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Wie der Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt Deutschlands Blindheit gegenüber islamfeindlicher Gewalt offenbart
29. Dezember 2024
Indem sie die zunehmende Normalisierung von Islamophobie ignorieren, bleiben Extremisten, die im Verborgenen agieren, unbemerkt, bis ihre Taten in verheerender Gewalt explodieren
Ein behelfsmäßiges Mahnmal steht am 27. Dezember 2024 am Ort des Anschlags auf einen Weihnachtsmarkt in Magdeburg, Ostdeutschland (Jens Schlüter/AFP)
Der Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt, bei dem fünf Menschen starben und über 200 verletzt wurden, 40 davon in kritischem Zustand, hat Deutschland erschüttert.
Doch diese Tragödie offenbart nicht nur einen Moment der Gewalt, sondern auch einen tiefen Fehler im Verständnis des Westens und seiner Reaktion auf ideologisch motivierte Gewalt.
Der Angreifer, der als Taleb al-Abdulmohsen identifiziert wurde, war keine unbekannte Größe.
Er war ein in Saudi-Arabien geborener Arzt, der seit fast zwei Jahrzehnten in Deutschland lebte und eine eindeutige Online-Präsenz hatte, die ihn mit gefährlichen, islamfeindlichen Netzwerken in Verbindung brachte.
Er hat aus seinen Überzeugungen keinen Hehl gemacht.
Er lobte Persönlichkeiten wie Alice Weidel, die Vorsitzende der rechtsextremen Partei Alternative für Deutschland (AfD), und unterhielt Verbindungen zu Gruppen wie der in den USA ansässigen RAIR Foundation, einer Organisation, die für die Verbreitung von islamfeindlichem Hass berüchtigt ist. Sie boten ihm eine Plattform, um seine hasserfüllte Rhetorik zu verbreiten.
Aber es ging nicht nur um seine Ansichten, sondern auch darum, wie er sich selbst darstellte.
Er bezeichnete sich selbst als „ex-muslimischen Abtrünnigen“ und stellte seinen Hass und seine Gewalt als legitimen Kampf gegen die, wie er es nannte, „Islamisierung des Westens“ dar.
Seine gefährliche Ideologie, die er als „authentische“ Stimme darstellte, fand in der eigenen antimuslimischen Erzählung des Westens einen fruchtbaren Boden. Er schloss sich nicht nur der Anti-Islam-Rhetorik der AfD an, sondern wollte sich mit ihr verbünden und sogar eine Akademie für Ex-Muslime gründen, um diese giftige Ideologie weiter zu verbreiten.
In diesem Moment müssen wir uns fragen: Warum hat das System diesen Mann nicht als das gesehen, was er wirklich war? Warum wurde sein Extremismus übersehen, obwohl er so deutlich die gefährlichen Ideologien der extremen Rechten widerspiegelte?
Die Antwort liegt in der Weigerung des Westens, sich mit der Normalisierung des Hasses auseinanderzusetzen, dem man erlaubt, zu wachsen und zu schwären, bis er sich in Gewalt entlädt.
Doppelmoral
Die offizielle Reaktion auf den Angriff von Abdulmohsen offenbart eine eklatante Inkonsequenz, die die Heuchelei offenbart, die durch die Adern der westlichen Gesellschaft fließt.
Obwohl die Taten dieses Mannes eindeutig von einer in der Islamophobie verwurzelten Ideologie des Hasses angetrieben wurden, weigerten sich die Behörden, sie als das zu bezeichnen, was sie waren: Terrorismus.
Wäre der Täter ein Moslem gewesen, wäre er rassistisch ausgegrenzt worden, hätte man ohne zu zögern das Wort „Terrorismus“ über diesen Anschlag gestülpt.
Stattdessen griffen sie zu weichen Begriffen wie „Amoklauf“ und spielten den Ernst der Lage herunter.
Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann forderte zwar mehr Sicherheitsmaßnahmen, versuchte aber, die Bedrohung für andere Weihnachtsmärkte herunterzuspielen, als ob es sich bei dieser Gewalttat nur um einen Einzelfall handelte.
Wäre der Täter ein Moslem gewesen, wäre er rassistisch ausgegrenzt worden, hätte man ohne zu zögern das Wort „Terrorismus“ über diesen Anschlag gestülpt. Die Medien und die Behörden hätten sich hinter ihrem Narrativ der Angst und des Misstrauens versammelt.
Aber hier, wo die Gewalt von jemandem ausgeht, dessen Hass genau die islamfeindliche Stimmung widerspiegelt, die in der westlichen Gesellschaft normalisiert wird, ist die Reaktion zaghaft, zurückhaltend und verwässert.
Nancy Faeser, die deutsche Innenministerin, war eine der wenigen, die die Wurzel von Abdulmohsens Gewalt erkannt hat: Islamophobie. Trotz ihres Eingeständnisses wird dieses entscheidende Element in der breiteren gesellschaftlichen Darstellung weiterhin übersehen.
Dies ist ein perfektes Beispiel dafür, wie ideologisch motivierte Gewalt mit zweierlei Maß gemessen wird. Der Gewalt gegen Muslime wird nie das gleiche Gewicht, die gleiche Dringlichkeit beigemessen.
Dieses Ungleichgewicht ist das Produkt eines Systems, das sich nicht mit dem tief sitzenden Hass in seinem eigenen Herzen auseinandersetzen will. Es ist ein System, das lieber die Wahrheit verschweigt, als sich der Realität seiner eigenen Mitschuld zu stellen.
Ignorierte Warnungen
Abdulmohsens Radikalisierung und sein Gewaltpotenzial waren keine plötzliche, unerklärliche Eruption. Nein, sein Weg zur Gewalt war von klaren Anzeichen gekennzeichnet, Warnungen, auf die man hätte reagieren müssen, lange bevor er seinen Anschlag verübte.
Im Jahr 2013 bedrohte er Berichten zufolge eine Ärztekammer, nachdem diese ihm die Teilnahme an einer Prüfung verweigert hatte. Es gab einen Hinweis an das Bundeskriminalamt, doch das tat nichts. Sie ließen die Sache laufen, ignorierten sie, kehrten sie unter den Teppich.
Taqiyya“ geht viral: Ex-muslimischer Magdeburger Markt-Angreifer löst Debatte aus
Dies war nicht das erste Mal, dass seine gewalttätigen Tendenzen auffielen.
Erst kürzlich hatte er den deutschen Innenminister in den sozialen Medien ausdrücklich bedroht.
Diese Drohungen waren nicht subtil – sie waren laut, deutlich und direkt. Und dennoch haben die Behörden keine angemessenen Maßnahmen ergriffen. Diese roten Fahnen waren nicht vage oder versteckt.
Es waren offensichtliche Anzeichen für Extremismus und potenzielle Gewalt, aber das System hat sie nicht erkannt.
Dies ist ein eklatantes Beispiel dafür, wie das System versagt, seine eigenen Leute zu schützen. Es geht nicht darum, dass man es nicht weiß – es geht darum, dass man sich weigert, die Gefahr anzuerkennen, wenn sie aus bestimmten ideologischen Ecken kommt.
Die Behörden haben die Warnzeichen ignoriert, weil sie sich nicht mit der Tatsache auseinandersetzen wollten, dass die Gefahr aus dem Inneren ihrer eigenen akzeptierten Narrative kam, aus dem Herzen der islamfeindlichen Ideologien, denen man erlaubt hat, zu gedeihen.
Normalisierte Islamophobie
Warum wurde der Extremismus von Abdulmohsen übersehen? Die Antwort liegt in seiner Übereinstimmung mit den vorherrschenden westlichen islamfeindlichen Narrativen.
Seine Rhetorik spiegelte die staatlich geförderten Narrative und den Mainstream-Diskurs wider. Ein Beispiel dafür ist die provokante Behauptung des österreichischen Journalisten und Chefredakteurs der Zeitung Falter, Florian Klenk, dass „Islamophobie ein Menschenrecht ist“.
Die von rechtsextremen politischen Kräften und mitschuldigen Medien geschürte Normalisierung antimuslimischer Stimmungen hat ein Klima geschaffen, in dem Gewalt gegen Muslime nicht nur toleriert, sondern oft auch ignoriert wird.
