„Grassierender Todeskult“ in Russland – Mainstream kommt ganz unten an
Das „RND“ entdeckt einen Todeskult in Russland, den Putin und die russische orthodoxe Kirche befördern. Der Beitrag ist reine Propaganda, angereichert mit Rassismus. Er wirft ein Schlaglicht auf den Zustand des deutschen Journalismus, der seine historischen Fehler wiederholt.
„Grassierender Todeskult“ in Russland – Mainstream kommt ganz unten an
Von Gert Ewen Ungar
Der deutsche Journalismus bleibt sich treu. In einem Beitrag für das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) zeichnet der Moskau-Korrespondent Paul Katzenberger das Bild einer todessehnsüchtigen russischen Kultur. Wie die Lemminge werfen sich die Russen in den Tod, weil nur er dem Leben Sinn gibt. Sie folgen damit Putin, der anlässlich eines Treffens mit den Müttern gefallener Soldaten in der Absicht, Trost zu spenden, sagte:
„Wir alle werden diese Welt eines Tages verlassen. Das ist unumgänglich. Die Frage ist nur, wie wir gelebt haben. Wer seinem Leben einen Sinn gegeben hat und wer nicht, bleibt aber oft unklar. Und wie verlassen wir diese Welt? Wegen Wodka oder etwas anderem? Und egal, ob wir ein sinnvolles Leben geführt haben oder nicht, gehen wir oft unbemerkt. Aber Ihr Sohn hat gelebt. Und sein Ziel hat er erreicht. Das bedeutet, dass er dieses Leben nicht umsonst verlassen hat.“
Es geht um die Frage nach dem Sinn von Existenz. Katzenberger tut so, als gebe es in Putins Russland nur die Entscheidung zwischen Tod durch Wodka oder Tod auf dem Schlachtfeld. Das ist natürlich grober Unsinn.
Wie im deutschen Journalismus gängige Praxis, strickt Katzenberger aus seiner Verdrehung von Putins Worten eine Geschichte, die sich nahtlos in das desinformierende Russlandbild deutscher Medien einfügt.
Wer sich aus deutschen Medien über Russland informiert, der weiß: In Russland ist alles düster, es ist immer kalt und ein strenger, eisiger Wind weht beständig. Russland ist eine Diktatur, die Menschen sind arm, sie gehen gebückt und in beständiger Angst vor einer sie schröpfenden und niederhaltenden Staatsmacht, die sie im Verbund mit korrupten Oligarchen aussaugt. Wer kritisiert, wer sich wehrt, wird unmittelbar eliminiert. Aber auch der, der sich nicht wehrt und mitmacht, findet den Tod und der Tod ist ihm Erlösung, behauptet Katzenberger. Er gibt dem russischen Leben Sinn.
Was Katzenberger schreibt, ist auf dem Niveau des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer. Es ist ein infamer Beitrag, der sich in eine deutsche Tradition einordnet – eine sehr dunkle deutsche Tradition. Sein Inhalt hat erstens mit der russischen Lebenswirklichkeit rein gar nichts zu tun, strotzt dafür aber nur so von Rassismus und Verachtung für Russland und die russische Gesellschaft. Der perfide Trick Katzenbergers: Durch eine selektive Auswahl von Zitaten lässt der Journalist Putin und Patriarch Kyrill das sagen, was er selbst denkt: Russen sind todeswillige Orks.
Russen sind Wesen aus einer geistigen Dunkelwelt, dem Menschen ähnlich, aber unter ihm stehend. Russen sind Untermenschen, deren Leben sich ausschließlich im Kampf und Tod erfüllt. Katzenberger hat seinen Himmler gut gelernt. Er hat einen widerwärtigen Text verfasst, einen unter ganz vielen widerwärtigen Texten, wie ihn deutsche Journalisten inzwischen täglich veröffentlichen. Deutschland hat aus der Geschichte nichts gelernt, der deutsche Journalismus aus ihr noch weniger.
Katzenbergers Beitrag sagt wenig über Russland, aber viel über die deutsche Berichterstattung über Russland aus. Sie ist geprägt von Hass und durchsetzt mit krankhafter Russophobie. Der RND-Beitrag sagt auch viel darüber aus, wie sehr sich deutsche Journalisten weigern, eine russische Position auch nur zur Kenntnis zu nehmen.
So behauptet Katzenberger, Patriarch Kyrill würde gegen die eigene Soziallehre verstoßen, nach der Kriege nur im Rahmen der Verteidigung legitim sind. Zum Glück ist ein deutscher Journalist zugegen, der dem Patriarchen mal die Soziallehre der russisch-orthodoxen Kirche erklären kann. Da kennt der gemeine Deutsche keine Scham und keine angemessene Bescheidenheit – er weiß es besser, selbst besser als der Urheber.
Was Katzenberger dabei seinem Publikum verschweigt: Nach russischer Auffassung verteidigt sich Russland in der Ukraine und setzt sich zudem für Gerechtigkeit gegenüber den russischsprachigen Menschen in der Ukraine ein. Russland führt einen Verteidigungskrieg und einen Krieg zur Beendigung des seit 8 Jahren anhaltenden Bürgerkriegs, den Kiew mit westlicher Unterstützung gegen die eigene Bevölkerung führt. Aus diesem Grund steht Patriarch Kyrill völlig widerspruchsfrei zur orthodoxen Soziallehre.
Wie für den deutschen Journalismus üblich, blickt Katzenberger aus einer deutschen Perspektive, mit dem deutschen Narrativ im journalistischen Gepäck auf Russland und bemüht sich nicht mal um Verstehen. Das trifft auch für seine Einordnung des russischen Philosophen Dugin zu.
