Genozid mit Ansage Annette Groth

Genozid mit Ansage

Annette Groth

11. Juni 2025

Anfang Juni veröffentlichte Haaretz das Ergebnis einer Umfrage, wonach 82 Prozent der jüdischen Israelis für die Vertreibung der Bewohner Gazas plädieren. Eine Mehrheit von 56 Prozent befürwortete die „Umsiedlung (Zwangsvertreibung) arabischer Bürger Israels in andere Länder“. Und auf die direkte Frage, ob sie der Aussage zustimmen, dass die IDF „bei der Eroberung einer feindlichen Stadt ähnlich vorgehen sollte wie die Israeliten, als sie unter der Führung Josuas Jericho eroberten, nämlich alle Einwohner zu töten“, stimmten fast die Hälfte, 47 Prozent, zu. Das ist schockierend, weil allgemein die Meinung vorherrscht, dass nur eine kleine Minderheit der jüdischen Israelis extreme Ansichten hat und sich für Vertreibung und das Töten von Palästinensern ausspricht.

Die rechtsextreme israelische Regierung kann also mit der Unterstützung großer Teile der jüdischen, israelischen Bevölkerung bei der Vertreibung der Palästinenser in der Westbank und in Gaza rechnen.

Eine Erklärung für diese menschenverachtende Haltung dürfte in der Dehumanisierung der Palästinenser liegen, die häufig als „menschliche Tiere“ bezeichnet werden. Dement-sprechend ruft die Gleichsetzung, das Töten von Palästinensern ist wie das Töten von Kakerlaken, keinen großen Widerspruch hervor.

Seit Oktober 2023 überbieten sich Politiker und israelische Prominente mit verbalen Vernichtungsphantasien, die den Genozid begleiten.

Schon am 7.Oktober 2023 schreibt das Mitglied der israelischen Knesset (Likud) Revital Gottlieb auf X: „Reisst Gebäude ein!! Bombardiert ohne Unterschied!! … Es gibt weltweite Legitimität! Macht Gaza dem Erdboden gleich. Ohne Gnade! Dieses Mal gibt es keinen Raum für Gnade.“  Am 13. Oktober 2023 erklärte Israel Katz, jetziger Verteidigungsminister: „Die gesamte Zivilbevölkerung in Gaza muss das Gebiet sofort verlassen. Wir werden gewinnen. Sie werden keinen Tropfen Wasser und keine einzige Batterie erhalten, bis sie die Welt verlassen haben.“

Am 17. Oktober postete Moshe Feiglin, israelischer Politiker und Vorsitzende von Zehut (Zentren zur Vertiefung der jüdischen Identität): Es ist nicht die Hamas, die beseitigt werden sollte.  Gaza sollte dem Erdboden gleichgemacht werden und die Herrschaft Israelis sollte an diesem Ort wiederhergestellt werden. Dies ist unser Land.“ (1)

Itamar Ben-Gvir, Minister für nationale Sicherheit, der 2007 von einem israelischen Gericht wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Anstiftung zum Rassismus verurteilt wurde, prahlte im Januar 2024 damit, die Bemühungen um einen Waffenstillstand in Gaza zu stören, und drängte darauf, „die Lieferung von humanitärer Hilfe, Treibstoff, Strom und Wasser nach Gaza vollständig einzustellen.“

Während seines Besuchs in den USA im April dieses Jahres twitterte Ben-Gvir: „Ich hatte die Ehre und das Privileg, mich mit hochrangigen Vertretern der Republikanischen Partei in Trumps Anwesen Mar-a-Lago zu treffen. Sie bekundeten ihre Unterstützung für meine sehr klare Position, wie in Gaza vorzugehen ist, und dass die Lebensmittel- und Hilfsdepots bombardiert werden sollten, um militärischen und politischen Druck auszuüben, damit unsere Geiseln sicher nach Hause gebracht werden können.“  (2)

