Denunziationsparagrafen: Wie Nancy Faeser gesetzlich den Rechtsstaat abschafft
Es gibt Gesetzesvorhaben, bei denen stehen einem bildlich die Haare zu Berge. Aus dem Ministerium von Frau Faeser wurde mit dem Vorschlag für die Änderung des Verfassungsschutzgesetzes ein besonders extremes Beispiel geliefert. Es soll pauschal Handlungen legalisieren, die in einem Rechtsstaat gar nicht zulässig sein dürfen.
Denunziationsparagrafen: Wie Nancy Faeser gesetzlich den Rechtsstaat abschafft
Von Dagmar Henn
Man kann in Deutschland zusehen, wie der Rechtsstaat demontiert wird, Schritt für Schritt. Und inzwischen haben diese Entwicklungen ein beträchtliches Tempo angenommen. Die Änderungsvorschläge, die die Regierungskoalition für das Verfassungsschutzgesetz vorgelegt hat, sind inzwischen zwar vielerorts kritisiert worden (etwa imCicero oder auf den NachDenkSeiten), aber ihre Bedeutung ist weit größer, als bisher in all diesen Darstellungen zusammengenommen.
Bevor man ins Detail geht, sollte man sich ins Gedächtnis rufen, was einen Rechtsstaat ausmacht. Im Kern ist das die Bindung staatlichen Handelns an Recht und Gesetz und die Möglichkeit der Bürger, dieses staatliche Handeln über die Anrufung eines Gerichts überprüfen zu lassen. Konkret heißt das, es muss eine rechtliche Grundlage für dieses Handeln geben, egal in welchem Bereich, und ich muss die Möglichkeit haben, gegen Handlungen seitens des Staates zu klagen.
Nun bewegen sich Dienste wie die Verfassungsschutzbehörden ohnehin in einem Graubereich, allein schon deshalb, weil sie nur für all jene Dinge zuständig sind, die eben nicht den Charakter eines konkreten Strafrechtsverstoßes annehmen, denn die sind von vornherein Aufgaben der Strafermittlungsbehörden. Wer je einen Verfassungsschutzbericht gelesen hat, der weiß, wie sehr es da um Vermutungen geht. Wer sich an Dinge wie die Berufsverbote erinnert, der weiß auch, dass diese Informationssammelei alles andere als harmlos ist und folgenlos bleibt.
Die deutschen Verfassungsschutzbehörden waren auch in den letzten Jahren ungewöhnlich kreativ, um ihre Zuständigkeitsbereiche auszuweiten. Man denke nur an die hübsche Formulierung von der befürchteten „Delegitimierung des Staates“. Das ist ein – nicht justiziables – Delikt, das man bereits begeht, wenn man auf die intellektuellen Fähigkeiten einer Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hinweist, oder wenn man das Fehlen jeglicher diplomatischer Tätigkeiten kritisiert.
Welche Ansichten in der Kategorisierung durch den Verfassungsschutz (nicht des Strafrechts) als „Bestrebungen, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ gerichtet einsortiert werden, oder als „gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker“ gerichtet gelten, unterliegt starken Schwankungen, die von den politischen Interessen der jeweiligen Regierungen bestimmt sind. Wenn man Bundespolitikern bei ihren Äußerungen zu Russland und die Russen betreffend lauscht, würde man durchaus sagen wollen, sie seien „gegen den Gedanken der Völkerverständigung“ gerichtet, aber das ist die NATO-Linie, also gilt das nicht als anrüchig.
Nun gab es in den letzten Jahren ohnehin schon eine massive Verschärfung des meinungsbezogenen Strafrechts, um völlig legitime Meinungsäußerungen zu inkriminieren, wie etwa das Konstrukt mit „Billigung einer Straftat“ bezogen auf Äußerungen, die den russischen Militäreinsatz in der Ukraine für legitim halten. Wenn man betrachtet, womit sich der Verfassungsschutz befasst, kann und darf man solche Verschiebungen im Strafrecht nicht übergehen, denn wenn sich das Strafrecht in den Bereich der Meinungsfreiheit hinein ausdehnt, dann dehnt sich der diesem vorgelagerte Bereich, den der Verfassungsschutz für beobachtungswürdig hält, mit aus.
