Hinter den Kulissen wird über eine Teilung der Ukraine diskutiert von Thomas Röper von Anti-Spiegel

Hinter den Kulissen wird über eine Teilung der Ukraine diskutiert

Die Positionen des kollektiven Westens und des Globalen Südens zur Ukraine sind zu unterschiedlich. Der kollektive Westen steht als faktische Kriegspartei an der Seite der Ukraine, während der Globale Süden Verständnis für Russlands Sicherheitsbedenken hat, die eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine mit sich bringen würden.

Hinter den Kulissen wird über eine Teilung der Ukraine diskutiert

von Thomas Röper

von Anti-Spiegel

17. August 2023

Umsetzung des RAND-PapiersIn den letzten Tagen kam aus den NATO der Vorschlag, die Ukraine solle im Tausch für eine mögliche NATO-Mitgliedschaft Gebiete an Russland abtreten. Am nächsten Tag ist die NATO zurückgerudert, aber die Formulierungen dabei zeigten, was tatsächlich besprochen wird.

Über die Umsetzung des RAND-Papiers vom Januar, über das ich seit Februar berichte, habe ich das letzten Mal noch vor dem Treffen in Saudi-Arabien am 6. August berichtet, das für sich genommen schon eine Revolution bedeutete, weil so ein Treffen noch wenige Monate zuvor undenkbar gewesen wäre, denn zuvor hieß es immer, der Westen müsse Russland in der Ukraine eine „strategische Niederlage“ zufügen und Verhandlungen mit Russland seien erst möglich, wenn Russland aus der Ukraine vertrieben sei.

Bevor wir auf die kuriosen Entwicklungen der letzten Tage kommen, will ich daher noch einmal kurz auf das Treffen in Saudi-Arabien eingehen.

Das Treffen in Saudi-Arabien

Dass die Ukraine-Gespräche in Dschidda zu einem Ergebnis führen würden, hat niemand erwartet, denn die offiziell verkündeten Ziele des US-geführten Westens bei den Gesprächen waren unrealistisch. Offiziell wollte der Westen dort mit den Ländern des globalen Südens über den „Friedensplan“ von Selensky reden und für ihn werben. Da der Plan aber faktisch eine Kapitulation Russlands fordert, inklusive Rückgabe der Krim, der Zahlung von Reparationen und der Auslieferung angeblicher russischer bis hin zum russischen Präsidenten, war zu erwarten, dass der Globale Süden darüber nicht einmal reden wollte.

Die Positionen des kollektiven Westens und des Globalen Südens zur Ukraine sind zu unterschiedlich. Der kollektive Westen steht als faktische Kriegspartei an der Seite der Ukraine, während der Globale Süden Verständnis für Russlands Sicherheitsbedenken hat, die eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine mit sich bringen würden. Viele Länder des Globalen Südens geben dem Westen sogar mindestens eine Mitschuld, weil die Eskalation in der Ukraine eine direkte Folge der vom Westen forcierten NATO-Mitgliedschaft der Ukraine war, die Russland immer als rote Linie bezeichnet hat.

So kam es, dass der Westen weder Länder des globalen Südens auf seine Seite ziehen, noch über Selenskys „Friedensplan“ auch nur reden konnte. Stattdessen haben – für den Westen offenbar überraschend – weitere Länder zusammen mit Saudi-Arabien einen eigenen Friedensplan aus dem Hut gezaubert.

Die Stille danach

Nach dem Treffen in Saudi-Arabien ist es in der Öffentlichkeit verdächtig still um die Frage weiterer Verhandlungen geworden. Offenbar wurde aber hinter den Kulissen eifrig geredet, so wurde gemeldet, dass Saudi-Arabien Russland, das nicht eingeladen war, zeitnah und ausführlich über die Gespräche informiert hat. Gleiches dürften Länder wie China, Indien oder Südafrika auch getan haben.

