Anmerkungen zu Trojanischen Pferden – Leo Ensels Theorie über „linke“ Freude am NATO-Krieg

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Wie man die Linke in den Krieg lockt … – oder: „Antiimperialismus“ und „Decolonize Russia!“

Ein Artikel von Leo Ensel

 Der Stellvertreterkrieg in der Ukraine führt auch im Westen zu höchst merkwürdigen Verwerfungen. Nicht wenige stramme Linke (oder sich als solche Definierende) plädieren plötzlich, in trauter Einheit mit konservativen Scharfmachern, für den Einsatz westlicher Waffensysteme gegen Ziele in Russland – inclusive Taurus-Marschflugkörpern! Sie dazu zu bringen, ist viel leichter, als man denkt: Man muss sie nur richtig ködern. Von Leo Ensel.


„Die Linke“, wenn man das mal so unstatthaft verallgemeinern darf, war in ihrer Gesamtheit nie pazifistisch. Im Gegenteil: Dezidiert pazifistische Positionen wurden nicht selten mit Hohn und Spott übergossen. Aber es gab zu allen Zeiten immer wieder große Persönlichkeiten, die zumindest gegen bestimmte Kriege unmissverständlich und wortgewaltig Position bezogen – und diesen Antikriegseinsatz oft bitterst bezahlen mussten. „Antimilitarismus“ nannte man das. Weiterlesen in den nachdenkseiten.de

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Dazu veröffentliche ich die Replik auf Leo Ensels Artikel auf den Nachdenkseiten vo Martin Leo, die ich von ihm zugeschickt bekam und sehr gern beide Artikel auf der Hochblauen Seite zur Diskussion stelle. Evelyn Hecht-Galinski
Anmerkungen zu Trojanischen Pferden – Leo Ensels Theorie über „linke“ Freude am NATO-Krieg

Von Martin Leo
02. Februar 2025
Der Konfliktforscher Leo Ensel wirft in einem unter anderen auf den „Nachdenk-Seiten“ am 31.1.25 erschienenen Beitrag („Wie man die Linke in den Krieg lockt … – oder: ‚Antiimperialismus‘ und ‚Decolonize Russia!‘“) die interessante Frage auf, wie es denn eigentlich sein könne, dass „stramme Linke“ oder, wie Ensel einräumt, sich bloß als „solche Definierende“ mit Konservativen in Deutschland zu den Scharfmachern des Ukraine-Kriegs gehören könnten. Um diese Frage seriös zu beantworten oder wenigstens einen entsprechenden Versuch zu wagen, müsste man allerdings viel tiefer graben, als Ensel es hier tut.
Ensels Argumentation ist etwas umständlich und erschließt sich nicht sofort. Möglicherweise liegt das daran, dass Ensel die von ihm verwendeten Begriffe nicht weiter definiert. Das beginnt mit der Zuschreibung jener, die er, wie weit gefasst oder „unstatthaft verallgemeinernd“ (Ensel)   auch immer, irgendwie zu den „Linken“ zählt.  Im weiteren Fortgang erweist sich diese Methode des „alles in einen Topf Werfens“ jedoch als die wesentliche Voraussetzung, die dem Autor ermöglicht, zu seinen seltsamen Schlussfolgerungen zu gelangen.
Wenn Ensel feststellt, dass „die Linke“ insgesamt „nie pazifistisch“ gewesen sei, dann ist dies vermutlich als Vorwurf an „die Linke“ zu verstehen, denn sie habe solche Positionen „mit Hohn und Spott“  übergossen. Klingt hier schon durch, dass „die Linke“ oder zumindest weite Teile von ihr eigentlich kriegsaffin seien, so muss er, dieser Logik folgend, um so mehr jene großen „Persönlichkeiten“ loben, die „zumindest gegen bestimmte Kriege unmissverständlich und wortgewaltig Position bezogen“: „Das“ nenne man dann „Antimilitarismus“.
Ensel grüßt den Gesslerhut und schreibt, „wir“ erinnerten uns jährlich „zu Recht“ an Luxemburg und Liebknecht.
Es ist schön, wenn auch Herrn Ensel „in diesem Zusammenhang“ Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg einfallen. Aber noch schöner und für seine Fragestellung erhellender wäre es gewesen, wenn er sich mit uns daran erinnert hätte, dass für beide Persönlichkeiten ein untrennbarer Zusammenhang zwischen Antikapitalismus und Antimilitarismus bestand. Nur wenn man diese Tatsache unterschlägt, kann man auf Ensels Idee kommen, die heutigen Kriegsversteher unter ehemaligen deutschen Linken könnten in der Tradition ausgerechnet von Liebknecht und Luxemburg stehen.
Diese neoliberale „Linke“, um die es sich heute tatsächlich handelt, ist und war  ganz überwiegend mit völlig anderen Ideen verwurzelt  als ausgerechnet mit jenen von Liebknecht und Luxemburg. Wäre Antikapitalismus der Ausgangspunkt ihrer Überzeugungen gewesen, wären ihre Antworten nicht nur, aber auch auf den Ukrainekrieg ganz anders ausgefallen.
Tatsächlich finden wir im Milieu „linker“ NATO-Versteher kaum Leute, deren politische Vergangenheit oder Gegenwart sie als Kenner und Vertreter der antiimperialistischen Bewegung etwa im Lenin’schen Sinne ausweist. Dafür finden wir  sicher sehr viel mehr ehemalige Pazifisten oder „sich als solche Definierende“… (wofür aufrechte Pazifisten nichts können) und auch Leute, die einst gern mit den Maoisten in den Krieg gegen die Sowjetunion gezogen wären.
Ensel kann sich seine Verbeugung vor  Liebknecht und  Luxemburg sparen, wenn er im gleichen Atemzug anklingen lässt,  diese hätten nur „situativ antimilitaristisch Position“ bezogen. Das kann eben nur behaupten, wer Pazifismus und Antimilitarismus begrifflich nicht voneinander abgrenzt. Der „situative“ Antimilitarismus ist permanenter Zustand und ergibt sich aus der sozialistischen  Kapitalismuskritik. „Situativ“ ist eher der Pazifismus, den man situationsbedingt leicht über Bord wirft, eventuell zusammen mit  jedwedem Antikapitalismus, wenn man ihn denn überhaupt je vertrat.
Das „Trojanische Pferd“ für das Einschleusen von Kriegsbegeisterung in „die Linke“ ist eben keinesfalls „der Antiimperialismus“, wie Ensel konstruiert, nachdem er Begriffe und  Personen von Baerbock bis Lenin wild durcheinander gewirbelt hat.   Es macht zwar einigen Sinn, die EU-Abgeordnete der PDL, Carola Rackete, als Befürworterin von deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine in einem Atemzug mit Imperialisten wie Dick Cheney und antirussischen „Entkolonialisierungs“fantasien zu nennen. Völlig absurd und lächerlich wird Ensels Argumentation aber, wenn er meint, Racketes gegen Russland gerichteten „Antiimperialismus“ auch noch den Segen ausgerechnet Lenins geben zu dürfen, des „Vaters der linken Imperialismustheorie“.
In den Politik- und Sozialwissenschaften rächt es sich, wenn nicht wie in den exakten Wissenschaften wenigstens ansatzweise der Versuch unternommen wird, Begriffe zu definieren oder unterschiedliche Inhalte gleicher Begriffe zu deuten. Schlimmstenfalls muss man sich vorwerfen lassen, falsche Narrative zu propagieren.
Kann es denn also sein, dass Leo Ensel wirklich glaubt,  in Frau Rackete eine Anhängerin Lenins vor sich zu haben…? Eine, die weiß, dass die Ursache imperialistischer Aggressivität das Streben von Monopolen nach Expansion, nach neuen Rohstoffquellen, nach neuen Absatzmärkten und Kapitalanlagemöglichkeiten ist?  Wäre das bei Frau Rackete und all den anderen „linken“ Nato-Verstehern der Fall, dann müssten wir um den Frieden weniger fürchten. Sie wüssten auch diesen Krieg anders zu interpretieren. So aber verdient Racketes Imperialismusvorwurf nicht den Segen Lenins, sondern den von Scholz, der Russland  im September 2022 in der UNO „blanken Imperialismus“ vorwarf und damit angebliches Expansionsstreben meinte.
Die „linken“ NATO-Freunde haben eine andere ideologische Vorgeschichte als Ensel meint.  Es würde lohnen, sie tatsächlich zu erforschen. Ihre Ursprünge liegen noch vor den europäischen Ereignissen von 1989 ff., die nicht zu einem irgendwie besseren Sozialismus, sondern  letztlich zur weiteren Marginalisierung sozialistischer und besonders leninistischer Einflüsse in Europa führten und die NATO-Kriege in Jugoslawien und der Ukraine erst ermöglichten.
Welchen praktischen Sinn hat die falsche Fährte, auf die uns Ensel führt? Geht es überhaupt um die Frage nach den Ursprüngen angeblich linker Freude am NATO-Krieg? Oder lautet die eigentliche Botschaft mit Blick zum Beispiel auf die Friedensbewegung:
Gebt Acht auf die linken Antiimperialisten! Es sind gar keine echten Kriegsgegner wie die Pazifisten! Sie sind nur „situativ“ dabei! Nun, das stimmt. Der „Pazifismus“  von Antikapitalisten und Freunden von Liebknecht, Luxemburg und Lenin beginnt „situativ“ erst nach dem Ende des Kapitalismus. Solange sind sie Antimilitaristen und es gilt, frei nach Lenin, dass sie „die Kriege unter den Völkern stets als barbarische und bestialische Sache verurteilen“.
Martin Leo
Diplom-Politologe
Lagos – Portugal
Linke Deutschsprachige Freunde Lagos (LDFL) jetzt auf dem Portal des österreichischen Strassenmagazins Uhudla: https://uhudla.at/ldfl-2/

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