Gastbeitrag von Lorenzo Salomons

Gastbeitrag von Lorenzo Salomons
Günter Verheugen Vortrag: „Ruinierte Deutsche Außenpolitik“ v. 12.6.2025 im Rahmen der 6.Deutsch-Russischen Friedenstage auf weltnetzTv
Ich möchte hier auf den etwa 60-minütigen Vortrag des außenpolitisch besonders ausgewiesenen, langjährigen Intimus von Hans-Dietrich Genscher hinweisen.
Weitere Hinweise zum Politiker und zur Veranstaltung in der Einleitung.
Wer keine Zeit und Lust hat, das unten verlinkte Video zu sehen, für die/den habe ich einige wichtige Stellen transkribiert.(Exzerpte).
Am Ende noch der Hinweis auf das Buch Günther Verheugens und seiner Frau Petra Erler: „Der lange Weg zum Krieg“.
Zum Video:
Einleitung
Wenn das Ziel der deutschen Außenpolitik „Russland ruinieren“ (nach Annalena Baerbock) sein soll, dann sei das eine Katastrophe für Deuschland und für Europa. Günter Verheugen sprach vor dem voll besetzten „Haus der Wissenschaft“ in Bremen auf Einladung des Vereins „Deutsch_Russische Friedens_Tage“ über den Ukraine Krieg….
Verheugen saß viele Jahre an den Schalthebeln der deutschen Außenpolitik. Er war enger Mitarbeiter von Hans-Dietrich Genscher, wurde von Willy Brandt zur SPD geholt, war dann von 1994 bis 1997 stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Bundestag und zuständig für die Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik, war dann ab 1999 unter Romano Prodi als EU-Kommissar maßgeblich beteiligt an den EU-Erweiterungsverhandlungen. Er war begeistert von Gorbatschows Idee vom gemeinsamen europäischen Haus, das in Europa den Frieden sichern sollte. „Wenn ich die außenpolitischen Erfahrungen meines Lebens Revue passieren lasse, dann ist für mich die größte Enttäuschung, dass diese Idee einer gesamteuropäischen Friedensordnung so schnell wieder fallen gelassen wurde.“

Der 81-jährige Günter Verheugen sprach lebendig und eindringlich über diese Jahre einer erfolgreichen Entspannungspolitik – und über den unfasslichen und unbegreiflichen und offenbar unaufhaltsamen Weg in den Krieg mit Russland.
Video: Marlies und Sönke Hundt

Exzerpte:

6:10 „Das wirklich gefährliche an diesem Krieg ist ja, dass er jederzeit die Schwelle zu einer großen globalen gewalttätigen Auseinandersetzung überschreiten kann, jederzeit kann das passieren..der nuklearen Eskalation.“

7:20 „Eine Überzeugung, die ich schon lange gewonnen habe , dass diejenigen, die sagen, dieser Krieg muss aufhören und die Rolle, Aufgabe, Verantwortung  Deutschlands ist es nicht, immer gefährlichere Waffen zu liefern, sondern dafür zu sorgen, dass die Waffen schweigen,  die Leute, die so denken, das ist nicht die Minderheit sind, sondern ich bin fest davon überzeugt, dass wir das repräsentieren, was die Mehrheit der Menschen bei uns denkt“.

13:33 „aber ich gehe schon so soweit zu sagen, dass die westliche Politik über Jahre ja Jahrzehnte Russland so provoziert hat, dass dieses Risiko (gemeint ist eines Krieges in der Ukraine) bewusst in Kauf genommen worden ist.“

23:24 „Es ist richtig und in dem letzten Gespräch das ich mit Heinz-Dietrich Genscher hatte, ein Jahr vevor er starb, hat er mir das bestätigt. Es ist so gewesen, dass im Zusammenhang mit der deutschen Einigung Gorbatschow die Zusage gemacht worden ist, dass die NATO sich nicht nach Osten ausdehnen würde. Es ist richtig, dass dies nicht vertraglich fixiert worden ist. Wenn darin ein Vorwurf liegt, dann ist es der, dass Gorbatschow uns geglaubt hat.“

26:52 „Gorbatschows Gemeinsames Haus Europa…1990 in der Charta von Paris, wo sich alle zusammen einschließlich der Nordamerikaner verpflichtet haben für eine gesamteuropäische Friedensordnung zu arbeiten, eine solche ..zu schaffen; wenn ich die außenpolitischen Erfahrungen meines Lebens Revue passieren lasse, dann ist es für mich die größte Enttäuschung, dass diese Idee des gemeinsamen europäischen Hauses, diese Idee einer gemeinsamen europäischen Friedensordnung sehr schnell fallen gelassen worden ist, schon nach wenigen Jahren. „

