Notizen vom Ende der unipolaren Welt – 33 Von Mathias Bröckers

Notizen vom Ende der unipolaren Welt – 33

Weil John Mearsheimer, Politikwissenschaftler an der Universität Chicago und eminenter Vertreter einer „realistischen“ US-Außenpolitik, das Vorgehen des Westens gegen Russland in der Ukraine deutlich kritisiert hat, ist er mittlerweile so etwas wie der Doyen der akademischen „Putinversteher“ in den USA. Vor drei Jahrzehnten allerdings, als sich nach dem überraschende Ende des Kalten Kriegs die politischen…

Notizen vom Ende der unipolaren Welt – 33

21. Juni 2022


Weil John Mearsheimer, Politikwissenschaftler an der Universität Chicago und eminenter Vertreter einer “realistischen” US-Außenpolitik, das Vorgehen des Westens gegen Russland in der Ukraine deutlich  kritisiert hat,  ist er mittlerweile so etwas wie der Doyen der akademischen “Putinversteher” in den USA.  Vor drei Jahrzehnten allerdings, als  sich nach dem überraschende Ende des Kalten Kriegs die politischen Denker die Köpfe über neue Konfliktlagen auf dem geopolitischen Schachbrett zerbrachen, hatte er noch für eine atomare Bewaffnung der Ukraine plädiert, während sein konservativer Kollege Samuel Huntington dort weniger einen militärischen als einen zivilsatorisch-kulturellen Konflikt kommen sah. Huntingtons Bestseller über den “Clash of Civilisations” (Kampf der Kulturen, 1996), den er primär zwischen dem Westen und dem Islam aber auch entlang  anderer Brrchlinien ansiedelte, wurde zwar als grobe Vereinfachung oft und scharf kritisiert, erfuhr aber nach 9/11 mit den Konflikten im Nahen Osten auch teilweise Bestätigung. Und was Russland und die Ukraine betrifft,  erweisen sich die 25 Jahre alten Prognosen seines “zivilisatorischen Paradigmas” als sehr realitätsnah. Hier ein Ausschnitt aus dem ersten Kapitel von Huntingtons Buch:

“Paradigmen generieren auch Vorhersagen, und ein entscheidender Test für die Gültigkeit und Nützlichkeit eines Paradigmas ist das Ausmaß, in dem sich die von ihm abgeleiteten Vorhersagen als genauer erweisen als die von alternativen Paradigmen. Ein statistisches Paradigma veranlasst John Mearsheimer beispielsweise zu der Vorhersage, dass “die Situation zwischen der Ukraine und Russland reif für den Ausbruch eines Sicherheitswettbewerbs zwischen ihnen ist. Großmächte, die eine lange und ungeschützte gemeinsame Grenze haben, wie die zwischen Russland und der Ukraine, verfallen oft in einen von Sicherheitsängsten getriebenen Wettbewerb. Russland und die Ukraine könnten diese Dynamik überwinden und lernen, in Harmonie zusammenzuleben, aber es wäre ungewöhnlich, wenn sie dies tun würden.”
Ein zivilisatorischer Ansatz hingegen betont die engen kulturellen, persönlichen und historischen Bindungen zwischen Russland und der Ukraine sowie die Vermischung von Russen und Ukrainern in beiden Ländern und konzentriert sich stattdessen auf die zivilisatorische Bruchlinie, die die orthodoxe Ostukraine von der uninierten Westukraine trennt – eine zentrale historische Tatsache, die Mearsheimer im Einklang mit dem “realistischen” Konzept von Staaten als einheitliche und sich selbst identifizierende Einheiten völlig ignoriert. Während ein etatistischer Ansatz die Möglichkeit eines russisch-ukrainischen Krieges hervorhebt, minimiert ein zivilisatorischer Ansatz diese Möglichkeit und betont stattdessen die Möglichkeit einer Teilung der Ukraine in zwei Hälften, eine Teilung, die aufgrund kultureller Faktoren zwar gewalttätiger als die der Tschechoslowakei, aber weit weniger blutig als die Jugoslawiens ausfallen könnte. Aus diesen unterschiedlichen Vorhersagen ergeben sich wiederum unterschiedliche politische Prioritäten. Mearsheimers etatistische Vorhersage eines möglichen Krieges und einer russischen Eroberung der Ukraine veranlasst ihn, den Besitz von Atomwaffen in der Ukraine zu unterstützen. Ein zivilisatorischer Ansatz würde die Zusammenarbeit zwischen Russland und der Ukraine fördern, die Ukraine auffordern, ihre Atomwaffen aufzugeben, substanzielle wirtschaftliche Unterstützung und andere Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der ukrainischen Einheit und Unabhängigkeit fördern und eine Notfallplanung für den möglichen Zerfall der Ukraine unterstützen.” Weiterlesen bei Mathias Bröckers,com

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