Opfergaben auf dem Altar der „westlichen Werte“: Bis 400.000 US-Dollar für jeden getöteten ukrainischen Soldaten von Werner Rügemer

Dank an Werner Rügemer und seine Erlaubnis seinen heutigen, auf den Nachdenkseiten veröffentlichten Artikel auf der Hochblauen Seite zu veröffentlichen. Evelyn Hecht-Galinski

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Opfergaben auf dem Altar der „westlichen Werte“: Bis 400.000 US-Dollar für jeden getöteten ukrainischen Soldaten

Ein Artikel von Werner Rügemer

US-Offizielle gaben jetzt bekannt, dass bisher 70.000 ukrainische Soldaten getötet wurden. Dieses bisher von der Selensky-Regierung verbissen geschützte Staatsgeheimnis wurde gelüftet – es war gar kein Geheimnis. Und aus dem ukrainischen Stellvertreter-Krieges werden immer mehr perverse Praktiken bekannt, die die Ukraine zum „Leuchtfeuer für die Kraft des Kapitalismus“ machen sollen. Von Werner Rügemer

Häuserschäden und zivile Opfer in der Ukraine werden seit anderthalb Jahren in unseren westlichen und bundesdeutschen Leitmedien ausführlich vorgeführt: Aber immer noch werden peinlich alle noch so kleinen Hinweise auf die große Zahl der getöteten Soldaten vermieden. Übrigens: Zivile ukrainische Opfer sind nicht unbedingt deshalb Opfer, weil Russland Zivilisten angreift, sondern weil das ukrainische Militär gezielt Kampfposten auch in Wohnungskomplexe und Betriebe verlegt und damit zum militärischen Ziel macht – so berichtete die New York Times, die mit Militärexperten vor Ort ist.[1]

Todeszahlen öffentlich sichtbar

Dabei wird in der Ukraine über tote Soldaten ausführlich berichtet. Daten sind leicht zugänglich – das hindert bundesdeutsche Staats- und Privatmedien allerdings nicht, die Bevölkerung in einer Blase der inszenierten Unkenntnis, Irreführung und Verblödung einzusperren.

Es wäre einfachstes journalistisches Handwerk. So bräuchte man zum Beispiel nur mit einem click das Lokalmedium Poltawschyna aufzusuchen: Es arbeitet in Poltawa, der Bezirkshauptstadt der gleichnamigen Region mit insgesamt 1,4 Millionen registrierten Einwohnern. Seit Kriegsbeginn veröffentlicht die siebenköpfige Poltawschyna-Redaktion die Namen aller getöteten Soldaten der Region, mit Foto und Nachruf. Zur Erfassung dieser Soldaten hat der Journalist Wiktor Tkatschenko ein einfaches digitales Programm entwickelt: nach Stichworten wie „Soldat“ und „getötet“ werden Mitteilungen der Behörden auch der kleinsten 300-Seelen-Dörfer, Todesanzeigen, social media usw. abgesucht. Dazu braucht man noch nicht mal die Künstliche Intelligenz.

Bis Anfang August 2023 kam die Redaktion auf 1.211 getötete Soldaten in Poltawa. Dass es möglich ist, das mal von Deutschland aus anzusehen, hat der Spiegel nebenbei vorgeführt.[2] Auch andere ukrainische Medien, von denen im Folgenden einige zitiert werden, sind voller Fakten, die leicht zugänglich sind, aber in Deutschland hochprofessionell verdrängt werden.

Öffentliche, feierliche Massenbegräbnisse

Obwohl Poltawchyna damit die Regierungsanordnung über das öffentliche Schweigen verletzt, wird sie von staatlichen Behörden nicht behindert – im Gegenteil. Die Regierung fördert ja die öffentlich inszenierte Trauer, zur Stärkung des Durchhaltewillens. In der Ukraine werden die Soldaten-Begräbnisse in tausenden von Dörfern und Städten in aller Öffentlichkeit exerziert. In größeren Orten werden oft mehrere Begräbnisse zusammengefasst, ein Meer von gelb-blauen Fahnen ziert die langen Umzüge und die Friedhöfe, so etwa auf einem der mehreren Friedhöfe der Stadt Poltawa mit seinen bisher 150 Soldatengräbern.