 28:46 „Das Jahr in dem der Vorhang fiel, 2014, Maidan. Ja das ist auch so ein Narrativ …da werden uns tolle Geschichten erzählt….Ja, da gab es überzeugte, leidenschaftliche, ehrliche Proeuropäer, ja, gar keine Frage. Es gab aber auch Gruppen, die sich monatelang mit Hilfe westlicher Geheimdienste auf dieses Ergeignis vorbereitet hatten. Wo glauben Sie wo diese ganze Infrastruktur über Nacht von diesen Leuten herkam?…Es war eine klassische, klassische regime change operation und mit dieser regime change Operation  wurde das Tauziehen um die Ukraine zwischen dem Westen und Russland deutlich… und darum ist es vollkommen richtig, wenn dieser Krieg in der Ukraine ein Stellvertreterkrieg genannt wird. „
 41:41 Europäischer Wirtschaftsraum… mit Hilfe von gemeinsamem Recht..und dass die russische Seite sehr ernsthaft daran gearbeitet hat, das ist meine Erfahrung, das ist die Erfahrung, die ich gemacht haben; dann sollen doch mal bitte die, die einen fairen Umgang mit Russland, mehr verlange ich ja nicht, die einen fairen Umgang mit Russland diffamieren, bitte sagen, was an dieser Form der Kooperation falsch ist, zu beanstanden ist. Ich habe Ihnen das erzählt, um zu zeigen, dass es keine theoretischen Spinnereien sind, wenn.man über Kooperation statt Konfrontation redet, sondern dass es genügend praktische Beispiele dafür gibt, dass das funktioniert. Ich weiß nicht ob die Zeit darüber hinweg gegangen ist und ob wir nochmal eine Chance kriegen, ich weiß es nicht, aber wenn wir es nicht versuchen, werden wir es nie erfahren.“
48:48 „…dann das Dritte, also mit Putin kann man nicht reden, ja also ukrainische Doktrin der Selenskij darf gar nicht mit Putin verhandeln, das ist ihm gesetzlich verboten, er darf gar nicht, aber bei uns ist, man kann nicht mit ihm, dem Putin kann man nicht glauben, der lügt, wenn er nur den Mund aufmacht…es gibt unendlich viele Behauptungen, was Putin alles im Schilde führt und ich rate Ihnen, wenn SIe solchen Behauptungen begegnen immer schlicht die Frage zu stellen, eo steht das, wo hat er das gesagt, wo hat er gesagt, er will die NATO angreifen oder den Westen, wo hat er gesagt, er will die Sowjetunion wieder herstellen, wo, dagen Sie mir, zeigen Sie mir mal die Stelle, da wird sich herausstellen können sie nicht, weil es alles nicht stimmt weil es alles nicht stimmt. Ich habe gelernt in den vielen Jahren der Zusammenarbeit mit russischen Kolleginnen und Kollegen, dass die russische Außenpolitik sich immer und das jetzt unverändert seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs immer nur um zwei zentrale Themen bewegt, das erste ist die Sicherheit des Territoriums, ja die Russen haben geradezu eine sicherheitspolitische  Obsession, die Sicherheit von Mütterchen Russland, dafür sind sie auch bereit zu sterben, ziemlich alle, es gibt da wenig Ausnahmen (nach 1. Silbe verschluckt) und das zweite ist die Forderung nach Gleichbehandlung (Applaus im Publikum), Gleichberechtigung, diese Nation ist tief gekränkt und tief verletzt in ihrem Stolz aufgrund dessen was sie an westlicher, westlicher Politik,  in den letzten Jahrzehnten erlebt hat. Ich wiederhole es, es geht immer erst um Sicherheit, zweitens um Gleichbehandlung.“
