»Eine totale Verhöhnung des Völkerrechts« Norman Paech im Interview mit Jamal Iqrith

Dank an Norman Paech für die Genehmigung der Veröffentlichung seines Interviews auf der Jungen Welt vom 17.10.2023

 

Krieg gegen Gaza: „Eine totale Verhöhnung des Völkerrechts“

Über das Recht auf Selbstverteidigung, Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg und die Rolle der BRD. Ein Gespräch mit Norman Paech * Foto: Anas al-Shareef/REUTERS

Aus: Ausgabe vom 17.10.2023, Seite 2 / Ausland
Krieg gegen Gaza

»Eine totale Verhöhnung des Völkerrechts«

Über das Recht auf Selbstverteidigung, Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg und die Rolle der BRD. Ein Gespräch mit Norman Paech
Interview: Jamal Iqrith
 
Resultat der Luftangriffe: Verheerende Zerstörung im Gazastreifen (Dschabalija, 11.10.2023)

 

Norman Paech ist Jurist und emeritierter Professor für Politikwissenschaft und Öffentliches Recht an der Universität Hamburg

Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei einer Regierungserklärung am vergangenen Donnerstag erklärt, Israel habe im Gazastreifen ein »völkerrechtlich verbrieftes Recht auf Selbstverteidigung«. Wo ist das festgelegt?

 

In Artikel 51 der UN-Charta ist deutlich verankert, dass derjenige, der militärisch angegriffen wird, ein solches Verteidigungsrecht hat. Das stimmt auch in diesem Fall: Israel kann sich gegen den Angriff der Hamas verteidigen, was allerdings mit der Einschränkung versehen ist, dass solch eine Verteidigung immer verhältnismäßig sein muss. Wenn die israelische Armee im Gazastreifen, der ohnehin seit Jahrzehnten abgeriegelt ist, ein wahres Blutbad anrichtet, ist das auf keinen Fall durch das Verteidigungsrecht nach Artikel 51 gedeckt.

Gilt Artikel 51 auch für eine Besatzungsmacht im von ihr besetzten Gebiet?

Ja. Aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen Mittel und Zweck ist zentral. Eine Verteidigung hat sich stets innerhalb der Grenzen des humanitären Völkerrechts, die insbesondere in den »Haager« und »Genfer« Konventionen verankert sind, zu halten. Der Angriff ist erfolgreich zurückgeschlagen worden. Wenn die Armee aktuell darüber hinausgeht und erklärt: »Wir vernichten die Hamas«, und der Zivilbevölkerung Energie und Nahrung abschnürt, dann ist das bereits eine Überschreitung des Gebots der Verhältnismäßigkeit und daher völkerrechtswidrig.

Die Hamas und andere palästinensische Fraktionen berufen sich auf das »Recht zum bewaffneten Widerstand gegen die Besatzung«. Was hat es damit auf sich?

 

Völkerrechtlich gesehen ist auch das eine richtige Forderung, denn die israelische Besatzung ist völkerrechtswidrig und also wie ein Angriff. Nun wird behauptet, der Gazastreifen sei, nachdem die Siedler und die Armee sich 2006 aus dem Gebiet zurückgezogen haben, nicht mehr besetzt. Das stimmt nicht. Die Blockade wird international – auch durch das Auswärtige Amt – als rechtswidrige Besatzung gewertet. Gegen eine solche darf man sich verteidigen. Allerdings auch hier mit der Einschränkung, die Vorschriften des humanitären Völkerrechts einzuhalten. Zivilisten sind absolut tabu, das hat die Hamas verletzt.

Der Gazastreifen ist seit 2007 abgeriegelt, im aktuellen Krieg wurde eine vollständige Belagerung der Bevölkerung verhängt. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?

Das ist ein Kriegsverbrechen. Die Abschnürung von Energie, Nahrungsmitteln etc. ist ebenfalls rechtswidrig. Die Blockade war es bisher schon. Diese zusätzlichen Maßnahmen, die eine heftige Verschlechterung der Lebensbedingungen der Zivilbevölkerung in Gaza bedeuten, die bis hin zum Verhungern, Verdursten und Krankheit führen, sind Kriegsverbrechen und völkerrechtlich absolut verboten.

Die israelische Regierung hat am Freitag 1,1 Million Einwohner von Gaza-Stadt dazu aufgefordert, ihre Häuser in Richtung Süden zu verlassen. Wie ist das juristisch zu beurteilen?

Es ist eine totale Verhöhnung des Völkerrechts, wenn man sich dabei auf das Verteidigungsrecht der UN-Charta beruft. Die Allgemeinheit kennt die Situation vor Ort. Es gibt genügend Fotos, die zeigen, dass es faktisch gar keine Rückzugsmöglichkeiten für die Menschen im Norden gibt. Es handelt sich offensichtlich um die Vorbereitung, damit Gaza in Schutt und Asche gelegt werden kann. Das ist ein schweres Kriegsverbrechen, das sieht auch die UNO so.

Macht sich Deutschland an diesen Kriegsverbrechen mitschuldig?

Moralisch auf jeden Fall. Inwieweit das juristisch relevant wird, ist noch nicht klar. Wir hätten aber meines Erachtens nicht nur darauf bestehen müssen, dass die Versorgung der Bevölkerung bei der bevorstehenden Bodeninvasion gesichert ist, sondern alle politischen Hebel in Gang setzen müssen, um Netanjahu und sein furchtbares Kabinett davon abzubringen.

Wo soll das hinführen? Selbst wenn man die Hamas »vernichtet« und den Gazastreifen dem Erdboden gleichmacht, den Widerstand des palästinensischen Volkes wird man nicht brechen können. Mit solch einer Aktion wird nie Frieden in dieser Region eintreten. Das ist nur durch Verhandlungen und den Rückzug aus den besetzten palästinensischen Gebieten insgesamt möglich.

1 Kommentar zu »Eine totale Verhöhnung des Völkerrechts« Norman Paech im Interview mit Jamal Iqrith

  1. Das Interview mit Norman Peach ist vielleicht der falsche Aufhänger, aber heute steht in diversen online Portalen, das mehrere Fussball vor ihren jeweiligen Vereinen (1. Bundesliga) abgestraft wurden, weil diese Spieler z.B. „Free Palestine“ (u.a. Mainz 05, FC Bayern) gepostet haben. Eine der Begründungen lautet, „die Spieler, die Millionen verdienen, haben kein Wissen über den Konflikt“. Wenn derartige Aussagen diverser Spieler direkt mit Unwissenheit gleichsetzt, ist es weit gekommen mit Meinungsfreiheit.Andererseits erklärt dieser Sachverhalt die z.T. mehr als blöden Moderationen insbesondere in ARD/ZDF und WDR, wo die Moderator*innen offenbar keinerlei Hintergrundinformationen haben und alles nachplappern, was von der Lobby vorgegeben wird. Im WDR ist mittlerweile die israelische Armee offenbar zuhause…

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