
Ich danke Nora Hoppe für die persönliche Übersetzung in Deutsch.
https://english.almayadeen.net/articles/opinion/human-progress
Menschlicher Fortschritt
von Nora Hoppe
„Wie sehr bin ich der Ungeheuer und der Scheusäler überdrüssig, nach einem wahren Menschen sehne ich mich.“
دی شیخ با چراغ همیگشت گرد شهر
کز دیو و دد ملولم و انسانم آرزوست
گفتند یافت مینشود جستهایم ما
گفت آنک یافت مینشود آنم آرزوست
Gestern streifte der Scheich, die Lampe in der Hand, durch die Stadt und klagte:
„Wie sehr bin ich der Ungeheuer und der Scheusale überdrüssig,
nach einem wahren Menschen sehne ich mich.“
„Er ist nicht zu finden„, sagten sie, „auch wir haben gesucht.“
„Derjenige, der nicht gefunden wird – nach dem sehne ich mich„, sprach er.
– Maulana Djalâloddin Mohammad Balkhi (aka Rumi) (1207-1273)
Die Tatsache, dass unser Planet in der heutigen Zeit Schauplatz eines Völkermords ist – eine fortwährende Abscheulichkeit, die von keinem internationalen Gremium, keiner zwischenstaatlichen Organisation und nicht einmal von jenen noblen Staaten aufgehalten wird, die proklamieren, eine neue und gerechtere Welt aufbauen zu wollen… sagt viel über unsere Entwicklung als Spezies und möglicherweise über die Zukunft unserer Zivilisation aus.
Wir stehen nun vor einer Gabelung: ein klarer und breiter Weg führt in die Zerstörung und den Ruin; der andere soll zu einer neuen und harmonischen Welt führen… aber er ist gewunden, steinig, vage und von Nebel umhüllt.
Wie ein verzweifeltes Opfer im Treibsand, das vergeblich mit den Armen um sich wedelt, beschleunigt die Raserei eines untergehenden Imperiums nur seinen eigenen Untergang. Sie hat den Weg gewählt, der in den Ruin und in den eigenen Selbstmord führt… und sie hat viele Anhänger – vor allem in ihrem kranken Blinddarm – der zionistischen Entität – und dem Rest der westlichen Welt. Die Symptome dieses nekrotischen Triebs sind in den Ewigen Kriegen zu sehen; ein sich selbst verschlingendes Wirtschaftssystem, das auf unersättlicher Gier und vorsätzlicher Ignoranz basiert; die Zerstörung der Gesellschaft, der Familie, der Rituale und Traditionen; und im Wesentlichen eine totale Verachtung für alles, was natürlich und lebendig ist… Diese Zeichen entstehen aus einem Zustand permanenter Unzufriedenheit und Angst und führen letztlich auf die Selbstzerstörung hin.
Und nun… obwohl der heutige Hegemon, die Vereinigten Staaten – aufgebaut durch Völkermord und Sklaverei – seit ihrer Gründung unzählige Kriege geführt hat und Europa den Planeten aufgrund seiner unaufhörlichen Raubgier seit über 500 Jahren massakriert und ausplündert… es ist jetzt nicht mehr nur eine Frage der Geografie. Der Kern des Problems unserer heutigen menschlichen Zivilisation ist die westliche Denkweise und das System des finanzialisierten Kapitalismus, die beide die ganze Welt in unterschiedlichem Maße infiziert haben… mit nur wenigen Ausnahmen.
Der größte Teil der Weltmehrheit ist immer noch nicht in der Lage, das Joch des Westens abzuschütteln, aufgrund von Korruption, Abhängigkeit, gesellschaftlichem Druck und mangelnder Unterstützung durch die Staaten, um die Bürger über ihre eigene Vergangenheit und Geschichte aufzuklären.
Die Mythifizierung und Nachahmung der westlichen Welt sitzen über so viele Jahrhunderte hinweg so tief im Mark so vieler Menschen verwurzelt. dass ein Dekolonisierungsprozess Zeit brauchen wird. Und offiziell wurde zu diesem Zweck wenig unternommen. Die vielversprechenden BRICS+-Staaten konzentrieren sich vor allem auf Handel, Wirtschaftswachstum und Hightech-Innovationen.
Um jenen westlichen Weg in die gesellschaftliche Verwüstung und den Ruin zu vermeiden und den anderen Pfad vom Nebel zu befreien, müssen wir der Globalen Mehrheit, in vielen Bereichen Klarheit suchen… Möglicherweise müssen wir unsere Denkweise grundlegend ändern. Wir können anfangen, unsere Definitionen von sehr grundlegenden Begriffen zu hinterfragen… Zum Beispiel: Was ist „Entwicklung“, was ist „Wachstum“, was ist „Wohlstand“, was ist „Fortschritt“? Nicht jedes Wachstum ist vorteilhaft – wie bei bösartigen Metastasen. „Positives Wachstum“ bezieht sich heute vor allem auf monetäre Angelegenheiten – BIP, BNE, KKP. Was ist „Fortschritt“? Der Fortschritt betrifft heute vor allem technologische Innovationen. Und sicherlich ist es unerlässlich, dass die Völker aus der Armut befreit werden, wie es China gelungen ist… aber was ist die Art von „Wohlstand“, die die Menschheit erreichen möchte?
Heute, in dieser postmodernen Welt, wird über Entwicklung, Wachstum, Reichtum und Fortschritt in Bezug auf immaterielle Dinge kaum noch diskutiert…
Nicht nur die Bildung, die Künste und Kulturen der Welt sind in die Stagnation geraten, sondern offensichtlich auch die Ethik und die Wertesysteme ganzer Staaten und Gesellschaften… ganz zu schweigen vom Gewissen des größten Teils der Menschheit.
Wie sonst könnte ein Völkermord alltäglich werden? Wie sonst könnten Gräueltaten zu einem täglich erträglichen Spektakel werden? Wie sonst können sich zwei Völkermordführer treffen und so eifrig über ihre „Immobilienpläne“ für ihr Konzentrationslager sprechen, als ob sie ein normales Gespräch führen würden? Wie sonst hätten wir alle zu einem globalen Publikum für eine koordinierte Hungersnot werden können? Wie sonst können so viele europäische Staaten und die EU-Grenzschutzbehörde Frontex zu Kunden von „kampferprobten“ Waffen („getestet“ in Gaza) von Elbit Systems („Israels größtem Rüstungsunternehmen“) werden, die Überwachungsdrohnen und ferngesteuerte Geschütztürme für gepanzerte Fahrzeuge herstellen, damit europäische Soldaten sich der Verantwortung und einem schlechten Gewissen entziehen können, wenn gezielte Flüchtlinge durch Techniker in abgelegenen Büros ermordet werden? Wie sonst können europäische Länder zulassen, dass ihre historischen Vorfälle des Völkermords an den Juden von der zionistischen Entität „revidiert“ und beschönigt werden, um israelische Geschäftsvorteile zu erzielen? Wie sonst könnte das Völkerrecht widerstandslos mit Füßen getreten werden? Wie sonst könnten serielle Verlogenheit und der ständige Bruch von Verfassungen und Vereinbarungen akzeptabel werden? Wie sonst konnten die Bürger dieser Staaten, die ihre „Meinungsfreiheit“ und ihre „westlichen Werte“ rühmen, zulassen, dass ihre Staaten an den Punkt gelangen, an dem sie jetzt Demonstranten kriminalisieren, weil sie sich für die Menschenrechte einsetzen?
Neben den Menschen, die direkt an den Kämpfen um ihr Überleben beteiligt sind (in Gaza, Syrien, Libanon und anderswo), mutigen Soldaten, die gegen den Nationalsozialismus kämpfen, engagierten Journalisten, die an den Fronten ihr Leben riskieren, und Aktivisten, die ihren Beruf riskieren, um gegen den Völkermord zu protestieren… Wo befindet sich der Rest der Welt?
Einige Staaten verurteilen den anhaltenden Völkermord, ergreifen aber keine Maßnahmen, denn… denn es ist ja… kompliziert.
Und doch… haben wir eine Ausnahme… die Ansarallah des Jemen. An ihrem entschlossenen Schritt, ist nichts Kompliziertes: Es ist nur eine Frage der Priorität.
Warum sollte die Mehrheit eines Volkes in einem der ärmsten Länder (vielleicht dem ärmsten) der Erde den größten Teil ihrer Energie, ihrer knappen Ressourcen und ihres unerschütterlichen Glaubens darauf verwenden, zu kämpfen und ihr Leben zu riskieren, um ein anderes Volk zu verteidigen, das nicht mit ihnen direkt verwandt ist und in einem fernen Land, (in einer Entfernung von ca. 2.270 km) zu befinden ist? Was verbindet diese Menschen in diesem Ziel? Und wie könnten IHRE Definitionen von „Entwicklung“, „Wachstum“, „Wohlstand“ und „Fortschritt“ aussehen?
Als Kreuzungspunkt verschiedener Zivilisationen seit mindestens 7000 Jahren hat die große Zivilisation des Jemen im Laufe der Jahrhunderte zahllose Invasionen, erbitterte Kämpfe, usurpierende Dynastien und koloniale Besetzungen durch diejenigen erlebt, die ständig versuchten, dieses wertvolle, hoch entwickelte, ressourcenreiche und „geografisch optimale“ Gebiet zu plündern, zu erobern und zu kontrollieren.
In den 1990er Jahren, nach einer langen Zeit wirtschaftlicher Not, die zum Teil auf die anhaltende saudische Unterdrückung und insbesondere auf die Weigerung Jemens zurückzuführen war, sich der US-amerikanisch-saudischen Militärkoalition gegen den Irak anzuschließen, entstand im Norden Jemens eine zaidische Basisbewegung, die als Muntada al-Shabab al-Mu’min („gläubige Jugend“) bekannt wurde und der verarmten Bevölkerung der Region Sozialprogramme anbot. Die erfolgreiche Bewegung wuchs und verwandelte sich bald in die Ansarallah („Unterstützer Gottes“), die zwischen 2004 und 2010 sechs Kriege gegen das von den Saudis und dem Westen unterstützte Saleh-Regime führten…
Trotz jahrzehntelanger Entbehrungen lassen sich die Ansarallah in ihrem Streben nach Gerechtigkeit, in ihrem Kampf für die Befreiung Palästinas und für die Verbesserung ihres eigenen Landes nicht beirren. Um diese Ziele zu erreichen, brauchen sie keinen „finanziellen Wohlstand“ und keinen finanzialisierten Staat. Bei all ihren Aktionen zeigen sie Solidarität und Einigkeit untereinander. Sie lassen sich nicht einschüchtern. Sie sind bereit, für ihre Überzeugungen und Prinzipien zu sterben.
In ihren gefilmten Reden und Diskussionen ist das Auftreten der Ansarallah geprägt von Zuversicht, Gelassenheit, Anmut, Gemütsruhe, Bescheidenheit… Während der dritten internationalen Konferenz „Palästina, die zentrale Sache der Nation“ zeigten sie Freundlichkeit, Großzügigkeit und Gastfreundschaft bei der Aufnahme ausländischer Gäste, auch gegenüber solchen, die aus „feindlichen Staaten“ stammten.
Im Alleingang haben sie die Dynamik der globalen Macht in der Schifffahrt gestört. Sie stellen selbst Waffen her und verlassen sich dabei auf das Know-how ihrer eigenen Spezialisten. Sie lassen sich nicht einschüchtern. Sie sagen, dass sie bereit sind, für ihren Glauben und ihre Prinzipien zu sterben. Der Chefeinkäufer von Waffen im US-Pentagon, Bill LaPlante, äußerte sich alarmiert über die Raffinesse dieser Waffen: „Was ich von dem gesehen habe, was Ansar Allah in den letzten sechs Monaten getan hat, ist schockierend.“
In seinem Artikel „Faktoren für den tapferen Widerstand im Jemen“ beschreibt der Journalist und politische Analyst Ayman Ahmed, wie es den Ansarallah „gelang, konventionelle militärische Taktiken auf sehr unkonventionelle Weise zu modifizieren“, indem sie einen guerillaorientierten Ansatz verfolgten: Sie bewegten sich zu Fuß in kleinen mobilen Gruppen über feindliches Gelände, wobei ihre Gruppenführer oft Taktiken vor Ort improvisierten und wenig bis gar keine elektronischen Geräte verwendeten. „Ihr Einsatz von Drohnen in fast guerillaartigen Operationen zeigt, wie die Jemeniten es geschafft haben, die milliardenschwere saudische Luftverteidigung zu stören…“ […] „Das saudische Regime war nicht in der Lage, einen großen militärischen Sieg zu erringen, obwohl es über große Waffenbestände verfügt, die von den führenden Waffenhändlern der Welt geliefert werden.“
Aber ihr stärkstes Kapital ist ihre Motivation und Entschlossenheit in ihrem Streben nach „einem würdigen Leben und Lebensstandard für die jemenitischen Bürger, dem Schutz der Unabhängigkeit der Nation und dem Streben nach Weltfrieden und angemessener gleichberechtigter Zusammenarbeit mit den anderen Ländern der Welt“– wie es in ihrer „Nationalen Vision für den modernen jemenitischen Staat“ heißt. Damit haben sie die Unterstützung der Massen in allen Teilen der Gesellschaft gewonnen.
Rune Agerhus, politischer Analyst und Mitglied der Internationalen Solidaritätskommission für den Jemen, schrieb hier: „Was Ansarallah inmitten von Krieg, Hunger und einer lähmenden Blockade errichten konnte, ist ein System, das am besten als ähnlich wie die jugoslawische Arbeiterselbstverwaltung beschrieben werden kann.“ „Ackerland und Produktion werden von den Kooperativen kontrolliert, die sich vollständig im Besitz der jemenitischen Bauernschaft befinden und von ihr verwaltet werden.“ Die Verteidigung des Jemen als Ganzes wird an zwei Fronten ausgefochten – „an der Kampffront und an der Entwicklungsfront“.
Das politische System, das die Ansarallah eingeführt haben, ist die Antithese zum heutigen Kapitalismus. (Nicht zu vergessen: Der Jemen hatte bereits Erfahrungen mit dem Sozialismus gemacht, als seine südliche Region – von 1967 bis 1990 ein eigener Staat – nach Jahrzehnten raubgierige britische Kolonialherrschaft über die Region schließlich eine marxistisch-leninistische Regierung bildete).
In unserer globalisierten postmodernen, technikbesessenen Welt, die von westlichen Normen, Technokraten und dem Markt beherrscht wird und von einer Ignoranz der Geschichte und einer Einschränkung der unabhängigen Betrachtung geleitet wird, erscheinen die Ansarallah für vielen im schlimmsten Fall rückständig und wild, im besten Fall schrullig und exotisch…
Verschiedene Menschen mögen unterschiedliche Ansichten über die Ansarallah haben und werden sie entsprechend beurteilen… aber die AKTIONEN, die diese Leute zur Verteidigung eines anderen Volkes unternommen haben, das einen Völkermord erleidet, sprechen für sich, insbesondere angesichts ihrer Umstände… lauter als alle schönen Worte.
Am 10. April 2025, unter den unaufhörlichen Bombenangriffen des barbarischen Hegemons, richtete Ansarallahs Führer Sayyed Abdul-Malik al-Houthi einen weiteren eindringlichen Appell an die Welt… dem palästinensischen Volk zu Hilfe zu kommen und uns unserer ethischen Verantwortung als Teil einer kollektiven Menschlichkeit bewusst zu werden. Wer hört zu? Wo ist die „Weltgemeinschaft“?
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Nach so vielen Jahrtausenden menschlicher Zivilisation welche Fortschritte machen wir als Spezies in unserem modernen Zeitalter?
Nora Hoppe
Freischaffende Filmemacherin, Drehbuchautorin, Essayistin, Übersetzerin
Dar al-Hajar, former royal palace outside of Sanaa (1920) on the ruins of an ancient Sabaean palace known as the Fortress of Dhi Saydan, constructed by the Himyarites in 3000 BCE
Inscriptions in Musnad, the Temple of Awwam, Throne of Queen Bilqis (Sheba) 1500–1200 BCE
© Zain Alaabdain Ben Ali / Arabia Felix Magazine
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