Palästina und seine Metaphern

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Der siebenjährige Ali Farraj liegt verletzt in einem Krankenhausbett im Feldlazarett des Roten Kreuzes im Gebiet Seraya im Westen Gazas, nachdem Israel am 25. April 2025 ein Gebäude angegriffen hatte, in dem vertriebene Palästinenser in der Yarmouk-Straße im Norden Gazas Zuflucht gesucht hatten.

(Foto: Khames Alrefi/Anadolu via Getty Images)

Palästina und seine Metaphern

Palästina ist kein Symbol. Es ist ein realer Ort, der belagert wird. Und um das klar zu sehen, müssen wir die Sprache verbrennen, die uns blind macht.

Masood Haque

Common Dreams

06. Juni 2025

Metaphern töten. Nicht mit Kugeln oder Bomben, sondern mit Verwirrung. Sie verschleiern, was Klarheit erfordert. Sie sentimentalisieren, was entsetzten sollte. Sie lenken ab.

Susan Sontag schrieb, dass der ehrlichste Weg, eine Krankheit zu verstehen, darin besteht, sie ihrer Metaphern zu entkleiden. Aufzuhören zu sagen, Krebs sei eine Invasion, Tuberkulose sei romantisch oder AIDS sei eine Strafe. Krankheit ist kein Moralstück. Sie ist ein Zustand des Körpers. Was Kranke belastet, ist nicht nur die Krankheit selbst, sondern auch die Geschichten, die die Gesellschaft darüber erzählt.

So ist es auch mit Nationen. So ist es auch mit Palästina.

Palästina ist nicht nur ein Land oder ein Volk. Es wurde zu einer Metapher gemacht. Für Widerstand. Für Verlust. Für Hartnäckigkeit. Für Märtyrertum. Für Chaos. Für Terrorismus. Für Hoffnung. Für Trauer. Es ist alles außer dem, was es ist: ein Ort, an dem Menschen leben, leiden, hungern und sterben.

Palästina durchbricht die Fantasie der westlichen Unschuld. Deshalb muss es abstrahiert, medizinisiert, moralisiert und zum Schweigen gebracht werden.

Indem Palästina zu einem Symbol wird, können die Mächtigen die Tatsachen ignorieren. Man muss keine Checkpoints sehen, wenn man über „Konflikt“ spricht. Man muss Apartheid nicht beim Namen nennen, wenn man über „umstrittene Gebiete“ debattiert. Man muss nicht „gestohlen“ sagen, wenn man „umkämpft“ sagt. Man muss nicht „getötet“ sagen, wenn man „Zusammenstoß“ sagt. Mit Metaphern spricht die Macht über Gewalt, ohne Verantwortung dafür zu übernehmen.

Palästina wird nicht wegen dem, was die Palästinenser tun, unerträglich, sondern wegen dem, was sie repräsentieren: eine offene Wunde, die sich nicht schließen will, ein Volk, das nicht verschwinden wird. Deshalb muss ihre Geschichte ständig umgedeutet, falsch benannt, in Euphemismen und Mythen verpackt werden. Ihre Existenz stört die Fantasie, dass liberale Demokratien gerecht sind, dass Siedlerstaaten stabil sind, dass die Geschichte vorbei ist. Und so bleibt die Metapher bestehen. Sie begräbt die Realität. Sie schützt den Lügner.

Wir müssen uns weigern, in Codes zu sprechen, wir müssen uns weigern, Metaphern den Beitrag des Schweigens leisten zu lassen. Palästina ist kein Symbol. Es ist ein realer Ort, der belagert wird. Und um das klar zu sehen, müssen wir die Sprache verbrennen, die uns blind macht.

Palästina leistet Widerstand. Das ist wahr. Aber wenn man es so sagt – ohne Details, ohne Namen, ohne Zeit und Ort –, wird es zu einem Slogan. Und Slogans verschleiern die Klarheit. Die Welt liebt die Idee des Widerstands mehr als die Realität. Sie liebt das Foto des Jungen mit der Steinschleuder. Sie liebt die Keffiyeh, die Flagge, das Tränengas. Sie liebt das Spektakel der Auflehnung. Was sie nicht liebt, sind die Kosten.

Sie liebt keine gebrochenen Wirbelsäulen durch Schläge an Kontrollpunkten. Sie liebt keine Familien, die ihre Töchter aus Trümmern graben. Sie liebt nicht den dumpfen Terror von Drohnen. Diese Art von Widerstand ist nicht romantisch. Es ist keine Metapher. Es ist nicht postertauglich.

