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„Westliche Werte“
Der Haftbefehl des IStGH zeigt die Doppelmoral des Westens und der deutschen Parteien
Thomas Röper
Die Vorverfahrenskammer des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) hat letzte Woche einstimmig Haftbefehle gegen den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu und den kürzlich von Netanjahu gefeuerten israelischen Verteidigungsminister Galant wegen mutmaßlicher in Palästina begangener Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen. Auch gegen zwei führende Vertreter der Hamas wurden Haftbefehle ausgesprochen, die aber keine Bedeutung haben, weil sie bereits von der israelischen Armee getötet wurden.
Einerseits ist es bemerkenswert, dass der IStGH, der im Grunde unter der Kontrolle des Westens steht, sich zu dieser Entscheidung durchgerungen hat. Aber die Beweise gegen die israelische Regierung sind zu vielfältig und das Unverständnis außerhalb des Westens, wenn der IStGH nicht auf den israelischen Völkermord (so bezeichnen die zuständigen Stellen der UNO das Vorgehen Israels und fordern deshalb sogar die Aussetzung von Israels Mitgliedschaft in der UNO) reagiert hätte, haben dem IStGH wohl keine andere Wahl gelassen, als die Haftbefehle schließlich auszustellen. Ansonsten hätte der IStGH wahrscheinlich geschlossen werden müssen, weil zu viele Staaten des globalen Südens ihn wohl verlassen hätten, wenn er unter irgendwelchen Vorwänden von einem Haftbefehl gegen Netanjahu abgesehen hätte.
Wie schwer diese Entscheidung für den IStGH war, zeigt die Tatsache, dass man dort trotz der eindeutigen Beweise über ein halbes Jahr brauchte, um sich zur Ausstellung der Haftbefehle gegen Netanjahu und andere durchzuringen.
Das steht im tiefen Kontrast zu dem Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Putin, den der IStGH nach nur einem Monat verkündet hat, obwohl die Vorwürfe gegen Putin und andere Vertreter Russlands fabriziert waren: Die „Beweise“ dafür, dass Russland angeblich Kinder aus der Ukraine verschleppt haben soll, wurden von der US-Regierung sehr primitiv konstruiert und waren nicht einmal ansatzweise belegt, aber der von der US-Regierung finanzierte Bericht diente als Grundlage für den Haftbefehl gegen Putin.
Das zeigt, dass der IStGH ein politisches Instrument des Westens ist, der Russland bekämpft, aber Israel unterstützt. Die Angst davor, dass der IStGH jede internationale Autorität verliert, wenn er keine Haftbefehle gegen Netanjahu und Galant ausstellt, dürfte der Grund dafür sein, dass der IStGH keine andere Wahl hatte, als die Haftbefehle auszusprechen.
Die Reaktionen im Westen
Vor diesem Hintergrund sind die Reaktionen des Westens auf die Haftbefehle interessant. Den Haftbefehl gegen Putin hat der Westen bejubelt und von allen Ländern der Welt gefordert, sie müssten Putin umgehend festnehmen, wenn zu ihnen auf Staatsbesuch kommt. Wie groß war die Aufregung im Westen beispielsweise, als Putin die Mongolei besucht hat, die Mitglied des IStGH ist und Putin daher eigentlich hätte verhaften müssen, die Putin aber stattdessen mit allen Ehren empfangen und den Haftbefehl ignoriert hat.
Nun steht der Westen vor dem Dilemma, dass die Länder des Westens Netanjahu verhaften müssten, wenn er sie besucht. Die ersten Reaktionen westlicher Länder zeigten die ganze Doppelmoral des Westens, denn der österreichische Außenminister erklärte, der IStGH habe sich mit der Ausstellung der Haftbefehle selbst diskreditiert, US-Präsident Biden bezeichnete die Haftbefehle als empörend, der tschechische Außenminister verurteilte die Haftbefehle und Frankreich und Deutschland erklärten in ersten Stellungnahmen nur, sie hätten die Haftbefehle zur Kenntnis genommen.
Davon, dass man die Entscheidungen des IStGH bedingungslos umsetzen müsse, ist im Westen hingegen nicht die Rede, wenn es um Netanjahu geht.
Mögliche Konsequenzen für westliche Politiker
Der Spiegel berichtete übrigens:
„Kenneth Roth, früherer Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, schrieb bei X über mögliche Konsequenzen: »Jede Regierung, die Israel weiterhin aufrüstet, während diese Verbrechen andauern, muss damit rechnen, wegen Beihilfe und Anstiftung angeklagt zu werden.«“
„Jede Regierung“ klingt sehr abstrakt, denn der IStGH klagt keine Regierungen an, sondern konkrete Politiker. Wenn der IStGH tatsächlich eine unabhängige Institution wäre, müssten nun weitere Haftbefehle beantragt werden, wenn beispielsweise Deutschland die nächste Ladung Waffen nach Israel liefert. Die Klage und der darauf folgende Haftbefehl müsste dann gegen Kanzler Scholz ausgesprochen werden, vielleicht aber auch gegen weitere deutsche Minister, die diese Waffenlieferungen an Israel absegnen müssen.
Das wird natürlich nicht passieren, denn mit den Haftbefehlen gegen Netanjahu und Galant hat der IStGH dem Druck aus dem globalen Süden entsprochen, dass von dort nun weitere Konsequenzen gegen Politiker anderer Staaten gefordert werden, ist kaum zu erwarten. Vielmehr wird man dort nun Druck machen, Netanjahu zu verhaften. Der wird sich nun sehr genau überlegen müssen, welche Länder seine Regierungsmaschine künftig noch überfliegen will.
In den USA wird die Bestrafung von IStGH-Richtern gefordert
Für die USA gilt das übrigens nicht, denn sie sind nicht Mitglied des IStGH und daher fallen ihre Politiker nur in Ausnahmefällen überhaupt in den Zuständigkeitsbereich des IStGH. Das hat die USA nicht daran gehindert, den Haftbefehl gegen Putin zu bejubeln, aber wenn es um Netanjahu geht, hört man aus Washington Proteste.
Der republikanische Senator und Falke Lindsey Graham forderte den Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, dazu nach der Entscheidung des IStGH auf, einen vom Repräsentantenhaus verabschiedeten Gesetzentwurf zur Sanktionierung des IStGH voranzutreiben. Die Trump-Regierung könnte die Richter der Vorverfahrenskammer sanktionieren, etwa durch das Einfrieren von Konten oder Einreisesperren. Während Trumps erster Amtszeit hatte seine Regierung so bereits den IStGH-Anklägern gedroht, als es um mögliche Kriegsverbrechen von US-Soldaten in Afghanistan gegangen war.
Die Reaktionen der deutschen Parteien
Wenn die Doppelmoral der deutschen Politik nicht so traurig wäre und es nicht um inzwischen fast 45.000 von Israel ermordete Palästinenser ginge, müsste man über die Reaktionen der deutschen Blockparteien CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne lachen. Der Spiegel hat die absurden Reaktionen deutscher Politiker in einem der Artikel zusammengefasst.
Außenministerin Annalena Baerbock hatte auf die Frage, ob Deutschland Netanjahu tatsächlich verhaften und ausliefern würde, wenn er nach Deutschland kommt, keine klare Antwort. Stattdessen sonderte sie in der ARD Worthülsen über die Unabhängigkeit der Justiz ab und betonte, dass sich Deutschland an Recht und Gesetz halte. Auf die Frage, was das konkret heiße, sagte Baerbock das sei „theoretisch“, denn das stünde derzeit nicht an. Und sie fügte hinzu:
„Wir prüfen, was das für die Umsetzung in Deutschland bedeutet.“
Was gibt es da zu prüfen? Es war doch Baerbock selbst, die, wenn es um Putin ging, gar nicht oft und laut genug verkünden konnte, dass die Umsetzung von Entscheidungen des IStGH für die Mitgliedsstaaten bindend ist. Und Deutschland ist nun einmal Mitglied des IStGH.
Regierungssprecher Steffen Hebestreit teilte nur wortkarg mit, die Bundesregierung nehme den Haftbefehl zur Kenntnis. Sie Frage von Verhaftungen stelle sich erst, wenn Netanyahu nach Deutschland käme. Auf die Frage, ob Netanyahu in Deutschland willkommen sei, antwortet Hebestreit nicht. Stattdessen meinte er, dass in Sachen Haftbefehl rechtliche Fragen zu klären seien. Welche genau das sein sollen, sagte er nicht, er meinte nur, die Regierung prüfe das „gewissenhaft“.
Der Spiegel fasst das Rumeiern der Bundesregierung korrekterweise so zusammen:
„Das wortreiche Lavieren zeigt: Das Gericht in Den Haag bringt die Bundesregierung in eine missliche Lage.“
Die CDU ist derzeit nicht an der Regierung und kann deutlicher werden, weil sie als Oppositionspartei nicht befürchten muss, mit ihren Erklärungen im globalen Süden allzu große Empörung auszulösen. Wie sich die CDU tatsächlich positioniert, werden wir sehen, wenn sie die nächste Bundesregierung stellt.
Jetzt jedenfalls bleibt die CDU bei ihrer Vasallentreue gegenüber der israelischen Regierung, auch wenn die gerade dabei ist, ein ganzes Volk auszulöschen. CDU-Politiker erklärten, es sei unvorstellbar, dass Netanjahu in Deutschland verhaftet werde.
Das kleine Eingeständnis von der CDU
Der Spiegel zitiert dazu den außenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Jürgen Hardt und schreibt:
„Der CDU-Politiker macht die scheidende Bundesregierung mitverantwortlich für den aus seiner Sicht problematischen Haftbefehl. Sie habe es versäumt, einen Richterposten am IStGH zu besetzen. (…) Hardt wirft Baerbock vor, auf die falsche Kandidatin gesetzt zu haben – »aus ideologischen Gründen«, wie er sagt. Das sei »ein schwerer Fehler von Außenministerin Baerbock« gewesen, der Deutschland, Israel und letztlich das Richterkollegium des IStGH geschwächt habe.“
Dazu kann man nur sagen: Danke, Herr Hardt, dass Sie so offen gesagt haben, dass es beim IStGH eben nicht um Recht und Gesetz, sondern um Politik geht, also darum, wer die Richter des IStGH kontrolliert.
Man sollte den IStGH schließen, denn er bleibt trotz des Haftbefehls gegen Netanjahu nur ein Instrument des Westens zur Durchsetzung der US-Politik.
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Sehr aufschlussreich. – Wo bleiben denn aus der Ukraine die von Russland seit langem geforderten Listen der angeblich dorthin entführten Kinder? Es ist seither auch beredt still um das Thema geworden.