Die Heuchler sind unter uns Von Jürgen Scherer

JAZZ 40 (Jürgens Anmerkung zum Zeitgeschehen)

Die Heuchler sind unter uns

 

Von Jürgen Scherer

  1. Dezember 2024

Heucheln ist ja nichts Unbekanntes. Begegnet es uns doch tagtäglich in unserem Umfeld und notabene auch gerne im Politikbetrieb: Zustimmung heucheln, Interesse heucheln, Anteilnahme heucheln: heuchel, heuchel, heuchel.

Es ist immer verbunden mit der Zielsetzung, den Heuchelnden Vorteile zu verschaffen. Soweit, so schlecht und allen bekannt. Also müsste es eigentlich kein Thema für eine Kolumne zwischen den Jahren sein. Eigentlich. Aber da in diesen bewegten Zeiten alles ein wenig anders ist, als es sein sollte oder wir es gewohnt sind, lohnt vielleicht doch ein Blick auf die Heucheleien unserer Zeit.

Ich gehe jedenfalls davon aus, dass durch die bevorstehende Trippelung  „Weihnachten, Jahreswechsel und Wahlkampf“ das Heuchelaufkommen unter den PolitikerInnen in unserem Land nicht nur ins Unerträgliche sondern auch ins Unendliche gesteigert werden wird. Wenn wir also die nächsten Wochen bis zur Bundestagswahl einigermaßen unbeschadet überstehen wollen, haben wir, soweit ich sehe, folgende drei Möglichkeiten: Entweder die berühmten 3 Affen nachahmen oder die Heuchelnden entlarven und ihnen eins sprichwörtlich auf die Mütze geben oder einen Mix dieser beiden Möglichkeiten praktizieren. Da muss jede/r selbst schauen.

Auf jeden Fall sollten wir auf folgende Heuchelvariationen vorbereitet sein:
Unser Bundespräsident wird mit Sicherheit an unser aller Verantwortung appellieren, betonen, dass sich die Zeiten nun mal geändert hätten und wir mitmachen müssten, wenn wir nicht zu Verlierern werden wollen. Wer in dieser Lage „Wir“ sein soll, wird er wohl offen lassen. Er wird also nicht mehr erwähnen, dass Friedenspolitik in Europa nur mit Russland möglich sei, Begegnung, Verhandlung und Diplomatie bedeuten könnten, sondern eher betonen, dass Stärke das Gebot der Stunde sei, nicht zuletzt militärische. Er würde sich wirklich Sorgen um unser Land machen und wir sollten ihm Vertrauen schenken. Geschenkt, Herr Steinmeier, Sie haben unser Vertrauen verspielt, indem Sie jahrzehntelang erfolgreich praktizierte Friedenspolitik für Europa mir nichts, dir nichts mit auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen haben, statt im Interesse „ihres Volkes“, von Beginn der „Zeitenwende“ an, hartnäckig und nachhaltig einzufordern, was ein berühmter Parteigenosse ihrer vormaligen Partei griffig, nachvollziehbar und ohne zu heucheln auf den Punkt gebracht hat: Der Frieden ist der Ernstfall des Lebens!
Kommen wir zum „Vertrauenskanzler dieser Tage“: Er wird uns mit Sorgenfalten im Gesicht klarmachen wollen, dass Herr Merz den „Kriegskanzler ohne Wenn und Aber“ geben werde und uns und unser Land wirklich in den Untergang führen werde. Gegen Russland tatsächlich in den Krieg zu ziehen, wie es Merz vorhabe, sei letztlich „ein Spiel mit unserer aller Existenz“ – er, Scholz, werde da nicht mitmachen. Außerdem habe er, Scholz, ein im Laufe von 50 Jahren in der SPD herangereifter Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit, immer noch den wahren Blick für die Nöte und Bedürfnisse von Emilie und Otto Normalverbraucher. Mit allgegenwärtig verschmitztem Lächeln wird er sich als sozialer Friedenskanzler anbieten. Er wird dabei tunlichst verschweigen, dass eigentlich er den „Geist der Zeitenwende“ heraufbeschworen hat und dass er einen Minister fürs Militärische in sein Kabinett berufen hat, der mindestens dreimal jeden Tag in die kriegsgestimmte Presselandschaft hinausposaunt „Kriegstüchtigkeit, Kriegstüchtigkeit, Kriegstüchtigkeit“ und der dabei an die Söhne und Töchter von Otto und Emilie Normalverbraucher denkt. Diese Familien liegen einem „richtigen Sozialdemokraten“ eben wirklich am Herzen. Opfer bringen muss schließlich jede/r, wenn Deutschland wieder Wer (?) sein will. Früher wurde sowas „Zuckerbrot und Peitsche“ genannt, heute wohl eher „Honig ums Maul“, damit das Hervorquellende Blut nicht so bitter schmeckt.
Ob uns Herr Merz auch mit einer irgendwie gearteten Weihnachtsansprache beglücken wird   wie die beiden Vorgenannten, wird sich zeigen. Er wird auf jeden Fall viel dafür tun, uns von gewissen Vorurteilen ihm gegenüber zu befreien, z.B er habe keinen Bick für die „Kleinen Leute“, weil er Millionär sei. Ob er so dreist sein wird auf den Hexenmeister Trump zu verweisen, der selbst als Milliardär mehr an die „Kleinen Leute“ denke als seine Gegner im us-demokratischen Lager, weiß ich nicht. Aber, wird er vielleicht sagen, wie schon alle Christdemokraten vor ihm, dass es schließlich seine Partei sei, die das Wort christlich im Parteinamen trage. Wer könne schon mit solchem Pfund wuchern. Ihm könne man glauben, er komme wirklich mit den lautersten Absichten daher. Schließlich sorge er sich wirklich um uns und unser Land, und deshalb brauche es Russland gegenüber „Klare Kante“. Gegen den Begriff „Kriegskanzler“ verwahre er sich schärfstens, er wolle Frieden. An dieser Heuchelstelle wird er dann innehalten, während ich für ihn fortfahren würde: Auf Deibel komm raus. Er wird influencerhaft salbadern, dass es Aufgabe der jungen Generation sei, dem Land , in dem es ihr so gut gehe, etwas zurückzugeben. Dass er damit auch das kriegsertüchtigte Leben meint, wird er tunlichst unterschlagen. Heucheln will eben gekonnt sein.

