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Kultur und Barbarei Moshe Zuckermann

Ich danke Moshe Zuckermann für die Genehmigung seinen neuen, heute auf Overton-Magazin erschienenen Artikel auf der Hochblauen Seite zu übernehmen. Evelyn Hecht-Galinski

https://overton-magazin.de/top-story/kultur-und-barbarei/

Kultur und Barbarei

Caspar David Friedrich: Der Winter, 1808. Bild: romantik-referat.de/gemeinfrei

Was vermag der Einzelne angesichts der in seinem Namen vollführten Barbarei? Vermag er überhaupt etwas?

 

In seinem Buch “Negative Dialektik” umreißt Theodor Adorno die zwickmühlenartige Situation des reflektierten Menschen angesichts der Barbarei, die ihm zivilisatorisch begegnet. Er kommt nicht umhin, ihr gegenüber eine Position zu beziehen, sieht sich aber stets vor einem Dilemma gestellt: “Wer für Erhaltung der radikal schuldigen und schäbigen Kultur plädiert, macht sich zum Helfershelfer, während, wer Kultur sich verweigert, unmittelbar die Barbarei befördert, als welche die Kultur sich enthüllte. Nicht einmal Schweigen kommt aus dem Zirkel heraus; es rationalisiert einzig die eigene subjektive Unfähigkeit mit dem Stand der objektiven Wahrheit und entwürdigt dadurch diese abermals zur Lüge.”

Die apodiktischen Worte bedürfen der Erläuterung. Adorno schrieb sie in seiner kulturkritischen Auseinandersetzung mit der Kultur “nach Auschwitz”. Zum einen hat sich erwiesen, dass die Kultur insofern versagt hat, als sie die ihr zugeschriebene Funktion – eine Schutzmauer gegen die sich verbreitende Barbarei zu bilden und diese abzuwehren – nicht zu erfüllen vermochte. Kultur kann nicht mehr leichterdings als Mittel gegen die Barbarei angeführt werden, wie es die europäische Aufklärung emphatisch behauptet hatte; zu sehr hat sie sich letztlich mit der Barbarei verbündet und wurde somit selbst barbarisch, verkam mithin zur Helfershelferin der Barbarei.

Man denkt in diesem Zusammenhang automatisch an die kulturellen Ungetüme des Auschwitz-Orchesters, an die Kulturaktivitäten in Theresienstadt oder an Entsetzlichkeiten wie die Aufführung von Beethovens Neunten anlässlich des 50. Geburtstags von Adolf Hitler. Eine geraffte filmische Darstellung der abgründigen Konstellation von Kultur und Barbarei findet sich in Bob Fosses Film “Cabaret” (1972) in der Szene, in der ein HJ-Jüngling das Lied “Tomorrow Belongs to Me” intoniert. Sie ist deshalb so beeindruckend, weil der Junge so hübsch ist, seine Stimme so rein und sein Lied so suggestiv, dass alle seine ZuhörerInnen im Berg-Café in den optimistisch-unheilverkündenden Gesang einstimmen. Der sinnlich-ästhetischen Wirkung des “Lichtdoms” von Albert Speer auf dem NS-Reichsparteitag von 1938 konnten sich selbst kritische NS-Forscher zuweilen nicht entziehen.

Zum anderen kann man sich aber der Kultur auch nicht einfach verweigern, weil man damit die Barbarei “unmittelbar befördert”. Trotz ihres assimilatorischen Charakters wahrt Kultur also offenbar dennoch ein Moment des Widerständigen gegenüber der Barbarei – freilich stets unter der Gefahr, dies Widerständige durch Anpassung an die Barbarei zu verraten. Berühmt wurde die aphoristisch formulierte Schlussfolgerung, die Adorno aus dieser Misslichkeit zog: “Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“ – eine Behauptung, die er allerdings Jahre später relativieren sollte: “Das perennierende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie der Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe sich kein Gedicht mehr schreiben.”

“Was kann ich schon machen?”

Es heißt, Adorno habe die Apodiktik seines Postulats nach der Lektüre von Paul Celans Gedicht “Die Todesfuge” überdacht. Aber ungeachtet des unmittelbaren Anlasses für diese Rückbesinnung, hat er seine Sicht der wechselseitigen Beziehung von Kultur und Barbarei nicht widerrufen, sondern begründete seine Relativierung des ursprünglichen Diktums mit der Notwendigkeit, menschliches Leid beredt werden zu lassen. Kultur kann demnach Barbarei zwar nicht verhindern, aber der Leiderfahrung an der Barbarei zumindest Ausdruck verleihen. Das ist es, was Kultur zu leisten vermag.

Daraus ergibt sich auch Adornos Bezugnahme auf das Schweigen als Möglichkeit, der im Grundverhältnis zwischen Kultur und Barbarei entstandenen Aporie zu entgehen. Denn wenn die Entscheidung für die eine oder andere Position jeweils ideologisch kontaminiert ist, so erweist sich auch das Schweigen letztlich als eine Form der Ideologie, die “aus dem Zirkel” vermeintlich führt: Schweigen ist, so besehen, die Rationalisierung der subjektiv empfundenen Ohnmacht gegenüber dem barbarisch Bestehenden, die durch die ihr innewohnende Selbstberuhigung sich der Auseinandersetzung mit der objektiv bestehenden Barbarei entzieht.

