
Deutschland verliert den Fokus und schafft es nicht, den wachsenden Rechtsextremismus einzudämmen
Von Hamzah Rifaat
6. Juli 2024
Trotz ihres Wunsches, aus der Vergangenheit zu lernen, hat sich die Regierung dafür entschieden, pro-palästinensische Stimmen zu unterdrücken, anstatt die wirkliche Bedrohung im eigenen Land zu bekämpfen.
Von Hamzah Rifaat
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Die Polizei ringt mit Demonstranten, die den Zugang zum Veranstaltungsort blockieren, an dem Delegierte der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) einen Parteitag abhalten, in Essen, Deutschland, 29. Juni 2024. / Foto: Reuters
Politisch motivierte Verbrechen und Gewalt haben in Deutschland den höchsten Stand seit mindestens 20 Jahren erreicht, aber die Unfähigkeit – oder der Unwille – der Regierung, diesen Anstieg anzugehen, steht im Widerspruch zu ihrer Verpflichtung, mit den Dämonen der Vergangenheit aufzuräumen.
Jahrzehntelang haben die deutsche Gesellschaft und ihre führenden Politiker versucht, die historische Rolle Deutschlands bei der Aufrechterhaltung von Nationalsozialismus, Rassismus und Expansionismus während des Dritten Reichs (1933-1945) aufzuarbeiten.
Diese „historische Schuld“ und der Wunsch, das „Unrecht“ des Nationalsozialismus „wiedergutzumachen“, sollte darin verankert sein, die Überreste der arischen Vorherrschaft, des Expansionismus und des rechtsextremen Totalitarismus zu bekämpfen, die in der deutschen Politik und Gesellschaft bis heute fortbestehen.
Doch stattdessen verstärkt Deutschland durch sein Versagen bei der Bekämpfung des Anstiegs der Kriminalität seine historische Schuld, anstatt sie zu bewältigen.
Rechtsextremismus
Rechtsextreme Straftaten reichen von Sachbeschädigung über Angriffe auf muslimische Einwanderer bis hin zu Beschimpfungen auf dem Universitätsgelände und Gewalt gegen muslimische Frauen.
Die Straftaten sind durch die Vorstellung motiviert, dass muslimische Einwanderer Deutschland überschwemmen und Muslime direkt für die Billigung von Angriffen auf Israel verantwortlich sind. Nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur steht der dramatische Anstieg der antimuslimischen Straftaten im Zusammenhang mit dem Krieg Israels gegen den Gazastreifen.
Der Anstieg der Hassverbrechen wirft ein Licht auf das anhaltende Problem in Deutschland, das über die Verurteilung des Rechtsextremismus hinaus nicht angegangen wurde.
Die Angriffe kommen auch daher, dass die Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz die „Schuldzuweisung“ in Bezug auf den Holocaust als Waffe einsetzt, um gegen Muslime, linke Aktivisten, antizionistische Juden und pro-palästinensische Befürworter vorzugehen.
Um Deutschlands Schuld am Nationalsozialismus reinzuwaschen, hat sich Scholz dafür entschieden, Muslime und Palästinenser ins Visier zu nehmen, um sich mit jüdischen Menschen und pro-zionistischen Israelis zu solidarisieren.
Obwohl nicht alle Juden den Zionismus unterstützen, versucht die Regierung Scholz, pro-palästinensische Stimmen unter dem Deckmantel der Sühne für vergangene Missstände mundtot zu machen. Anstatt zu sühnen, hat diese Politik die Islamophobie aufrechterhalten und die palästinensische Sache in Deutschland geschwächt.
Laut einem Bericht des deutschen Verfassungsschutzes registrierten die Behörden im Jahr 2023 60.028 politisch motivierte Straftaten.
Damit stieg die Zahl der politischen Straftaten gegenüber 2022 nur um 2 Prozent. Bemerkenswert ist jedoch, dass 25.660 dieser Straftaten von Rechtsextremisten begangen wurden, was einem Anstieg von 22 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht.
