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Dressierter Journalismus: Wie der Bundeskanzler Fake News streut
Von Gert Ewen Ungar
Die Bundespressekonferenz (BPK) mit Bundeskanzler Olaf Scholz lieferte einen Eindruck davon, welche Auswirkungen Zensur und Einschränkung der Pressefreiheit auf den Journalismus haben. Handzahme, gut domestizierte Journalisten stellten absehbare Fragen, die den Themenkreis, in dem sich der öffentliche Diskurs in Deutschland bewegen darf, nicht einen Millimeter überschritten.
Wer beispielsweise meint, die versammelte Haupstadtjournaille hätte den Schneid besessen, vom Kanzler Auskunft über den Stand der Ermittlungen zu Nord Stream zu fordern, sieht sich getäuscht. Den Mut hatten die wohl dressierten Pressevertreter natürlich nicht. Woher auch. Ihnen wird mit jedem neuen Tag immer noch ein bisschen deutlicher vor Augen geführt, wohin kritischer Journalismus in Deutschland führen kann – zu Isolation und Ausgrenzung, zu Jobverlust, zu Verbot, zu Festnahme und Beschlagnahmung privaten Vermögens. In Deutschland herrschen längst autoritäre Zustände.
Jeder der anwesenden Journalisten hat daher tief verinnerlicht, in welchem Rahmen Fragen zulässig sind, welche Grenze nicht überschritten werden dürfen, wovon man im eigenen, vitalen Interesse besser die Finger lässt. Nord Stream ist so ein Thema. Die Themen Russland und Ukraine-Krieg sind sensibel. So darf der Kanzler unwidersprochen Desinformation und Fake verbreiten, ohne mit Widerspruch rechnen zu müssen. Zensur zähmt, Repression lähmt.
„Das, was uns heute und schon seit langer Zeit passiert, ist der Ausstieg Russlands aus den Rüstungskontrollregimen, die wir im Rahmen der Entspannungspolitik mühselig entwickelt und aufgebaut haben, bei der Willy Brandt und Helmut Schmidt für uns in Deutschland eine ganz zentrale Rolle gespielt haben“,
behauptet der Kanzler die Fakten grob und wissentlich verzerrend. Die deutsche Journaille nimmt die Faktenverdreherei des Kanzlers einfach hin.
Tatsächlich haben die USA die wichtigsten Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträge aufgekündigt. Es begann bereits unter Obama, wurde unter Trump fortgesetzt und schließlich von Biden vollendet. Die Sicherheitsarchitektur Europas ist Geschichte – der Hegemon wollte es so. Echter Journalismus würde zumindest an die Chronologie der Abläufe erinnern. In Deutschland gibt es echten Journalismus jedoch nur noch in homöopathischen Dosen. Scholz darf seine Desinformation ungeschoren verbreiten.
Aber natürlich nutzt nicht nur der Kanzler den Freiraum zur Lüge, der durch umfassende Zensur geschaffen wurde. Wirtschaftsminister Robert Habeck verbreitet regelmäßig, Putin habe Deutschland das Gas abgestellt. Fakt ist auch hier: Die Abläufe waren anders. Ebenso greift auch Baerbock gern und häufig zu frei erfundenen Geschichten, um ihre politischen Forderungen zu begründen. Das Gleiche machen auch andere Mitglieder der Ampel-Regierung und der CDU-Opposition. Sie können das tun, denn das journalistische Korrektiv wurde in Deutschland abgewürgt. Das Narrativ steht über allem, vor allem über der Wahrheit. Wer sich dem nicht fügt, wird zensiert, dem wird die Existenzgrundlage genommen, der wird ausgegrenzt. Also lieber fügen.
Jeder, der für Verhandlungen ist, will die Ukraine zur Kapitulation drängen, behauptet der Kanzler, der sich gern wieder mit dem Schlagwort „Frieden“ auf Wahlkampftour begeben will. Seine Auslegung des Wortes „Frieden“ impliziert jedoch die vollständige Vernichtung der Ukraine.
„Nein, ich würde mich gerne wieder damit plakatieren lassen, weil ich ja nicht der Polemik rechter und linker Populisten und einiger Scharfmacher folge, wonach man nur dann für Frieden ist, wenn man der Ukraine die bedingungslose Kapitulation empfiehlt.“
Die weichgespülte Hauptstadtjournaille nimmt es hin. Dabei ist die Politik der Waffenlieferungen bei Ausschluss von Verhandlungen der Garant dafür, die Ukraine in eine bedingungslose Kapitulation zu zwingen. Das Land ist am Ende – wirtschaftlich, militärisch und politisch. Es wird künstlich am Leben erhalten, während die Kiewer Machthaber die eigenen Männer an der Front verheizen. Aktuell sterben dort nach offiziellen russischen Angaben täglich um die 2000 Mann. Das Durchschnittsalter ukrainischer Soldaten liegt inzwischen weit jenseits der 40. Eine greise Truppe versucht deutsche Sehnsüchte nach einer russischen Niederlage zu befriedigen – das muss schiefgehen. Gäbe es den journalistischen Willen, sich um die Einsicht in Zusammenhänge zu bemühen, würde Scholz mit diesen Fakten konfrontiert. Diesen Willen gibt es jedoch nicht.