Massenbegräbnisse werden öffentlich und aufwendig zelebriert. So berichteten nicht nur ukrainische Medien, sondern beispielsweise auch die Washington Post und das US-Militärmedium Stars And Stripes Anfang Juni 2022: Im Friedhof des kleinen Ortes Krasnopilske mit 28.000 Einwohnern wurden seit Ende Februar 2022, also während dieser drei Monate, insgesamt schon 10 Massenbegräbnisse zelebriert. Der zuständige Militärseelsorger Dmitro Povorotny erklärte der Washington Post: In den drei Monaten sind insgesamt 293 getötete Soldaten begraben worden. „Dieser Friedhof ist nur einer von tausenden Friedhöfen in der Ukraine“, fügt er hinzu. Daneben, so der Staatspriester, führt er auf Wunsch auch Einzelbegräbnisse durch. Dabei verglich er die rasant angestiegene Todeszahl im Vergleich zum Kriegsbeginn: „Seit Beginn des Krieges 2014, in diesen acht Jahren seitdem, waren es nur 175 Gefallene.“[3] Es ist also auch für ihn ganz selbstverständlich, dass der Krieg 2014 begonnen wurde.

Rituell aufgepushte Begräbnisse: Ukrainische mit US-Symbolik ergänzt

Die ukrainische Bevölkerung legt traditionell Wert auf kirchlich begleitete Begräbnisse. Deshalb sorgte die Regierung mit immer mehr Druck dafür, dass spätestens seit 2014 eine neue, von Russland unabhängige orthodoxe Kirche abgespalten wurde. Denn die Begräbnisse sollen von orthodoxen Priestern, meist Militärpriester, gewandet in glitzernde Gewänder, aufwendig zelebriert werden. Soldaten in Uniform sind auch dabei. Im ukrainischen Fernsehen, auch im Westen leicht zugänglich, gehören Berichte darüber zum täglichen Ablauf, seit 2014.

2019 besuchte Präsident Selensky mit Ehefrau den zentralen US-Militärfriedhof Arlington National Cemetery in Washington. Davon brachten sie zusätzliche Rituale mit nachhause: Aufstellen der Särge in Reih und Glied, Nationalflaggen auf den Särgen, Einrollen der Flaggen und gefaltet den Hinterbliebenen übergeben, je drei Salutschüsse durch jeweils sechs Soldaten, Militärkapelle, die Priester rufen laut die Namen der Gefallenen, stimmen Glory to Ukraine an, die Trauernden antworten mit Glory to the Heroes.

So fügte Selensky wegen der schon damals zunehmenden Zahl der Gefallenen den Begräbniszeremonien eine „neue Politur“ hinzu, wie die Washington Post zustimmend berichtete. Und die Regierung will in Kiew einen neuen zentralen Militärfriedhof einrichten, ein Arlington-Imitat.[4]

Feministische Militärpolitik

Zur rituell-ideologischen Aufhübschung und Modernisierung trägt auch die Feminisierung des Militärs und der Kriegsführung bei. Schon vor dem Krieg warb die NATO mit Plakaten in Kiew für den Eintritt von Frauen in die Armee: Eine Möglichkeit der „Emanzipation“ in der patriarchalischen Gesellschaft der Ukraine, wo der Abstand zwischen den Einkommen von Mann und Frau besonders hoch ist. Mit 43.000 Soldatinnen hat die Ukraine den höchsten Frauenanteil des Militärs in Europa. Unter ihnen sind auch Kommandeurinnen und Scharfschützinnen.

