Tod eines Doktoranden – oder: Warum Wissenschaftskooperation mit der Bandera-Ukraine unheimlich ist

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Tod eines Doktoranden – oder: Warum Wissenschaftskooperation mit der Bandera-Ukraine unheimlich ist

Von Astrid Sigena

Was wie der Titel einer Folge des „Tatort“ im Ersten klingt, ist im westukrainischen Lwow blutiger Ernst geworden: Dort feiert eine deutsch-ukrainische Wissenschaftskooperation einen jungen Wissenschaftler, der den „Heldentod“ gestorben ist.
© Ukrainian Catholic Univercity/Screenshot

Am 24. Oktober 2024 verkündete Jelisaweta Landenberger in der FAZ, dass am 17. Oktober dieses Jahres in Lwow ein neues Historikerzentrum gegründet worden sei, „das sich der Erforschung der Massengewalt des 20. Jahrhunderts in der Ukraine“ widmen solle (hinter Bezahlschranke).

Eigentlich sei geplant gewesen, die neu geschaffene Forschungseinrichtung nach dem jüdischen Genozidforscher Raphael Lemkin zu benennen. Man habe sich aber letztendlich dazu entschlossen, den Namensgeber zu wechseln. Die Einrichtung heißt nun nach Nikolai Gajewoj, einem jungen ukrainischen Soldaten, der an der dortigen Universität promovieren wollte, „Mykola Hayevoy Modern History Center“.

Auf der Seite der Ukrainischen Katholischen Universität UCU) in Lwow erfährt man mehr über das gemeinsame Projekt mit der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und über den Namensgeber. So zum Beispiel, dass Gajewoj 28 Jahre alt geworden ist, an der Uni Lwow an einer Doktorarbeit über Jaroslaw Stezko arbeitete, sich bereits 2022 für den Kriegsdienst freiwillig gemeldet hatte (er diente in der 95. Brigade) und im August dieses Jahres im Gebiet Kursk gefallen ist.

Aufgabengebiet des vom deutschen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung mit 2,5 Millionen Euro über vier Jahre hinweg geförderten Projekts ist – so die Angaben auf der englischsprachigen Seite – die Geschichte der Ukraine im 20. Jahrhundert, insbesondere das Nazi- und das Sowjetregime in diesem Land.

Das Thema von Krieg und Gewalt in der Ukraine werde mit dem Kriegsbeginn 2022 wieder auf tragische und schreckliche Weise wiederholt. Man wolle sich auf drei Themenbereiche spezialisieren: Erstens ein Vergleich zwischen Stalinismus und Nationalsozialismus als zweier Formen des Totalitarismus. Denn, so die Begründung des deutschen Betreuers des Projekts, Professor Martin Schulze Wessel: „Sowohl die Sowjetunion als auch NS-Deutschland betrachteten die Ukraine als koloniales Ausbeutungs- und Vernichtungsprojekt.“

Zweitens die deutsch-ukrainischen Beziehungen in Zweiten Weltkrieg. Drittens die Erinnerungskultur zu den beiden erstgenannten Themenbereichen („Propaganda and knowledge: The image of Ukrainian nationalism and memory of Soviet and German mass crimes in the period of the Cold War and later“). Es gelte, die Geschichte der Propaganda über den „ukrainischen Nationalismus“ (bereits im Original in Anführungszeichen) zu erforschen.

Geplant seien für die nahe Zukunft öffentliche Vorträge für ein größeres Publikum zu historischen Themen und zu „Russlands Krieg gegen die Ukraine“. Professor Jaroslaw Gryzak, der ukrainische Projektleiter, soll eine Biografie über Stepan Bandera verfassen. Für Deutschland sind Ausstellungen und Veranstaltungen, auch in Schulen, geplant: Man müsse die sowjetische und die deutsche Gewalt zusammen betrachten, was lange Zeit vermieden worden sei.

