
Dank an Moshe Zuckermann für die Genehmigung seinen heute auf Overton-Magazin veröffentlichten Artikel für die Hochblauen Seite zu übernehmen. Evelyn Hecht-Galinski
https://overton-magazin.de/krass-konkret/trumps-loesung-fuer-gaza/
Trumps Lösung für Gaza
Trumps Idee, die palästinensische Bevölkerung aus Gaza zu transferieren, stößte in Israel kaum auf Widerspruch. Im Gegenteil.
Da steht der Mann, dem eine Publizistin “den Wortschatz eines Sechsjährigen” bescheinigt hat, und verkündet mir nichts, dir nichts den legaliter zu vollziehenden Bevölkerungstransfer in dem durch barbarischen Krieg verwüsteten Landstrich, mithin die systematische ethnische Säuberung seiner gesamten Einwohnerschaft, als Lösung für “das Problem” des Landstrichs. Neben ihm steht der andere Mann, vermeintlicher Sieger im besagten Krieg, mit einem Wonnelächeln auf seinem Gesicht, das einem vorkommt wie der Stolz eines Buben über eine aus väterlichem Mund erteilte Belohnung/Belobigung für seine Siegesleistung in jenem Krieg.
In einer cineastischen Politsatire würde man eine solche Szene als gelungene Darstellung der rohen Unmenschlichkeit des Faschismus deuten und die Karikatur als solche schätzen, wissend, dass es sich um eine surreale Phantasterei handelt. Mit Bezug auf die Anmaßung, über den besiegten Landstreifen nach Belieben verfügen zu können, mithin kolonialistisch-imperialistische Gewaltbestrebungen bedenkenlos folgen zu dürfen, lässt sich auch an jene politische Karikatur von James Gillray aus dem Jahr 1805 denken, auf der die unersättlichen William Pitt und Napoleon Bonaparte beim Tranchieren eines großen Plumpuddings, auf dem eine Weltkarte abgebildet ist, zu sehen sind – “The Plumb-pudding in danger” (Der Plumpudding in Gefahr).
Man sollte allerdings Pitt und Napoleon nicht noch im nachhinein beleidigen wollen, und sei’s aus historischem Respekt vor ihrer Stellung in der Weltgeschichte (wie immer ambivalent sich dieser Respekt anfühlen mag). Denn bei den beiden Männern, von denen hier die Rede ist, handelt es sich um Donald Trump und Benjamin Netanjahu. Netanjahu ist kein Pitt, von dem es wenigstens heißt, dass er auch als Inhaber der höchsten Ämter nie daran gedacht habe, ein Vermögen zu sammeln: “Einfachheit und Liebenswürdigkeit zeichneten sein Privatleben aus.”
Der Seufzer “Oh my country!” des sterbenden Pitt würde Netanjahu erst gar nicht in den Sinn kommen. Seine Frau hat schon vor 20 Jahren verkündet, dass der Staat Israel verbrennen möge, wenn man ihrem Gatten nicht die Staatsführung überlässt. Der Sohn der beiden betreibt seine perfide Giftmaschinerie gegen Opponenten seines Vaters aus gesicherter Entfernung im “Exil” eines Luxushotels in Miami. Die Churchill-Allüren des israelischen Premiers darf man getrost mit einem müden Lächeln übergehen.
Trump und Napoleon
Wie steht es da aber mit der Gegenüberstellung von Trump und Napoleon? Nun, größer kann die Groteske nicht sein, als beide überhaupt miteinander vergleichen zu wollen. Und dennoch haben beide Männer – der eine ein genialer historischer Heerführer, der andere kein Militärmensch und schon gar nicht Heerführer, aber Befehlshaber über das stärkste Militär der Gegenwart – etwas gemeinsam, das es hier anzuführen gilt. Napoleon soll nach der unentschieden ausgegangenen Schlacht bei Preußisch Eylau am 7.-8. Februar 1807 beim Anblick des von einer Unzahl seiner gefallenen Soldaten übersäten Schlachtfeldes seinem entsetzten Adjudanten gesagt haben: “In einer Nacht in Paris reproduzieren wir das.”
Das legere Diktum darf als paradigmatisch für die dem Fortschritt in der Moderne zugrunde liegende Logik gewertet werden: Neben Kampf um Ideale der Befreiung des Menschen – die objektive Etablierung von Mechanismen, die den Menschen gerade im modernen Zeitalter (welches historisch ausgezogen war, um Freiheiten und Rechte des Menschen zu garantieren) austauschbar werden lassen.
Und in der Tat steht da Trump im Jahr 2025, schaut sich den Gazastreifen an und verkündet der Weltöffentlichkeit seine “Lösung” für das, was selbst er als Chaos (mess) bezeichnet, ohne freilich den Wirkzusammenhang der Entstehung des Chaos zu bedenken, geschweige denn zu erörtern: Er vermag in dem Territorium nichts anderes zu sehen, als ein riesiges Grundstück, das aufgeräumt gehört, damit es mit Immobilien überdeckt werden kann. Das Wetter ist gut in Gaza, die Strände sind schön, also lässt sich dort eine Riviera à la Frankreich und Italien errichten.
Er spricht unverhohlen in Kategorien einer ökonomischen Investition, der Trump-Kapitalismus sprudelt aus ihm heraus, als sei es selbstverständlich, dass er Pläne für ein Land macht, das ihm gar nicht gehört, auch nicht dem Staat, den er regiert. Aber dafür hat er gleich beim Amtsantritt die Präzedenz geschaffen, als er proklamierte, Grönland und den Panamakanal in Besitz nehmen und Kanada annektieren zu wollen. Und bei der Gelegenheit eröffnete er auch, dass die USA den Gazastreifen übernehmen werden, sobald Israel seinen Hamas-Krieg absolviert haben wird. So wie man sich halt einen Snack nimmt (oder als Kind eine leckere Süßigkeit).
Aber da ist ein Problem – auf dem Riviera-Territorium leben ja Menschen, die ein Teil des “mess” bilden, und zwar über 2 Millionen. Problem? Für einen im amerikanischen Kapitalismus geschulten Pragmatiker wie Trump gibt es derlei Probleme nicht: Er will die Investition, den Immobilien-Deal, den Profit, Amerika wieder great machen, seine Machtvollkommenheit ganz auskosten, also muss das Problem entproblematisiert werden, und wenn Menschen das Problem sind, dann müssen sie eben weg. Wie? Ganz einfach, indem man sie transferiert, in andere Länder verfrachtet, das Gebiet säubert. Ist doch klar – Hindernisse sind für Problemlöser mit politischen Vollmachten da, um aus dem Weg geräumt zu werden, also nicht mehr Hindernisse zu sein.
Selbst der neben dem schwadronierenden Trump stehende Netanjahu konnte dem nichts hinzufügen, als ein belämmertes Lächeln aufsetzen, das ein Mischung aus Wohlgefallen und großem Erstaunen signalisierte. Denn ihm wenigstens muss in jenem Moment in den Sinn gekommen sein, dass die Trumpsche “Lösung” für Netanjahu selbst auch unweigerlich trouble bedeutet: Israel soll den Krieg weiterführen (das will er ja), aber wenn jetzt schon verkündet wird, dass der Krieg in Gaza weitergeht, dann platzt der Geisel-Deal mit der Hamas, und zwar womöglich jetzt schon, während der zweiten Deal-Phase. Er selbst und seine Koalitionspartner streben ja den “totalen Sieg” an; die Geiseln bekümmern sie nicht sonderlich. Als Trump gewählt wurde, jubelten sie ekstatisch. Dann kam der Dämpfer: Trump wollte den Krieg beendet sehen, mächtig war die Enttäuschung und groß die Desillusion. Und nun schoss die Röte wieder in ihre Wangen: Trump verkündete seine “Lösung” – den vollen Bevölkerungstransfer der Gaza-Bewohner aus ihrem angestammten Lebensraum.
Der Kahanismus oder der Traum vom Verschwinden der Palästinenser
Dazu muss man einen kurzen Blick auf die politische Vergangenheit Israels werfen. Die Idee des systematischen palästinensischen Bevölkerungstransfers durchlief historisch einige Phasen mit verschiedenen Protagonisten. In den 1970er Jahren propagierte ihn bekanntlich Meir Kahane, der nicht nur den Verfall der Demokratie, sondern auch die Errichtung eines jüdisch-theokratischen Staates Israel anstrebte und aus der diesem Plan zugrunde liegenden Logik die Vertreibung aller Nichtjuden (also Araber) aus dem israelischen Hoheitsgebiet zu erkämpfen trachtete.
Er gilt als einer der emphatischen Vorkämpfer des jüdischen Rassismus. Nicht von ungefähr apostrophierte ihn der israelische Publizist Uri Avnery als “jüdischen Nazi” und die von ihm gegründete Partei Kach als “Nazipartei”. 1984 schaffte es Kahane in die Knesset, 1988 wurde seine Partei wegen Volksverhetzung verboten. Seitdem wurde der Kahanismus zwar tabuisiert, aber die Transfer-Idee hatte bereits in Israels politischer Kultur Fuß gefasst. Rehavam Zeevi, Führer der Moledet-Partei, und Avigdor Lieberman, Vorsitzender von Jisra’el Beitenu, haben Kahanes rassistische Ideologie weitergetragen, und in der gegenwärtigen Knesset sind Kahanes Meisterschüler und dezidierter Nachfolger Itamar Ben-Gvir und der nationalreligiöse Faschist Bezalel Smotrich nicht nur vertreten, sondern bekleid(et)en zentrale Ministerposten.
Dass also Netanjahu Donald Trumps nonchalant hingeworfenen Transfer-Plan für gut befand, wundert nicht. Auch nicht, dass Politiker vom Schlag eines Smotrich und Ben-Gvir ihn in höchsten Tönen lobten. Weniger selbstverständlich, wenngleich nicht wirklich überraschend, war, dass auch Spitzenpolitiker aus der “Opposition” die Idee für “interessant” erachteten bzw. als positiv “außerhalb-der-Box-gedacht” rühmten.
Eher schockierend war schon, dass der größte Teil der Medien die Idee mit Gleichmut registrierten, zumeist sich aber begeistert von ihr zeigten. Aber regelrecht beunruhigend war die Entzückung, mit der sie von den meisten Israelis aufgenommen wurde. Das war insofern nicht zu erwarten, als Israels zionistische Linke stets davon ausgegangen war, dass sich einer systematisch vollzogenen ethnischen Säuberung, mithin einem praktisch durchgeführten Bevölkerungstransfer der Palästinenser die allermeisten Israelis politisch, und wenn es nötig werden sollte, auch physisch widersetzen würden. Davon kann nicht mehr die Rede sein. Allzu viele (auch unter den sogenannten “normativen BürgerInnen”) haben sich in den letzten Tagen dem Trumpschen “Denken” mehr als geneigt gezeigt.
Und das lässt den schrecklichen Gedanken aufkommen, dass das was man immer schon ahnte, sich aber nie einzugestehen vermochte, nun allmählich an die Oberfläche gelangt und sich “Legitimität” verschafft – dass nämlich viele-allzu-viele in der jüdischen Bevölkerung Israels sich im heimlichen Wunschdenken ergehen, dass die Palästinenser dereinst einfach “nicht mehr da wären”; dass man wie kleine Kinder die Augen verschließen könnte, und wenn man sie wieder öffnete, der Traum vom Verschwinden der Palästinenser sich als verwirklicht erweisen würde.
Das kann man wissenschaftlich nicht gut belegen; dazu sind die Rationalisierungsmechanismen und Verdrängungsprozesse, auch der Anspruch auf Moralität noch zu mächtig. Aber immer mehr drängt sich der Gedanke auf, dass der Kahanismus keine randständige Nebenerscheinung des Zionismus sei, sondern immer schon in seinem Zentrum, wie immer verborgen, verankert war und einen untrennbaren Bestandteil von ihm ausmacht.
Als 1975 eine Uno-Resolution den Zionismus als Rassismus einstufte, zerriss der damalige israelische UN-Botschafter das Papier auf dem Podium. Sein Name war Chaim Herzog, nachmals Israels Staatspräsident. Der heutige Staatspräsident des zionistischen Staates ist sein Sohn Yitzhak Herzog. Er könnte die damalige emphatische Aktion seines Vaters auf dem UN-Podium heute nicht mehr wiederholen, ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben.
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