Die Zeit arbeitet für Russland, weshalb der US-geführte Westen zunehmend unter Druck gerät. Die militärische und finanzielle Unterstützung der Ukraine ist für den Westen mittlerweile unbezahlbar geworden, während sie gleichzeitig keinerlei Erfolge gegen Russland bringt, und in den USA steht 2024 der Wahlkampf an. Da das Ukraine-Thema in den USA immer unpopulärer wird, weil die Probleme in den USA wachsen und die Mehrheit der US-Bürger kein Verständnis dafür hat, dass für die Ukraine immer mehr Geld da sein soll, während für die Menschen in den USA kein Geld da ist, muss die US-Regierung einen Weg finden, das Thema Ukraine bis Anfang 2024 abzuschließen, wenn sie eine Chance auf Wiederwahl haben möchte.

Man dürfte sich im Westen nach dem Treffen in Saudi-Arabien also Gedanken gemacht haben, was nun zu tun ist. Hinter den Kulissen dürfte man Kiew bereits klargemacht haben, dass es irgendwann im Herbst Verhandlungen mit Russland wollen muss, ob es will oder nicht.

Ich vermute schon lange, dass die USA im Herbst von Kiew verlangen werden, dass es Verhandlungen wollen muss und das hat der ukrainische Außenminister Kuleba am 12. August, also knapp eine Woche nach dem Treffen in Saudi-Arabien, bestätigt, als er in einem Interview mit dem ukrainischen Portal Strana erklärte:

„Auf die Ukraine wartet ein schwieriger Herbst. Es wird eine sehr schwierige politische Saison, ich warne alle (…), es wird ein schwieriger Herbst, in verschiedenen Ländern der Welt mehren sich die Stimmen (…), dass Verhandlungen notwendig sind.“

Laut Kuleba „kommt das nicht von offizieller Seite“, aber diese Stimmen würden lauter. Er erklärte, dass die Ukraine alles tun werde, „um diese Stimmen zum Verstummen zu bringen“, denn es werde im Herbst „eine Menge wichtiger Gipfeltreffen geben“.

Der Globale Süden

Von diesen Gipfeltreffen darf die Ukraine sich jedoch nicht allzu viel erwarten, denn eines der wichtigsten anstehenden Gipfeltreffen ist der G20-Gipfel. Nachdem Indien, das in diesem Jahr den Vorsitz der G20 innehat und daher das Programm und die Themen des Gipfels maßgeblich bestimmt, schon vor einiger Zeit erklärt hat, für das Thema Ukraine werde es beim G20-Gipfel keinen Raum geben, hat der indische Außenminister am 16. August nachgelegt und mitgeteilt, dass Kiew erstens nicht zu dem Treffen eingeladen wird und dass die Ukraine zweitens dort auch nicht Thema sein, denn:

„Die G20 befasst sich mit dem globalen Wachstum, der Entwicklung (der Wirtschaft). Der Gipfel wird sich mit Energie, Düngemitteln und Nahrungsmitteln befassen“

Wer nun aber glaubt, diese Aussage müsse man als Kritik an Russland für seinen Ausstieg aus dem Getreideabkommen werten, der dürfte enttäuscht werden. Der Globale Süden kennt die Geschichte des Getreideabkommens, dort weiß man, dass der Westen seinen Teil des Abkommens nie eingehalten hat, und dass das ukrainische Getreide im Rahmen des Getreideabkommens in die reichen Länder gegangen ist, anstatt an die notleidenden Länder des Südens.

Während die Kornspeicher der EU so voll mit ukrainischem Getreide sind, dass demnächst ein Streit in der EU um die Grenzöffnung für ukrainisches Getreide ansteht, hat die EU jedoch keinerlei Getreide an die notleidenden Länder geliefert. Russland hingegen hat den notleidenden Ländern nicht nur große Rabatte auf russisches Getreide gegeben, sondern sogar kostenlose Getreidelieferungen angekündigt.

Dass EU-Chefdiplomat Borrell daraufhin einen Brief an die notleidenden Länder geschickt und Russland dafür verurteilt hat, war sicher nicht klug. De facto hat Borrell von diesen Ländern gefordert, sie sollten lieber hungern als russisches Getreide anzunehmen. Hilfe in Form von Getreidelieferungen aus der EU hat er hingegen nicht angeboten.

Daher dürfte klar sein, wen bei dem G20-Gipfel die Kritik des Globalen Südens erwartet. Und es wird auch verständlich, warum man dort nicht einmal über die Ukraine reden will.

Für Kulebas Idee, die internationalen Stimmen, die von der Ukraine im Herbst Verhandlungen verlangen, auf den anstehenden Gipfeltreffen „zum Verstummen zu bringen“, stehen die Chancen also denkbar schlecht.

Der Druck auf Kiew wächst

Am 13. August berichtete das Wall Street Journal unter Berufung auf westliche Diplomaten, dass das Ausbleiben von Erfolgen bei der ukrainischen Gegenoffensive die Wahrscheinlichkeit verringere, dass es in diesem Winter zu den vom Westen erhofften Verhandlungen mit Russland kommt. Die die Versuche des ukrainischen Militärs, „die befestigten russischen Verteidigungslinien mit Hilfe westlicher Ausrüstung zu durchbrechen“, seinen „ins Stocken geraten“, während westliche Militärs und Politiker „fragen, was in den kommenden Monaten erreicht werden kann“ und man mache sich bereits Gedanken um 2024.

Da die westlichen Arsenale leer sind, kann der Westen 2024 nicht noch einmal so viele Waffen an Kiew liefern, wie vor der aktuellen (und kläglich gescheiterten) ukrainischen Offensive. Man steckt im Westen also in einer Zwickmühle, denn mit weniger Waffen als 2023 wird Kiew erst recht nichts erreichen können. Im Westen wird man daher begriffen haben, dass man bei den Verhandlungen mit Russland große Abstriche von den eigenen (und erst recht den ukrainischen) Forderungen machen muss.

Am 15. August waren auch aus Selenskys Umfeld ganz neue Töne zu hören. Sein bisher als kompromissloser Kriegstreiber bekannter Chef der ukrainischen Präsidialverwaltung Michail Podoljak räumte in einem Interview mit der Zeitschrift Le Point plötzlich auch ein, dass es zu Verhandlungen kommen werde:

„Der französische Präsident steht voll hinter uns. Seine Unterstützung ist vollständig. Paradoxerweise gibt er Russland ein Druckmittel in die Hand, das es gegen uns einsetzt, wenn er von Verhandlungen spricht. Aber im Grunde genommen sind wir mit Emmanuel Macron einverstanden. Am Ende wird es Verhandlungen geben“

Das sind wirklich neue Töne aus Kiew, denn bisher hat man dort nicht nur den „Friedensplan“ von Selensky, also eine russische Kapitulation, gefordert, sondern Selensky hat Verhandlungen mit einem von Putin regierten Russland Ende September 2022 sogar unter Strafandrohung verboten.

Gebietsabtretungen an Russland für einen NATO-Beitritt?

Am 11. August hat der stellvertretende russische Außenminister Michail Galusin in einem Interview mit der TASS die russische Sicht auf mögliche Friedensverhandlungen dargelegt, darunter die Abtretung der von Russland als seine neuen Gebiete anerkannten ehemaligen ukrainischen Gebiete, was aus Kiew natürlich sofort als inakzeptabel zurückgewiesen wurde.

Das hinderte Stian Jenssen, den Stabschef des NATO-Generalsekretärs, jedoch nicht davon ab, nur wenige Tage genau das vorzuschlagen, als er sagte:

„Ich denke, die Lösung könnte darin bestehen, dass die Ukraine Gebiete abgibt und im Gegenzug eine NATO-Mitgliedschaft erhält. Es ist wichtig, dass wir darüber diskutieren, wie wir das durchsetzen können.“

Jenssen wiederholte auch, was NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zuvor gesagt hatte:

„Die Ukraine muss selbst entscheiden, wann und zu welchen Bedingungen sie verhandeln will.“

