Ukrainischer Soldat mit Drohne im Hintergrund an der Front. Bild : armyinform.com.ua
Die Welt erlebt eine dramatische Zunahme bewaffneter Konflikte. Mehr als 92 Länder sind in Konflikte im Ausland verwickelt. Was bedeutet das für die globale Sicherheit?
Die Kriege Russlands in der Ukraine sowie Israels in Gaza und dem Libanon ziehen zu Recht in den USA und Europa die Aufmerksamkeit auf sich, weil der Westen stark darin involviert ist und die Gefahr einer Eskalation in Richtung Weltkrieg besteht. Doch dabei geht unter, dass die Welt insgesamt immer mehr von Konflikten heimgesucht wird.
Die wuchernde Konfliktzone
Einem neuen Bericht zufolge ist der Anteil der Welt, der von Konflikten beherrscht wird, in den letzten drei Jahren um 65 Prozent gestiegen – das entspricht fast dem Doppelten der Größe Indiens.
In der Ukraine, in Myanmar, im Nahen Osten und in einem „Konfliktkorridor“ um die afrikanische Sahelzone haben sich Kriege und Unruhen seit 2021 ausgeweitet und verschärft, so der jüngste Conflict Intensity Index (CII), der von dem Risikoanalysten Verisk Maplecroft veröffentlicht wurde [1] .
Die Autoren der Studie sprechen davon, dass umgerechnet 6,15 Millionen Quadratkilometer von Kämpfen zwischen oder innerhalb von Staaten beherrscht werden, was bedeutet, dass 4,6 Prozent der Landmasse der Welt jetzt in Konflikten gefangen sind, verglichen mit 2,8 Prozent im Jahr 2021.
Zugleich ist die Zahl der Todesopfer in Konflikten um 29 Prozent gestiegen ist. In insgesamt 27 Ländern, darunter Ecuador, Kolumbien, Indien, Indonesien und Thailand, hat sich das Risiko seit 2021 deutlich erhöht.
92 Länder involviert in Konflikten
Insbesondere in der Sahelzone und am Horn von Afrika, in einer Zone von Mali bis Somalia, habe sich die Gewalt in den letzten drei Jahren verdoppelt. Dem Bericht zufolge sind 86 Prozent von Burkina Faso in einen Konflikt verwickelt, während es im Sudan und in Äthiopien zu massiven Gewaltausbrüchen gekommen ist.
Der Global Peace Index kam Mitte des Jahres bereits zu dem Ergebnis [2] , dass es derzeit 56 Konflikte auf der Welt gäbe, so viele wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Sie sind zudem internationaler geworden. 92 Länder sind in Konflikte außerhalb ihrer Grenzen verwickelt, so viele wie nie zuvor seit Bestehen des Friedensindex.
Die steigende Zahl kleinerer Konflikte erhöhe zudem die Wahrscheinlichkeit, dass es in Zukunft zu größeren Konflikten kommt. Im Jahr 2019 wurden beispielsweise Äthiopien, die Ukraine und der Gazastreifen als kleinere Konflikte eingestuft.
Der menschliche Tribut, den Konflikte fordern, sei alarmierend. Im vergangenen Jahr wurden bereits 162.000 konfliktbedingte Todesfälle verzeichnet. Das war die zweithöchste Zahl in den letzten 30 Jahren, wobei die Konflikte in der Ukraine und im Gazastreifen für fast drei Viertel der Todesfälle verantwortlich waren.
200.000 Tote
Laut einer Auswertung [3] von Armed Conflict Location and Events Data (ACLED) könnte die Zahl der weltweiten Konflikttoten bis Ende diese Jahres nun die Marke von 200.000 überschreiten und damit seit 2021 um fast ein Drittel steigen. Die Vereinten Nationen schätzten [4] außerdem, dass die Zahl der durch Konflikte, Gewalt oder Verfolgung vertriebenen Menschen mehr als 120 Millionen in diesem Jahr betragen wird (Stand Ende April 2024). Davon sind vor allem Kinder betroffen.