Nicht in meinem Namen …

“Was kann ich schon machen?”, fragt sich das durch die übermächtigen Verhältnisse überrannte Individuum. Und es hat ein gewisses Anrecht auf diese Frage. Der Einzelne kann in der Tat keine Veränderung der Struktur, die ihn zur Machtlosigkeit verdammt, erwirken. Strukturveränderungen bedürfen des kollektiven Handelns; eine kritische Masse ist stets Voraussetzung.

Was nun aber, wenn die Masse den objektiven Zustand gar nicht als Barbarei wahrnimmt? Was, wenn sie die Barbarei als Notwendigkeit rechtfertigt, etwa als Mittel der Abschreckung des Feindes oder als Selbstverteidigung des eigenen Kollektivs? Was, darüber hinaus, wenn die Masse sich im Recht wähnt, weil gerade der Feind (nicht aber sie selbst) als barbarisch gesehen, mithin diese Selbsteinschätzung selbstgerecht als Staatsideologie verankert und medial zum Postulat der kollektiven “Moral” erhoben wird? Was kann da der Einzelne, der sich von diesen ideologischen Mustern des Kollektivs distanzieren möchte, noch ausrichten?

Für gewöhnlich muss sich der in seiner Gesinnung Vereinsamte damit begnügen, “nicht in meinem Namen” zu proklamieren. Aber ob er es will oder nicht, die Barbarei wird in seinem Namen als Staatsbürger des Staates, dessen Politik er verurteilt, vollzogen; er hat keine Handhabe darüber, ob er zu diesem Zweck vereinnahmt wird oder nicht. Mag er subjektiv noch so clevere Verdrängungsmechanismen aktivieren, objektiv lässt sich das ihm gegen seinen Willen anhaftende Kainsmal nicht eliminieren; er wird als das wahrgenommen, was man in ihm sieht – eben als Angehörigen des Kollektivs, das Barbarei verursacht hat. In diesem, seinem eigenen Kollektiv, wird er entweder ignoriert oder – wenn er öffentlich “gefährlich” wird, da er aus dem nationalen Konsens ausschert – als Aussätziger behandelt. Aber selbst diese Reaktionen, die ihm immerhin das Attribut des “Andersseins” verleihen, verfestigen letztlich seine Zugehörigkeit zu dem, was er von sich abzustreifen trachtet. Er wollte zwar nicht, was um ihn geschah, aber er vermochte nichts dagegen und war eben doch mit dabei.

Zeugt also das Beklagen dieses Zustands seitens des sich gegen die Barbarei Empörenden nicht von subjektiver Larmoyanz? Was gilt schon das individuelle Wehklagen im Angesicht der objektiven Ungeheuerlichkeit der Barbarei? Es ist zu beobachten, dass die Grußfrage “Wie geht es dir?” auch von Kritikern der Barbarei immer öfter mit der vermeintlich differenzierenden Antwort erwidert wird: “Persönlich gut, aber die allgemeine Lage…”.

Ein apologetischer Ton schleicht sich in den Kommentar über die private, sich in einem Gegensatz zum Bewusstsein von der katastrophalen “allgemeinen Lage” befindenden Sphäre ein; ungleich akzeptabler ist es da offenbar, sich dem verzweifelten Gewinsel über “die allgemeine Lage” hinzugeben – umso mehr, als ihr Allgemeines mit dem “Nationalen” gleichgesetzt wird –, als sich den Kopf über die bewusste Trennung beider Sphären zu zerbrechen.

Die in diesem Kontext vorgenommene dichotome Unterscheidung zwischen Subjektivem und Objektivem birgt in sich Reste der klassischen bürgerlichen Ideologie, welche die Privatsphäre definierte und juristisch wie kulturell strikt von der öffentlichen abgrenzte. Darüber hinaus widerspiegelt sie aber auch, wie gesagt, die individuelle Ohnmacht angesichts übermächtiger Mächte, die sich ideologisch als “anonym” apostrophierte, sich zunehmend globalisierende Kräfte erweisen.

Der sich gegen die Barbarei auflehnende Einzelne bleibt unbeheimatet

Die Neigung, sich mit der schlimmen “allgemeinen Lage” zu identifizieren, wie in der Beantwortung der Frage “Wie geht es dir?” indiziert, und die reduzierende Auffassung der “allgemeinen Lage” als “national” zeugen beide von einem falschen Bewusstsein. Unterdes evaporiert die (ohnehin unbeliebte) Einsicht darin, dass das Subjektive nie nur subjektiv, wie denn das Objektive nie nur objektiv sei.

Die berühmte Schlusspassage in Ernst Blochs “Das Prinzip Hoffnung” lautet: “Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.”

Hoffen darf man, hoffen soll man. Aber solange es die national sich formierende “Heimat” ist, die das barbarische Grauen vollführt, muss der sich dagegen auflehnende Einzelne unbeheimatet bleiben. Allein vermag er nichts gegen das in seinem Namen Verbrochene, aber das Schweigen über das Verbrochene ist keine hinnehmbare Option. Die wie immer erbärmliche, vielleicht vergebliche Empörung des Einzelnen birgt immerhin ein Stück Hoffnung in sich, die freilich immer wieder zu erlöschen droht.

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