Zu ihnen gehört Ewgenia Emerald, „eine hübsche Frau Ende zwanzig mit roten Fingernägeln… Auf Instagram, wo ihr mehr als 70.000 Menschen folgen, posiert sie mit Gewehr, ausdrucksstarkem Gesicht und manchmal auch lasziv. Einmal steht sie vor einem zerstörten Panzer, das Gewehr wie etwas Wertvolles in ihren Armen, und singt.“ So berichtet lobend die bundesdeutsche Kriegs-Postille FAZ.[5]

Damit das ordentlich nach „westlichen Werten“ geregelt wird, hat die Regierung in der Armee eine eigene Gender-Beratung eingerichtet. Eine Fabrik wurde gegründet, wo nur Frauen die Uniformen für Frauen nähen dürfen.

„Die ukrainischen Armee war und bleibt eine der Armeen, in welchen die meisten Frauen dienen“, rühmte Zelensky. Seine Frau ergänzte: „Die Soldatinnen als Superheldinnen bringen den Sieg mit jedem Tag ihres Lebens näher“, so weiter die FAZ.[6]

Soldaten frieren ihre Spermien ein: Den nationalen Gen-Pool gegen Russland retten!

Die neoliberal extrem deregulierte Ukraine ist der hot spot der kommerziellen Nutzung des weiblichen Körpers. Leihmutterschaft mit spezialisierten Agenturen, Labors, Kliniken wurde zu einer profitablen Dienstleistungsbranche ausgebaut, mit Kunden aus aller Welt, auch aus den USA, wo die Zuliefer-Produktion von Babys um ein Vielfaches teurer ist.

Diese Branche steht auch für den Krieg bereit. So friert allein die IVMED-Fertilitäts-Klinik in Kiew wöchentlich die Spermien von 10 ukrainischen Soldaten ein. „Das ist eine persönliche und auch eine patriotische Aktion, ein Aktion des Zurückschlagens“, sagt eine Frau, deren Mann seine Spermien hat einfrieren lassen und der an der Front gefallen ist. So kann die Frau auch nach seinem Tod weitere Kinder von ihm bekommen. Und Soldaten können auf diese Weise „furchtloser“ in den Krieg ziehen, heißt es. Für viele Ukrainer sei das auch ein Mittel, um die „ukrainische Blutlinie“ gegen Russland zu retten.[7]

Mehrere Kliniken bieten bisher diese Dienste an, auf Kosten der Kunden. Aber mithilfe eines Gesetzes soll das nun der Staat fördern und bezahlen. Oksana Dmytriieva, Abgeordnte im ukrainischen Parlament, hat dazu einen Gesetzentwurf eingebracht. Damit soll auch der ukrainische „Gen-Pool“ für die Zukunft gesichert werden. Die Freundin eines Soldaten, der nach gemeinsamem Beschluss seine Spermien hat einfrieren lassen, bekräftigt: „So verringert sich nicht die Zahl unserer Patrioten, die später unser Land verteidigen und wieder aufbauen .. So setzen wir unsere Nation fort.“

Oleksandr Mykhailoyych, Arzt und Präsident der Ukrainischen Vereinigung für Reproduktivmedizin, bekräftigt: „So können wir das reproduktive Potential der Ukraine wiederherstellen.“

Das Einfrieren von Soldaten-Spermien haben US-Kliniken zuerst für US-Soldaten im Irak und Afghanistan bereitgestellt, kostenlos. In Israel will eine Initiative noch weitergehen: Auch getöteten Soldaten sollen Spermien entnommen werden können,

NYT als Fake-Berater: Nazi-Symbole besser kurz ablegen!

Die New York Times als größtes westliches Print- und Digitalmedium für das akademisch verbildet-kritische Publikum agiert eng angebunden an die US-Regierung und die US-Geheimdienste. Die Zeitung darf und soll deswegen genau dosiert und testweise von der jeweiligen Linie (scheinbar) auch mal etwas abweichen.

Seit Kriegsbeginn 2014 sind NYT-Reporter haufenweise und in Absprache mit der ukrainischen Regierung vor Ort. Sie kommen selbst vielfach aus dem US-Militär und Geheimdiensten und begleiten ukrainische Soldaten an der Front und im Urlaub, machen Interviews, schildern Kämpfe in ausführlichen Artikeln, life-inszeniert hinterm Schützengraben oder neben dem zerstörten russischen Panzer.

