Putin im O-Ton über die Frage, in welchen Grenzen Russland die Ukraine anerkennt Von Thomas Röper

Valdai-Club

Putin im O-Ton über die Frage, in welchen Grenzen Russland die Ukraine anerkennt

Thomas Röper

Der russische Präsident Putin hat sich am Donnerstag über drei Stunden den Fragen der internationalen Experten des Valdai-Clubs gestellt. Ich übersetze die interessantesten Antworten Putins und hier geht es die Frage, innerhalb welcher Grenzen Russland die Ukraine anerkennt.
 

Ich kenne keinen Staatschef, der sich mehrmals pro Jahr die Zeit nimmt, sich auf wichtigen Konferenzen zu verschiedensten Themen über mehrere Stunden den Fragen der internationalen Experten und Journalisten zu stellen. Beim Valdai-Club geht es jedes Jahr um geopolitische Themen und ich werde hier die in meinen Augen interessantesten Antworten von Putin übersetzen.

Hier übersetze ich, eine Episode, bei der ein Teilnehmer Putin nach den Nahost-Konflikt und danach gefragt hat, in welchen Grenzen Russland den Staat Israel anerkennt. Das war schon eine interessante Frage, aber bei der Gelegenheit hat der Moderator nachgehakt und Putin gefragt, innerhalb welcher Grenzen Russland eigentlich die Ukraine anerkennt. Putins Antwort fand ich ausgesprochen interessant.

Beginn der Übersetzung:

Frage: Herr Präsident, vielen Dank für Ihren sehr interessanten Vortrag und die Beantwortung der Fragen. Sie haben bereits gesagt, dass es manchmal schwierig ist, über Mittel, einschließlich militärischer Mittel, zu sprechen. Ich habe nur eine Frage.

Russland kritisiert traditionell den Einsatz militärischer Gewalt zur Lösung komplexer internationaler Situationen, aber im Jahr 2022 hat Russland selbst Gewalt angewendet. Sie erklären sehr überzeugend, warum das notwendig war und warum Russland in diesem Fall das Recht hatte, militärische Gewalt anzuwenden. Aber man kann nicht das Recht, das man selbst für sich in Anspruch nimmt, für andere nicht anerkennen.

Und konkret auf den Nahen Osten bezogen. Wen erkennt Russland in dieser Region als berechtigt an, militärische Gewalt anzuwenden, und wessen militärische Aktionen hält es unter den gegenwärtigen Bedingungen der sich entwickelnden Krise für illegal?

Und noch eine klärende, fast technische Frage in diesem Zusammenhang. Innerhalb welcher Grenzen erkennt Russland Israel an? Denn wenn es um Aggression geht, um Selbstverteidigung, um die Inanspruchnahme dieses Grundrechts, dann stellt sich natürlich die Frage nach den Grenzen.

Vielen Dank.

Putin: Das ist keine schwierige Frage. Die Situation ist schwierig, aber die Frage ist nicht schwierig. Ich werde versuchen, sie in zwei Teilen zu formulieren.

Russland hält es für notwendig, alle Beschlüsse des Sicherheitsrates und der Vollversammlung der Vereinten Nationen zu Israel und Palästina umzusetzen.

Das ist keine opportunistische Politik. Diese Position hat seit den Tagen der Sowjetunion Tradition, und Russland ist dieser Linie treu geblieben. Wenn also alle Beschlüsse des Sicherheitsrates und der Generalversammlung über die Schaffung zweier unabhängiger souveräner Staaten umgesetzt werden, dann ist das meiner Meinung nach die Grundlage für die Lösung der Krise, so schwierig und akut sie heute auch sein mag oder zu sein scheint. Das ist alles.

Moderator: Herr Präsident, da wir über Grenzen sprechen, kann ich nicht umhin zu fragen. In welchen Grenzen erkennen wir die Ukraine an?

Putin: Wissen Sie, wir haben die Grenzen der Ukraine im Rahmen unserer Vereinbarungen nach dem Zerfall der Sowjetunion immer anerkannt. Aber ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass in der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine – und Russland hat sie unterstützt – steht, dass die Ukraine ein neutraler Staat ist. Auf dieser Basis haben wir die Grenzen anerkannt. Aber später hat die ukrainische Führung, wie Sie wissen, die Verfassung geändert und angekündigt, dass sie der NATO beitreten will, was nicht dem entspricht, was wir vereinbart haben. Das ist der erste Punkt.

Und zweitens: Wir haben nie und nirgendwo einen Staatsstreich unterstützt, wir unterstützen ihn auch in der Ukraine nicht. Wir verstehen und unterstützen die Menschen, die mit diesem Staatsstreich nicht einverstanden waren, und wir erkennen ihr Recht an, ihre Interessen zu verteidigen.

Ich habe schon mehrmals mit dem UN-Generalsekretär gesprochen, da gibt es keine Geheimnisse. Ich glaube auch nicht, dass er mir böse sein wird. Er unterstützt diejenigen, die sagen, dass wir die Normen und Prinzipien des Völkerrechts und der UN-Charta verletzt haben, dass wir Kampfhandlungen in der Ukraine begonnen haben. Ich habe mich bereits dazu geäußert, aber ich möchte Ihre Frage nutzen, um die Logik unseres Handelns zu wiederholen.

Sehen Sie, wenn nach Artikel 1 der UN-Charta, jedes Volk das Recht auf Selbstbestimmung hat, dann haben die Menschen auf der Krim und die Menschen im Südosten der Ukraine, die mit dem Staatsstreich, der ein illegaler verfassungswidriger Akt war, nicht einverstanden waren, das Recht auf Selbstbestimmung. Richtig? Richtig.

Der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen hat zum Kosovo entschieden, dass ein Gebiet, das seine Unabhängigkeit erklärt, zum Zeitpunkt dieser Entscheidung nicht verpflichtet ist, die Meinung und Zustimmung der zentralen Regierung des Landes einzuholen, zu dem dieses Gebiet zu dem Zeitpunkt gehört. Richtig? Natürlich, denn das ist die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs der Vereinten Nationen.

Diese Gebiete, einschließlich Noworossija und Donbass, hatten also das Recht, über ihre Souveränität zu entscheiden. Richtig? Natürlich hatten sie das. Das steht in vollem Einklang mit dem heutigen Völkerrecht und der UN-Charta. Wenn das so ist, dann hatten wir auch das Recht, mit diesen neuen Staaten entsprechende zwischenstaatliche Verträge abzuschließen. Richtig? Natürlich hatten wir das Recht. Haben wir das getan? Ja, das haben wir.

Diese Verträge enthalten Bestimmungen über gegenseitige Hilfe. Wir haben sie ratifiziert und sind gewisse Verpflichtungen eingegangen. Und dann haben uns diese neu entstandenen Staaten gebeten, ihnen im Rahmen dieser Verträge zu helfen. Wir hatten die Möglichkeit und die Verpflichtung dazu. Wir haben das getan, um die Feindseligkeiten zu beenden, die das Kiewer Regime 2014 begonnen hat. Wir haben keine Intervention, keine Aggression begonnen, sondern wir versuchen, sie zu beenden.

Der [UN-]Generalsekretär hat sich das alles angehört, ist schweigend gegangen und hat gesagt: „Ja, okay. Aber ihr habt trotzdem angegriffen.“ Das ist kein Witz, das ost wörtlich. Er hat keine rationale Antwort. Wo ist der Fehler in der Kette? Was habe ich falsches gesagt? Wo haben wir das Völkerrecht und die UN-Charta verletzt? Nirgendwo, es gibt keine Verstöße.

Und wenn das so ist, dann müssen die Grenzen der Ukraine in Übereinstimmung mit den souveränen Entscheidungen der Menschen gezogen werden, die in den entsprechenden Gebieten leben, die wir unsere historischen Gebiete nennen. Alles hängt von der Dynamik der Ereignisse ab.

Moderator: Herr Präsident, wenn wir auf das erste Glied in Ihrer Kette zurückkommen, kann man das so verstehen, dass wir über Grenzen sprechen, wenn es Neutralität gibt?

Putin: Wenn es keine Neutralität gibt, ist es schwer vorstellbar, dass Russland und die Ukraine gutnachbarliche Beziehungen haben.

Warum? Weil das bedeutet, dass die Ukraine ständig als Werkzeug in den Händen Dritter und zum Nachteil der Interessen Russlands benutzt wird. Damit werden keine Grundvoraussetzungen für eine Normalisierung der Beziehungen geschaffen und die Situation wird sich nach einem unvorhersehbaren Szenario entwickeln. Das wollen wir sehr stark vermeiden.