Palästina ist in einem Paradox gefangen. Sein Widerstand wird bewundert, solange er symbolisch bleibt – edles Leiden, poetische Würde, Kinder, die Steine auf Panzer werfen. Aber wenn der Widerstand konkret wird – wenn er Rechte fordert, wenn er zu den Waffen greift, wenn er seinen Unterdrücker beim Namen nennt –, wird er sofort umgedeutet. Jetzt ist es Extremismus. Jetzt ist es Terrorismus. Jetzt wird die Metapher giftig. Das ist die Falle der Metapher: Sie schmeichelt und kriminalisiert, je nachdem, was die Macht gerade braucht.

Die Mächtigen fürchten Palästina nicht wegen seiner militärischen Stärke. Sie fürchten die Idee dahinter. Seine Beharrlichkeit. Die Tatsache, dass etwas so Kleines, so Verwundetes, so systematisch Zerschlagenes sich immer noch weigert, sich zu unterwerfen. Palästina ist der Beweis dafür, dass Herrschaft niemals total ist. Das macht es so gefährlich.

Und so muss die Metapher kontrolliert werden. Eingedämmt. Man kann die Keffiyeh tragen, aber die Besatzung nicht beim Namen nennen. Man kann auf Instagram „Free Palestine“ schreiben, aber Gaza nicht erwähnen. Man kann Darwish zitieren, aber nicht über zerstörte Olivenhaine sprechen. Man kann um die Toten trauern, aber die Mörder nicht beschuldigen. Auf diese Weise wird die Metapher zu einer Leine. Sie lässt einen in Richtung Gerechtigkeit zeigen, ohne sie jemals zu berühren.

Aber Palästina braucht keine Symbole. Es braucht Befreiung. Keine Metaphern, keine Mythen, nur Land, Wasser, Sicherheit und die Rückkehr aus dem Exil. Das sind keine poetischen Forderungen. Sie sind konkret, messbar und werden bewusst verweigert. Um den palästinensischen Widerstand wirklich zu sehen, muss man aufhören, ihn Widerstand zu nennen. Nennen Sie ihn, was er ist: Überleben unter Belagerung. Organisation unter Überwachung. Erinnerung unter Auslöschung. Das ist keine Metapher. Das ist das reale Leben.

Wenn man ein Volk als pathologisch darstellt, muss man nicht mehr rechtfertigen, was man ihm antut. Man muss es nur noch als Medizin bezeichnen. Und wenn die Behandlung die Bedrohung nicht aussterilisieren kann, eskaliert die Sprache. Jetzt muss der Körper gesäubert werden. Jetzt ist die Nachbarschaft das Ziel. Die gesamte Bevölkerung wird verdächtig.

Sie sagen, die Hamas „versteckt sich unter der Bevölkerung“. Aber was bedeutet das in einem 40 Kilometer langen, eingezäunten Landstreifen, in dem es keine Militärbasis, keine Sicherheitszone, keine Trennung zwischen Leben und Widerstand gibt? Der Satz ist keine Tatsachenbehauptung – er ist eine Metapher. Und wie die meisten Metaphern im Krieg dient er einem Zweck: die Grenze zwischen Kämpfer und Zivilist zu verwischen, jeden Mann, jede Frau und jedes Kind zu einem potenziellen Ziel zu machen. Wenn man seinen Feind nicht sehen kann, wird jeder zum Feind. Das Zuhause ist nun ein Militärgelände. Das Krankenhaus eine Kommandozentrale. Die Schule ein Schutzschild. „Unter der Bevölkerung“ beschreibt keine Taktik, sondern rechtfertigt wahlloses Töten. So zerfällt die Sprache des Krieges in die Logik der Vernichtung.

Aber was, wenn der Patient nicht krank ist? Was, wenn die Krankheit das System ist, das ihn erstickt? Was, wenn die Diagnose Projektion ist? Es gibt keinen Impfstoff gegen Siedlerkolonialismus. Keine Heilung für Apartheid – außer ihrer Abschaffung. Aber wenn von Palästina wie von einer Krankheit gesprochen wird, wird sein Überleben immer als Bedrohung dargestellt werden.

Macht nennt sich nie beim Namen. Sie bevorzugt neutrale Begriffe. Klinische. Prozedurale. Leere Begriffe. Palästinenser hungern nicht – sie sind mit einer humanitären Krise konfrontiert. Ihre Häuser werden nicht gestohlen – sie sind Teil eines Eigentumsstreits. Sie sind nicht inhaftiert – sie stehen unter Sicherheitsverschluss. Ihr Leben wird nicht beendet – sie werden neutralisiert. Das ist nicht nur schlechte Sprache. Das ist Politik, die sich als Grammatik tarnt.

Wörter wie „Konflikt“, „Zusammenstoß“, „Gewaltzyklus“ – das sind Metaphern des Gleichgewichts. Sie suggerieren Symmetrie, als wäre dies ein fairer Kampf, als wären beide Seiten gleich bewaffnet, gleich schuldig, gleich frei. Aber dies ist kein Zusammenstoß. Es ist kein Zyklus. Es ist ein Kolonisator und die Kolonisierten. Ein Besatzer und die Besetzten. Der Unterschied ist moralisch. Der Unterschied ist materiell. Die Metapher löscht beides aus.

Die Forderung ist nicht poetisch. Sie ist logistisch: Land zurück, Grenzen aufgehoben, Mauern niedergerissen, Flüchtlinge zurückgebracht, Bombardierungen eingestellt, Sanktionen verhängt, Siedler entfernt, Rechte wiederhergestellt.

Sontag schrieb, dass Menschen, die Krebs als „Invasion“ bezeichneten, sich der Sprache des Krieges bedienten, um etwas Schreckliches zu verstehen. Aber wenn der Krieg real ist und die Invasion tatsächlich stattfindet, kehrt sich die Sprache um. Krieg wird zu Operation. Invasion wird zu Sicherheitsmaßnahme. Man spricht davon wie von Infrastruktur. So bereinigt man die Besatzung.

Die Mauer ist keine Narbe, die das Land durchzieht – sie ist ein Sperrzäun. Siedlungen sind nicht illegal – sie sind neue Stadtviertel. Kontrollpunkte sind keine Instrumente der Kontrolle – sie sind Koordinationspunkte. Und Gaza ist nicht belagert – es ist selbstverwaltet, als würde ein Gefängnis frei, sobald die Wachen sich aus seinen Mauern zurückziehen. Metaphern offenbaren in diesem Zusammenhang nichts. Sie betäuben.

Sie ermöglicht es liberalen Demokratien, sich mit Worten die Hände reinzuwaschen. Man muss Apartheid nicht verurteilen, wenn man sie als „komplexe Situation“ bezeichnen kann. Man muss nicht in ethnische Säuberungen eingreifen, wenn man sie als „tragische Eskalation“ bezeichnen kann. Man muss den Trauernden nicht zuhören, wenn man ihren Schmerz als „Aufwiegelung“ bezeichnet. Das ist keine Metapher als Poesie. Das ist Metapher als Nebelkerze.

Die Medien nutzen sie. Diplomaten nutzen sie. NGOs nutzen sie. Selbst wohlmeinende Aktivisten verstricken sich darin und fordern Dialog, Beide Seiten müssen zusammenkommen, friedliche Lösung, ohne jemals die Gewalt zu benennen, die den Frieden auf Schritt und Tritt blockiert. Aber Klarheit ist kein Extremismus und Präzision ist keine Aufwiegelung. Die Dinge so zu beschreiben, wie sie sind, ist nicht radikal – es ist notwendig. Es gibt keine Symmetrie zwischen dem Stiefel und dem Hals. Und jede Sprache, die etwas anderes suggeriert, ist Komplizenschaft mit dem Stiefel.

Palästina ist keine Wunde in der westlichen Psyche. Es ist ein Spiegel dieser Psyche. Und was es widerspiegelt, ist unerträglich. Der Grund, warum die Welt Palästina nicht direkt ansehen kann, ist nicht, dass es zu fremd ist, sondern dass es zu vertraut ist. Es zeigt dem Westen alles, was er angeblich überwunden hat: Apartheid, Rassenhierarchie, Imperium, Ausrottung. Nicht in der Vergangenheitsform, sondern genau jetzt. Täglich. Live-gestreamt.

Palästina ist der Ort, an dem der Mythos der moralischen Autorität des Westens in sich zusammenbricht. Es ist leicht, die Verbrechen der Vergangenheit anzuprangern: Sklaverei, Faschismus, Völkermord, solange sie in Museen oder Lehrbüchern bleiben. Aber Palästina sprengt diesen Rahmen. Es versetzt das Vokabular des historischen Bösen in die Gegenwart. Es macht das Europa, das den Holocaust begangen hat, zum Komplizen derselben Art von ethnischer Säuberung. Es macht die USA, den Verfechter einer „regelbasierten Ordnung“, zum Hauptfinanzier der Straflosigkeit. Es lässt den Liberalismus wie eine Maske erscheinen, nicht wie ein Prinzip.