Professor Schulze Wessel nutzte auch gleich die Eröffnungsfeierlichkeiten, um mehr Waffen für die Ukraine zu fordern und auf die Parteien verbal einzudreschen, die in der Gesamt-EU und speziell in Deutschland Friedensforderungen aufstellen. Professor Margaret MacMillan vom Trinity College in Toronto warnte in ihrer Eröffnungsrede vor einem imperialen Russland, das – wenn nicht gestoppt – Konflikte auf der ganzen Welt auslösen könnte.

Nun mag der geneigte Leser einwenden: Es herrscht Wissenschaftsfreiheit, Forscher sollten über die Themen forschen können, die sie für richtig halten, und seien es Vergleiche zwischen den totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts oder eben auch eine politische Biografie des ukrainischen Nationalisten Jaroslaw Stezko (der ein OUN-Politiker und radikaler Antisemit war). Ja, das ist richtig. Seit Galilei Galileos legendärem trotzigem Gemurmel „Eppur si muove“ ist die Forschungsfreiheit ein Prinzip, das von jeder Wissenschaft, die ihren Namen verdient, hochgehalten werden muss.

Es gibt aber noch weitere Prinzipien, die in der Wissenschaft zu beachten sind:

Zum einen das Prinzip „sine ira et studio“, das als Erster der römische Historiker Tacitus formuliert hat. Es bedeutet, dass man sich als Historiker nicht emotional in das Forschungsthema verwickeln lassen, dass man Distanz zum Forschungsthema bewahren soll. Nun lässt sich dieser hehre Vorsatz nicht immer einhalten (schon Tacitus ist daran gescheitert), das ist auch nicht immer wünschenswert (eine wissenschaftliche Äquidistanz beispielsweise zwischen den Nationalsozialisten und ihren Opfern wäre ausgesprochen kaltschnäuzig), aber ein Historiker mit Berufsehre wird seine Arbeit doch immer wieder an diesem Grundsatz ausrichten. Wie neutral kann ein wissenschaftliches Institut sein, das schon in seiner Namensgebung Partei ergreift? Durch die Bezugnahme auf den aktuellen russisch-ukrainischen Krieg schon in der Projektbeschreibung ist einer starken Emotionalisierung der Forschungsarbeit Tür und Tor geöffnet.

Nun ist Gajewoj nicht irgendwo gefallen, sondern im August des Jahres 2024 im Gebiet Kursk – also während des Einfalls der ukrainischen Armee auf russisches Gebiet. Eine militärisch sinnlose Operation, deren Zweck ukrainische Offizielle damit begründeten, man müsse den Krieg nach Russland tragen, man müsse der russischen Gesellschaft zeigen, was Krieg ist. (Militärische Aktionen zur Einschüchterung der Zivilbevölkerung – galt so etwas nicht früher mal als Kriegsverbrechen?)

Damit nicht genug: Zum Zeitpunkt der Eröffnungsfeier im Oktober gab es schon genügend Hinweise auf Kriegsverbrechen ukrainischer Soldaten und ihrer westlichen Söldnerkameraden an der russischen Zivilbevölkerung. Die Verspottung eines erschöpften älteren Herrn durch ukrainische Soldaten in SS-Helmen und die Präsentation verängstigter Bewohner des Landkreises Sudscha vor westlichen Journalisten dürften noch jedem aufmerksamen Beobachter des Zeitgeschehens in Erinnerung sein. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa ging sogar so weit, die ukrainischen Internierungslager für russische Zivilisten mit deutschen KZs zu vergleichen. Nun wollen wir Gajewoj – im Sinne des „De mortuis nil nisi bene“ – nicht unterstellen, sich an solchen Untaten beteiligt zu haben. Womöglich war er sogar entsetzt über die Wirklichkeit eines Krieges, den er sich so nicht vorgestellt hatte. Aber ist er für die Ehrung als Namensgeber einer wissenschaftlichen Einrichtung geeignet?