Wenn also beispielsweise die Meinung „Russland hat recht, das Naziregime in der Ukraine muss weg“ schon zum Gegenstand eines Strafverfahrens wird, dann genügt selbst die Aussage „man sollte einmal darüber nachdenken, ob an den russischen Argumenten doch etwas dran ist“, um die Person, die derartiges äußert, zum Objekt von Beobachtung und Datenerfassung durch den Verfassungsschutz zu machen.
Das Bundesministerium des Innern hat nun einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, der die bisherige Regelung zur Weitergabe von Daten für unzulässig erklärte, forsch genutzt, um die Möglichkeit eben dieser Weitergabe künftig möglichst noch beträchtlich auszuweiten. Inzwischen liegt der entsprechende Entwurf im Wortlaut vor, man kann also genau überprüfen, was da beabsichtigt ist.
Noch eine Erinnerung vorneweg – wenn man wissen will, welche Folgen eine bestimmte gesetzliche Regelung haben kann, betrachtet man nicht den Fall der freundlichsten, sondern den der bösartigsten Anwendung. Wenn jemand argumentiert, das sei sicher nicht so böse gemeint, ist das ausgesprochen naiv; schließlich würde selbst, wenn jetzt eine „freundliche“ Lesart zur Anwendung käme, das keine Garantie dafür sein, dass das nach dem nächsten Regierungswechsel oder mit dem nächsten Krieg der NATO so bleibt.
Schon beim ersten Punkt der Neuerungen, der Pflicht zur Weitergabe seitens des Bundesamtes für Verfassungsschutz an „zuständige inländische öffentliche Stellen“, gibt es eine Formulierung, die für Missbrauch so weit offen ist wie ein Scheunentor. Denn Daten müssen nicht nur weitergegeben werden „zur Vorbereitung und Durchführung von Verfahren und Maßnahmen wegen einer Verletzung der Verfassungstreuepflicht im öffentlichen Dienst“ und zur Durchsetzung von EU-Sanktionen, sondern auch „zur Abwehr einer sonstigen Gefahr“, die „von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach §3 Absatz 1 ausgeht“.
Das sind unter anderem die ziemlich vagen Unterstellungen von „Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ gerichtet sind. Was sich alles unter diesem Begriff subsumieren lässt, kann man in allen Verfassungsschutzberichten nachlesen.
Eine „sonstige Gefahr“, die von solchen vagen „Bestrebungen“ ausgeht, lässt sich aus vielem konstruieren. Es ist, wie meist, einzig eine Frage des guten oder vielmehr des bösen Willens und des Geschicks der Verfasser einer juristischen Argumentation.
Aber dass die Verfassungsschutzbehörden andere Behörden mit ihren – man kann es nicht oft genug sagen – strafrechtlich nicht relevanten Informationen versorgen, ist gewissermaßen schon der Normalfall, ob nun rechtlich abgedeckt oder nicht. Das Schöne an der Tätigkeit der Schlapphüte ist ja vor allem, dass jene Fälle eher selten sind, in denen die von dieser Flüsterpost Betroffenen überhaupt erfahren, dass sie Gegenstand solcher Mitteilungen waren.
Die Behörden nur zu beliefern, damit ist das Faeser-Ministerium aber nicht zufrieden. Es will sich auch eine Rechtsgrundlage verschaffen, um die „Erkenntnisse“ des Verfassungsschutzes sogar an private Stellen weiterzureichen. Die tauchen im Paragrafen 23 des Entwurfes als „inländische Stellen zum administrativen Rechtsgüterschutz“ auf. Dabei geht es nicht nur darum, Personen zu „deradikalisieren“, sondern auch darum, die „Verfügbarkeit von Mitteln (…) zu verhindern“, unter anderem die „Sammlung, Entgegennahme oder Verfügbarmachung von Vermögenswerten zur Förderung der Bestrebungen oder Tätigkeiten“.