Das ist es, was Palästina gefährlich macht – nicht sein Widerstand, sondern seine Klarheit.

Palästina entlarvt die wahre Funktion des Völkerrechts: Wer darf es brechen und wer muss es befolgen? Es entlarvt den stillen Rassismus des Journalismus: Wer bekommt Namen und Kinderfotos und wer wird zu einer „Nummer”? Es entlarvt die Grenzen der Identitätspolitik: Wie viele Türen werden zugeschlagen, wenn die Unterdrückten unbequem werden? Die Metapher von Palästina als Problem ermöglicht es westlichen Institutionen, das Problem in sich selbst nicht zu sehen.

Ein klarer Blick auf Palästina bedeutet, sich Fragen zu stellen, die die meisten Menschen lieber begraben würden. Was bedeutet es, dass der Staat, der aus der Asche des Holocaust entstanden ist, zum Gefängniswärter geworden ist? Was bedeutet es, dass Menschenrechtsgruppen flüstern, was Palästinenser schreien? Was bedeutet es, dass die am stärksten überwachte, bombardierte und belagerte Bevölkerung der Erde aufgefordert wird, sich friedlich zu verhalten, während ihre Besatzer für ihre Zurückhaltung gelobt werden?

Palästina durchbricht die Illusion der westlichen Unschuld. Deshalb muss es abstrahiert, medizinisiert, moralisiert und zum Schweigen gebracht werden. Denn wenn man sich ihm direkt stellt – ohne Metaphern, ohne Euphemismen –, muss man zugeben, dass die Welt nicht postkolonial ist. Dass wir in einem globalen System leben, in dem einige Leben heilig sind und andere nur Kollateralschäden. In dem ganze Bevölkerungsgruppen für ihre bloße Existenz bestraft werden können. In dem das schlimmste Verbrechen nicht Gewalt ist, sondern Erinnerung.

Palästina erinnert sich.

Die Zeit der Symbole ist vorbei. Palästina ist keine Metapher. Es ist nicht der universelle Kampf. Es ist nicht das Gewissen der Welt. Es ist keine Allegorie für den Widerstand der Schwarzen, den Traum von der Rückkehr oder die Poesie des Verlusts. Es ist keine Instagram-Ästhetik. Es ist kein Ersatz für jede Ungerechtigkeit auf der Erde. Es ist ein Ort mit Grenzen und Menschen, einem Kolonialregime, einer militärischen Besatzung, einer Blockade und einer Zahl von Toten. Es ist ein Ort, an dem ein Kind aus einem von Bomben zerbrochenen Rohr trinkt. An dem eine Mutter in einer Schule schläft, weil ihr Haus zerstört ist. An dem ein Mann die Namen seiner Toten zählt, bevor er überprüft, ob sein Bein noch an seinem Körper ist.

Um klar über Palästina zu sprechen, müssen wir uns von der Gewohnheit der Metaphern lösen. Wir müssen aufhören, es als Erzählbogen zu behandeln, als Tragödie, die man aus sicherer Entfernung bewundern kann. Es ist keine Kunst. Es ist keine Geschichte. Es ist die Gegenwart, und es ist jetzt, so wie wir selbst leben und atmen. Wir müssen die Sprache der sanften Ausflüchte ablehnen: Sagen Sie „Besatzung”, nicht „Konflikt”. Sagen Sie „Apartheid”, nicht „Streit”. Sagen Sie „Belagerung”, nicht „Grenzschließung”. Sagen Sie „Massaker“, nicht „Eskalation“. Sagen Sie „Hungertod“, nicht „Hunger“. Sagen Sie „Palästinenser“, nicht „Hamas“.

Die Forderung ist nicht poetisch. Sie ist logistisch: Land zurück, Grenzen aufgehoben, Mauern niedergerissen, Flüchtlinge zurück, Bombardierungen gestoppt, Sanktionen verhängt, Siedler entfernt, Rechte wiederhergestellt. Das ist keine Metapher. So sieht Gerechtigkeit aus; alles andere ist eine Farce.

Sontag verstand, dass Metaphern in den falschen Händen zu Waffen werden. Sie mildern Gewalt nicht – sie schmuggeln sie herein. Sie enthüllen nicht die Wahrheit – sie verpacken sie in eine schmackhafte Form. Sie schrieb gegen Metaphern, um die Kranken vor Stigmatisierung zu bewahren. Wir müssen uns gegen Metaphern wehren, um das Verschwinden Palästinas zu verhindern.

Übersetzt mit Deepl.com

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