Sie haben zugelassen, dass sich dieser Hass ungehindert in der Gesellschaft ausbreitet.
Der Völkermord an den Palästinensern hat dieses Feuer nur noch verstärkt und eine islamfeindliche Wut entfesselt, die zuvor geschlummert hatte und nun ungehindert und unentschuldigt um sich greift.
Das ist kein Zufall. Es ist das Ergebnis eines Systems, das Spaltung und Hass kultiviert und diese Brände zu seinem eigenen Vorteil schürt. Und wenn diese Flammen brennen, sind es die Unschuldigen, die leiden.
Während ein Großteil der westlichen Medien sich bemüht hat, Abdulmohsens Beweggründe zu erklären, waren seine Beschwerden eindeutig.
In einem Beitrag auf X vom 1. Dezember 2023 beschrieb er seine Wut über die angebliche Misshandlung von saudischen Frauen, die Asyl beantragen: „Deutschland ist das einzige Land – neben Saudi-Arabien – das saudische Asylbewerberinnen durch die ganze Welt jagt, um ihr Leben zu zerstören. Ich versichere Ihnen zu 100 %, dass ich mich bald rächen werde. Selbst wenn es mich mein Leben kostet. Ich werde die deutsche Nation den Preis für die Verbrechen zahlen lassen, die ihre Regierung an saudischen Flüchtlingen begangen hat. Deutschland wird den Preis zahlen müssen. Einen hohen Preis.“
Für Abdulmohsen ist die mutmaßliche systematische Diskriminierung saudischer Frauen durch Deutschland ein Beispiel für ein allgemeines Muster rassistischer Ungerechtigkeit
Für Abdulmohsen ist die angebliche systematische Diskriminierung saudischer Frauen durch Deutschland Ausdruck eines umfassenderen Musters rassistischer Ungerechtigkeit.
Er bezeichnete seine Handlungen als Vergeltung gegen das, was er als staatlich geförderte Unterdrückung ansah. Er machte seine Beweggründe unmissverständlich klar: Er wurde von dem angetrieben, was er als systematische Misshandlung saudischer Frauen durch Deutschland empfand.
Abdulmohsen war der Ansicht, dass saudische Asylbewerberinnen von den deutschen Behörden nicht als gleichberechtigte Menschen behandelt wurden, und war Berichten zufolge davon überzeugt, dass das Land einen „geheimen Plan zur Islamisierung“ verfolge.
Um diese Überzeugung zu untermauern, teilte er nur wenige Tage vor dem Anschlag ein Titelbild des Spiegels in den sozialen Medien und präsentierte es als angeblichen Beweis für seine Behauptung. Diese Aktion unterstreicht seine tiefe Überzeugung von den Verschwörungstheorien, die den Rahmen für seine gewalttätige Ideologie bilden.
Bewaffnung des „Islamismus
Rechtsextreme Gruppen, darunter die AfD, haben versucht, Abdulmohsen als „Islamisten“ abzustempeln, obwohl es überwältigende Beweise dafür gibt, dass er nicht nur den Islam verachtete, sondern auch jede Identifizierung als Muslim ablehnte.
Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel verurteilte den Magdeburger Anschlag als „Tat eines Islamisten voller Hass auf das, was Menschen zusammenbringt“. Dies ist jedoch eine eklatante Verdrehung der Tatsachen.
Abdulmohsen war ein Ex-Muslim und unterstützte Berichten zufolge sogar genau die Partei, die ihn jetzt verurteilt.
Wie Deutschland das islamistische Schreckgespenst produziert
Weidels Äußerungen sind nicht nur irreführend, sondern stellen eine gefährliche Desinformation dar, die darauf abzielt, eine politische Agenda voranzutreiben, die darauf abzielt, Muslime mit allen Mitteln zu dämonisieren.
Diese Fehletikettierung zeigt, wie der Begriff „Islamist“ zu einem rassistischen Schimpfwort geworden ist, einem Codewort, mit dem Muslime zu Unrecht mit Gewalt und Extremismus in Verbindung gebracht werden, unabhängig von ihren persönlichen Überzeugungen. Solche Taktiken zielen darauf ab, eine ganze Gemeinschaft an den Rand zu drängen, indem sie fälschlicherweise mit Terrorismus in Verbindung gebracht werden.