Im Gegenteil, wir sind entschlossen, die Voraussetzungen für eine langfristige Lösung zu schaffen und dafür zu sorgen, dass die Ukraine endlich ein unabhängiger, souveräner Staat wird und nicht ein Instrument in den Händen von Drittstaaten, das für deren Interessen missbraucht wird.

Schauen Sie sich an, was jetzt zum Beispiel an der Kontaktlinie oder in der Region Kursk passiert. Sie sind in das Gebiet Kursk eingedrungen, die Verluste sind kolossal: in den drei Monaten der Kampfhandlungen sind die Verluste höher als die Verluste des Kiewer Regimes im ganzen letzten Jahr, über 30.000. Nun, sie haben weniger Panzer verloren: jetzt haben sie etwa 200 Panzer verloren, letztes Jahr haben sie, glaube ich, 240 Panzer verloren. Sie haben eben weniger Panzer, also weniger Verluste, weil sie weniger einsetzen.

Und warum sitzen sie da und erleiden solche Verluste? Weil ihnen von jenseits des Ozeans befohlen wurde, um jeden Preis durchzuhalten, zumindest bis zu den Wahlen, um zu zeigen, dass all die Anstrengungen der Regierung der Demokratischen Partei in Sachen Kiew, in Sachen Ukraine, nicht umsonst waren. Durchhalten um jeden Preis. Das ist der Preis. Ich meine, das ist eine schreckliche Tragödie, sowohl für das ukrainische Volk als auch für die ukrainische Armee.

Und die Entscheidungen wurden um ehrlich zu sein, nicht von militärischen Erwägungen diktiert, sondern von politischen. Jetzt gibt es in einigen Abschnitten, bei Kupjansk – ich weiß nicht, ob das Militär das schon gesagt hat oder nicht -, dort gibt es zwei blockierte Gebiete. In einem sind sie praktisch eingekesselt: Die ukrainischen Truppen werden gegen den Stausee gedrängt, etwa 10.000 Mann sind blockiert. Im anderen, bei Kupjansk, sind etwa 5.000 Soldaten eingekesselt. Sie versuchen, Pontonbrücken zu bauen, um wenigstens zum Teil herauszukommen, aber unsere Artillerie zerstört sie sofort.

Im Verantwortungsbereich unserer Gruppe „Zentrum“. Dort gibt es bereits zwei oder drei blockierte Gebiete, zwei mit Sicherheit, und es wird wahrscheinlich bald ein drittes geben. Die ukrainischen Soldaten sehen das doch, aber auf politischer Ebene werden Entscheidungen getroffen, die weder im Interesse des ukrainischen Staates noch des ukrainischen Volkes sind.

Wenn das endlos so weitergeht, wird das natürlich nicht dazu führen, dass in einer langen historischen Perspektive günstige Bedingungen für die Wiederherstellung von Frieden, Ruhe und Zusammenarbeit zwischen den Nachbarstaaten geschaffen werden, was genau das ist, was wir anstreben müssen. Das ist genau das, was Russland anstrebt.

Deshalb sagen wir, dass wir zu Friedensgesprächen bereit sind, aber nicht auf der Grundlage irgendwelcher „Wunschlisten“, die sich von Monat zu Monat ändern, sondern auf der Grundlage der sich abzeichnenden Realitäten und auf der Grundlage der in Istanbul getroffenen Vereinbarungen, auf der Grundlage der heutigen Realitäten.

Aber es darf nicht um einen Waffenstillstand für eine halbe Stunde oder ein halbes Jahr gehen, damit sie neue Granaten bekommen können, sondern um die Schaffung günstiger Bedingungen für die Wiederherstellung der Beziehungen und die künftige Zusammenarbeit im Interesse der beiden Völker, die zweifellos Brudervölker sind, egal wie sehr die Rhetorik und die heutigen tragischen Ereignisse in den Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine das erschweren.

Deshalb ist unsere Position klar und eindeutig. Wir werden in dieser Richtung handeln, wir werden uns in diese Richtung bewegen.

Ende der Übersetzung

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

Entdecke mehr von Sicht vom Hochblauen

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen