Am Beispiel der Ukraine: Wie Geopolitik funktioniert von Thomas Röper

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Interessen oder „Werte“?

Am Beispiel der Ukraine: Wie Geopolitik funktioniert

von Thomas Röper

18. Juni 2023

Ich stelle immer wieder fest, dass die meisten Menschen nicht wirklich wissen, was Geopolitik ist und wie sie funktioniert. Daher will ich hier ein paar grundsätzliche Dinge zum Verständnis sagen.

Die meisten Menschen wurden von den Ereignissen in der Ukraine emotional zutiefst aufgewühlt. Das ist verständlich, denn die Tragödie, die sich dort abspielt, ist wirklich schrecklich. Aber das hat einen entscheidenden Nachteil, denn wer emotionalisiert ist, dessen analytisches Denken ist ausgeschaltet.

Ich habe diesen Artikel schon einmal im Mai 2022 veröffentlicht, stelle aber anhand von Mails fest, dass natürlich nicht alle ihn gelesen haben und dass er viele Fragen, die Leser mir stellen, beantwortet. Daher habe ich den Artikel aktualisiert und veröffentliche ihn noch einmal.

Geostrategie und Emotionen

Diese Emotionalisierung ist gewollt, denn wer emotionalisiert, also wütend, verängstigt, entsetzt und so weiter ist, dessen Fähigkeit zu rationalem Denken ist ausgeschaltet. Und wer nicht rational, sondern emotional denkt, der ist über seine Emotionen leicht lenkbar. Das ist ein bewährtes Mittel zur Lenkung der Massen.

Wenn wir aber Geopolitik verstehen wollen, müssen wir vollkommen trocken und „gefühllos“ analysieren. Geopolitik ist wie ein Schachspiel und wir alle wissen, dass noch nie jemand ein Schachspiel mit Emotionen gewonnen hat, sondern dass immer der gewinnt, der besser und kaltblütiger analysiert. Das gilt auch für den Beobachter eines Schachspiels, der das Spiel und die Strategien der Spieler nur verstehen kann, wenn er das Spiel genauso kalt und sachlich beobachtet, wie die Spieler es spielen.

In der Geopolitik sind diese Beobachter des Spiels die Analysten, zu denen ich mich zähle. Man muss die politischen Ereignisse beobachten, wie ein Schachspiel. Wenn man beim Schach Mitgefühl mit dem Bauern hat, der als das bekannte „Bauernopfer“ geschlagen vom Feld genommen wird, dann hat man das Spiel nicht verstanden. Der Bauer ist nur eine Figur und er wurde geopfert, um für seine Seite einen Vorteil zu generieren, indem er zum Beispiel im Tausch gegen einen Läufer geopfert wurde.

Das geopolitische Schachbrett

In der Geopolitik sind Länder und Völker die Spielfiguren. Wer Geopolitik verstehen will, der muss denken, wie ein Geostratege. Und einem Geostrategen ist es vollkommen egal, ob ein Land zerstört und hunderttausende Menschen dabei ermordet werden, für den Geostrategen zählt nur, dass seine Seite dabei einen Vorteil erlangt hat und dass die Gegenseite dabei geschwächt wurde. Das zerstörte Land und die hunderttausenden unschuldigen Toten sind das Baueropfer. Und der Geostratege hat mit denen genauso wenig Mitgefühl, wie der Schachspieler mit dem aus Holz geschnitzten Bauern, den er gegen einen Läufer des Gegners getauscht hat.

Das ist zynisch, aber so ist die Realität in der Geopolitik. Ich bin froh, dass ich „nur“ Analyst bin. Ich beobachte und kann – während ich an meinen Analysen arbeite – meine Gefühle ausblenden. Ich könnte kein Geostratege sein, der diese Entscheidungen trifft, die „bei Bedarf“ hunderttausenden Menschen den Tod bringen.

Zum Verständnis der Geopolitik müssen wir wissen, dass sie so funktioniert, wie ich es gerade beschrieben habe, und dass die Entscheider die Welt als Schachbrett ansehen, wobei die Länder und ihre Völker die Figuren sind. Die mächtigen Staaten – vor allem die USA, Russland und China – sind die Spieler und alle anderen Staaten sind die Spielfiguren, so müssen wir uns das in einer – zugegeben etwas vereinfachten Darstellung – vorstellen. Und verschiedene Länder sind verschieden wichtig und mächtig, einige sind nur Bauern, andere sind Läufer, Springer oder Türme. Aber sie sind von den Entscheidungen der Spieler abhängig, sie sind trotzdem nur Spielfiguren.

Interessen oder Freundschaft?

Nachdem wir verstanden haben, dass Geopolitik nur wenig mit Menschlichkeit zu tun hat, hat sich die Frage, ob es unter Staaten Freundschaften gibt, eigentlich schon wieder erledigt. Die Antwort ist nein, es gibt in der Geopolitik keine Freundschaften, auch wenn Politiker uns gerne erzählen, zum Beispiel die USA oder Frankreich wären Deutschlands Freunde.

In der Geopolitik geht es um handfeste Interessen. Dass zum Beispiel Russland und China heute „eng befreundet“ sind, liegt daran, dass sie in sehr vielen Bereichen die gleichen Interessen haben. Sie sind an Stabilität in Asien interessiert, weil kein Staat gerne Unruhe in der Nähe seinen Grenzen hat. Russland ist an Chinas Technologie und industrieller Macht interessiert, China braucht Russlands Rohstoffe und auch Unterstützung auf den Technologiefeldern, auf denen Russland führend ist. Weiterlesen im anti-spiegel.ru

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