Die weltweiten wirtschaftlichen Auswirkungen von Gewalt beliefen sich [5] im Jahr 2023 auf 19,1 Billionen Dollar oder 2.380 Dollar pro Person. Das ist ein Anstieg um 158 Milliarden Dollar, der vor allem auf einen Anstieg der konfliktbedingten Verluste an Wirtschaftskraft um 20 Prozent zurückzuführen ist.
Die jüngste UN-Schätzung geht davon aus, dass allein der Krieg in der Ukraine direkte Schäden in Höhe von 152 Milliarden US-Dollar verursacht hat und die Kosten für den Wiederaufbau fast 500 Milliarden angewachsen sind. Die Kosten für den Wiederaufbau des Gazastreifens werden auf über 80 Milliarden Dollar geschätzt.
Hugo Brennan, Forschungsdirektor bei Verisk Maplecroft, sagte dem britischen Guardian [6] , dass die jüngsten Konflikte weitreichende Auswirkungen auf Unternehmen, das Wirtschaftswachstum und die Lebensmittelsicherheit weltweit hatten, wobei die Lieferketten gestört wurden durch Russlands Einmarsch in die Ukraine, der die Getreideexporte in den Nahen Osten und nach Afrika gefährdete, und durch Angriffe der Huthi-Rebellen aus dem Jemen auf die Schifffahrt im Roten Meer. Das beträfe auch die westlichen Industrienationen.
US-Militärinterventionen, Armut, Klimakrise
Die Gründe für Konflikte und ihre Ausweitung sind vielfältig und unterschiedlich. Insgesamt sei durch die geopolitische Instabilität die Bereitschaft zu gewaltsamer Konfliktaustragung gestiegen, wie man es in der Ukraine und im Nahen Osten sehe. Außerdem seien die vielen militärischen Interventionen, insbesondere der USA überall auf der Welt (nach Daten des US-Kongresses [7] zwischen 1991 und 2022 insgesamt 251) ein Quell von Destabilisierungen mit fatalen Folgeerscheinungen.
So zeigen Studien [8] z.B. über die US-Operationen in Somalia und Burkina Faso nach dem 11. September 2001, dass das US-Modell zur Terrorismusbekämpfung zu mehr und nicht zu weniger Instabilität und Gewalt geführt hat. Die Finanzierung, Ausbildung und Bewaffnung durch die USA im Namen der Terrorismusbekämpfung trug häufig zu einer Verschärfung der Gewalt bei, da sich Menschen als Vergeltung für die „Terrorismusbekämpfung“ ihrer Regierungen militanten Gruppen anschließen.
Andererseits würden viele Konflikte, z.B. in Afrika, von wirtschaftlicher Unsicherheit angetrieben. So erklärte die Weltbank [9] , dass marginalisierte Länder „alle drei wirtschaftlichen Merkmale“ aufwiesen, „die Konfliktanfälligkeit zu erhöhen scheinen: niedrige Einnahmen, wirtschaftlicher Niedergang und Abhängigkeit von Primärrohstoffen“.
Zudem seien die Schäden und Katastrophen aufgrund der sich weiter verschärfenden Klimakrise ein immer stärkerer Faktor [10] , der Konflikte schüre und Risiken für Gewalt erhöhe. Dazu kämen in den letzten Jahren noch die Effekte der Pandemie, wie das Economicy Observatory betont [11] :
Die durch Covid-19 verursachten wirtschaftlichen Umwälzungen könnten das Risiko von Konflikten in der ganzen Welt erhöht haben. Diese vielleicht unerwartete Folge der Pandemie dürfte vor allem die Länder getroffen haben, die am stärksten von dem Virus betroffen waren.
Historischer Tiefstand
Die globale Konfliktausweitung in den letzten Jahren sei alarmierend, so die UN in einer Erklärung im letzten Jahr [12] . Das Sicherheitsgefühl der Menschen befinde sich heute auf einem historischen Tiefstand. Sechs von sieben Menschen weltweit fühlen sich unsicher, die Welt ist mit der höchsten Zahl gewaltsamer Konflikte seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert, und zwei Milliarden Menschen – ein Viertel der Menschheit – leben in Gebieten, die von solchen Konflikten betroffen sind.
Vor diesem Hintergrund sind auch die militärischen Trends beunruhigend. So machen es asymmetrische Kriegsführungstechnologien [13] nichtstaatlichen Gruppen sowie kleineren oder weniger mächtigen Staaten sehr viel leichter, in Konflikten mit größeren Staaten oder Regierungen zu konkurrieren. Die Zahl der Staaten, die Drohnen einsetzen, ist von 16 auf 40 gestiegen, was einem Anstieg von 150 Prozent zwischen 2018 und 2023 entspricht. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der nichtstaatlichen Gruppen, die mindestens einen Drohnenangriff verübten, von 6 auf 91, was einem Anstieg von über 1.400 Prozent entspricht.
Darüber hinaus hat seit dem Beginn des Ukraine-Krieges die Militarisierung in 91 Ländern zugenommen und damit den Trend der letzten 15 Jahre umgekehrt. Angesichts der künftigen Verpflichtungen vieler Länder in Bezug auf Militärausgaben ist es unwahrscheinlich, dass sich die Situation in den kommenden Jahren verbessert.
Der Ausweg aus der Konfliktfalle
Währenddessen wurde die Unterstützungshilfen für fragile Entwicklungsländer, die von Konflikten bedroht sind, zum Teil deutlich gekürzt [14] , wobei sich die Ausgaben für friedensschaffende und friedenserhaltende Maßnahmen weiter auf niedrigem Niveau bei 49,6 Milliarden Dollar [15] befinden, was weniger als 0,6 Prozent der gesamten Militärausgaben entspricht.
Die stellvertretende UN-Generalsekretärin Amina J. Mohammed stellte fest [16] , dass der Frieden – die Daseinsberechtigung der Vereinten Nationen – „jetzt ernsthaft bedroht ist“. „Es gibt nur einen Weg zu dauerhaftem Frieden“, den Weg der nachhaltigen Entwicklung.
Das sei das einzige wirkliche Instrument, um die Dynamik und die Zyklen der Instabilität zu durchbrechen und die Ursachen von Fragilität und humanitärer Not zu bekämpfen. Entwicklungsinvestitionen von den wohlhabenden Ländern für den Globalen Süden seien tatsächlich Investitionen in den weltweiten Frieden.
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Links in diesem Artikel:
[1] https://uploads.guim.co.uk/2024/11/20/Global_conflict_zones_grow_by_two_thirds_since_2021,_topping_6_million_km2_-_Report.pdf
[2] https://www.visionofhumanity.org/highest-number-of-countries-engaged-in-conflict-since-world-war-ii/
[3] https://www.maplecroft.com/products-and-solutions/geopolitical-and-country-risk/insights/conflict-zones-grow-by-two-thirds-globally-since-2021-covering-6-million-km2/
[4] https://uploads.guim.co.uk/2024/11/20/Global_conflict_zones_grow_by_two_thirds_since_2021,_topping_6_million_km2_-_Report.pdf
[5] https://www.visionofhumanity.org/highest-number-of-countries-engaged-in-conflict-since-world-war-ii/
[6] https://www.theguardian.com/global-development/2024/nov/21/world-conflict-zones-increased-by-two-thirds-past-three-years-report-ukraine-myanmar-middle-east-africa
[7] https://geopoliticaleconomy.com/2022/09/13/us-251-military-interventions-1991/
[8] https://watson.brown.edu/costsofwar/costs/social/global-expansion
[9] https://documents1.worldbank.org/curated/ar/908361468779415791/310436360_20050007005532/additional/multi0page.pdf
[10] https://unfccc.int/news/conflict-and-climate
[11] https://www.economicsobservatory.com/how-has-the-pandemic-affected-civil-conflict-around-the-world
[12] https://press.un.org/en/2023/sc15184.doc.htm
[13] https://www.visionofhumanity.org/highest-number-of-countries-engaged-in-conflict-since-world-war-ii/
[14] https://unu.edu/article/development-aid-cuts-will-hit-fragile-countries-hard-could-fuel-violent-conflict
[15] https://www.visionofhumanity.org/highest-number-of-countries-engaged-in-conflict-since-world-war-ii/
[16] https://press.un.org/en/2023/sc15184.doc.htm
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