Eine Lanze für die Querdenkerei Von Jürgen Scherer

JAZZ 14-25 Ostermarschkolumne

Eine Lanze für die Querdenkerei

Von Jürgen Scherer

  1. April 2025

Es war ja zu Ritterzeiten nicht unüblich, dass ein edler Ritter, um der Gunst  einer begehrten Dame willen im Zweikampf, zu Pferde eine Lanze brach.
Auch wenn ich nicht auf hohem Ross daherkommen mag, will ich mit spitzer Feder in dieser Kolumne eine Lanze fürs Querdenken brechen. Wohlan!

Die Querdenkerei wurde, wie allgemein erinnerlich, während der Coronajahre als vom Teufel kommend von unseren damals verantwortlichen PolitikerInnen und Hauptmedien mit Vehemenz an den Pranger gestellt. Seither ist dieser Begriff geradezu zu einem Unwort verkommen. Wer ihn hört, verbindet mit ihm sofort ein veritables „Igitt“.
Das ist schade, liegt aber insoweit auf Linie, als Querdenker im Laufe der Geschichte immer mal wieder mit Skepsis oder gar mit Unglauben angesehen und tatsächlich auch verfolgt wurden. Andererseits wurden sie danach oft rehabilitiert und letztlich sogar in den Kanon der Berühmtheiten aufgenommen.
Machen wir also ein paar willkürliche Griffe in die Schatzkiste der Querdenker.

Bei den „Alten Griechen“ fallen mir einige ein, die dafür anerkannt wurden, aber auch einer, der seine Querdenkerei mit dem Leben bezahlte.                                                                                           Aristoteles gehörte eher zu den Bewunderten. Kam er doch tatsächlich hinter das Naturgesetz des Auftriebs, als er in das von einer Sklavin zum Glück nicht wie immer vorbereitete Bad stieg; die Badewanne war schlicht zu voll mit Wasser, will heißen, voll bis an den Rand. Und als der Herr ins Wasser stieg, um sich zu entspannen, lief doch tatsächlich Wasser über den Wannenrand und dem Alten fiel wie Schuppen von den Augen, dass das übergelaufene Wasser genau dem Volumen seines Körpers entsprach. Denn als er endlich still in seinem verdienten Bad lag, war die Wasseroberfläche genau am gleichen Badewannenrand wie zuvor. „Heureka“!  „Ich hab’s gefunden“, konnte er erfreut ausrufen: Das Naturgesetz des Auftriebs war entdeckt. Einfach mal ins Wasser gestiegen und schon hat’s geklappt. Die Anerkennung war ihm sicher.
Aber nicht nur Wissenschaftler neigen zu folgenreichem Querdenken, auch Politiker lassen diese Eigenschaft nicht vermissen. Einer davon ist der berühmte junge Mann aus Mazedonien, in der Geschichte bekannt geworden als „Alexander der Große“, übrigens ein Schüler von Aristoteles. Als Alexander auf seinen Feldzügen eines Tages vor dem Problem stand, einen Knoten lösen zu müssen, wenn ihm das Glück bei seinen weiteren Eroberungen hold sein sollte, fackelte er nicht lange und handelte quer zu allen bis dato ergebnislosen Versuchen diesen „Gordischen Knoten“ zu entflechten; er nahm kurzerhand sein Kurzschwert und zerteilte das Ding mit einem Schlag; so zumindest die Legende, die ihn berühmt machte und unbesiegbar erscheinen ließ.
Ganz und gar anders erging es dem Dritten im Bunde der von mir bedachten Querdenker im alten Griechenland. Ihm wurde vorgeworfen, er verderbe mit seinen aufklärerischen Methoden die Jugend Athens, setze ihr gesellschaftsschädliche Flausen in den Kopf. Die Verfolgung dieses missliebigen Menschen durch die staatlichen Stellen führte schließlich dazu, dass sich dieser Sokrates, so hieß nämlich der querdenkende Philosoph, freiwillig per Giftbecher ins Jenseits beförderte, bevor die staatlichen Häscher zugreifen könnten.

Zu römischen Zeiten waren Querdenker auch nicht eben beliebt.                                                         Einem gelang es sogar mit seiner Querdenkerei bis vor die Tore Roms zu gelangen; zumindest lautete der alarmistische Notruf damals „Hannibal ante Portas!“. Wie hatte der punische Feldherr es geschafft, diese Panik auszulösen? Er war, entgegen aller Annahmen, doch nicht auf dem Seeweg vor Rom erschienen sondern marschierte mit Mann, Maus und Elefanten über die Alpen Richtung Rom. Mit solch querdenkendem Handeln hatten die römischen Feldherrn nicht gerechnet. Letztlich hatte Hannibal mit seinem Alpentrick gegen die römischen Soldaten keinen Erfolg, aber er hatte mit seinem querdenkerischen Handeln die Verhältnisse für einen kurzen Augenblick zum Tanzen gebracht.
Einen anderen, eher nachhaltigen Querdenker haben die Römer auch auf dem Gewissen. Eigentlich ihr Statthalter im damaligen Judäa. Der wusch nämlich seine Hände in Unschuld, als einem gewissen Jesus von Nazareth der Prozess gemacht werden sollte. Dieser Mann hatte den damals maßgeblichen Religionseliten den Kampf angesagt, indem er mit seiner aus 12 Menschen bestehenden „Terrorgruppe“ (aus Sicht der damals Herrschenden) herumwanderte und ähnlich wie vor Zeiten Sokrates, die Verhältnisse zum Tanzen brachte, indem er behauptete, er sei der im Alten Testament angekündigte Messias und infolgedessen brachte er Lehren unters Volk, die quer zum damaligen Mainstream standen. Solche Quertreiber kann keiner gebrauchen, also weg mit ihm. Pontius Pilatus war mehr oder weniger hilfreich zur Stelle. Und nachdem die Massen entsprechend aufgeputscht worden waren, war Jesus reif für das Kreuz, die damals übliche Strafe für „rechtskräftig“ Verurteilte. Allerdings sollte diesem Verurteilten im Laufe der Geschichte Gerechtigkeit widerfahren, sodass er bis heute mit seiner vom Evangelisten Matthäus überlieferten „Bergpredigt“ als veritables Querdenkervorbild herhalten kann.
So zieht sie sich hin, die Geschichte der Querdenkenden mit ihren Erfolgen und Misserfolgen, bis in unsere Gegenwart.
An einige weitere sei im Folgenden doch noch erinnert.
Beginnen möchte ich mit Michelangelo, dem begnadete Bildhauer und Freskenmaler. Jede/r kennt wenigstens zwei seiner Werke: den in Marmor gehauenen David, in dessen Adern durch den Marmor hindurch förmlich das Blut zu fließen scheint und die geradezu überirdisch erscheinende Deckenbemalung der Sixtinischen Kapelle im Vatikan. Einfach genial, diese Werke, so das einhellige Urteil. Dem wurde wohl diese Genialität in die Wiege gelegt, so könnte man denken. Ein bisschen Wiege mag schon stimmen. Aber Fleiß und Querdenkerei waren auch im Spiel. Michelangelo war nämlich von dem Ehrgeiz vollkommene Werke zu kreieren geradezu besessen. Er wollte deshalb unbedingt wissen, wie es mit dem menschlichen Körper insgesamt beschaffen ist. So war er begierig, Leichname zu sezieren. Dies war aber zur damaligen Zeit verboten. Querdenker, der er war, beschaffte er sich dennoch Zutritt zu Leichenkammern und so per Sezieren zum Aufbau des menschlichen Körpers. Er nahm gar die Gefahr, durch Verwesungsgifte zu sterben, billigend in Kauf. Das Ergebnis seiner illegalen Studien können wir noch heute in seinen Werken bestaunen und tun dies auch immer wieder.
Vom Künstler zum wissenschaftlichen Querdenker: Galileo Galilei. Er wurde bekannt mit einer These, die dem damals gültigen, kirchlich beherrschten und geprägten Weltbild widersprach, wonach die Erde der Mittelpunkt der Welt sei und alle Gestirne sich um diese Erde drehen sollten. (Wir alle kennen noch den Spruch vom Lauf der Sonne „Im Osten geht die Sonne auf ..“ , der genau diesem Weltbild entspricht ). Galilei hatte nun durch akribische Fernrohr- beobachtungen festgestellt, dass eigentlich die Sonne der Fixstern sei und die Erde sich um diese drehe. Damit widersprach er allem damals vorherrschenden Denken und vor allem dem herrschenden Weltbild. Die Kirche befürchtete Glaubwürdigkeits – und Machtverluste und zwang Galilei bei Strafe der Hölle und der Bedrohung von Leib und Leben zum Widerruf seiner „Irrlehre“. Er widerrief um seines Lebens und seines Seelenheiles willen, blieb aber insgeheim seinen Beobachtungen treu. Überliefert ist sein heimlich geäußerter Ausspruch: „Und sie bewegt sich doch“. Erst im letzten, also dem 20. Jhdt., lieẞ ihm  der Vatikan Gerechtigkeit widerfahren, indem er sein damaliges  Urteil gegen ihn widerrief. Seinem Querdenken wurde Ehrerbietung gezollt; zu Recht!

Meinen Parforceritt durch den Umgang mit Querdenkenden möchte ich mit zwei Menschen beenden, die gerade heutzutage für uns von Bedeutung sind.

Da gibt es einmal einen gewissen Herbert Frahm, in Lübeck unehelich geboren. Dieser Herbert Frahm, gab sich im Rahmen des Widerstandes gegen das Naziregime den Kampfnamen Willy Brandt und behielt diesen Namen auch nach dem WK II bei. Dieser Willy Brandt musste sich, wie so viele Politiker, in dem sogenannten Kalten Krieg der Nachkriegszeit bewähren, wurde also von dieser dem Antikommunismus gewidmeten Zeit durchaus maßgeblich geprägt. Dies hinderte ihn aber nicht daran, in seiner Zeit als Bundeskanzler zusammen mit seinem wichtigsten Berater, Egon Bahr, zum politischen Querdenker mit Erfolg zu werden. Quer zu allen politischen Lagern ihrer Zeit gelang es ihnen, Verständigungswege mit dem damals verfemten „Ostblock“, allen voran der Sowjetunion zu finden, die letztlich zu einer gelungenen Entspannungs – und Friedenspolitik mit diesen Ländern führten. Ein Ergebnis war u.a. die damalige Anerkennung der DDR als zweitem deutschen Staat; immer im Visier eine irgendwann mögliche Vereinigung beider deutschen Staaten. Der Verlauf der Geschichte sollte zeigen, dass diese Utopie Realität werden durfte.

Dazu benötigte es allerdings eines weiteren politischen Querdenkers; diesmal eines aus dem Osten: Michael Gorbatschow.                                                                                                                                   Dieser Mann, groß geworden im Innercircle der Kommunistischen Partei der SU, hatte erkannt, dass das mit dem bis dato verfolgten Ziel des „Realen Sozialismus “ nichts wird und kam aufgrund seiner Analyse dazu, es sei, quer zu allen bisherigen Entwicklungen, an der Zeit Reformen einzuführen, die den „Realen Sozialismus“ nicht nur reformieren sondern auch den Menschen näherbringen und sie an dieser Zielsetzung beteiligen sollten. Er nannte seine Vorschläge dazu „Glasnost“, also Transparenz und „Perestroika“, also Umbau (der Gesellschaft).  Eine Welle des Optimismus war geboren im Zuge der tatsächlich der Traum der Vereinigung der beiden deutschen Staaten möglich gemacht wurde, durch den ehemaligen Feind Russland. Querdenkerei mit, wie heute erleben müssen,  leider nur relativ kurzfristiger Anerkennungsquote!

Wie wir sehen können, ist Querdenkerei und evtl. Akzeptanz derselben immer wieder eher ein Widerspruch. Wäre dem anders bräuchte ich mit diesen Ausführungen für sie keine Lanze zu brechen.
Denn die jeweils den Ton angebenden oder Interessierten werden immer wieder versuchen die Widersprechenden mit aufgeklebten Etiketten an den Pranger zu stellen, sei es mit dem inzwischen kontaminierten Begriff Querdenker oder mit der nebulösen Bezeichnung Verschwörungstheoretiker, vormals gar mit Begriffen wie Ketzer oder Hexe.

Letztlich liegt es an uns zu überprüfen, ob das, was an Querdenkerei daherkommt, wirklich unserem Wohlergehen und unserer Mündigkeit gewidmet ist. Denn dies sind m.E. die grundlegenden Prüfkriterien dafür, ob Querdenkerei Humbug ist oder uns allen dienliche Richtschnur sein kann.

Reihen wir uns in diesem Sinne ein bei den OstermarschiererInnen mit ihrer Mission:                                         Dem Krieg/en keine Chance! Dem Frieden – jede! Die Waffen nieder!

PS: Mit Hilfe der o.g. beiden Maßstäbe ergibt sich zum Beispiel: Bei der sich des öfteren mal zu den Querdenkern zählenden  „AfD“ kann von Mündigkeit und Wohlergehen für uns alle keine Rede sein, wenn man deren Hauptziel vor Augen hat: Eine „Volksgemeinshaft aus Biodeutschen“. Welch ein Graus!

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