Dugin sei ein „antiwestlicher Hassprediger“, behauptet Katzenberger, ohne dafür einen Beleg anzuführen. In Wirklichkeit kritisiert Dugin den Liberalismus und den Hegemonialanspruch des Westens als kolonialistisch. Er stellt dem eine Theorie der Zivilisationen gegenüber, eine multipolare Welt mit mehreren Machtzentren. Was daran Hass sein soll, bleibt Katzenbergers Geheimnis.
Der Hass kommt aus dem Westen, denn ukrainische Terroristen hatten Dugins Auto im vergangenen Jahr mit einer Bombe präpariert. Bei der Explosion starb Dugins Tochter, vermutlich galt der Anschlag ihm. Auf eine Verurteilung durch den Westen oder auch nur ein Zeichen der Anteilnahme wartet man in Russland bis heute vergeblich. Von Anschlägen russischer Gegner des Liberalismus auf die entsprechenden Denker im Westen hat man bis heute noch nichts gehört. Der Hass ist ein Kind des Westens, er wird in den Think-Tanks und den westlichen Gazetten gezüchtet – in den deutschen ganz besonders intensiv.
Was Katzenberger übersieht, ist, dass das deutsche Narrativ vom „brutalen Vernichtungskrieg Russlands“ nur regionale Bedeutung hat. Er weiß das auch, denn er lebt in Moskau. Nur eine kleine Minderheit folgt hier in Russland der westlichen Auffassung, Russland hätte die Ukraine überfallen. Dass dies „anlasslos“ war, glauben auch die größten Kritiker des Krieges nicht. Dieser ohnehin schon kleine Kreis der Kritiker wurde angesichts des Verlaufs des Krieges zudem noch einmal kleiner. Dass der Westen an Frieden kein Interesse hat, ist hier in Russland nahezu allen politischen Beobachtern klar. Für seine deutschen Leser tut Katzenberger jedoch so, als sei die deutsche Sicht auf den Konflikt von universeller Gültigkeit. Dabei ist es faktisch umgekehrt. Deutschland ist inzwischen isoliert.
Dabei gäbe es für deutsche Journalisten, die aus Russland berichten, gerade viel zu schreiben, was für deutsche Leser wirklich von Interesse wäre. Denn es geht hier mit atemberaubender Geschwindigkeit bergauf. Vom Bauboom und Wirtschaftswachstum ließe sich schreiben, von Infrastrukturprogrammen und neu eröffneten Innovationszentren. Vom rasanten Tempo, mit dem sich Russland vom westlichen Ausland unabhängig macht. Von Kooperationsabkommen mit den Ländern weltweit und den Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung könnte man ebenso berichten wie von dem erklärten Ziel, den Standard in den neuen Föderationssubjekten im Donbass bis 2030 vom ukrainischen Elend auf russischen Standard anzuheben. Es ist beeindruckend zu sehen, welche Energien in Russland durch das westliche Sanktionsregime freigesetzt werden. Es wäre mehr als nur eine Meldung wert.
Doch die deutsche Journaille bleibt sich treu und zeichnet für das Publikum an der Heimatfront weiterhin das Bild von Dunkelrussland, in dem der Untermensch beseelt ausschließlich von Todessehnsucht nicht lebt, sondern vegetiert. Das ist unwürdig und gerade angesichts der Geschichte des deutschen Journalismus eine absolute Schande.
Nein, es gibt in Russland keinen Todeskult. Was es hier gibt, ist ein Gefühl von Aufbruch, ein positiver Blick auf die Zukunft. Der Ukraine-Krieg geht zu Ende, der Westen verliert ihn. Die Ukraine hat für ihre Bereitschaft, sich zum Austragungsort eines Stellvertreterkrieges zu machen, einen hohen Preis in Form von zehntausenden Menschenleben, aber auch einen hohen wirtschaftlichen Preis bezahlt. Das Land ist am Ende. Zu den großen Verlierern des Krieges zählt aber auch Deutschland. Es steigt deutlich sichtbar ab und hat zudem international massiv an Ansehen eingebüßt.
An die Russland-Korrespondenten gerichtet sei gesagt: Wenn ihr mal wieder in Deutschland seid, schaut euch mal um, wie es da aussieht. Das Elend und die Armut triefen aus jeder Ritze. Ihr solltet eure Leser darüber informieren, dass man dieses in Deutschland allgegenwärtige Elend in russischen Städten vergebens sucht. Deutschland steigt ab und Russland auf. Das zu sagen, wäre ehrlich. Die tatsächlichen Verhältnisse nicht zu benennen, sie sogar vorsätzlich zu verschweigen, ist aber kein Journalismus – es ist Propaganda.
„So steht die russische Zivilgesellschaft auf immer verlorenerem Posten, um den grassierenden Todeskult abzuwehren“,
desinformiert Katzenberger sein Publikum abschließend und es klingt wie Hohn angesichts der tatsächlichen Entwicklungen. Das Schlimme ist, dass die Deutschen dermaßen mit solcher Propaganda zugeballert werden, dass ihnen kaum eine andere Wahl bleibt, als sie zu glauben. Mit der Realität in Russland hat das natürlich alles nichts zu tun.
„So gut wie jetzt war’s noch nie“,
sagte mir neulich ein guter Bekannter hier in Moskau. Von Todeskult ist hier nichts zu spüren. Er ist mit seiner Meinung daher nicht allein. Die deutsche Journaille mit ihrer Meinung zu Russland dagegen schon.
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