Die Dame unter den Menschen, die denken, sie seien für’s Regieren in unserem Land geeignet, kommt von der AfD und heißt Alice Weidel. Wir wissen nicht, wo sie ihr „Heucheldiplom“ erworben hat, wissen aber sehr wohl, dass auch sie für uns zur Erreichung ihrer Ziele einiges an Heuchelei auf Lager haben dürfte. Das fängt schon bei der ganzen Bellizisterei an. Wahrscheinlich wird sie am lautstärksten über den „Kriegskanzler Merz“ klagen, um damit das bisherige Alleinstellungsmerkmal der AfD, die einzige Partei in Deutschland zu sein, die für eine Beendigung des Ukrainekrieges ist, quasi in den Himmel zu heben und so dafür zu sorgen, dass die eigentliche Haltung der Partei zu Wehrpflicht, Aufrüstung etc. der Aufmerksamkeit der Wählenden abhanden kommt. Diese Partei will letztlich natürlich auch den „Opfergang“ der jungen Generation für ein „Deutschland ist wieder Wer“; auf Augenhöhe mit den derzeitigen BellizistInnen in den anderen Parteien. Von wegen: Nur die „Altparteien“ sind militaristisch! Was auch weniger bekannt ist, aber natürlich auch an einer Parteichefin Weidel nicht spurlos vorüber geht, ist die Tatsache, dass, sie um des innerparteilichen Friedens und der Außendarstellung willen, mit dem dezidiert faschistischen Höckeflügel ein Stillhalteabkommen geschlossen hat, damit die gemäßigteren Anhänger und WählerInnen der Partei nicht schon jetzt abgeschreckt werden. MaW in der sich gemäßigt gebenden Weidel ist mehr autoritär – faschistoides drin als auf dem Etikett draufsteht. Frei nach dem Motto: Wir spielen mal eure Demokratiespielchen mit und dann schaun mer mal…

Zum Schluss dieser Heuchelei-Einblicke werfen wir noch ein Auge auf den Sunnyboy der Kanzlerkandidaten, auf „Den dienenden Robert„. Er ist ja immer wieder für Überraschungen gut. Nicht allein, dass es ihm unumwunden gelingt, die eigene Parteijugend (eigentlich das Kanonenfutter der neuen Zukunft) hinters Licht zu führen und trotz seiner nicht unbekannten, aber für die Partei grundsympathischen bellizistischen Anschauungen zum Kanzlerkandidaten gekürt zu werden, er avanciert mit seiner Harmlosigkeitsaura auch noch zum Liebling aller Schwiegermütter und macht selbst dieese vergessen, dass er ein grundgefährlicher Hasardeur ist. Er schafft das mit einem Biedermanngehabe, das selbst Heinz Erhardt vor Neid hätte erblassen lassen. Gelingt es ihm doch zum Beispiel unter dem Motto: Ich bin der Robert, wer bist Du? sich an die Küchentische der Nation einladen zu lassen und den besorgten, zugewandten, hilfsbereiten Nächsten zu geben, dem zu vertrauen sich unbedingt lohnt. Und wie das bei nicht nur wahlkampfbedingten interessegeleiteten „Heucheltouren“ so ist, vergisst der/die Besuchte von Jetzt auf Gleich, dass da eigentlich einer sitzt, der lieber heute als morgen TaurusMarschflugkörper an die Ukraine liefern würde. Der Plausch am Küchentisch könnte danach aber Ruckzuck beendet sein. Aber über sowas spricht man bei einem gemütlichen Tässchen Kaffee eher nicht.

FAZIT:                                                                                                                                                                                          Nicht irritieren lassen. Den friedenspolitischen Kompass nicht aus den Augen verlieren.            Weihnachten und Jahreswechsel vielleicht den 3 Affen widmen und im neuen Jahr der Manipulationsorgie mit Gelassenheit und common sense begegnen und sich nicht für dumm verkaufen lassen.
In diesem Sinne:  Einen guten Rutsch ins neue Jahr!

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