Der Geheimdienstbericht weist auch darauf hin, dass die überwiegende Mehrheit der Straftaten nach dem Hamas-Anschlag im Oktober 2023 begangen wurde.
Darüber hinaus wurden 1.926 islamfeindliche Vorfälle durch das CLAIM-Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen in Deutschland registriert, das sich um eine landesweite und europaweite Sichtbarkeit antimuslimischer und rassistischer Tendenzen in Europa bemüht.
Der Rechtsextremismus hat nicht nur Muslime betroffen. Antisemitische Angriffe stiegen von nur 33 im Jahr 2022 auf 492. Die Hassverbrechen werden größtenteils von rechtsextremen Gruppen verübt, die nativistische, ultranationalistische und anti-muslimische Ideologien vertreten.
Dies geschieht in Form von Propagandadelikten rechtsextremer Parteien und Organisationen wie der Partei Alternative für Deutschland (AfD), deren Vorsitzender Björn Hocke für schuldig befunden wurde, bei einer Rede einen Nazi-Slogan verwendet zu haben. Auch Sachbeschädigung, Aufstachelung zum Hass und Verstöße gegen die Versammlungsordnung wurden gemeldet.
Doch abgesehen von der Verurteilung ist die Reaktion der deutschen Regierung auf den Rechtsextremismus in der Zeit nach dem Nationalsozialismus sowohl doppelzüngig als auch heuchlerisch gewesen.
Es wurde nicht genug getan. Das mag daran liegen, dass Deutschland die Unterstützung Israels und seiner völkermörderischen Kampagne in Gaza als eine Form der Sühne für vergangene Sünden während der Nazizeit betrachtet. Und in diesem Zuge werden Palästinenser und Muslime zur Zielscheibe und zum Sündenbock für alle Übel und Leiden der Menschheit gemacht.
Selektives Durchgreifen
In der Nachkriegszeit hat sich Deutschland bemüht, den Holocaust zu ehren. Ironischerweise hat dies dazu geführt, dass Scholz‘ Regierung nach Oktober 2023 pro-palästinensische Demonstrationen, Aktivisten, Künstler und Kulturschaffende verbietet, weil sie befürchtet, die jüdische Bevölkerung zu beleidigen.
So wurde ein dreitägiger Palästinenserkongress im April 2024 aus Angst vor Volksverhetzung geschlossen und Kunstinstallationen der bekannten südafrikanischen jüdischen Künstlerin Candice Breitz wegen ihrer Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung in Gaza verboten.
Während sich die deutsche Regierung unverhältnismäßig stark darauf konzentriert, pro-palästinensische, linke und Anti-Kriegs-Stimmen mundtot zu machen, scheinen Rechtsextremisten einen Freifahrtschein für ihre politisch motivierten Straftaten zu erhalten. Im April zum Beispiel griffen sie Matthias Ecke, ein Mitglied der linken Sozialdemokraten, körperlich an.
Zwar haben die Regierung und die Parteiführung der Sozialdemokratendie rechtsextreme Gewaltoffiziell verurteilt, doch gibt es kaum Anzeichen dafür, dass die deutsche Regierung systematisch gegen den Rechtsextremismus vorgeht oder Gruppen, die sich der Nazi-Ideologie verschrieben haben, umfassend verbietet.
Der Fall Björn Hocke ist ein Paradebeispiel dafür. Hocke, ein Mitglied der AfD, wurde zu einer Geldstrafe von 18.000 Dollar verurteilt, weil er während einer Rede einen verbotenen Nazi-Slogan verwendet hatte. Für ein Land, das sich mit historischer Schuld auseinandersetzen will, ist die Verhängung von Geldstrafen unzureichend; er hätte von politischen Aktivitäten ausgeschlossen werden müssen.
