
Ich danke Norman Paech für die Zusendung dieses lesenswerten Textes, den ich sehr gern auf die Hochblauen Seite setze. Evelyn Hecht-Galinski
Hamburg, 1. Mai 2025
80 Jahre 8. Mai 1945
Von Norman Paech
80 Jahre 8. Mai 1945. In den Medien wird derzeit wieder viel über diesen Tag diskutiert, geschrieben und geredet. Was hat das Ende des zweiten von einer deutschen Regierung angezettelten Krieges für den Aufbau einer neuen Nachkriegsgesellschaft bedeutet und welche Folgerungen hat das Ereignis heute noch für uns?
Dass dieser Tag ein Tag der Befreiung ist, hat sich allmählich seit der Rede des damaligen Bundespräsidenten von Weizsäcker im Mai 1985 durchgesetzt. Nur vom rechten Rand der Parteien wird es neuerdings wieder in Zweifel gezogen. Doch fragen wir: Befreiung wovon und Befreiung durch wen? Beide Fragen sind eigentlich leicht zu beantworten, haben uns bis heute aber offensichtlich überfordert. Es war die Befreiung von Faschismus und Krieg, also ein Tag des Antifaschismus und des Friedens. Befreit haben wir uns jedoch nicht selbst, es waren vor allem die Russen und Amerikaner, und zwar mit unvorstellbaren menschlichen Verlusten.
Und nun sollen gerade die Vertreter des Landes, welches die weitaus größten Opfer im Kampf gegen den deutschen Faschismus gebracht haben, Russland, zu den alljährlichen Feierlichkeiten am 8. Mai in Deutschland nicht eingeladen werden. Was für ein zynischer Missbrauch eines historischen Gedenktages, was für ein erbärmlicher Akt moralischer Überheblichkeit. Gewiss, der Krieg gegen die Ukraine ist ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht, ein immer noch andauerndes Kriegsverbrechen. Er muss sofort beendet werden, doch nicht durch immer neue Waffenlieferungen und die bekannten Sieg- und Durchhalteparolen. Die deutsche Gesellschaft hat der russischen Bevölkerung immer noch zu danken. Auch wenn das den deutschen Regierungen schwerfällt, so ist die Einladung zu einem gemeinsamen Gedenken nicht etwa ein Zeichen diplomatischer Höflichkeit, sondern ein notwendiges Zeichen historischen Bewusstseins. Vergessen wir doch nicht, die Anzahl US-amerikanischer völkerrechtswidriger Kriege in der Welt nach 1945 übersteigt bei weitem die der Sowjetunion und Russlands. Deutsche Regierungen haben trotzdem den Beitrag der USA an der Befreiung vom Faschismus nie vergessen und sie nie vom Gedenken an die Befreiung ausgeschlossen. Trotz aller Kriege der USA nach 1945 eine undenkbare Vorstellung.
Bleiben wir beim Antifaschismus. Er war für die Alliierten beim Aufbau eines demokratischen Deutschlands von zentraler Bedeutung. Die Beseitigung und Verhinderung des Faschismus im zukünftigen Deutschland prägte das Demokratieverständnis des Potsdamer Abkommens von 1945 und die zahlreichen Gesetze des Kontrollrats 1946. So zum Beispiel das „Gesetz zur Befreiung des deutschen Volkes von Nationalsozialismus und Militarismus“ oder das „Gesetz zur Entfernung belasteter Personen aus öffentlichen … Ämtern und aus verantwortlichen Stellen in bedeutenden privaten Unternehmen.“ Nichts davon geschah allerdings in der jungen Bundesrepublik. Die Entnazifizierung war eine Farce. Der Bundestag hat nie ein Gesetz zur Bestrafung von NS-Verbrechern diskutiert oder verabschiedet. Dafür hat er aber schon Ende 1949 ein „Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit“ für einen Teil von NS-Belasteten beschlossen und 1956 die Gesetze und Direktiven des Kontrollrats insgesamt aufgehoben. Damit hat er seine gegen den Nationalsozialismus gerichtete Grundaussage unterlaufen und praktisch neutralisiert.
Dennoch war das antifaschistische Besatzungsrecht der politische Humus für die Länderverfassungen und das Bundesverfassungsgericht hat 1970 entschieden: „Die gesamte deutsche Rechtsordnung bleibt vom Besatzungsrecht überlagert.“ Art.139 GG.
Was heißt das für uns heute? Die AFD verbieten?
Das Grundgesetz von 1949 hält dafür alle notwendigen Instrumente bereit. 1952 wurde die rechtsnationale „Sozialistische Reichspartei“ SRP und 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands KPD verboten. Alle Versuche später die NPD zu verbieten, scheiterten allerdings. Das Einzige, was man erreicht hat war, sie sechs Jahre von der Parteienfinanzierung auszuschließen, – da hatte sie sich bereits in „Die Heimat“ umbenannt.
Und nun ein neuer Anlauf bei der AFD? Jetzt, da der Verfassungsschutz offenbar über tausend Blatt rechtsextremen Materials über die AFD gesammelt hat, sieht man sich endlich gerüstet, einen höchst unbequemen politischen Konkurrenten aus dem Wege zu räumen. Rechtsextrem ist aber noch nicht „verfassungswidrig“ und „auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der demokratischen Ordnung“ gerichtet, wie es Art. 21 des Grundgesetzes fordert. Und ich warne vor dem Verfassungsschutz. Er war die zentrale Organisation in den unseligen Jahren der berüchtigten Berufsverbote Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Er schnüffelte in allen Institutionen. Mit seinen angeblichen Erkenntnissen wurden über 3, 5 Millionen Bewerber und Beschäftigte im öffentlichen Dienst auf ihre Verfassungstreue untersucht. Hunderte Linke, Kommunisten, Sozialdemokraten oder Unorganisierte wurden als Verfassungsfeinde abgewiesen oder entlassen, ihre berufliche Laufbahn wurde zerstört.
Das Problem, vor das uns die rasante Entwicklung der AFD stellt, ist kein juristisches, sondern ein politisches. Die Entwicklung zur Faschisierung und Militarisierung ist in allen europäischen Staaten bemerkbar. Das Potential in BRD ist aber größer und gefährlicher als in den westeuropäischen Staaten, die sich selbst vom Faschismus befreien konnten, bzw. gegen ihn kämpften.
Schon heute bemerken wir auf diesem Weg der Faschisierung eine fatale Entwicklung: Durch restaurativ-konservative Regime werden die liberaldemokratischen Elemente der Verfassungen angegriffen, der soziale Auftrag der Verfassung in den Hintergrund gedrängt, der Friedensgedanke durch die forcierte Militarisierung aufgelöst, linker, gar maxistischer Widerstand – seien es durch Parteien oder Gewerkschaften – zum Verschwinden gebracht und zunehmend autoritäre und obrigkeitsstaatliche Formen des staatlichen Handelns eingeführt.
Dieser gesellschaftliche Niedergang produziert rechtsextreme, radikale Bewegungen, die diesen Prozess der Restauration vorantreiben und die sozialen, fortschrittlichen und zukunftsoffenen Elemente der Verfassung stoppen und ins Gegenteil verkehren wollen.
Die Steigerung der Kriegsgefahr begünstigt nicht nur die Restauration, sondern auch den Faschismus und Faschismus heißt Krieg, das sollten wir aus unserer Geschichte gelernt haben. Deshalb ist der Kampf um den Frieden, gegen jede den Frieden gefährdende Politik, gleichzeitig Kampf gegen den Faschismus. Das ist ein Kampf gegen die Konfrontation und für die Verständigung zwischen den großen Mächten, für Entspannung und internationale Kooperation.
Schon 1980 warnte der Jurist Wolfgang Abendroth, höchst aktuell:
„Die Vergrößerung des Wehretats in einer Zeit, in der an den meisten für die Massen wichtigen Haushaltsposten gespart werden soll, ist in ihrer Bedeutung von der westdeutschen Bevölkerung bis jetzt so wenig begriffen worden, wie die Funktion dessen, dass ein Bundeskabinett, …an der finanziellen Aufpäppelung des rechten Demirell-Regimes eifrigst mitwirkt und sie international organisiert, nur weil diese Regierung zuverlässig antikommunistisch ist und neue amerikanische Militärstützpunkte duldet.“
Es ist doch verblüffend, dass wir heute vor genau den gleichen Gefahren für unsere Demokratie stehen wie vor 45 Jahren. Die Tatsache, dass die Bundesrepublik seinerzeit nicht in den Faschismus abgeglitten ist, ohne dass die NPD damals verboten wurde, ist allein dem Widerstand und dem Druck der eigenen Bevölkerung zu verdanken. Der Kampf um die sozialen und demokratischen Rechte, die in der Verfassung garantiert werden, hat den Absturz in den Faschismus verhindert.
Und heute haben wir wieder die gleichen Probleme mit dem Ansteigen rechtsextremistischer und faschistischer Gefahr. Aber wir sollten uns nicht täuschen lassen: Nicht die AFD betreibt die gigantische Aufrüstung und Militarisierung, sie unterstützt sie, das aber ist ein Unterschied. Nicht die AFD steigert die Kriegsgefahr durch Waffenlieferungen und die Fortführung des Krieges in der Ukraine, sie ist sogar dagegen. Nicht die AFD kündigt den Angriff auf den sozialen Besitzstand der Bevölkerung an, sondern die neue Regierung. Unser Kampf hat sich gegen diese Politik zu richten, die den Boden für die Faschisierung bereitet und den Zulauf zu dieser unerträglichen Partei begünstigt.
Das war schon das Problem der massenhaften und vielfach von den Regierungen geförderten Demonstrationen gegen rechts. Ihr Adressat, die AFD, ist aber nicht verantwortlich für Aufrüstung, Militarisierung, Kriegsgefahr, Sozialabbau und Restauration. Sie ist gefährlich, weil sie das alles unterstützt, vergessen wir aber nicht die, die dafür verantwortlich sind. Das darf man nicht durcheinanderbringen.
Ein Verbot der Partei löst unser Problem der Faschisierung der Gesellschaft nicht und hilft dem Kampf dagegen wenig. Es könnte eher von ihm ablenken. Unsere Lehren, die wir aus dem 8. Mai 1945, dem Tag der Befreiung von Faschismus und Krieg, zu ziehen haben, bedeutet, für die sozialen und demokratischen Rechte, wie sie im Grundgesetz garantiert werden, zu kämpfen.
Vor allem haben wir – und auch das ist in dem Grundgesetz festgehalten – gegen die Militarisierung unserer Gesellschaft und aggressive Aufrüstung Widerstand zu leisten, uns eindeutig gegen die Beteiligung an den Kriegen in der Ukraine und in Gaza zu stellen, und den Ruf „nie wieder“ in seinem vollständigen Umfang ernst zu nehmen: „Nie wieder Krieg – nie wieder Auschwitz – nie wieder Völkermord – nie wieder Faschismus.“ Mit der Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 hat auch das Völkerrecht Einzug in die deutsche Verfassung gehalten. Seine Regeln und Prinzipien sind vier Jahre zuvor, 1945 in San Franzisko in der UNO-Charta vollkommen neu gefasst worden und ausdrücklich in Art. 25 Grundgesetz zum „Bestandteil des deutschen Rechts“ gemacht worden. Sie sollen sogar den allgemeinen Gesetzen vorgehen, haben also verfassungsähnliche Kraft.
Das sind jetzt für uns verbindliche Grundsätze gegen Rassismus, Kolonialismus, Apartheid und Faschismus. Die fundamentalen Prinzipien wie das Friedensgebot, das Gewalt- und Aggressionsverbot, das Recht auf Selbstbestimmung und Souveränität der Völker hat die Bundesrepublik schon durch die Unterzeichnung der UNO-Charta für verbindlich erklärt. 1949 sind sie ebenfalls grundgesetzlich abgesichert worden. Und darüber hinaus binden zahlreiche internationale Verträge und Deklarationen der UNO die deutsche Politik. So etwa die Grundsätze des internationalen Gerichtshofs von Nürnberg von 1946 zur Bestrafung von Kriegsverbrechen oder die Konvention von 1948 zur Verhütung und Bestrafung von Völkermordverbrechen. Wir haben nie gedacht, dass diese Vorschriften je wieder eine solche akute Bedeutung erhalten würden, wie jetzt, wo deutsche Waffen bei Krieg und Völkermord beteiligt sind. Welcher Tag ist also besser geeignet als der 8. Mai, an diese Grundsätze und Verpflichtungen jedes Jahr zu erinnern? Dieser Tag sollte ein gesetzlicher Feiertag werden.
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