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Bundestag im Kriegsrausch

Der Bundestag hat der israelischen Regierung einen Freibrief ausgestellt, sich für den Aufstand im Gazastreifen grausam an der palästinensischen Bevölkerung zu rächen, und versprochen, sie dabei mit allen verfügbaren Mitteln zu unterstützen.

Bundestag im Kriegsrausch

Peter Schwarz

Der 12. Oktober 2023 wird als Datum in die Geschichte eingehen, an dem alle im Bundestag vertretenen Parteien, von der Linken bis zur AfD, die Reihen schlossen und sich einhellig zu einer Politik des hemmungslosen Militarismus und der politischen Unterdrückung bekannten.

Der Bundestag stellte der israelischen Regierung einen Freibrief aus, sich für den Aufstand im Gazastreifen grausam an der palästinensischen Bevölkerung zu rächen, und versprach, sie dabei mit allen verfügbaren Mitteln zu unterstützen. Er drohte allen regionalen Organisationen und Mächten, die es wagen, den Palästinensern zu helfen, mit militärischer Vergeltung und verpflichtete sich, in Deutschland jede Sympathiebekundung mit den Palästinensern zu verfolgen, zu bestrafen und zu unterdrücken.

Alexander Gauland (AfD) in der Bundestagsdebatte zu Israel [Photo by DBT / Tobias Koch]

Als der Bundestag am Donnerstag tagte, hatte die israelische Regierung längst deutlich gemacht, dass sie Kriegsverbrechen von gewaltigem Ausmaß plant. Sie hatte bereits begonnen, den Gazastreifen, wo über zwei Millionen Menschen ohne Fluchtmöglichkeit auf engstem Raum zusammengepfercht leben, in eine Hölle zu verwandeln.

Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant hatte verkündet: „Kein Strom, kein Essen, kein Sprit, alles ist abgeriegelt. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und wir handeln dementsprechend.“ Premier Benjamin Netanjahu hatte geschworen, sämtliche Mitglieder der in Gaza regierenden Hamas zu töten. „Wir werden sie zerquetschen und zerstören, wie die Welt den ‚Islamischen Staat‘ zerstört hat,“ drohte er. Jedes Hamas-Mitglied sei „ein toter Mann“. Da die Hamas in Gaza tief verwurzelt ist, bedeutet dies die Ermordung von Hunderttausenden.

Seit Tagen wird der Gazastreifen von der israelischen Armee pausenlos bombardiert, ganze Wohngebiete liegen bereits in Trümmern, die Bevölkerung ist von Elektrizität, Wasser und Nahrung abgeschnitten, über 1400 Menschen, darunter zahlreiche Kinder und Frauen, waren laut offizieller Zählung bis Donnerstagmittag gestorben. Weitere Tausende sind verletzt, ohne dass die Krankenhäuser sie weiter versorgen können.

Die israelische Armee zieht an der Grenze zu Gaza über 300.000 Soldaten zusammen, fast doppelt so viele wie die Gesamtstärke der Bundeswehr, und bereitet eine Bodeninvasion vor, die nach allgemeiner Einschätzung lang und blutig sein wird. „Das Ausmaß davon wird noch größer und schwerwiegender sein als bisher. Es wird nicht sauber sein,“ zitiert der britische Economist den israelischen Militärsprecher Richard Hecht. Und der israelische UN-Gesandte Gilad Erdan ergänzt: „Die Zeiten, in denen man mit diesen Wilden argumentieren konnte, sind vorbei. Jetzt ist es an der Zeit, die Terrorinfrastruktur der Hamas zu zerstören, sie vollständig auszuradieren.“

Trotzdem fiel in der gesamten Bundestagsdebatte nicht ein Wort der Kritik am israelischen Vorgehen, geschweige denn eine Silbe der Empathie mit den Palästinensern. Die Abgeordneten aller Parteien überboten sich gegenseitig darin, der israelischen Regierung ihre Unterstützung zu versichern. Der israelische Botschafter Ron Prosor, der auf der Ehrentribüne saß, wurde mit stehenden Ovationen gefeiert.

Das Protokoll der Sitzung vermerkt dutzende Male: „Beifall im ganzen Hause“ und „Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN“. Am Schluss verabschiedete der Bundestag einen Entschließungsantrag, der von den drei Regierungsparteien und der CDU/CSU gemeinsam eingebracht worden war. Er wurde ohne Gegenstimme und Enthaltung angenommen. Auch die Abgeordneten der AfD und der Linken stimmten geschlossen dafür.

Den Auftakt der Debatte machte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit einer Regierungserklärung. Er denunzierte die aufständischen Palästinenser als „Terroristen“ und stellte dem israelischen Militär einen Blankoscheck aus. „Israel hat das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich und seine Bürgerinnen und Bürger gegen diesen barbarischen Angriff zu verteidigen,“ sagte er. „In diesem Moment gibt es für Deutschland nur einen Platz: den Platz an der Seite Israels.“

Scholz bestritt jeden Zusammenhang zwischen der jahrzehntelangen Unterdrückung der Palästinenser durch das israelische Regime, das wiederholt Massaker organisiert, mit Unterstützung faschistischer Siedler große Teile der Westbank annektiert und Gaza in ein Freiluftgefängnis verwandelt hat, das sie in regelmäßigen Abständen bombardiert. „Nichts, aber auch gar nichts rechtfertigt den Terror der Hamas!“ behauptete er.

