Kulturboykott gegen Israel Moshe Zuckermann

Dank an Moshe Zuckermann seinen neuen heute auf Overton-Magazin veröffentlichten wichtigen Artikel, auf der Hochblauen Seite zu übernehmen. Evelyn Hecht-Galinski

https://overton-magazin.de/top-story/kulturboykott-gegen-israel/

Boykottaufruf

Das Internationale Palästinensische Literaturfestival hat zu einem Boykott israelischer Kulturinstitutionen aufgerufen. Was ist davon zu erwarten?

 

Zu einem Kulturboykott gegen Israel hat Ende Oktober 2024 das Internationale Palästinensische Literaturfestival aufgerufen. Tausende Autoren und Autorinnen aus aller Welt haben die dazu verfasste Petition unterschrieben. Betroffen sind generell israelische Kulturinstitutionen, darunter auch Verlage und die in ihnen publizierenden Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Beschuldigt werden diese Kultureinrichtungen (und ihre Protagonisten), “sich an der überwältigenden Unterdrückung der Palästinenser mitschuldig gemacht oder diese stillschweigend beobachtet (zu) haben”. Unter den Unterzeichnenden des Aufrufs finden sich prominente Namen wie Annie Ernaux, Arundhati Roy, Jonathan Lethem, Naomi Klein und Sally Rooney, die sich weigern, dass ihre Bücher auf Hebräisch erscheinen.

Man fühlt sich an die vom Musikologen Alfred Einstein seinerzeit erwähnte Anekdote gemahnt, derzufolge kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Aufführung von Wagner-Werken in Frankreich verboten wurde, woraufhin Deutschland mit dem Verbot der Aufführung von Bizets “Carmen” reagierte. Es dauerte zwar einige Zeit, aber man sah dann doch ein, dass ein solcher “Kulturkampf” doch eher idiotisch sei. In Erinnerung kommt auch die Aporie des kulturellen Boykotts beim Konflikt um Paul Simons Album “Graceland” im Zusammenhang mit der Anti-Apartheid-Bewegung gegen Südafrika. Auch das Verbot, Wagner-Werke in Israel aufzuführen, oder der historische israelische Boykott der Kooperation mit dem wissenschaftlichen Betrieb in der alten BRD nach dem Zweiten Weltkrieg ließen sich neben vielen anderen Beispielen in diesem Zusammenhang anführen.

Der größte Teil der jüdisch-israelischen Bevölkerung und auch die meisten repräsentativen Vertreter der Medien sehen im besagten Boykott, der automatisch mit Boykott-Aufrufen gegen Israel identifiziert, mithin als “antisemitisch” apostrophiert wird, eine Ungeheuerlichkeit, die entsprechend von der narzisstisch gekränkten Bevölkerung in den sozialen Medien mit wutschäumender Empörung und von der Presse (zumeist) selbstgerecht abgeschmettert wird.

Nur wenige, ohnehin randständig positionierte Publizisten reflektieren den Teil der Schuld Israels daran, dass man in der Welt zum Boykott gegen den zionistischen Staat bzw. seinen Institutionen aufruft. Dabei ist man sich (nach gebührender intellektueller Reflexion) bei historisch weit zurückliegenden Boykottfällen mehr oder minder einig über deren Nützlichkeit und Berechtigung. Man versteht es auch, zwischen dem realen Schaden, den ein Boykott anzurichten vermag, und seinem symbolischen Stellenwert zu unterscheiden.

Dass es dennoch eine deutliche Ambivalenz unter (linken) Kulturschaffenden und Akademikern gegenüber der Boykottierung ihrer Veranstaltungen gibt, mag etwas mit der beruflichen Sphäre der an der Debatte Beteiligten zu tun haben. Aber nicht nur, denn es lässt sich in der Tat nachweisen, wie derlei akademische und kulturelle Partialbestreikungen den anvisierten Zweck des Boykotts verfehlen mögen – etwa, wenn linke Veranstaltungen von Linken boykottiert werden, während Andersgesinnte die jeweils boykottierten Institution unbekümmert besuchen bzw. sich an deren wissenschaftlichen/kulturellen Aktivitäten beteiligten.