Seine wohl wichtigste Aussage machte er auf die Frage, ob die NATO glaubt, dass die Ukraine Gebiete abtreten sollte, um Frieden mit Russland und eine zukünftige NATO-Mitgliedschaft zu erreichen, denn darauf sagte er, Diskussionen über einen möglichen Status nach dem Krieg seien bereits im Gange und Fragen über die Abtretung von Gebieten an Russland würden „von anderen aufgeworfen“. Einschränkend fügte er hinzu:

„Ich sage nicht, dass es so sein muss. Aber es könnte eine mögliche Lösung sein.“

Das Dementi, das keins war

Kiew war natürlich außer sich und einen Tag später ruderte die NATO zurück. Entscheidend dabei waren jedoch die Formulierungen, denn Stian Jenssen sagte, er hätte nicht über die territorialen Zugeständnisse der Ukraine an Russland im Austausch für die NATO-Mitgliedschaft sprechen sollen:

„Meine Aussage dazu war Teil einer breiteren Diskussion über mögliche Zukunftsszenarien in der Ukraine, und ich hätte das nicht sagen sollen. Das war falsch.“

Das Wichtigste an seinem „Dementi“ war, dass es kein Dementi war, denn er hat nicht die Aussage selbst, die Ukraine solle Gebiete an Russland abtreten, zurückgenommen, sondern nur erklärt, es wäre falsch gewesen, das laut zu sagen. Außerdem bestätigte er, dass das Thema bei der NATO bereits auf der Tagesordnung ist, indem er das als „Teil einer breiteren Diskussion über mögliche Zukunftsszenarien in der Ukraine“ bezeichnet hat.

Mit seinem „Dementi“ wollte er offenbar nur die Presse und Kiew ein wenig beruhigen, aber in der Sache hat er seine These der Gebietsabtretungen nicht zurückgenommen, sondern sich nur dafür entschuldigt, öffentlich darüber gesprochen zu haben.

Sind Gebietsabtretungen für einen NATO-Beitritt eine Option für Russland?

Es steht jedoch zu vermuten, dass die Diskussion sowieso sinnlos ist, denn der Hauptgrund für Russlands Intervention in der Ukraine war der geplante NATO-Beitritt des Landes, der für Russland eine inakzeptable Bedrohung seiner Sicherheitsinteressen ist. Der ehemalige russische Präsident und heutige stellvertretende Vorsitzende es russischen Sicherheitsrates Dmitri Medwedew hat daher auf Telegram auch sehr ironisch darauf reagiert:

„Eine neue Idee für die Ukraine aus dem Büro des Nordatlantischen Bündnisses:
Die Ukraine könnte der NATO beitreten, wenn sie auf umstrittene Gebiete verzichtet.
Ja, was denn? Die Idee ist interessant. Die einzige Problem ist, dass alle ihre angeblichen Territorien höchst umstritten sind. Und um dem Block beitreten zu können, müsste die Kiewer Regierung sogar Kiew, die Hauptstadt der alten Rus, aufgeben.
Und die Hauptstadt werden sie nach Lwow verlegen müssen. Natürlich nur, wenn die Polen zustimmen, Lemberg den Koks-Liebhabern zu überlassen.“

Für Russland bleibt ein NATO-Beitritt der Ukraine eine rote Linie, das sollte die russische Intervention vom Februar 2022 eigentlich jedem klar gemacht haben. Daran ändern auch angebotene Gebietsabtretungen nichts.

Ich schreibe es seit Monaten, wenn ich über die Umsetzung des RAND-Papiers berichte: Die große Frage ist, was Russland bei den anstehenden Friedensgesprächen tatsächlich fordern wird. Es ist schon fraglich, dass Russland überhaupt ernsthaft mit Kiew reden würde, wahrscheinlicher ist, dass Russland eine Abmachung mit denen treffen will, die für Kiew die Entscheidungen treffen – also mit den Herrschaften in Washington.

Was Russland von denen fordern würde, das weiß man derzeit wahrscheinlich nur im Kreml. Und ob die USA bereit sein werden, darauf einzugehen, das steht nochmal auf einem anderen Blatt.

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