Muxmäuschenstill x“: Requiem auf das tiefgefrorene Deutschland David Goeßmann

Dank an David Goeßmann für die Zusendung seines neuen, heute auf Telepolis publizierten Artikel und der Genehmigung diesen, auf der Hochblauen Seite zu übernehmen. Evelyn Hecht-Galinski

https://www.telepolis.de/features/Muxmaeuschenstill-x-Requiem-auf-das-tiefgefrorene-Deutschland-10353114.html

Muxmäuschenstill x“: Requiem auf das tiefgefrorene Deutschland

Jan Henrik Stahlberg mit seinem Pfleger Karsten im Film Muxmäuschenstillx. Bild: Muxfilm.de

Jan Henrik Stahlberg attackiert mit seinem neuen Mux-Film den Bullshit-Neoliberalismus. Eine begeisternde Polit-Satire, die zeigt, warum Trump, AfD und Co. nicht vom Himmel fallen.

Der Blick geht in ein tief verschneites Tal umstanden von Wäldern, durch das sich ein Bach schlängelt. Die Kamera fährt langsam hinein.

Fremd im eigenen Land

Am Ende sieht man, erst kaum auszumachen, dann deutlicher werdend, eine Person, ein winziger Strich in der Landschaft. Wir hören eine Stimme, ruhig, in sich gekehrt:

Ich bin ein Fremder im eigenen Land. Was habt ihr nur gemacht, aus meiner Heimat. Es war der Geist, der keine Alternative kennt, den ihr Mächtigen aus der Flasche gelassen habt. Und es ist dieser Geist, an dem die gesamte Gesellschaft zerbricht.

Es ist Mux, der Held der Geschichte des neuen Films von Jan Henrik Stahlberg [1], den der Regisseur selbst spielt. Solche lyrischen Szenen, in denen der Ich-Erzähler nah an die Zuschauer heranrückt, oder Passagen, in denen Franz Schuberts Klavierstück „In einem kühlen Grunde“ das Geschehen in Trauer hüllt, sind aber nur vereinzelte Ruhepole in Muxmäuschenstillx, umbraust ansonsten von einem Strom an politischer Aktion und rauer Wirklichkeit.

Denn die Geschichte von Mux ist keine romantische Reise eines verlassenen Ichs durch ein erkaltetes Deutschland, ähnlich Schuberts Winterreise. Es ist eine Gesellschaftssatire, die an „Deutschland. Ein Wintermärchen“ von Heinrich Heine erinnert. 1843 reiste der nach Frankreich emigrierte deutsch-jüdische Dichter durch seine geliebte Heimat, dessen politische Restauration er bissig in Gedichtzeilen anprangerte.

Moralische Wechselspannung

Mux ist aber nicht nur Beobachter und Kritiker, sondern Antreiber der Geschichte, ein filmischer Störenfried inmitten der deutschen Friedhofsruhe. Es ist ein Figur, die vielen bekannt sein dürfte. Denn Muxmäuschenstillx ist die Fortsetzung von Muxmäuschenstill von 2004, damals unter der Regie von Marcus Mittermeier produziert.

Mit der Handkamera im Doku-Stil gedreht, mischte Mux Anfang der 2000er-Jahre Berlin auf, bestrafte auf sehr deutsche Weise Schwarzfahrer, Vergewaltiger oder Graffitisprüher, in einer Art Selbstjustiz, um Ordnung herzustellen. Mit seiner moralischen Wechselspannung traf Mux einen neuralgischen Punkt. Mit kleinem Budget produziert, landete der Film einen Überraschungserfolg, erhielt Preise und füllte Kinosäle.

Heute, zwanzig Jahre danach, wacht Mux aus dem Koma wieder auf – verursacht durch einen Unfall bei der Jagd auf Autoraser –, und versteht die Welt nicht mehr. Er schreibt ein Manifest, das des Muxismus, zieht mit seinem Pfleger Karsten nach Ostdeutschland, in den verlassenen Ort Elstertrebnitz, um für Gerechtigkeit zu kämpfen.