Außerdem haben rechtsextreme islamfeindliche Kritiker versucht, Abdulmohsens Identität zu untergraben, indem sie behaupteten, er sei weder ein ehemaliger muslimischer Atheist noch ein Anhänger der AfD oder von Elon Musk.
Sie behaupten, er habe diese Zugehörigkeiten erfunden und berufen sich dabei sogar auf „taqiyya“ – ein falsch interpretiertes Konzept, das oft als Waffe gegen Muslime eingesetzt wird. In Wahrheit bezieht sich Taqiyya auf die Praxis, den eigenen Glauben in Situationen der Bedrohung zu verbergen, und nicht auf ein Werkzeug zur Täuschung.
Diese unbegründeten Anschuldigungen beruhen auf einer antimuslimischen Rhetorik, für die es keine Beweise gibt, und dienen nur dazu, eine ideologische Agenda zu fördern.
Sogar deutsche Mainstream-Medien wie Focus Online haben kontrovers behauptet, dass Taqiyya im Fall von Abdulmohsen nicht ausgeschlossen werden kann, und damit zur Verbreitung von Fehlinformationen und zum Schüren schädlicher Stereotypen beigetragen.
Weckruf
Der Magdeburger Anschlag ist ein deutliches Beispiel für die Gefahren ideologischer blinder Flecken, die in den westlichen Gesellschaften auf Rassismus beruhen.
Indem die zunehmende Normalisierung des islamfeindlichen Extremismus ignoriert wird, bleiben Personen wie Abdulmohsen – Islamfeinde, die im Verborgenen agieren – so lange unbemerkt, bis ihre Taten in verheerender Gewalt ausarten.
Muslime müssen als gleichberechtigte Menschen anerkannt werden, und ihr Glaube muss wirklich respektiert werden.
Dies ist kein bloßer Einzelfall.
Dieser Angriff ist ein Weckruf, eine tragische Erinnerung daran, dass die Gesellschaften es versäumen, den tief verwurzelten Hass zu bekämpfen, der solche Gewalt schürt. Die Antwort liegt nicht im Ausweichen vor der unbequemen Wahrheit, sondern in der direkten Konfrontation mit ihr.
Regierungen und Institutionen müssen einen konsequenten und fairen Ansatz verfolgen, um alle Formen des Extremismus zu erkennen und zu bekämpfen, unabhängig von der Identität oder Ideologie des Täters.
Geschieht dies nicht, entsteht ein ständiger Kreislauf von Gewalt und Verleugnung, der verheerende Folgen hat.
Der erste Schritt, um diesen Kreislauf zu durchbrechen, ist einfach und doch tiefgreifend: Muslime müssen als gleichberechtigte Menschen anerkannt und ihr Glaube muss wirklich und authentisch respektiert werden. Alles andere wird die gleichen Ungerechtigkeiten und die gleiche Gewalt fortsetzen.
Ein sinnvoller Wandel beginnt mit dieser Anerkennung.
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten sind die des Autors und spiegeln nicht unbedingt die redaktionelle Politik von Middle East Eye wider.
Esad Širbegović ist Schriftsteller und Analyst mit Sitz in Zürich, Schweiz. Er ist auch Mitglied des internationalen Expertenteams des Institute for Research of Genocide Canada. Im Jahr 2022 war er Leiter des internationalen Expertenteams für Deutschland, Österreich und die Schweiz, das sich mit der Leugnung des Völkermords von Srebrenica an der Universität Wien befasste. Esads Beitrag ist tief in seinen persönlichen Erfahrungen verwurzelt und konzentriert sich auf die kritischen Themen Islamophobie und Völkermord. Sein besonderes Engagement gilt der Erforschung der Überschneidungen zwischen diesen Phänomenen, wobei er seine Analyse über den Völkermord in Bosnien hinaus ausdehnt, um sich mit ihren globalen Auswirkungen zu befassen.
Übersetzt mit Deepl.com
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