 51:17  „Die Gefahr einer Aggression (gemeint auf den Westen), ja ich sehe noch nicht einmal die Gefahr einer Übernahme der gesamten Ukraine, da spricht so viel dagegen das zu versuchen, Sie müssen sich mal vorstellen was passieren würde, wenn tatsächlich die gesamte Ukraine in die Russische Föderation inkorporiert wird. Es wird nicht passieren, aber stellen Sie sich vor, was wäre die Folge? Die Folge wäre jahrzehntelanger Terrorismus. Ja, ohne jede Frage. Die Ukrainer haben schon einmal gezeigt, dass sie das können, nach dem Zweiten Weltkrieg haben sie noch 15 Jahre in ihren Wäldern weitergekämpft, also man soll sich keine Illusionen machen. Also wenn solche Behauptungen erhoben werden, das teilweise sogar schon mit Daten, also im Sommer könnten sie schon…das ist alles so verrückt was dieser Herr Neitzel, Prof. Neitzel aus der Potsdamer Universität sagt..aber bis 29 ab dann müssen wir kriegstüchtig sein…die von den Amerikanern gewünschte massive Aufrüstung innerhalb der NATO wird damit begründet mit einem drohenden Angriff aus Russland. Der droht nicht, aber es muss den Menschen richtig Angst gemacht, richtig Angst gemacht werden, dass der Russe kommt, sonst würden es wir ja nicht hinnehmen, dass zig Milliarden, hunderte von Milliarden jetzt in weitere Rüstung gepumpt werden sollen. Auch wenn es in unserem Lande andeswo an allen Ecken und Enden knirscht und die Mittel fehlen, dass der Weg in die Rüstungsspirale jetzt in Gang gesetzt wird, die in erster Linie der amerikanischen Rüstungsindustrie nutzt, dient, denn das meiste davon werden wir in Amerika kaufen müssen.“
In der anschließenden Diskussion beantwortet Verheugen den Vorwurf eines Teilnehmers „Putin hat 2022 im Kreml am langen Tisch drei europäische Staatschefs belogen, es werde keinen Krieg geben“ dahingehend, dass es in der russischen Lesart kein Krieg, sondern eine Sonderoperation sei, wobei er auch nicht glücklich über diese Antwort sei. Ich erlaube mir anzumerken, dass sich Putin beim Besuch von Kanzler Scholz mit Gespräch am -Corona-bedingt langen Tisch- am 15.2. 2022 meiner Meinung nach „alle Optionen“ offen gehalten hat.  In der gemeinsamen Pressekonferenz antwortete Putin auf Journalistenfragen, ob Russland einen Krieg wolle „Nein, das wollen wir nicht“, was zwar nicht die militärische Entwicklung wiedergab, aber auch nicht gelogen war.
 Buchhinweis:
Spiegel Bestseller
„Der lange Weg zum Krieg: Russland, die Ukraine und der Westen – Eskalation statt Entspannung“ von Güther Verheugen und Petra Erler, Heyne 15.5.2024, 336 Seiten
Buchrezension von Fr. Gabriele Krone-Schmalz:
Seit Februar 2022 tobt der Ukraine-Krieg, ein Ende ist nicht abzusehen, im Gegenteil: Es wird aufgerüstet statt abgerüstet, geschossen statt verhandelt. Mit Günter Verheugen und Petra Erler beziehen erstmals zwei ausgewiesene außenpolitische Experten Stellung – und sie legen eine fulminante Anklage vor: Ohne das Versagen der deutschen und der EU-Außenpolitik wäre es zu dieser verheerenden Eskalation nicht gekommen.
In ihrer ebenso klugen wie scharfen Analyse der Vorgeschichte des Ukraine-Krieges wird deutlich, wie seit Anfang der 90er Jahre die Axt an die Wurzeln der bis dahin so einzigartig erfolgreichen Entspannungspolitik gelegt wurde. Zug um Zug sind Konfrontation und Machtstreben an die Stelle von Verständigung getreten, wurde ein neuer Kalter Krieg bewusst ebenso in Kauf genommen wie das Risiko eines »heißen Krieges«, der jederzeit zum Flächenbrand werden kann. Doch es gibt Lösungen. In einem leidenschaftlichen Plädoyer fordern die Autoren: Wir müssen dringend zurückkehren zu Dialogbereitschaft, vertrauensbildenden Maßnahmen, einer neuen Entspannungspolitik!
Der lange Weg zum Krieg ist das, was man ein Standardwerk nennt. Faktenreich und detailliert, deutlich in der Sprache, versöhnlich im Ton, analysieren die Autoren Denkfehler, räumen mit Mythen auf, die sich festgesetzt haben, und entlarven Narrative als das, was sie sind: Erzählungen, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Eine sehr gute Orientierungshilfe in diesen unübersichtlichen Zeiten!«

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

Entdecke mehr von Sicht vom Hochblauen

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen