polizei dazu bereit erklärt, aber es ist nicht dazu gekommen, denn die Betroffenen haben sich geweigert, Anzeige gegen Bardugo zu erstatten. Es ist davon auszugehen, dass der “geliebte” Premier seine ministerialen Fans angewiesen hat, die Sache zu begraben, um eine Likud-Nestbeschmutzung zu verhindern.
Indes, für sich genommen bilden diese Vorkommnisse lediglich eine weitere Farce in der langen Reihe von Abstrusitäten, die Israels heutige Regierung kennzeichnet. Besorgniserregend (um es gelinde auszudrücken) ist die Tiefendimension dieser Farce. Haaretz-Journalist Ido Baum hat sie auf den Punkt gebracht: “Drei Minister in der Regierung, die wissen und bezeugen, dass auf sie korrupter Druck ausgeübt worden ist, hätten schon längst zur Polizei gehen und alles erzählen müssen. Dass sie es nicht tun, lässt nur eine Schlussfolgerung zu, die nicht gerade tröstet: die Bardugo-Affäre ist nur Symptom.” Denn wesentlich ist vor allem, dass diese Farce deutlich macht, was in einem Staat geschieht, dessen Institutionen bewusst demontiert und teils ganz außer Kraft gesetzt worden sind.
Der Staat fällt auseinander – Korruption, Erpressung, Betrug, Drohungen feiern Urständ. In Israel ist dieser Zustand mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geronnen: Die richterliche Gewalt wird von parlamentarischen Amtsträgern, die wegen Vergehen polizeilich vorgeladen werden, schlicht ignoriert. Sie berufen sich dabei auf parlamentarische Immunität oder geben einfach prahlend zu verstehen, dass sie diese Gewalt nicht anerkennen. Wenn dies kein anderer als der Justizminister praktiziert, dann stellt sich die Frage, was von Israels Rechtsstaat noch übriggeblieben ist, und zwar nicht mehr als eine nur theoretische Frage.
Die zynische Unverfrorenheit, die diese Haltung durchwirkt, ist seit Jahren von Netanjahu personifiziert: Er hat die Interessen des Staates bzw. der israelischen Öffentlichkeit längst seinen privaten Interessen unterworfen. Das geht schon bei weitem über die perfide Art und Weise hinaus, mit der er seinen Prozess in die Länge zieht. Aktuell erweist sich das am unfassbaren Verrat, den er an den israelischen Geiseln in Hamas-Gefangenschaft begeht, die schon längst hätten befreit werden können, wenn er nur bereit gewesen wäre, den zwecklos gewordenen Krieg zu beenden, ein Krieg, der nur noch horrende Kriegsverbrechen, Verwüstung und Verbrechen generiert. Den will er aber nicht beenden, weil das seinen Machtverlust bedeuten dürfte.
Dass die von ihm geführte Regierung als die zugleich inkompetenteste, korrupteste und schädlichste der gesamten israelischen Parlamentsgeschichte zu gelten hat, schert in nicht. Ihre Dysfunktionalitäten gelten ihm nicht als solche, solange sie den Bestand der Regierungskoalition nicht gefährden, denn der persönliche Nutzen ist ihm das einzige gültige Kriterium. Moral spielt keine Rolle. Mitgefühl für die entführten Geiseln auch nicht. Rücksichtnahme auf andere kommt für ihn nur infrage, wenn sie seinem persönlichen Interessengeflecht nicht entgegensteht.
Netanjahu bildet, so besehen, das perfekte Verhaltensmodell sowohl für seinen persönlichen Berater Bardugo als auch für seine getreuen (von Bardugo gleichwohl bedrohten) Minister. Miki Zohar hat einmal in einem Interview bekannt, dass es ihm in seiner Karriere in erster Linie auf Macht, Ehre und Geld ankomme. Man darf ihm zumindest diese Ehrlichkeit zugutehalten, zugleich aber auch feststellen, dass dieser Spruch von jedem Gangster hätte geäußert werden können. Im Wikipedia-Eintrag zum Film ”Der Pate” heißt es, viele Mafiosi hätten erzählt, dass der die Mafia stark idealisierende Film “ihr Lebensgefühl genau getroffen hätte”. Vor allem Don Vito Corleone erscheine “weniger als Schwerverbrecher denn als Ehrenmann”.
Wenn Geld und Macht in einem unabweisbaren Konnex stehen und Ehre auf ihnen basiert, dann ist Moral irrelevant, Verbrechen mithin insofern relativiert, als seine Bewertung einem außerhalb der Moral stehenden Code gehorcht. Hitler war kein Gangster; da irrte Brecht. Aber Netanjahu und seiner Combo an Ministern und Beratern kann zumindest nachgesagt werden, dass sie sich oft, allzu oft mafioser Methoden bedienen. Dass sie sich noch im Verrat aneinander für “honorable men” halten, unterstreicht nur ihre Gangster-Moral.
Was aber, wenn dabei ein Land zugrunde geht? Ist das nicht eine ganz andere Größenordnung? Aber das ist es ja: Diese Verbrecher verstehen nicht einmal, was man ihnen vorhält. Verratene Geiseln? Völkermord? Kriegsverbrechen? Korrupte Politik? Kollabierende Wirtschaft? – Wer, fragen sie, will das beurteilen? Vor allem mit welchen moralischen Kategorien und Werten beurteilen? Man versuche, einem dem Gangster-Code verpflichteten Verbrecher zu vermitteln, dass er verbrecherisch handle. Die Aussicht, dass dies gelingen könnte, ist etwa so groß wie die, dass Yaakov Bardugo zugeben würde, dass er wie ein Gangster handelt, oder Justizminister Yariv Levin gestehen könnte, dass er Verrat am Rechtsstaat begeht, vor allem aber, dass der “geliebte” Boss von ihnen beiden einsehen könnte, dass er ein Verbrecher von der Größenordnung ist, die ihm der Internationalen Gerichtshof zuschreibt.
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