Der deutschen Seite ist all das offenbar gleichgültig. Vom stellvertretenden deutschen Botschafter in Kiew Dr. Tim Prange heißt es auf der Seite der UCU sogar, er sei tief beeindruckt gewesen von einem Video, das in Erinnerung an Gajewoj geschaffen worden sei. Er habe betont, dass es eine große Verpflichtung gegenüber den Helden gebe, die ihren Dienst leisteten. Wer anders als die in Kursk wütende ukrainische Soldateska könnte damit gemeint sein?

Zumindest den deutschen Forschern aus München muss außerdem die hohe symbolische Bedeutung, die der Erinnerungsort Kursk für das russische Volk hat, bewusst gewesen sein – sie ist ihnen offensichtlich egal. (Zur Erinnerung: Die von der Wehrmacht abgebrochene Operation im Kursker Bogen 1943 gilt in der russischen Geschichtsschreibung – neben Stalingrad – als zweite große Wende im deutsch-sowjetischen Krieg, ja im Zweiten Weltkrieg überhaupt; der Name Kursk ist im russischen kollektiven Bewusstsein auch untrennbar mit dem Blutzoll von 27 Millionen toten Sowjetbürgern verknüpft.) Bereitet es deutschen Offiziellen eigentlich eine diebische Freude, die Russen zu brüskieren?

Forschung erfolgt auch nicht im luftleeren Raum. Ein Forscher muss auch immer das politische und gesellschaftliche Umfeld bedenken, in dem seine Forschung erfolgt (und von dem sie missbraucht werden kann). Im Falle des „Mykola Hayevoy Modern History Center“ findet diese Forschung in der Ukraine statt, einem Land, das sich seit 2014 im Bürgerkrieg und seit 2022 in einem offenen Krieg mit dem Nachbarland Russland befindet. Und dieses Land hat es zur Meisterschaft in der propagandistischen Bewirtschaftung der Geschichte gebracht.

Es ist ein Land, das sich als ständiges Opfer einer seit Jahrhunderten andauernden russischen Aggression und Unterdrückung betrachtet. Es ist ein Land, das den Hungertod von Millionen Sowjetbürgern vor rund 90 Jahren nicht als Verbrechen aus der Stalinzeit sieht, das historisch aufgearbeitet werden muss und dessen Opfer betrauert werden sollten. Für das offizielle ukrainische Narrativ ist der Golodomor ein Völkermord der Russen an den Ukrainern, der bis heute nicht vorbei ist. Russen als die ewigen Täter, Ukrainer als die ewigen Opfer.

Die Ukraine ist ein Land, das die (angeblichen oder tatsächlichen) Verbrechen der „Russen“ zur Rechtfertigung nimmt, die „Russen“ im eigenen Land als Menschen minderen Werts zu behandeln, ihnen das Recht auf eine eigene Religiosität (Verbot der UOK) und auf die eigene Sprache (Verbot des Russischen in der Öffentlichkeit) zu verweigern. Die Ukraine ist ein Land, in dem das Lied mit der Zeile „Unser Vater Bandera“ die zweite, inoffizielle Hymne geworden ist. Die Ukraine unter Wladimir Selenskij ist ein Land, das es sich in seiner historischen Opferrolle bequem gemacht hat, selbst aber die Aufarbeitung der Verbrechen der eigenen geistigen Vorväter verweigert, zum Beispiel die wolhynischen Massaker an den in der heutigen Westukraine lebenden Polen. Glauben die Historiker von der LMU allen Ernstes, in diesem wissenschaftlichen Umfeld neutral die beiden Systeme des 20. Jahrhunderts vergleichen zu können oder das politische Wirken Stezkos objektiv zu würdigen?

Ist diese zu befürchtende Beeinträchtigung der wissenschaftlichen Objektivität eine ukrainische Besonderheit, die dem seit dem 24. Februar 2022 entstandenen Kriegszustand geschuldet ist? Im Juli dieses Jahres wurde im Bayerischen Landtag ein Gesetz beschlossen, das Zivilklauseln an bayerischen Universitäten und Hochschulen verbietet (bisher konnten Hochschulen und Universitäten autonom beschließen, dass ihre Forschung nicht für militärische Zwecke gebraucht werden darf), ja sogar die wissenschaftlichen Einrichtungen im Krisenfall zur Kooperation mit der Bundeswehr und ihren NATO-Verbündeten verpflichtet.

Beruhigende Stimmen gab es viele: Das sei Zukunftsmusik, bisher werde überhaupt noch nicht an bayerischen Unis militärisch geforscht, das betreffe ohnehin nur die Naturwissenschaften, und man könne einzelne Forscher nicht zur Zusammenarbeit mit dem Militär zwingen. Mit vorgehaltener Waffe wohl tatsächlich nicht; es reicht schon, wenn die im Krisenfall zur Kooperation verpflichtete Uni dem für sie nutzlos gewordenen Forscher und seinen Doktoranden die Fördergelder verweigert.

Und wer sagt denn, dass dieses Kooperationsgebot nur die Naturwissenschaften (deren Forschungsergebnisse freilich eine häufige Affinität zur militärischen Zweitnutzung aufweisen) beträfe? Gerade die Geisteswissenschaften sind doch für die psychologische Kriegführung geradezu prädestiniert! Noch ist es nur ein Alptraumszenario, aber in einem kriegstüchtig gewordenen Deutschland mit ausgerufenem Krisenfall und Kooperationsgebot könnte durchaus eine Doktorarbeit gefördert werden, die herausstreicht, dass Fjodor Dostojewski als russischer Nationalist der deutschen Kriegstauglichkeit nicht dienlich sei und folglich zumindest aus dem öffentlichen Bibliotheken verbannt werden müsse.

Noch zentraler für die Zwecke der geistigen Kriegsertüchtigung dürfte das Fach Psychologie sein, mit seiner Fähigkeit, zu erforschen, wie man mit „soft power“ und „nudging“ Menschen dazu bringt, Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht tun wollen – und das ganz ohne Zwang. Auch die Historiker dürften in einem kriegstüchtigen Deutschland Aufgaben bekommen, von denen sie sich heute nicht mal träumen. Einen kleinen Vorgeschmack bietet die an der Universität Wuppertal lehrende Historikerin Tatjana Tönsmeyer, die fast keine Gelegenheit auslässt, bei der Bewerbung ihres jüngsten Buches „Unter deutscher Besatzung“ Bezüge zur russischen „Besatzung“ der Donbass-Regionen zu ziehen. Bis jetzt noch ganz freiwillig, womöglich sogar unbewusst.

Immerhin, Gajewoj kann für sich verbuchen, dass einige Jahre lang (bis zu einem fälligen Regimewechsel) ein „Historical Center“ an seiner Alma Mater nach ihm benannt ist. Die deutschen Soldaten, deren Stationierung in Litauen gerade anläuft und die im Kriegsfall dort wie auf dem Präsentierteller als Zielscheibe dargeboten sind, werden diesen postmortalen Trost nicht haben. Denn so viele historische Institute kann man gar nicht gründen, wie Verluste zu erwarten sind.

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1 Kommentar zu Tod eines Doktoranden – oder: Warum Wissenschaftskooperation mit der Bandera-Ukraine unheimlich ist

  1. Empörend, dass mit deutschen Steuergeldern in Lwiw ein Projekt gefördert wird, in dem die „Ausbeutung der Ukraine“in der Sowjetunion gleich gesetzt wurd mit der im Nationalsozialismus. („Sowohl die Sowjetunion als auch NS-Deutschland betrachteten die Ukraine als koloniales Ausbeutungs- und Vernichtungsprojekt.“) Und einer der Doktoranden des Projekts für die Ukraine im russischen Gebiet Kursk gekämpft hat(wo er an der Front starb).

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