Es gab in letzter Zeit einige Fälle, in denen beispielsweise Konten gekündigt wurden. Bisher eigentlich eine rechtlich zumindest zweifelhafte Sache; mit der neuen gesetzlichen Regelung aber ganz legal und offiziell veranlassbar. Sobald der Verfassungsschutz der Meinung ist, eine Tätigkeit sei „gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ gerichtet, beispielsweise eine Demonstration gegen die NATO, dann darf der Verfassungsschutz auch mal eben die Bank, als „inländische Stelle“, informieren, dass auf dem Konto XY Vermögenswerte, vulgo Geldmittel, gesammelt, entgegengenommen und verfügbar gemacht werden, die vermutlich einem Zweck dienen sollen, der dem Verfassungsschutz nicht passt. Und schon ist das Konto wieder weg.
Besonders hübsch ist auch der Paragraf 21 (3) b über „Betrieb oder Beeinflussung von Bildungseinrichtungen oder Tätigkeiten in ihnen, Nutzung von Telemediendiensten oder Veranstaltung von Versammlungen“. Die fremdartige „Nutzung von Telemediendiensten“ ist das, was jeder Nutzer des Internet tagtäglich betreibt. Dem Verfassungsschutz wird also das Recht verliehen, den Betreibern beispielsweise von sozialen Netzwerken schwarze Listen zu schicken, welche Personen man von der Nutzung auszuschließen habe. Ganz legal.
Aber das reicht noch nicht. Auch Grundstückserwerb sowie die „Nutzung oder Betrieb von Gewerbeeinrichtungen“ stehen auf der Liste.
Man stelle sich einmal diese Liste unter voller Anwendung behördlicher Kreativität vor. Die Meldung an die kontoführende Bank hatten wir schon. Veranstaltungsräume sind nicht zu haben, weil vorher ein kleiner Anruf kam … auch das gab es praktisch bereits. Das Versammlungsrecht ist ebenfalls ein Grundrecht, aber wen interessiert das schon.
Die Krönung ist allerdings der Punkt 5: Das Recht, Daten weiterzugeben, um „auf vergleichbare Weise das Gefährdungspotenzial der Bestrebungen oder Tätigkeiten zu reduzieren“.
Noch einmal – es handelt sich samt und sonders um Aktivitäten, die nicht strafbar sind; zum weit überwiegenden Teil reine Meinungs-„Delikte“. Der Punkt 5 ist jedoch so formuliert, dass sich im Grunde das Bundesamt für Verfassungsschutz mit seinen Daten auf den nächsten Marktplatz stellen und sie als Flugblatt verteilen könnte. Die Formulierung ist so offen, dass man sich schon sehr mühen muss, um irgendeine Form politischer, aber nicht regierungskonformer Tätigkeit nicht darunter fallen zu sehen.
Die einzig tatsächlich einigermaßen handfeste Grenze liefert der Paragraf 23. Es darf nicht übermittelt werden, wenn „die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen“.
Es ist durchaus zutreffend – wie in einigen Artikeln zu diesem Entwurf bereits zu lesen war –, dass kleine Anrufe bei möglichen Arbeitgebern oder Vermietern mit im Angebotskatalog stehen. Und hier sind wir an genau jenem Punkt, an dem es sich um eine völlige Aufhebung des Rechtsstaatsprinzips handelt, und zwar gleich in mehreren Aspekten.
Der erste ist altbekannt, beispielsweise aus den Regelungen zur Telefonüberwachung, bei denen die Bundesrepublik schon traditionell besonders großzügig war. Eigentlich müssen die Betroffenen im Fall einer richterlich angeordneten Überwachung nach deren Ende informiert werden. Das passierte aber schon früher höchst selten. Und wenn der Überwachte gar nicht weiß, dass er überwacht wird, kann er auch keine Rechtsmittel bezüglich der Rechtmäßigkeit dieser Überwachung einlegen.
Genau diese Situation erzeugt diese vorgesehene gesetzliche Regelung in unbegrenzter Vielzahl. Wer auch immer ins Visier der Mitteilungsfreudigkeit dieser Bundesbehörde gerät, welche Folgen diese Mitteilungsfreudigkeit auch zeitigt, er wird es im Regelfall nicht erfahren. Eine Verpflichtung dazu ist nicht vorgesehen. Wenn man aber gar nicht weiß, was besagte Behörde im eigenen – persönlichen wie gesellschaftlichen – Umfeld so erzählt und an Reaktionen veranlasst, hat man auch keine Möglichkeit, dagegen zu klagen.
Die Folgen, die solche „Datenübermittlungen“ haben können, können durchaus einer schwerwiegenderen strafrechtlichen Maßnahme entsprechen. Ist es schlimmer, einen Strafbefehl wegen des Paragrafen 140 StGB zu bekommen oder wegen eines Anrufs beim Arbeitgeber die Arbeit zu verlieren? Letzteres ist üblicherweise gravierender. Beim Strafbefehl kann man ein Verfahren erzwingen, was zwar nicht mehr allzu viel wert ist, aber zumindest formal noch ein rechtsstaatliches Vorgehen.
Man kann weder gegen die Entscheidung, einen Plauderanruf zu tätigen, noch gegen dessen Folgen klagen, weil sich Ersteres der Kenntnis entzieht, und für Letzteres der wirkliche Verursacher gar nicht zur Verfügung steht, denn der ist nicht bekannt. Was also tatsächlich durch eine solche Regelung entsteht, ist eine Möglichkeit einer außergerichtlichen Bestrafung von Handlungen, die keinen strafrechtlichen Verstoß darstellen, wobei die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit ebenso missachtet werden wie die der Bindung an Recht und Gesetz.
Übrigens darf das „Wissen“ ebenso munter an ausländische sowie „über- und zwischenstaatliche Stellen“ weitergegeben werden. Also an EU-Behörden, die CIA oder sogar den ukrainischen SBU … als Grund dafür genügt nämlich der „Schutz der Sicherheit eines anderen Staates“. Ein Sachverhalt, der bekanntlich nicht nur in den Vereinigten Staaten von Amerika großzügig ausgelegt wird.
Wenn man sich daran erinnert, wie weit deutsche Behörden bereits bei Kritikern der Corona-Maßnahmen gegangen sind und wie großzügig längst einfachste Meinungsäußerungen mit dem Strafrecht überzogen werden, wie rege daran gearbeitet wird, jede abweichende Information zur „Desinformation“ zu erklären und damit zum Ziel staatlichen Handelns zu machen, dann kann einem bei diesem Gesetzentwurf nur schwummrig werden. Was werden staatliche Behörden, die unter dem Stichwort „Infektionsschutz“ mal eben die Grundrechte dutzendweise ausgehebelt haben, mit der Möglichkeit tun, jeden überall zu denunzieren, der auch nur eine nicht regierungskonforme Ansicht äußert? Ganz zu schweigen von den Eingriffen in die Organisationsfreiheit, die ganz nebenbei ebenso möglich sind.
Politische Verfolgung ist in Deutschland selten klar als solche kenntlich, denn dafür werden längst zu viele Möglichkeiten unterhalb des Strafrechts und neben diesem genutzt, sei es eine Steuerprüfung, eine Denunziation beim Jugendamt oder ein Problem mit der Krankenkasse. Das ist bisher schon so – ohne eine Legalisierung dieser Techniken, gegen die man sich nicht rechtlich, aber auch nicht politisch zur Wehr setzen kann. Dieser nun eingereichte Entwurf des Verfassungsschutzgesetzes aber dehnt den Raum solcher unsichtbaren Verfolgung ins Unermessliche aus. Der Verfassungsschutz wird damit de facto zur Geheimpolizei und Gerichtsbarkeit in einem, und obendrein im Verborgenen und ohne jedes Einspruchsrecht. Eine Behörde ist das, deren Opfer wie im „Prozess“ von Franz Kafka weder Anklage noch Richter jemals kennen werden.
Reden wir doch noch einmal über Rechtsstaatlichkeit.
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