Schuss ins eigene Bein

Gerade jene, die gemäß dem Aufruf des Internationalen Palästinensischen Literaturfestivals boykottiert werden sollen, gehören in Israel der Sphäre an, in der die aktiv sind, die sich gegen die repressive Politik des Staates gegenüber den Palästinensern richten, die Verbrechen der Regierung und der Armee anprangern und nicht selten selbst zu Opfern des politischen Establishments werden. Jene, die schon seit langem von den Herrschenden des zionistischen Staates (besonders von den gegenwärtigen) zum Schweigen gebracht werden sollen, sollen nun also auch vonseiten jener mundtot gemacht werden, um deren Rechte und Emanzipation gerade sie kämpfen.

Ganz absurd nimmt sich dabei aus, dass eine Sprache bestreikt werden soll. Selbst als man sich nach der Shoah in Israel der deutschen Sprache im öffentlichen Raum widersetzen zu sollen meinte (ohne großen Erfolg), hat man nicht vergessen, dass Deutsch auch die Sprache von Moses Mendelssohn, Heinrich Heine, Sigmund Freud, Albert Einstein und Walter Benjamin, um nur wenige aus einer sehr langen Reihe von Juden aufzuzählen, die die deutsche Kultur im 19. und 20. Jahrhundert maßgeblich mitgeprägt haben. Und das nun zu bestreikende Hebräisch ist, ob man es will oder nicht, nun einmal die Sprache der Bibel. Womit nützen also Annie Ernaux, Arundhati Roy, Naomi Klein und andere dem palästinensischen Kampf, wenn sie die Übersetzung ihrer Bücher ins Hebräische verweigern?

Gesondert sei hier aber auf die Apostrophierung der gegen Israel gerichteten Boykott-Aufrufe als “antisemitisch” eingegangen. Es ist nicht in Abrede zu stellen, dass sich in die Reihen der BDS-Bewegung auch Aktivisten mit (expliziten oder latenten) antisemitischen Motivationen einschleichen mögen. Die Instrumentalisierung der emanzipativen Ausrichtung des Boykotts für derlei abgründige Zwecke ist ebenso anzuvisieren wie die überbordend philosemitisch angetriebene Solidarität mit “Israel” oder mit “Juden”. Beide Reaktionen entstammen einem ähnlichen Ressentiment “Juden” gegenüber (welches Juden primär abstrakt wahrnimmt). Das gilt freilich für Anschauungs- und Gesinnungskämpfe im allgemeinen. Nicht selten spielt sich in der Hinterbühne von Debatten etwas ganz anderes ab, als was in der Vorderbühne im Brustton der Emphase ausgetragen und glauben gemacht wird.

Falsche Gleichsetzung von Judentum, Zionismus und Israel

Was aber der Denunzierung des Boykott-Aufrufs gegen Israel im gängigeren Fall zugrunde liegt, ist ein kategoriales Missverständnis, namentlich das der Gleichsetzung von Judentum, Zionismus und Israel, woraus sich die bedenkenlos vorgenommene Gleichsetzung von Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik ableitet. Jene, die sich solch polemischer Diffamierung bedienen, will es offenbar gar nicht in den Sinn kommen, dass man antizionistisch ohne Antisemitismus und israelkritisch ohne Antizionismus sein kann; dass man sogar Israel- und Zionismusanhänger, zugleich aber antisemitisch sein kann. Besonders übel wird es, wenn in diesem Zusammenhang Nichtjuden Juden des Antisemitismus zeihen, und gewisse Juden sich gar nicht anders zu helfen wissen, als mit der Perfidität, israelkritischen Juden (gar jüdischen Israelis) einen “jüdischen Selbsthass” vorzuwerfen.

Was aber für besonders schlimm zu erachten ist, wäre die sehr reale Möglichkeit, dass mittels der Diffamierungspraxis von dem abgelenkt werden soll, wogegen sich der Boykott-Aufruf eigentlich richtet. Man desavouiert den Boykott und entkräftet damit vermeintlich die Substanz der Kritik, die den Boykott-Aufruf als ihre Konsequenz und die sich von ihr ableitende praktische Maßnahme begreift.

Ganz außen vor wird dabei die Frage gelassen, ob es etwas an Israel bzw. an der von ihm betriebenen Politik gibt, das den Boykott-Aufruf nicht nur legitimiert, sondern nachgerade zur erforderlichen Maßnahme gerinnen lässt angesichts dessen, was Israel verbricht: Seit nunmehr über 50 Jahren betreibt Israel ein brutales Okkupationsregime, praktiziert mithin permanent die Knechtung des palästinensischen Kollektivs. Da es sich bei diesem Konflikt im wesentlichen um einen territorialen Konflikt handelt, liegt das Potenzial der Beendigung dieses repressiven Zustands primär in Israels Macht. Israel ist es nun einmal, das das, worum es in diesem Konflikt geht (Territorien), militärisch wie mit völkerrechtswidrigen Mitteln politisch und ökonomisch beherrscht. Warum Israel an der Nichtbeendigung dieses Zustands interessiert ist, müsste gesondert erörtert werden. Aber solange dieser Zustand in all seinen horrenden Auswirkungen fortwährt, wird sich Israel nicht nur mit den verschiedenen Manifestationen des palästinensischen Widerstands auseinanderzusetzen haben, sondern eben auch mit dem Widerstand anderer, die dieses Unrecht nicht hinnehmen wollen – “unbeteiligte” Beobachter, Juden, jüdische Israelis und allgemein Menschen mit menschenrechtsbewusstem Gewissen.

Ganz nebenbei wäre es entsprechend auch an der Zeit, darüber nachzusinnen, was Israel mit seiner Politik selbst dazu beiträgt, das antisemitische Ressentiment in der Welt anzufachen. Von israelischen Politikern wird der schiere Gedanke daran als “antisemitisch” abgeschmettert. Nicht nur höhlen sie damit die Kategorie des Antisemitismus aus partikularem ideologischen Interesse aus, sondern sie gerieren sich dabei so, dass man ihnen, den Trägern des Unrechts, den Subjekten der bewusst praktizierten Repression, und dem israelischen Kollektiv, das sie immer wählt und legitimiert, unter Umständen nicht anders, als eben mit Boykott begegnen kann.

Aber der Boykott kann nur dann sein Ziel erreichen, wenn er effektiv ist. Die Bestreikung israelischer Kulturschaffender ist es jedoch nicht; wird sie doch teilweise von der israelischen Regierung selbst vorgenommen. Der Boykott kann also nicht partial angesetzt werden. Er muss Sphären umfassen, die einen Staat zum Überdenken seiner politischen Gesinnung und Praxis zwingen.

Der globale Boykott gegen den Apartheidstaat Südafrika erfüllte seinerzeit diese Bedingung – und war daher (auch im emanzipativen Sinne) erfolgreich. Die Bedingungen für einen solchen Boykott gegenüber Israel sind in der jetzigen Weltlage nicht gegeben. Daher zeitigt der Aufruf, israelische Autorinnen und Autoren und Kultureinrichtungen zu bestreiken, möglicherweise eine persönliche Genugtuung für die Unterzeichnenden des Aufrufs, versöhnt vielleicht auch ihr politisches Gewissen und schmeichelt ihrem Selbstbild als politische AktivistInnen; real bewirkt er gleichwohl wenig. Den notleidenden Palästinensern nützt er nichts.

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