Die Reporter beraten etwa auch Soldaten, dass sie wenigstens bei Auftritten aufpassen, die ins westliche Fernsehen geraten können: Besser die rechtsradikalen Abzeichen und Nazi-Symbole von der Uniform entfernen!

Bis zu 400.000 Dollar für einen getöteten Soldaten

Die Ukraine ist der weltweit am höchsten überschuldete Staat – und bezahlt weltweit seine Soldaten mit am höchsten: Sie dienen ja an gegenwärtig vorderster, tödlichster Front der westlichen Geopolitik. Und es geht dem US-geführten Kapitalismus mithilfe des Standorts Ukraine nicht nur um Russland, sondern um die Durchdringung von ganz Eurasien.[8] Das ist schon eine hohe Investition wert.

Ende Februar 2022 beschloss die Regierung: Die einfachen Soldaten bekommen 100.000 Hrywnia = 2.700 US-$ zusätzlich pro Monat, wenn sie in einer offiziell definierten Kampfzone eingesetzt sind. Und wer außerhalb der direkten Kampfzone eingesetzt ist, erhält immerhin noch 30.000 Hrywnia = 800 US-$ zusätzlich pro Monat. Das ist ein erhebliches Einkommen angesichts des niedrigen ukrainischen Durchschnittslohns von 400 US-$ – abgesehen von der hohen Arbeitslosigkeit schon vor dem Krieg.

Die Regierung beschloss Ende 2022: Für Soldaten, die bei militärischen Konflikten getötet werden, erhalten die Angehörigen bis zu 15 Millionen Hyrwnia = etwas über 400.000 Dollar. Eine formelle Ehe ist dafür keine Voraussetzung: Für den zurückbleibenden Ehepartner/die Ehepartnerin reicht es, wenn sie sich um die Kinder gemeinsam gesorgt haben oder irgendwie einen gemeinsamen Haushalt betrieben haben, auch ohne Zusammenleben.[9]

Dieses Opfergeld für getötete Soldaten ist übrigens etwa vier mal höher als in Deutschland und in den USA.[10]

Korruption mit der Todes-Entschädigung

Die Ukraine ist nach allgemeiner Beurteilung der korrupteste Staat Europas, so auch die Beurteilung durch die EU und Transparency International.

Die mit US-Beratung eingerichtete Anti-Korruptionsbehörde steht gerade im Krieg unter dem Druck, die ausufernde Korruption im Militär zu bekämpfen, aber auch die Kriegsführung und führende Militärs nicht zu behindern. Und zuviel Korruption aufzudecken wäre auch nicht gut für das ohnehin angeschlagene Image.

Gerade die Beurteilung und Dokumentation der Tötung von Soldaten im aktiven Konflikt ist eine hochproblematische Angelegenheit. Denn nach den Einzelheiten richtet sich auch die Höhe der Zahlung. Die nachträgliche Dokumentation der Todesumstände liegt wesentlich in der Hand der Kommandeure.

Ein ausführlich dokumentierter, aktueller Fall ist folgender: Ein stellvertretender Bataillonskommandeur erpresste von mehreren Witwen gefallener Soldaten jeweils 10 Prozent der auf seinen Angaben beruhenden Zahlung von 10 Millionen Hrywnia (270.000 US-Dollar).

Weitere Fälle: Soldaten verschaffen sich Urlaub oder Versetzung an einen rückwärtigen Ort – mithilfe einer Zahlung an ihre Kommandeure.[11]

Überfüllte Krankenhäuser, Selbstmorde

Die NYT berichtet neuerdings auch, dass die Verluste der seit Monaten doch nicht so gut laufenden „Gegenoffensive“ noch viel höher sind als bisher, aus verschiedenen Gründen:

*das ukrainische Militär wollte aus dem Stellungskrieg heraus und auch mithilfe der Unmassen an neuen westlichen Waffenlieferungen die russischen Stellungen durch direktes Eindringen durchbrechen: Dabei wurden tausende Soldaten in kurzer Zeit getötet,

