Hamburg: Gericht entscheidet für Meinungsfreiheit, NDR reagiert mit Propaganda
Sieben Wochen lang hatte Hamburg alle spontanen Demonstrationen für Palästina verboten. Heute hob das Gericht das Verbot auf. Und plötzlich sieht der NDR nur noch „Pro-Hamas-Demonstrationen“. Propagandistische Schützenhilfe für einen Völkermord?
Hamburg: Gericht entscheidet für Meinungsfreiheit, NDR reagiert mit Propaganda
Von Dagmar Henn
Gelegentlich kann man live zusehen, wie Sprachregelungen in deutschen Medien verschärft werden. Gerade liefert ein Gerichtsurteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts den Anlass für ein aktuelles Beispiel. Es hat nämlich heute ein seit sieben Wochen bestehendes Verbot für spontane Pro-Palästina-Demonstrationen aufgehoben.
Vor einigen Wochen hatte der NDR über dieses Verbot noch einigermaßen neutral berichtet:
„Das bestehende Verbot betrifft alle nicht angemeldeten und nicht von der Versammlungsbehörde bestätigten Kundgebungen, die pro-palästinensischen Inhalts sind. Dadurch soll verhindert werden, dass zur Unterstützung der Terrorgruppierung Hamas aufgerufen oder der Angriff auf Israel verherrlicht wird.“
Das war am 12. November. Da waren bereits eine Menge Bomben auf Gaza gefallen, Hunderte Kinder ums Leben gekommen und Hunderttausende vertrieben worden. Was natürlich kein Thema ist, schon gar nicht für Demonstrationsverbote. Es waren von Anfang an palästinensische Fahnen, nicht israelische, die Grund für allerlei Unterstellungen waren, obwohl die Tatsache, dass die Gewalt, die Israel in Gaza ausübt, weit schlimmer ist, schon damals nicht mehr von der Hand zu weisen war.
Aber immerhin, es ist die Rede von „pro-palästinensischem Inhalt“. Und nun sind weitere Wochen vergangen, die Zahl der ermordeten Kinder hat mittlerweile 7.000 überschritten, der UN-Generalsekretär hat dringend zum Handeln aufgerufen, um einen Genozid zu verhindern, und das gesamte Vorgehen der israelischen Armee zeigt jedem, der imstande ist, Karten zu lesen, dass es auf eine komplette Vertreibung oder Auslöschung der palästinensischen Bevölkerung des Gazastreifens zielt.
Wie reagiert darauf der NDR? Er ändert die Sprachregelung. Jetzt ist die Rede von „spontanen Sympathie-Kundgebungen für die Hamas“.
Nachdem die möglichen Teilnehmer einer solchen Demonstration nach wie vor die gleichen sind wie vor einigen Wochen, gibt es objektiv keinen Grund, die Formulierung zu ändern. Abgesehen davon natürlich, dass nichts so viel Sympathien für die Hamas erzeugt wie diese hemmungslose israelische Bombenkampagne, aber so ist das seitens des NDR nicht gemeint. Nein, der Umgang mit den Worten hat sich geändert. Er hat sich trotz des Genozids, der weltweit beinahe live beobachtet wird, weiter zugunsten der Position der Netanjahu-Regierung verschärft.
„Das Verwaltungsgericht verkenne nicht, dass nicht angemeldete „pro-palästinensische Versammlungen“ derzeit ein hohes Eskalationsrisiko hätten. Im Einzelfall könne eine solche Versammlung durchaus die Gefahrenschwelle überschreiten und dann untersagt werden.“
Der NDR setzt jetzt die eigentlich korrekte Formulierung, die schlicht beschreibt, wofür demonstriert wird, selbst dann in Anführungszeichen, wenn es sich um eine indirekte Rede aus dem Urteil handelt.
Das Verwaltungsgericht Hamburg hat übrigens sehr deutlich bestätigt, dass die Verbotsverfügung sich auf alle spontanen Versammlungen bezog, die die palästinensische Sicht einnehmen:
„Die Allgemeinverfügung erfasst nach ihrem – zumindest nicht ausgeschlossenen und mit Blick auf den verwendeten Klammerzusatz ’sog. pro-palästinensische Versammlungen‘ vielmehr naheliegenden – weiten Verständnis nicht lediglich solche Versammlungen, deren dahinterstehende Meinung oder Ziele auf eine Unterstützung der – seit dem 2. November 2023 einem Betätigungsverbot in Deutschland unterliegenden – Terrororganisation Hamas oder die Befürwortung der Taten der Hamas gerichtet sind, sondern jegliche Versammlungen, die im Zusammenhang mit der aktuellen kriegerischen Auseinandersetzung (ausschließlich) die palästinensische Sichtweise einnehmen.“
Und hob das Verbot auf, da hochstehende Rechtsgüter wie die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit nicht auf Grundlage einer pauschalen Bewertung eingeschränkt werden dürften, sondern nur aufgrund einer konkreten, belegten Gefahrenprognose.
Eigentlich eine ziemliche Klatsche für die Hamburger Verwaltung. Das Verbot war in Hamburg auch auf Kritik gestoßen, nicht nur in der Bürgerschaft – am 11. November hatte es eine Demonstration gegen dieses Demonstrationsverbot gegeben. Eigentlich wäre es jetzt auch Aufgabe der Medien, über diese Entscheidung zu berichten.
Nun, irgendwie kann man das, was tatsächlich geschah, auch „berichten“ nennen. Aber aus spontanen Demonstrationen, die „die palästinensische Sichtweise einnehmen“, wie es das Gericht korrekt formuliert hat, werden beim NDR jetzt „spontane Kundgebungen zur Unterstützung der Hamas oder deren Angriffen auf Israel“.
„Verbot spontaner Pro-Hamas-Kundgebungen in Hamburg gekippt“, lautete sogar die Überschrift beim NDR. Als wären Demonstrationen, die sich mit Palästina befassen, gerade nicht mit anderen Dingen beschäftigt, mit toten Kindern beispielsweise, zerstörten Krankenhäusern, fehlender Wasserversorgung und anderen israelischen Gräueltaten. Und als wäre der anzunehmende Auslöser einer spontanen Demonstration, die auf diesen Krieg aufmerksam macht, nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ein weiteres israelisches Kriegsverbrechen.
Auch der Hamburger Polizeisprecher stimmte in die allgemeine Unterstellung mit ein, Demonstrationen für Palästina seien Ansammlungen gefährlicher Antisemiten. „Vor dem Hintergrund des Chanukka-Festes hätten wir zum Schutz jüdischen Lebens in Hamburg gerne noch ein paar Tage länger auf die Allgemeinverfügung zurückgegriffen“, wird er zitiert. Es ist in Deutschland schließlich vollständig gelungen, aus dem Gedächtnis zu löschen, dass es eine ganze Menge jüdischer Deutscher gibt, die für die Palästinenser demonstrieren würden und nicht für den Völkermord der Netanjahu-Regierung, und auch, dass es eine Menge christlicher Palästinenser gibt, die Massaker zu Weihnachten ebenfalls nicht gut finden, wird nicht wahrgenommen.
Selbstverständlich ist den deutschen Mainstream-Medien auch nichts davon bekannt, dass viele Tote des 7. Oktober auf das Konto der israelischen Armee und nicht der Hamas gehen dürften. Sowenig die grausame Realität in Gaza angemessen dargestellt wird, sosehr wird immer wieder betont, wie furchtbar doch dieser Angriff gewesen sei. Dafür wurden die israelischen Pläne, die Tunnel in Gaza zu fluten, was zwangsläufig den Tod auch der Gefangenen zur Folge hätte, dargestellt, als wäre so etwas völlig normal und vernünftig.
Diese kleine Änderung der Sprachregelung, die in der Berichterstattung jetzt aus Demonstranten Terroristen oder zumindest Anhänger von Terroristen macht und nur dazu dient, genau die Grundrechtsverletzungen, die das Hamburger Verwaltungsgericht moniert hat, geradezu als logisch und unverzichtbar darzustellen und implizit dem Gericht vorzuwerfen, Terrorismus zu fördern, ist der Beleg dafür, dass sich die offizielle deutsche Position mitnichten in Richtung Einsicht bewegt.
Selbst wenn Bundesaußenministerin Annalena Baerbock inzwischen ab und zu das israelische Blutbad ein wenig kritisiert, weil der Rest der Welt mit Entsetzen auf den israelischen Furor blickt, es wird eisern so getan, als wären die Rollen von Gut und Böse so verteilt, wie man es gerne hätte. Nicht einmal die Sonderregelung für den Waffenexport nach Israel wurde aufgehoben.
Und nachdem schon vor einigen Wochen bekannt wurde, wie genau die öffentlich-rechtlichen Sender ihren Beschäftigten die Formulierungen vorschreiben, kann man sich auch in diesem Fall eine entsprechende Rundmail vorstellen: „Achtung – bitte die Formulierung ‚pro-palästinensische Demonstration‘ nicht verwenden, anstelle dessen bitte ‚Pro-Hamas-Demonstration‘.“ Wetten?
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