Bisheriger „Höhepunkt“ des verbalen Vernichtungsfeldzugs gegen die Palästinenser in Gaza ist der genozidale Aufruf des bekannten israelischen TV-Produzent Elad Barashi.  Er leitet den Haus- und Hofsender von Premierminister Netanjahu und schrieb in einem Post auf X vom 27. Februar 2025 über die Bevölkerung Gazas: „Gaza befindet sich im Todestrakt. 2,6 Millionen Terroristen in Gaza sind zum Tode verurteilt. Sie verdienen den Tod. Menschen, Frauen, Kinder auf jede erdenkliche Art und Weise, lasst es einen Holocaust in Gaza geben – ja, lesen Sie das ruhig noch einmal – H-O-L-O-C-A-U-S-T. Wenn man mich fragt, so braucht es Gaskammern, Zugwaggons und andere grausame Arten des Todes für diese Nazis. (…) Überfahren. Ausrotten. Abschlachten. Dem Erdboden gleichmachen. Demontieren. Zerschmettern. Ohne Gewissen und Gnade sind Kinder und Eltern, Frauen und Mädchen zu einem grausamen und schweren Tod verurteilt. Gaza verdient den Tod. Lasst es einen Holocaust in Gaza geben.“  (3)

Sein Posting vom 27. Februar dieses Jahres hat Barashi inzwischen zwar gelöscht, aber am 4. Mai thematisierte das Investigativ-Portal Drop Site News den genozidalen Aufruf, der für etwas Furore sorgte. Barashi reagierte darauf und erklärte, dass er den Gaza-Bewohnern noch immer „einen Holocaust“ wünsche und dass er sich nicht dafür entschuldigen werde. Als einzige größere Zeitung griff die TAZ diesen unfassbaren Aufruf auf, später veröffentlichte auch der Weltexpress darüber einen Artikel. (4)

Die heutige Situation mit den vier (!) Lebensmittelverteilstellen durch eine private US- Hilfsorganisation, die Gaza Humanitarian Foundation, hat der ehemalige Generalmajor Giora Eiland bereits im September 2024 vorausgesagt: er wolle alle Menschen, die sich in den Ruinen von Gaza-Stadt und Umgebung aufhalten, auffordern, das Gebiet zu verlassen. „Danach würden alle Zugänge abgeriegelt und eine vollständige Belagerung verhängt. Es würden kein Wasser, kein Treibstoff, keine Lebensmittel und humanitären Güter geliefert werden“.

Auf einer Pressekonferenz am 19. Mai 2025 sagte der bekennende Faschist und Finanzminister Bezalel Smotrich: „Der Ansatz dieser Operation ist völlig anders als alles, was bisher gemacht wurde. Keine Razzien oder Blitzoperationen mehr — jetzt erobern wir, säubern und bleiben. Bis die Hamas zerstört ist. Dabei wird auch alles, was vom Gazastreifen übrig bleibt, vernichtet, einfach weil dort alles zu einer einzigen großen Terrorstadt geworden ist. … Die Bevölkerung wird den Süden des Gazastreifens erreichen — und von dort aus mit Gottes Hilfe nach dem Plan von Präsident Trump in Drittländer umgesiedelt werden. Dies ist eine Wende in der Geschichte. Nicht weniger. Das ist der Kern der Sache. … In wenigen Tagen wird mit Gottes Hilfe ein amerikanisches Zivilunternehmen im Gazastreifen seine Arbeit aufnehmen, um die minimalen Lebensmittelhilfen direkt an die Zivilbevölkerung zu verteilen — und dabei sicherzustellen, dass kein einziges Korn die Hamas erreicht oder unsere Soldaten gefährdet.“ (5)

Dass die Vertreibung der Palästinenser sich nicht nur auf Gaza beschränken wird, bekräftigte Smotrich schon im Mai 2024: „Wir werden euch in Schutt und Asche legen, wie wir es jetzt im Gazastreifen tun.“  Und er sagte auch klar und deutlich, dass 2025 das Jahr der Annexion sein wird.  Die kürzliche Legalisierung von 22 israelischen Siedlungen im Westjordanland ist ein Signal für die Vertreibung.

Angesichts der Massaker in Gaza, der oft gewalttätigen Vertreibung in der Westbank und der zahlreichen Verstöße gegen Völkerrecht und Menschenrechte ist es unbegreiflich, dass die Bundesregierung immer noch Waffen nach Israel liefert. Auf Anfrage der Linken im Bundestag nach Waffenexporten nach Israel teilte das Bundeswirtschaftsministerium (BMWI) Ende Mai mit, das diese einen Wert von fast einer halben Milliarde Euro umfassen. Der Zeitraum umfasste den Beginn des Krieges Anfang Oktober 2023 bis Mitte Mai 2025. Welche Waffen mit welchem Zweck in welchem Umfang geliefert wurden, wollte die  Bundesregierung »aus Gründen des Staatswohls« nicht genau aufschlüsseln. Sie betont, dass über »Genehmigungen für Rüstungsexporte« die Bundesregierung stets »nach sorgfältiger Prüfung unter Einbeziehung außen- und sicherheitspolitischer Erwägungen«, entscheide.  Dass Internationales Recht Waffenexporte in ein Land verbietet, das unter dem Verdacht eines Genozids steht, scheint keine Rolle zu spielen.