Für Scholz ist brutale Gewalt nur erlaubt, wenn sie von Unterdrückern ausgeht, nicht aber von Unterdrückten. Mit ähnlichen Argumenten hatten die Nazis einst jeden Widerstand, der von Partisanen, Juden oder anderen Opfern ihrer mörderischen Politik ausging, als „Terrorismus“ denunziert und brutal vernichtet. Alle anderen Debattenredner folgten Scholz uneingeschränkt und steigerten sich in einen regelrechten Kriegsrausch.

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz rechtfertigte schon im Vorhinein jedes Kriegsverbrechen der israelischen Regierung: „Doch eines ist schon jetzt klar: Unsere Solidarität darf keine Risse bekommen, auch dann nicht, wenn Israel das Notwendige tut, um seine Sicherheit wiederherzustellen.“

Omid Nouripour (Grüne) erklärte: „Es geht nicht darum, dass da gerade zwei Streitparteien zugange sind. Es geht um einen demokratischen Staat, der sich gegen blanken Terror wehrt. Deshalb gibt es keine Äquidistanz, zu niemandem. Wir stehen nur an der Seite Israels.“

Dietmar Bartsch (Die Linke) sprach von „einer neuen Dimension des Terrors“, der „einfach nur Juden abschlachten“ wolle, und bekräftigte „unsere Solidarität mit Israel“.

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sagte, mit den Terrorakten der Hamas sei ein „nachhaltiger Frieden in weite Ferne gerückt“. Jetzt gelte es, „den Terror konsequent zu bekämpfen“.

Für die AfD sprach als erster Alexander Gauland, der den Holocaust als „Vogelschiss“ in einer tausendjährigen, ruhmreichen deutschen Geschichte bezeichnet. „Dieser barbarische Angriff mit fast ausschließlich zivilen Opfern muss radikal beantwortet werden,“ sagte er und rief zu einem Feldzug gegen den Islam auf: „Wenn wir uns an die Seite Israels stellen, verteidigen wir auch unsere Art, zu leben und zu denken, gegen einen politisierten Islam.“

Sein Fraktionskollege Jürgen Braun warf den „Altparteien“ vor, sie hätten „genau solche Menschen wie die Meuchelmörder von Gaza jahrelang ungestört in unser Land einreisen lassen“. Nur die AfD habe „sich klar gegen die Einwanderung von Judenhassern und Massenmördern gestellt“.

Am deutlichsten brachte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann die Kriegsbegeisterung der Abgeordneten auf den Punkt, als er im ZDF über einen Besuch des israelischen Botschafters Ron Prosor in der CDU-Fraktion berichtete. „Das war für mich historisch, diese Sitzung werde ich nie vergessen“, sagte Linnemann. Der Botschafter habe gesagt: „Wir versuchen natürlich, Unschuldige nicht zu treffen, aber natürlich wird es passieren. Und wir müssen so hart zurückschlagen, dass niemand auch nur im Ansatz auf den Gedanken kommt, nochmals Israel anzugreifen. Und das wird hart.“ Die Fraktion habe geklatscht. „Wir haben Respekt gezollt und ich habe wirklich Gänsehaut bekommen,“ berichtete Linnemann.

Gänsehaut angesichts eines „harten“ Vorgehens, das viele Unschuldige trifft – solche Gefühle waren bisher radikalen Neonazis vorbehalten!

Scholz beließ es in seiner Regierungserklärung nicht bei einem Angriff auf die Palästinenser. Er beschuldigte auch den Iran ohne jeglichen Beweis der Mitverantwortung und drohte Teheran unverhohlen mit Krieg.

„Wir haben bisher zwar keine handfesten Belege dafür, dass Iran diesen feigen Angriff der Hamas konkret und operativ unterstützt hat,“ sagte der Kanzler. „Aber uns allen ist klar: Ohne iranische Unterstützung über die letzten Jahre wäre die Hamas zu diesen präzedenzlosen Angriffen auf israelisches Territorium nicht fähig gewesen.“

An Teheran und die libanesische Hisbollah gewandt drohte er: „Unsere Botschaft ist klar: Es wäre ein unverzeihlicher Fehler, Israel anzugreifen.“

Auch in dieser Frage folgten ihm alle anderen Redner. Vor allem CDU-Chef Merz machte deutlich, dass in den herrschenden Kreisen bereits über einen Militäreinsatz im Nahen Osten diskutiert wird. „Seit dem vergangenen Samstag wissen wir, dass neben dem Krieg in der Ukraine an einem nächsten Ort in unserer weiteren Nachbarschaft die Freiheit und der Friede verteidigt werden müssen,“ sagte er.

Einig waren sich alle Parteien auch darin, jedes Zeichen von Solidarität mit den Palästinensern in Deutschland zu unterdrücken. Scholz kündigte in seiner Erklärung das Verbot von Samidoun, einem Netzwerk für die Verteidigung palästinensischer Gefangener, und ein Betätigungsverbot für Hamas an, die von der EU schon jetzt als Terrororganisation eingestuft wird.

Das Zusammenrücken aller Bundestagsparteien, ihre Kriegsbegeisterung und ihr Bemühen, jede abweichende Meinung zu unterdrücken, sind nicht nur eine Reaktion auf den Aufstand der Palästinenser im Gazastreifen. Sie reagieren damit auf die wachsende Opposition gegen ein Gesellschaftssystem, das außer Ausbeutung, sozialer Ungleichheit und Krieg nichts mehr zu bieten hat. Sie stehen mit dem Rücken zur Wand und reagieren darauf wie vor 90 Jahren mit Diktatur und Krieg.

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