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Ein Demonstrant hält ein Schild mit der Aufschrift „Björn Höcke ist ein Nazi“, als Demonstranten gegen die rechtsextreme Partei Alternative für Deutschland (AfD) in Essen, Deutschland, am 28. Juni 2024 demonstrieren (REUTERS/Jana Rodenbusch).
Auch AfD-Politiker wie Matthias Helferich mussten keine Konsequenzen für seine mehrfache Befürwortung des Nationalsozialismus während seiner Rede in Cottbus im Jahr 2024 hinnehmen, in der er auch Massenabschiebungen von muslimischen und afrikanischen Einwanderern aus Deutschland forderte.
Trotzdem ist Helferich nach wie vor Mitglied des Bundestags oder des deutschen Parlaments. Er hat auch auf einem so genannten „Sommerfest“ des Instituts für Staatspolitik gesprochen, das vom deutschen Verfassungsschutz wegen Unterstützung des Nationalsozialismus als rechtsterroristische Vereinigung eingestuft wird.
Alarmierende Tendenzen
Es ist klar, dass Deutschland unter Olaf Scholz eine existenzielle Bedrohung durch die Extremisten erlebt, die es nicht verhindert hat. Aufgrund dieser falsch verstandenen Vorstellung, dass Deutschland seine Verbrechen der Vergangenheit durch Angriffe auf Linke, Muslime und nicht-zionistische Juden sühnen wird, hat sich Berlin dafür entschieden, den Rechtsextremismus, der sich gegen Einwanderer und Muslime richtet, nicht zu bekämpfen.
Stattdessen hat die deutsche Regierung auf die Karte „Bedrohung“ gesetzt, indem sie Muslime dämonisiert und sie für die Überbevölkerung des Landes, die Verbreitung des Radikalismus und die Verdrängung der deutschen Bevölkerung verantwortlich macht.
Zwar hat sie den Rechtsextremismus nicht aktiv gefördert, was sich in offiziellen Verurteilungen widerspiegelt, aber sie sieht sich einfach nicht gezwungen, gegen diese Bigotterie vorzugehen.
Seit dem 7. Oktober 2023 geht es darum, pro-palästinensisches Engagement zu unterbinden, um die historische Schuld abzuwaschen, anstatt rechtsextreme Nazi-Ideologien auszurotten, die im Inneren schwären und an Attraktivität gewinnen.
Seit dem 7. Oktober 2023 geht es darum, pro-palästinensisches Engagement zu unterbinden, um historische Schuldgefühle zu beseitigen, anstatt rechtsextreme Nazi-Ideologien auszurotten, die im Inneren schwären und an Attraktivität gewinnen. Die AfD-Partei erlebt bereits einen Popularitätsschub, insbesondere bei der Jugend, was ein unheilvolles Zeichen für die Zukunft des Nazismus im Land ist.
Damit Deutschland seine vergiftete Vergangenheit ruhen lassen kann, müssen rechtsextreme Parteien, extremistische Ideologien und Gruppen, die sich gegen Muslime, pro-palästinensische Befürworter und Minderheiten richten, durch landesweite Razzien und die Verabschiedung von Gesetzen durch den Bundestag kriminalisiert und verboten werden.
Wenn dies nicht geschieht, wird die historische Schuld nicht aufgearbeitet. Stattdessen wird der Eindruck erweckt, dass Deutschland nicht aus der Vergangenheit gelernt hat und der Nationalsozialismus eine allgegenwärtige Bedrohung darstellt.
QUELLE: TRT Welt
Hamzah Rifaat
Er erwarb Abschlüsse in Friedens- und Konfliktstudien in Islamabad, Pakistan, und in Weltangelegenheiten und professioneller Diplomatie am Bandaranaike Diplomatic Training Institute in Colombo, Sri Lanka. Hamzah Rifaat war außerdem 2016 Gastwissenschaftler am Stimson Center in Washington, DC, für South Asian Voices.
Übersetzt mit deepl.com
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