Dass Deutschland weiterhin keinen Beitrag zum Frieden in Europa leistet, nehmen deutsche Medien nicht nur hin, mit einer Riesen-Portion Gratismut hetzen sie gegen Ungarns Ministerpräsidenten Orbán, der sich als einziger Politiker eines EU-Landes für eine diplomatische Lösung eingesetzt und zu diesem Zweck mit allen Parteien gesprochen hat. Aber genau in dem Maß, wie man gegenüber Orbán austeilt, so katzbuckelt man vor der Regierungsbank. Der deutsche Untertan hat seinen Platz in den Redaktionen des deutschen Mainstreams gefunden.
Vor diesem Hintergrund ist auch die pathetisch zur Schau getragene Sorge um die Pressefreiheit in Russland zu verstehen. Russland, die grausame Diktatur, unterdrückt die freie Berichterstattung und hat ein neues Gesetz erlassen, dass sich gegen ausländische Einflussnahme richtet. Darauf angesprochen antwortet Scholz:
„Es macht gar keinen großen Sinn, viel über die verschiedenen diktatorischen Maßnahmen der russischen Regierung zu spekulieren. Das wird nicht die letzte sein, und es wird auch noch welche geben. Wir stehen immer für freie Medien und freie Presse ein und setzen uns dafür auch ein mit den Möglichkeiten, die wir außerhalb Deutschlands manchmal nur sehr begrenzt haben.“
Absurdes Theater in reiner Form. Nein, an dieser Stelle ist keiner der Journalisten im Saal in Lachen ausgebrochen. Es gab selbstverständlich keinen Widerspruch, keinen Einwand angesichts der umfassenden Zensurmaßnahmen und Verbote in Deutschland. Die Meute kuscht vorm Kanzler. Die doppelten Standards deutscher Politik im Brustton der Überzeugung ihrer Richtigkeit durchdeklinieren zu können, ist zur Einstellungsvoraussetzung für Mainstream-Journalisten geworden.
Dabei agieren die aus Russland berichtenden deutschen Medien in Russland deutlich freier als in Deutschland. Sie dürfen in einem Ausmaß Fake und Desinformation über Russland und die russische Regierung verbreiten, für die sie – würden sie das in demselben Ausmaß über die deutsche Regierung tun – sofort Opfer von Zensur und Verbot werden würden. Wie im Falle Orbáns zeigen deutsche Journalisten gegenüber Russlands ganz viel Gratismut. Respekt und Achtung verdienen sie dafür allerdings nicht. Mit dem Verbreiten von Fake News über Russland bedienen sie das deutsche Narrativ. Sie führen ihre Konsumenten in die Irre. Man nennt den Vorgang „Propaganda“.
Die BPK mit dem Kanzler lieferte ein anschauliches Beispiel dafür, wohin Zensur, Einschränkung von Presse- und Meinungsfreiheit sowie offene Repression führen. Man verschanzt sich in einer eigenen, von der Realität abgekoppelten Welt und tut so, als sei sie echt. Deutscher Journalismus ist ein weltabgewandte Bubble. Man bestätigt sich und seinen Lesern, dass alles in bester Ordnung ist. Mit der Welt der Tatsachen hat diese Form journalistischen Gesundbetens jedoch rein gar nichts zu tun.
Das Abgleiten ins Irreale, in die Bubble wurde möglich, da in Deutschland jedes Korrektiv, echter Journalismus, echte Kritik unterdrückt wird. Durch Statuieren von Exempeln gegenüber unabhängigen, kritischen Journalisten wird der verbliebene Rest journalistisch kastriert. Er mauzt, wo er brüllen sollte. Er wedelt mit dem Schwanz, wo er zubeißen müsste. Die Bundespressekonferenz mit Scholz führte den bedenklichen Zustand des deutschen Journalismus gestern anschaulich vor.
Dauerhaften Bestand hat diese Form von Repression und Unterdrückung journalistischer Freiheit nicht, zeigt gerade auch die deutsche Geschichte. Deutschland geht erneut in die Irre. Es wiederholt wie im Zwang in der Vergangenheit gemachte Fehler. Mit tatsächlichem Respekt der politisch Verantwortlichen vor Pressefreiheit und kritischem Denken wäre Deutschland dieser erneute Irrweg erspart geblieben. Für die Konsumenten deutscher Medienerzeugnisse wird das Erwachen in der Wirklichkeit absehbar ein schwerer Schlag.
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