Deutsche Israelsolidarität Von Moshe Zuckermann

Dank an Moshe Zuckermann, für die Genehmigung seinen heutigen 9. November Kommentar, auf Overton-Magazin veröffentlichtne , auf der Hochblauen zu übernehmen. Evelyn Hecht-Galinski

https://overton-magazin.de/top-story/deutsche-israelsolidaritaet-2/

Deutsche Israelsolidarität

 

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bei Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu im April 2024. Bild: Ma’ayan Toaf, GPO

Was hat es mit der deutschen Staatsräson auf sich, die sich mit einem Israel solidarisch erklärt, das kaum noch mit sich selbst solidarisch ist?

 

Seit Angela Merkels Rede in der Knesset im Jahr 2008 bildet das Postulat von Israels Sicherheit als Teil der deutschen Staatsräson die staatsoffizielle Grundlage der Beziehung Deutschlands zum zionistischen Staat. Die damit nachdrücklich betonte Solidarität mit Israel hatte zwar schon lange vorher bestanden, aber seit jenem Auftritt im israelischen Parlament ist die in ihm getroffene Kernaussage zu einem der zentralen Topoi des allgemeinen deutschen Politdiskurses avanciert. Seine konrovers gespeiste Lebendigkeit erklärt sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen der geforderten deutsche Verantwortung für Juden/Israel nach dem von Deutschen an Juden verbrochenen Völkermord und der Tatsache, dass Israels repressives Okkupationsregime in den besetzten palästinensischen Territorien Israel und den Zionismus international in Verruf gebracht hat.

Zwar lässt sich die grundsätzliche Frage stellen, welche Verantwortung heutige deutsche Jugendliche für die Taten ihrer Landsleute vor zwei oder gar drei Generationen zu tragen haben. Aber die Antwort darauf ist insofern belanglos, als sie eher etwas mit einer amorphen kollektiv-nationalen Moral zu tun hat, die den Einzelnen nur indirekt betrifft, und auch bei Einzelnen handelt es sich zumeist um eine Emotion, die keine unmittelbare praktische Handlung nach sich zieht.

Zu fragen gilt es andererseits, was, genau bedacht, das eine mit dem anderen zu tun habe. Denn insofern es eine deutsche Verantwortung gegenüber Juden gibt für das, was Deutsche historisch an Juden verbrochen haben, dürfte sie eigentlich unberührt bleiben von der Verurteilung des zionistischen Staates für das, was er an den Palästinensern verbricht. Denn – und das sei hier nochmals emphatisch hervorgehoben – Judentum, Zionismus und Israel gilt es auseinanderzuhalten, und zwar schon deshalb, weil es sehr viele Juden gibt, die sich vom Zionismus abgesetzt haben und für die verbrecherische politische Praxis Israels keine (wie immer gedachte) Verantwortung übernehmen wollen, sich mithin nicht durch den zionistischen Staat vertreten sehen.

Es lässt sich aber nun einmal auch nicht in Abrede stellen, dass die allermeisten Juden einen gewissen, und sei’s nur emotionalen, Bezug zu Israel haben, und zwar auch dann, wenn sie nicht in Israel leben und an seiner politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Realität aktiv partizipieren. Nicht zuletzt darauf wird sich bereits zu Adenauers Zeiten das staatsoffizielle Ideologem einer Verantwortung “Deutschlands” für “Israel” qua “die Juden” gestützt, mithin die Vertauschung der Kategorien durch wie Wahl des jungen zionistischen Staates zum Adressaten der bilateral vereinbarten Materialisierung der Sühne etabliert haben. So besehen, darf dieser Teil der deutschen Staatsräson auf die Zeiten der alten BRD zurückdatiert werden, wobei die Rolle, die die Springerpresse bei der Verbreitung dieses Ideologems spielte, gar nicht hoch genug gewertet werden kann.

“Wiedergutmachung” manifestierte sich von da an in dem, was heute als “Solidarität mit Israel” ideologisiert wird. Auschwitz fungierte als Basis der Entlastung von der nationalen Schuld der Deutschen durch die Solidarität mit dem Judenstaat, der Auschwitz als historischen Grund für seine eigene Entstehung teleologisierte, und den Holocaust somit zum politisch vielfach instrumentalisierbaren “Argument” verkommen ließ: Die Deutschen mussten “wiedergutmachen” wollen, Israel wollte die “Wiedergutmachung” annehmen müssen, kreierte sich mithin die zionistische Parole “Mi’shoah le’tkuma” (“Von der Shoah zur Auferstehung”) als ideologische Essenz der schieren historischen Genese Israels.

Nicht übersehen darf man dabei, dass die unhinterfragbare Solidarität Deutschlands mit Israel ein Abstraktum zum Gegenstand hat. Denn, so lässt sich fragen: Mit was für einem Israel solidarisiert sich Deutschland? Mit einem jeglichen Israel? Mit einem Israel, dessen politische, soziale und sonstige Realitäten beliebig austauschbar sind? Ja!, lautet die nie offiziell ausgesprochene Antwort Deutschlands auf diese unbequeme Frage: mit Israel per se, und zwar ungeachtet der Form und des Inhalts, die es sich für seine reale Existenz erkoren hat.

Deutschland hat sich da nicht einzumischen; es hat seine Solidarität bedingungslos zu bekunden und unter Beweis zu stellen. Warum? Weil das 20. Jahrhundert mit deutschem Verschulden erwiesen habe, dass die Verfolgung von Juden eine Dimension angenommen hat, die eine nationale Zufluchtsstätte, in der sich die Juden sicher fühlen können, zur historischen Notwendigkeit hat werden lassen. Was daran unmittelbar nach 1945 gestimmt haben mag (obgleich viele Juden damals schon das 1948 gegründete Israel nicht zu ihren neuen Heimat gewählt haben), ist mittlerweile zur Farce entstellt worden. Denn nirgends auf der Welt ist der Jude als Einzelmensch (und potentiell auch als Kollektiv) mehr gefährdet, als gerade in Israel. Das war eine bittere Wahrheit schon vor dem 7. Oktober, ist aber mit ihm und seinen Folgen um ein Vielfaches gesteigert und bestätigt worden. Die deutsche Staatsräson, die Israels Sicherheit als Teil ihres Selbstverständnisses postuliert, ist da zumindest gefordert, ihr Zufluchtsstätte-Ideologem zu überdenken; Israels politische Praxis, besonders in den letzten beiden Jahren, widerlegt unentwegt seine Trifftigkeit. Während der gerade aufgelösten Regierungskoalition ist diese Widerlegung gar zur proklamierten Zukunftsperspektive geronnen. Die Frage, ob Israel, wie es biblisch heißt, sich in alle Ewigkeit auf dem Schwert stützen werde (d.h., Kriege wollen bzw. ihnen ausgesetzt sein werde), beantwortet Benjamin Netanjahu unlängst mit einem lakonischen Ja.

Und darum geht es letztlich. Israel will keinen Frieden, wollte den Frieden nie, insofern es für seine Erlangung einen “Preis” zu zahlen hatte. Und so kommt es, dass ein expansiver Grundzug im Zionismus gekoppelt mit einem ideologisch gespeisten und verfestigten Militarismus das Selbstverständnis der israelischen Gesellschaft in einer Art (ver)formt, dass sich Israel zu dem entwickelte, was es in den Augen vieler in der Welt zum Pariastaat hat deteriorieren lassen:

Israel unterhält seit über einem halben Jahrhundert ein barbarisches Okkupationsregime, mit dem es die Palästinenser knechtet und sich selbst als Apartheidstaat profiliert; es begeht unentwegt menschen- und völkerrechtswidrige Verbrechen, wähnt sich aber stets selbst als Opfer, wobei es jegliches kritische (von außen kommende) Rütteln an dieser realitätsfernen Selbstwahrnehmung als “Antisemitismus” abschmettert; es stellt sich als “einzige Demokratie im Nahen Osten” dar, wo es selbst die zügige Demontage der letzten Reste der formalen Demokratie betreibt, der er sich (vermeintlich) historisch verschrieben hat, unterwandert dabei die Gewaltenteilung und steuert bewusst auf eine Diktatur zu; es sieht sich in seiner Existenz bedroht, ist aber völlig blind für seinen eigenen Anteil an der Bedrohung – nicht zuletzt das hat zum Desaster des 7. Oktober geführt, das Israel nun bestrebt ist, durch einen exzessiv rachesüchtigen Vernichtungskrieg zu kompensieren, in dessen Verlauf bereits über 40 000 Palästinenser, unter ihnen zahllose Frauen, Kinder und alte Menschen, getötet wurden, der Gazastreifen weitgehend verwüstet, ethnische Säuberungen betrieben und sogar Pläne für eine jüdische Neubesiedlung dieses Landstrichs erörtert wurden.

Es ist aber auch ein Israel, das eine faschistoid-rassistische Regierungskoalition gewählt hat, die ganz bewusst die Befreiung der 101 in Hamas-Gefangenschaft seit 13 Monaten befindlichen israelischen Geiseln als zweitrangig eingestuft, mithin selbst den möglichen Deal zur ihrer Loslösung unterwandert hat. Dass diese Verweigerung nach offiziellem Bekunden damit zusammenhänge, dass man für die Befreiung der Gefangenen den Krieg wird beenden müssen, was aber für Netanjahu inakzeptabel ist, da er die möglichst lange Fortsetzung des Krieges anstrebt und betreibt, um seine eigenen Interessen des Macht- und Herrschaftserhalts zu sichern, bezeugt, dass nicht nur außerhalb Israels lebende Juden im zionistischen Staat mehr gefährdet wären, als in ihren Wohnorten auf der Welt, sondern dass sich auch israelische StaatsbürgerInnen in Not nicht mehr auf ihren Staat verlassen können.

Wenn das Privatinteresse israelischer Politiker den Vorrang hat vor den notwendigen Belangen des Staates, erhebt sich die Frage, die sich immer mehr Israelis zu stellen hätten, um was für eine Staatsräson es sich handle bei dem derart verkommenen zionistischen Staat, der seine eigenen Ideale selbst Juden gegenüber längst verraten und ihren historischen Stellenwert ad absurdum geführt hat.

Die Liste der Verfehlungen, die Israels Staatsräson zunehmend massiv zerbröckeln, ließe sich noch erheblich verlängern; aber das hier Angeführte möge genügen, um die Frage erneut zu stellen: Was hat die Doktrin der deutschen Solidarität mit Israel zum Inhalt, wenn die Grundfeste dessen, was diese Doktrin historisch generiert hat, folgenschwer erschüttert worden sind? Was hat das für das Selbstverständnis Deutschlands zu bedeuten, wenn sich der Staat, mit dem es sich bedingungslos solidarisiert, durch faschistische Strukturen und perfiden Alltagsrassismus, durch Kriegsverbrechen und Verachtung von Menschenrechten auszeichnet?

Zu fragen ist, ob nicht gerade fundamentale Kritik an einem solchen Israel die wahre Solidarität mit dem durch sich selbst gebeutelten Land bezeugen würde. Wenn es aber bei den leeren Worthülsen und flachen Parolen der “nationalen Zufluchtsstätte für die Juden” und der vermeintlichen “historischen Verantwortung” bleibt, handelt es sich da nicht letztlich um eine deutschbefindliche Nabelschau, die als Solidarität ausgibt, was mit dem Gegenstand der bekundeten Solidarität schon lange nichts mehr zu tun hat (vielleicht auch nie etwas zu tun hatte).

Von Moshe Zuckermann ist im Verlag AphorismA das Buch “… aus gegebenem Anlaß. Politische Reflexionen zur Zeit” (240 Seiten, 25 Euro) erschienen.

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