*der Ukraine fehlen Ausrüstung und Personal, um Verwundete zeitnah von der Front abzuholen: „Verwundete und Tote werden an der Front zurückgelassen“, heißt es,

*und selbst wenn die frontnahen Krankenhäuser erreicht werden: „Krankenhäuser und Notaufnahmen sind häufig überfüllt“,

*so kommt es, dass Soldaten nicht mehr identifiziert werden können und anonym, ohne Namen und Foto, bestattet werden müssen; so waren unter den 27 toten Soldaten des erwähnten Massenbegräbnisses in Krasnopilske 12 unbekannte Soldaten, wie der Militärpriester Povorotny berichtete,[12]

*weil schon viele erfahrene Soldaten getötet sind, wurden schon vor der Gegenoffensive immer mehr schlechter ausgebildete Soldaten an die Front geschickt; im Februar 2023 wurde das Alter der eingezogenen Wehrpflichtigen auf 60 Jahre erhöht,

*die Zahl der Selbstmorde ukrainischer Soldaten steigt beängstigend, berichtete der Tory-Abgeordnete Ian Duncan-Smith im Januar 2023 vor dem britischen Parlament.[13]

Das Soldaten-Reservoir schrumpft

Die Ukraine unterhält ein Militär mit mehr Soldaten als die viel reicheren Staaten wie Deutschland, Frankreich, England – und die ukrainische Bevölkerung ist zudem nicht nur viel kleiner, sondern sie schrumpft beschleunigt, schon lange vor dem Krieg, aus verschiedenen Gründen:

*Von ursprünglich 51 Millionen bei der Unabhängigkeit 1990 ist die Zahl der Einwohner der Ukraine inzwischen auf etwa 40 Millionen geschrumpft, vor allem durch Auswanderung, meist armutsbedingt, aber auch wegen Verhetzung von Bürgern als russischstämmig,

*viele Ukrainer im arbeitsfähigen Alter gingen millionenfach als Wanderarbeiter ins Ausland, etwa als LkW-Fahrer, nicht alle folgen dem Einberufungsbefehl,

*seit Ende 2022 sind praktisch alle Bediensteten in den Behörden und den vielen staatlichen und halbstaatlichen Unternehmen – mit breiter Auslegung in 15 Kategorien einschließlich der oberen Ränge der Studierenden und der Akademiker – vom Wehrdienst befreit.[14]

Hohe Boni für Daueraufenthalt an der Front: Die Kampfmoral sinkt

Für die Stärkung der groß angekündigten Frühjahrs-Gegenoffensive reformierte die Regierung im Februar 2023 das Bonus-System für die Soldaten.

Bis dahin bekamen die einfachen Soldaten die erwähnten 100.000 Hrywnia = 2.700 US-$ zusätzlich pro Monat, wenn sie in einer offiziell definierten Kampfzone eingesetzt waren. Und wer außerhalb der direkten Kampfzone eingesetzt war, erhielt immerhin noch die 30.000 Hrywnia = 800 US-$ zusätzlich pro Monat.

Aber seit Februar 2023 ist der Bonus von 800 US-$ für den Einsatz in der rückwärtigen Kampfzone ganz abgeschafft. Es gibt nur noch den Bonus von 2.700 US-$, aber nicht mehr pauschal pro Monat, sondern nur noch genau berechnet nach den abgezählten, vom Kommandeur dokumentierten Tagen des Kampfeinsatzes.

„Das ist ein starker Druck auf die Soldaten, um möglichst lange an der vordersten Front zu bleiben, insbesondere wenn der Soldat der einzige Einkommensbezieher der Familie ist“. Gleichzeitig aber senkt die Aussicht auf den wahrscheinlicheren Tod die Moral, resümiert Kyiv Independent nach zahlreichen Gesprächen mit Soldaten. Bis zur Hälfte von ihnen wollen lieber das Militär verlassen.[15]

Wegen nachlassender Disziplin hatte die Selensky-Regierung schon im Dezember 2022 nicht nur die Strafen für Desertion, Befehlsverweigerung und Kritik an Vorgesetzten drastisch erhöht, bis auf 12 Jahre Gefängnis.[16]

Dezent geänderte Informations-Strategie

Nicht nur in der Truppe ist die Moral auf der Kippe. In den führenden US-Kreisen befürchtet man noch mehr: Erstens wegen der „in Scharen sterbenden Kämpfer“ (dying in droves) und zweitens wegen des schrumpfenden Kämpfer-Reservoirs könnte die ukrainische Regierung auch die Zustimmung in der breiten Bevölkerung verlieren.