Friedliche Revolution gegen neoliberales Dogma

Es ist eine Satire auf die neoliberal entsicherte Gesellschaft, und den Kampf dagegen, aber auch bitterer Ernst, unterlegt mit Melancholie und Wut. Musk will Geschichte schreiben, als Revolutionär, Reformator, als Muxist, der die Welt, oder besser, Deutschland verändern will.

Seine Mission hat sich seit 2004 ausgeweitet, während die Satire nun ans Tragisch-Komische heranreicht. Diesmal geht es um die politischen Regelbrecher, die sich im System bereichern und eine Klassengesellschaft forcieren, während sie nach unten treten. „Später werden Historiker auch schreiben, dass so etwas wie eine friedliche Revolution ganz klar in der Luft lag“, heißt es vom Ich-Erzähler aus dem Off.

Fiskalische Selbstermächtigung

Während sein Pfleger ihn mit der Handykamera folgt, klopft Mux an Türen in menschenentleerten Straßen, trommelt eine Gruppe von „Verlierern“, Arbeitslosen und Vergessenen im Osten zusammen, denen er in einer Rede erklärt, wie die oberen Schichten sie verabscheuen. Sie bilden eine Art „revolutionäre Zelle“, mit denen er gegen die Superreichen in Villen und Landsitzen vorgeht, die Steuern hinterziehen.

Mux fordert von den Steuerflüchtlingen ihren fairen Tribut und beginnt damit, eine Vermögenssteuer von ihnen einzutreiben. Das werde er tun, solange die Politik die Hände in den Schoß legt. Es ist eine fiskalische Selbstermächtigung in einem Land, in dem die Steuer seit 1997 nicht mehr erhoben wird.

In Deutschland gäbe es 2,6 Millionen Millionäre, heißt es in einer erklärenden Animation dazu. Eine progressive Vermögenssteuer könnte pro Jahr 120 Milliarden Euro einbringen und so drei Millionen neue Vollzeitjobs finanzieren.

Aufstand der „Bullshit-Menschen“

Gesagt, getan. Mux geht mit seinem Gefolge in Betriebe, Kindergärten und Supermärkte, und bringt mit dem von ihm geschaffenen Solidarlohn Menschen ohne Job wieder in Arbeit.

Das ist Satire, aber auch ergreifend, weil nah an Realität gespielt, in der menschliche Würde längst einen Preisstempel besitzt, während die Gesellschaft nicht nur immer mehr „Bullshit-Jobs“, sondern auch „Bullshit-Menschen“, „Überflüssige“ produziert.

Mux besucht auch Schulen und erklärt den Schülerinnen und Schülern, was Neoliberalismus ist, was sie erwartet, und initiiert ein Schultheaterstück über die Verlogenheit der Erwachsenen, Ungleichheit und Ungerechtigkeit.

Und dann geht er in die Hauptstadt Berlin und zieht mit Obdachlosen und Arbeitslosen ins Nobelhotel Adlon oder entführt Top-Manager. Von dort geht die Reise weiter ins europäische Ausland, wo die deutschen Spardiktate wüteten. Er kniet nieder am Syntagma-Platz von Athen.

Zur rechten Zeit

Der Film beobachtet dabei sehr genau die deutschen Zustände. Mux crasht immer wieder mit der Realität: der jüngeren Generation, seiner „Politikmanagerin“ oder der Gleichgültigkeit um ihn herum. Es gibt Debatten am Küchentisch über Revolutionsmarketing. Aber auch Euphorie nach politischen Erfolgen.

In vieler Hinsicht ist der Film einzigartig. Wann z.B. haben wir das letzte Mal einen deutschen Spielfilm gesehen, in dem Steuergerechtigkeit ein zentrales Thema ist? Wie oft geht es im deutschen Kino um die Ideen und Sorgen von gesellschaftlich Ausgestoßenen und politische Revolte?

Muxmäuschenstillx ist eine bewegende Gesellschaftskritik zur rechten Zeit, während in den USA Trump wütet und mit der Merz-Regierung sowie einer erstarkten AfD eine konservative Wende in Deutschland droht. Die „Sozialschmarotzer“-Diffamierungen haben längst wieder an Fahrt aufgenommen.

Ein unberechenbarer Film

Das Lachen, das die Satire provoziert, verbreitet dabei nicht das wohlige Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Der Film testet vielmehr den moralischen Kompass der Zuschauer nach dem Motto: „Was wäre wenn …“ Was wäre, wenn die Gesellschaft tatsächlich Werte politisch ernst nehmen würde? Was wäre, wenn wir nicht mehr wegschauen bei Ungleichheit und Elend?

Der Film ist zugleich ein inspirierendes Kaleidoskop, provokant, kontrovers und experimentierend in der Art, wie er erzählt. Stahlberg versteht es, die Ton- und Gefühlslagen gekonnt zu wechseln, ohne den Faden und die Zuschauer zu verlieren, wobei er die Figur des Mux in seiner sympathischen Doppelbödigkeit meisterlich auslotet.

Er mischt dabei Satire, Reality-Fernsehen, romantische Motive mit politischem Doku-Aktivismus, wie man ihn von US-Filmemacher Michael Moore kennt, manche mögen sich dabei an die 1960er- und 1970er-Jahre erinnert fühlen. Das macht den Film so spannend und unterhaltsam. Man weiß nie genau, was kommen wird. Er ist im guten Sinn unberechenbar.

Eine Welt aus den Fugen

Muxmäuschenstillx holt dabei die Menschen dort ab, wo sie sind, nicht da, wo die Gesellschaft sie haben will. Die Figuren und der Film seien „schräg“, sagt Stahlberg, weil die Welt „schräg“, „aus den Fugen“ geraten ist.

„Über ganz Europa liegt ein Benzindunst der Ungerechtigkeit, aber wir werden den ersten Funken entzünden“, prophezeit Mux in seiner Revolutionsrede im verlassenen Elstertrebnitz.

Auch das ist Satire, aber es ist mehr als das – in Zeiten, in denen die reichsten vier Familien in Deutschland so viel besitzen [3] wie die untere Hälfte der Haushalte, Armutsängste und die extreme Rechte zunehmen und sozialer Zusammenhalt schrumpft.

Rebellion im Kino

Der Film und seine Figuren rebellieren gegen das tiefgefrorene, unsoziale Deutschland, das Kräfte verstärkt, die am Ende niemand gewollt haben will. Der Film scheint die Zuschauer:innen dabei zu fragen, ob sie angesichts dessen an der Seitenlinie verharren wollen, während Deutschland und Europa immer mehr aus den Fugen geraten.

Muxmäuschenstillx ist ein außergewöhnliches und begeisterndes Kinoerlebnis, ein Muss für alle, die mehr von Filmen erwarten als Stangenware und nette Geschichten, und für die, die es nicht lassen können, Gerechtigkeit als Zentrum der Politik anzusehen.

Gelegenheit, den Film zu sehen und darüber zu debattieren, gibt es bereits am Donnerstag, den 17. April. Um 18 Uhr findet eine Special-Vorführung in Berlin [4] im Filmtheater am Friedrichshain statt.

Anschließend findet eine Diskussion mit dem Titel „APO 2.0“ zum Thema „Soziale Ungleichheit in unserer Gesellschaft“ statt. Auf dem Podium sitzen:

Jan Henrik Stahlberg, Regisseur und Hauptdarsteller

Michael Hartmann, Soziologe und Elitenforscher

Ulrike Guérot, Politikwissenschaftlerin und Publizistin

Ulrich Schneider, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband

Daniel Wucherpfennig, Regionsgeschäftsführer DGB Berlin

Eine weitere Vorstellung [5] findet am 28. April um 18 Uhr im Kant Kino in Berlin statt.

Der landesweite Kinostart von Muxmäuschenstillx ist der 1. Mai.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-10353114

Links in diesem Artikel:
[1] https://muxfilm.de/
[2] https://muxfilm.de/
[3] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/zehn-vorschlaege-fuer-weltweite-steuergerechtigkeit
[4] https://www.yorck.de/specials/special-muxmauschenstillx
[5] https://www.yorck.de/specials/premiere-muxmauschenstill

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