Ob die Bundesregierung Waffenlieferungen verbieten und andere Maßnahmen ergreifen sollte, wird auch in Israel debattiert.

Für Sion-Tzidkiyahu, Dozentin an der Hebräischen Universität Jerusalem und Direktorin des Programms für israelisch-europäische Beziehungen bei Mitvim hängen mögliche politische Maßnahmen gegen Israel weitgehend davon ab, wie die Regierung Netanjahu den Krieg im Gazastreifen fortsetzen wird. „Eine unkritische Ausrichtung auf Israel birgt die Gefahr, dass Deutschlands Glaubwürdigkeit untergraben wird und das Land zunehmend Vorwürfen der Doppelmoral ausgesetzt ist. Dies könnte die Glaubwürdigkeit Deutschlands auf der breiteren geopolitischen Bühne schwächen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine“, so Sion-Tzidkiyahu. (6)

Es ist zu hoffen, dass der Protest der deutschen Bevölkerung gegen die menschenverachtende israelische Politik in Gaza und in der Westbank zunimmt und die Bundesregierung unter Druck setzt.  Schon jetzt ist die Mehrheit der Deutschen gegen Waffenlieferungen nach Israel, die Kritik an beiden Regierungen wächst.

Auch innerhalb der EU könnte die Bundesregierung zu einer restriktiveren Haltung gegenüber der israelischen Regierung gedrängt werden. Bei einer kürzlichen Abstimmung innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten hinsichtlich einer Überprüfung des EU-Israel Assoziierungsabkommens haben sich 17 EU-Staaten für eine Überprüfung ausgesprochen. Darum geht es auch um Artikel 2, der alle Vertragspartner zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. Die niederländische Regierung, ein enger Verbündeter Israels,  hat diese Abstimmung initiiert, Deutschland hat dagegen gestimmt. Die 17 Länder, die für eine Überprüfung waren, sind neben den Niederlanden, Belgien, Finnland, Frankreich, Irland, Luxemburg, Portugal, Slowenien, Spanien, Schweden, Österreich, Dänemark, Estland, Malta, Polen. Rumänien, Slowakei. Estland hat sich enthalten, alle anderen haben dagegen gestimmt.

Anfang Juni wurde ein vertraulicher Bericht der Menschenrechtsabteilung der Europäischen Union bekannt, in dem Israel vorgeworfen wird, gegen das humanitäre Völkerrecht zu verstoßen und in seinem andauernden Völkermordkrieg im Gazastreifen Hunger als Waffe einzusetzen. Das Dokument enthält auch Warnungen des Europäischen Sonderbeauftragten für Menschenrechte, der darauf hinwies, dass Israels Vorgehen in Gaza Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen könnte. Der Bericht wurde den EU-Außenministern während eines Treffens vorgelegt und empfahl, den politischen Dialog mit Israel auszusetzen und Waffenausfuhren in das Land zu stoppen.

Die Berichterstatterin der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE), Saskia Kluit, erklärte ebenfalls im Mai, dass Israels Vorgehen in Gaza ethnische Säuberungen und Völkermord darstellen könnte. (7)

  • Helga Baumgarten/Norman Paech „Völkermord in Gaza – Eine politische und rechtliche Analyse“, proMedia Verlag, S. 188, S.189
  • https://electronicintifada.net/blogs/michael-f-brown/ben-gvir-touts-bombing-food-depots-while-mar-lago
  • Blog von Maria Reicher-Marek, https://dienichtvergisst.wordpress.com/liste-aller-blogbeitrage/

“Men, women, and children — by any means necessary, we must simply carry out a Shoah [Holocaust] against them — yes, read that again — H-O-L-O-C-A-U-S-T!” https://www.newarab.com/news/israel-tv-producer-calls-gaza-holocaust-gas-chambers

https://weltexpress.info/israelischer-tv-mann-will-kinder-frauen-maedchen-in-gaza-mit-nazimethoden-ausrotten/

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