Die NYT zitiert dazu Evelyn Farkas, eine Ex-Top-Mitarbeiterin des Pentagon und jetzige Exekutivdirektorin des McCain Institute (McCain war der führende Militärstratege der Republikanischen Partei und Antreiber der Kriege im Irak, in Afghanistan usw.).

So wird nun doch die mediale Informationsstrategie schrittweise geändert, erstmal über eine Ex-Pentagon-Mitarbeiterin, und über die „unabhängige“ NYT. Und auch die Washington Post – sie gehört dem Amazon-Gründer Jeff Bezos – wird beteiligt: Nach ihr zugänglichen Geheimdienstberichten kommt die Gegenoffensive nicht voran, die internationale Unterstützung könnte abnehmen, und die ukrainische Gesellschaft ist „kriegsmüde“ (war weary Ukrainian public).[17]

Bisher 70.000 getötete ukrainische Soldaten“

So schrieb die NYT Mitte August 2023, plötzlich, ohne vorher die geringste Andeutung gemacht zu haben: Nach offiziellen US-Angaben wurden bisher 70.000 ukrainische Soldaten getötet und zwischen 100.000 und 120.000 verwundet. Gemeint sind damit nicht die Getöteten und Verwundeten seit Beginn des Krieges 2014, sondern nur die seit 2022.

Die NYT macht dazu einen aufschlussreichen Vergleich: „In nur anderthalb Jahren hat die Zahl der getöteten ukrainischen Militärs schon die Zahl der US-amerikanischen Soldaten übertroffen, die während des fast zwei Jahrzehnte dauernden Kriegs in Vietnam getötet wurden (etwa 58.000), und ebenso die ähnliche Zahl der afghanischen Sicherheitskräfte, die zwischen 2001 und 2021 in Afghanistan getötet wurden (etwa 69.000).“[18]

Die USA sind gewohnt und geübt, in den von ihnen völkerrechtswidrig vorbereiteten und durchgeführten Kriegen zehntausende auch fremde Soldaten als Stellvertreter-Krieger auf dem Altar der „westlichen Werte“ d.h. des national interest der USA zu opfern. In Afghanistan waren es in 20 Jahren 69.000 Afghanen (vielleicht waren es auch mehr). In der Ukraine sind es bisher in nur anderthalb Jahren schon 70.000 Ukrainer – wobei das ja auch nur strategisch-medial kalkulierte Angaben der US-Behörden und der Regierungszeitung NYT sind.

Ukraine: „Leuchtfreuer für die Kraft des Kapitalismus“

Je mehr Soldaten vor der wie immer gearteten (vorläufigen) Beendigung des Krieges getötet und die Angehörigen hoch entschädigt werden, je mehr vorher zerstört wird, desto gewinnbringender wird der „Wiederaufbau“ des weiter entvölkerten westlichen Aufmarschgebietes sein.

Der größte Kapitalorganisator des US-geführten Kapitalismus, BlackRock, führender Investor der Rüstungs-, Agrobusiness- und Frackingindustrie, wurde Ende 2022 zum offiziellen Koordinator des „Wiederaufbaus“ der Ukraine ernannt. Zelensky schwärmte beim Empfang für die BlackRock-Delegation in Kiew von einer neuen, strahlenden, hochdigitalisierten Ukraine.

BlackRock, seit Obama und auch wieder mit Präsident Biden in der US-Regierung vertreten, ist zugleich Kapital- und Kriegspartei.[19] BlackRock-Chef Lawrence Fink schwärmte: Die Ukraine kann „ein Leuchtfeuer der Hoffnung für die Kraft des Kapitalismus werden.“[20]

Zum kapitalistischen Leuchtfeuer gehören jetzt schon mal die bis 400.000 Dollar für jeden getöteten ukrainischen Soldaten und jede ukrainische Soldatin, eingerechnet die Korruptionsanteile für die sowieso hochverdienenden Kommandeure.


[«1] Marc Santara, Thomas Gibbons-Neff, Carlotta Gall, Natalia Yermak: Ukraine digs in to hold Bakhmut as long as it can, New York Times 8.3.2023

[«2] Der Preis des Widerstands, Der Spiegel 12.8.2023

[«3] Fredrick Kunkle, Serhii Korolchuk, Wojciech Grzedzinski, Ievgenia Sivorka, Kostiantyn Tatarkin: Ukraine, coping with war losses, adds new polish to military funerals, Washington Post 9.6.2022

[«4] Fredrick Kunkle, Serhii Korolchuk, Wojciech Grzedzinski, Ievgenia Sivorka, Kostiantyn Tatarkin: Ukraine, coping with war losses, adds new polish to military funerals, Washington Post 9.6.2022

[«5] Neben ihrem Auto schlug eine Granate ein, FAZ 20.6.2023

[«6] Neben ihrem Auto schlug eine Granate ein, FAZ 20.6.2023

[«7] Emma Bubola, Anastasia Kuznietsova, Natalia Yermak, Gabby Sobelman: Ukrainians freeze their sperm before battle, New York Times 19.4.2023; auch die folgenden Zitate und Angaben stammen aus diesem Artikel.

[«8] Werner Rügemer: Die Ukraine – extremes Beispiel der neoliberalen Zurichtung, in: Hannes Hofbauer: Kriegsfolgen, promedia Verlag Wien, 2023

[«9] 15 Millionen Griwna? Wer kann im Falle des Todes eines Soldaten Hilfe bekommen? The New Voice of Ukraine, 5.12.2022, der Gesetzentwurf 8126 siehe itd.rada.gov.ua/billinfo/Bills/Card/40656

[«10] militarypay.defense.gov/benefits/death-gratuity/

[«11] Offizier der Nationalgarde erpresste den „Zehnten“ von Witwen Gefallener, Strana.ua 9.2.2023 (Der Titel wurde automatisch übersetzt)

[«12] Fredrick Kunkle, Serhii Korolchuk, Wojciech Grzedzinski, Ievgenia Sivorka, Kostiantyn Tatarkin: Ukraine, coping with war losses, adds new polish to military funerals, Washington Post 9.6.2022

[«13] Ukrainian soldiers are committing suicide due to war stress, says Duncan-Smith, politics.co.uk/parliament 16.1.2023

[«14] Allgemeine Mobilisierung in der Ukraine. 15 Kategorien von Ukrainern, die während des Krieges nicht eingezogen werden, New Voice 1.12.2022

[«15] Ukraine changes combar bonus system, soldiers warn it might lower morale, Kyiv Independent 31.3.2023

[«16] Zelensky Signs Controversial Law Toughening Punishment for Desertion in Army, kyivpost.com/post/11498, 25.1.2023

[«17] Susannah George: Ukraine running out of options to retake significant territory, Washington Post 20.8.2023

[«18] Thomas Gibbons-Neff, Helene Cooper, Eric Schmitt, Julian Barnes, Andrew Kramer: Troop Deaths and Injuries in Ukraine War Near 500.000, U.S. Officials Say, NYT 18.8.2023. Dieser Bericht wurde in ukrainischen Medien sofort am selben Tag wiedergegeben, etwa in New Voice vom 18.8.2023

[«19] Werner Rügemer: BlackRock & Co. enteignen! 3. Auflage Frankfurt/Main 2023, S. 25ff.

[«20] Natalie Oberhollenzer: US-Konzerne wollen die Ukraine „mit Kapital fluten“, leadersnet.de/news 10.7.2023

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