Ein Jahr danach: Das geopolitische Erdbeben hinter der Al-Aqsa-Flut Ghassan Jawad

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Ein Jahr danach: Das geopolitische Erdbeben hinter der Al-Aqsa-Flut

Ghassan Jawad

7. OKTOBER 2024

(Bildnachweis: The Cradle)

Die Ereignisse vom 7. Oktober 2023 lassen sich am besten als kalkulierte Operation des palästinensischen Widerstands verstehen, um sich gegen die geopolitischen Machenschaften sowohl regionaler als auch globaler Gegner zu wehren – vor dem Hintergrund des schwindenden Einflusses der USA, des Aufstiegs Chinas und der sich entwickelnden Allianzen in ganz Westasien.

 

Die Operation Al-Aqsa Flood, die heute vor einem Jahr die Welt erschütterte, war kein isoliertes Ereignis; sie war der Höhepunkt jahrelanger geopolitischer Verschiebungen, globaler Machtverschiebungen und zunehmender Spannungen in ganz Westasien.

Die Operation war nicht nur ein mutiger Schritt des palästinensischen Widerstands, sondern auch eine kalkulierte Reaktion auf die seismischen Veränderungen in der internationalen Politik, die sich seit Jahren vollzogen.

Im Mittelpunkt dieser Veränderungen stand der 2021 erfolgte Rückzug der USA aus Afghanistan, der eine Schwächung des US-Einflusses signalisierte. Dieser Rückzug versetzte die Verbündeten Washingtons am Persischen Golf in Aufruhr, insbesondere Saudi-Arabien, das die Zuverlässigkeit des US-Schutzes in Frage stellte.

Die gegensätzliche Haltung der USA im Ukraine-Krieg vertiefte diese Bedenken nur noch weiter und veranlasste die Staaten am Persischen Golf, neue Bündnisse und Sicherheitsvereinbarungen zu prüfen. Eine bemerkenswerte Folge war der 2022 erfolgte Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Saudi-Arabien, der zu Handelsabkommen im Wert von 30 Milliarden US-Dollar führte und Pekings neuen Einfluss in der Region unterstrich.

Diese wachsende chinesische Präsenz und die sich verändernde regionale Dynamik ebneten den Weg für das bahnbrechende Normalisierungsabkommen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien vom März 2023, das in Peking ausgehandelt wurde. Dieses Abkommen milderte zwar einige regionale Spannungen, löste aber die seit langem bestehenden Konflikte nicht vollständig.

Stattdessen spiegelte es die Bemühungen Westasiens wider, sich an das sich verändernde Kräfteverhältnis anzupassen und sich auf mögliche neue Allianzen vorzubereiten, die tiefsitzende Rivalitäten überwinden könnten. Die regionalen Mächte positionierten sich, um mit der sich entwickelnden internationalen Ordnung umzugehen, die durch eine zunehmende Multipolarität gekennzeichnet ist – die wiederum wohl durch die illegale US-Invasion im Irak vor zwei Jahrzehnten ausgelöst wurde.

Krieg in der Ukraine und globale Neuausrichtungen

Der Krieg in der Ukraine, der im Februar 2022 ausbrach, hatte Schockwellen über Osteuropa hinaus zur Folge. Der Konflikt löste Wirtschaftskrisen aus, verschärfte Konflikte und führte sogar zu Militärputschen in Afrika. Die darauf folgende geopolitische Neuordnung führte zu einer spürbaren Ausrichtung zwischen Ost und West, mit den USA und ihren atlantischen Verbündeten auf der einen Seite und den eurasischen Mächten Russland, unterstützt von China, auf der anderen Seite. Bald darauf kam es an strategischen Brennpunkten auf der ganzen Welt zu Stellvertreterkriegen.

Russland sah den Krieg als notwendige Verteidigung seiner nationalen Sicherheit, als Reaktion auf eine vermeintliche westliche Einmischung in seinem Einflussbereich. Der Kreml betrachtete den Ukraine-Konflikt nicht nur als territorialen Kampf, sondern als umfassenderen Kampf um die Kontrolle von Ressourcen, Handelsrouten und Einflussbereichen in einer Welt, in der die westliche Dominanz in Wissenschaft, Technologie und Industrie zu schwinden begann. Dieser Krieg war in den Augen Moskaus Teil eines größeren Wettstreits um die Neudefinition der globalen Machtverhältnisse.

Der Aufstieg Chinas und Indiens hat das industrielle, wirtschaftliche und demografische Gewicht der Welt nach Osten verlagert. Dies hat den Kampf um Einfluss verschärft, wobei Russland versucht, seine globale Rolle von Europa bis Zentralasien zurückzugewinnen. Unterdessen steht die von den USA geführte internationale „regelbasierte Ordnung“ unter Druck, da China versucht, seine eigene wirtschaftliche und geopolitische Dominanz zu etablieren.

Wiederbelebung der palästinensischen Sache

Die Entscheidung der palästinensischen Widerstandskräfte, am 7. Oktober 2023 die Al-Aqsa-Flut auszulösen, wurde nicht isoliert von diesen globalen Strömungen getroffen.

Die Hamas und andere palästinensische Fraktionen erkannten den strategischen Moment: Die USA waren laut ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie mit ihren Konfrontationen gegen China und Russland beschäftigt, während Washington versuchte, den Iran einzudämmen.

In einer geheimen Einschätzung der Hamas in Gaza, die nach Ausbruch des Ukraine-Konflikts verfasst wurde, wurde eine globale Verschiebung der Prioritäten und Verwundbarkeiten festgestellt, einschließlich der Spaltungen innerhalb Israels selbst:

Die Möglichkeit, die Position zu verschieben und den Kreislauf der Umgehung und Verschärfung der Belagerung der Palästinenser in Gaza, im Westjordanland und in Jerusalem durch eine rechtsextreme Regierung zu durchbrechen, kündigte in ihrem Programm und den Ideen ihres Präsidenten und seiner Minister auf der Grundlage der Idee, den Minister für Ersatzsiedlungen zu ernennen und daran zu arbeiten, die palästinensische Sache zu beenden, um ihre lebenswichtigen Titel wie die Flüchtlingsfrage, den Staat, die Unabhängigkeit, Jerusalem als Hauptstadt und das Land als Zeuge des palästinensischen Rechts zu beseitigen.

Die Bewertung kam zu dem Schluss, dass das globale Klima zusammen mit den internen politischen Auseinandersetzungen in Israel eine seltene Gelegenheit für einen entscheidenden Schlag bot. Die rechtsextreme Regierung Israels unter der Führung von Benjamin Netanjahu und seinen extremistischen Partnern verfolgte offen eine Politik, die darauf abzielte, die Besatzung zu vertiefen, die Siedlungen auszuweiten und die Rechte der Palästinenser zu marginalisieren. Angesichts der internen Spaltungen in Tel Aviv und der Ablenkung des Westens in der Ukraine schien die Zeit reif für einen mutigen Schritt, um diesen Bedrohungen entgegenzutreten.

Auf regionaler Ebene arbeiteten die USA daran, die Abraham-Abkommen voranzutreiben, mit dem Ziel, ein Normalisierungsabkommen zwischen Israel und Saudi-Arabien zu vermitteln. Diese Bemühungen wurden als entscheidend für die Bildung eines arabisch-israelischen Blocks angesehen, der dazu beitragen könnte, die Interessen der USA in Westasien, insbesondere die Sicherheit Israels, zu wahren.

Die Palästinenser betrachteten diese Normalisierungsbemühungen jedoch als ernsthafte Gefahr für ihre nationalen Bestrebungen. Sie befürchteten, dass die Beteiligung Saudi-Arabiens ohne wesentliche Zugeständnisse für die palästinensische Sache Israel grünes Licht geben würde, seine „Endlösung“ voranzutreiben – die Ausweitung illegaler jüdischer Siedlungen, die Verschärfung der Belagerung des Gazastreifens und die Auslöschung jeglicher Chance auf einen palästinensischen Staat bei gleichzeitiger Judaisierung Jerusalems.

Der Widerstand ging davon aus, dass, wenn Saudi-Arabien den Weg der Normalisierung weiter beschreiten würde, andere arabische und mehrheitlich muslimische Länder diesem Beispiel folgen könnten, was die palästinensische Sache weiter isolieren würde. Angesichts einer potenziellen geopolitischen Realität, in der die arabische und islamische Solidarität mit Palästina erodieren würde, sah der Widerstand in der Operation Al-Aqsa Flood einen letzten Versuch, den Lauf der Dinge zu ändern.

Nach der Flut

Israels Reaktion auf die Al-Aqsa-Flut war alles andere als verhältnismäßig. Was als Reaktion auf die palästinensische Widerstandsoperation begann, eskalierte schnell zu einer ethnischen Säuberungskampagne, die mit Völkermord und einem größeren regionalen Krieg verglichen wurde, mit verheerenden Angriffen auf Gaza, das Westjordanland, den Libanon, Syrien und den Jemen.

Die brutalen militärischen Angriffe Israels scheinen jedoch mehr zu bezwecken als nur die unmittelbaren Ziele Tel Avivs. Sie passen in die umfassendere Strategie der USA, ihre regionalen Interessen zu sichern und gleichzeitig dem wachsenden Einfluss von Mächten wie China, Russland und dem Iran entgegenzuwirken.

Das Ziel Israels, den palästinensischen Widerstand zu brechen und die Bevölkerung des Gazastreifens zu vertreiben, ist eng mit den umfassenderen geopolitischen Ambitionen Washingtons verknüpft, die nach Israels Mordserie an libanesischen Widerstandsführern im September schnell offengelegt wurden: die Umgestaltung Westasiens.

Es war ein Plan, den Tel Aviv lange vor dem 7. Oktober 2023 in Gang gesetzt hatte, als der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu auf dem Podium der UN-Generalversammlung stand und eine Karte des von ihm angestrebten „neuen Nahen Ostens“ hochhielt – ein Plan, der in die Tat umgesetzt werden könnte, sobald Washington die Normalisierung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel für ihn gesichert hätte.

Über ihren Vertreter in Tel Aviv versuchen die USA, die Kontrolle über die Ressourcen, Handelsrouten und Bündnisse der Region zu behalten, als Teil einer umfassenderen Strategie, um dem Einfluss Chinas und Russlands entgegenzuwirken. Dieser Konflikt ist Teil eines größeren Wettstreits um die globale Vorherrschaft, der sich von der Ukraine bis zum Roten Meer erstreckt.

Die weltweite Reaktion auf das Leid in Gaza offenbart einen krassen Widerspruch. Die USA und ihre Verbündeten behaupten zwar, liberale Werte, Menschenrechte und Demokratie zu verteidigen, doch ihre Handlungen sprechen oft eine andere Sprache. Während des Ukraine-Konflikts und des Völkermords in Gaza gaben die westlichen Staaten viele der Ideale, für die sie sich lange eingesetzt hatten, zugunsten kalter, harter geopolitischer Interessen auf.

Ein Krieg jenseits von Al-Aqsa

Bei dem anhaltenden israelischen Krieg gegen Gaza und jetzt gegen den Libanon geht es nicht nur um die unmittelbaren Folgen der Al-Aqsa-Flutwiderstand-Operation. Er ist Teil eines umfassenderen US-Projekts für die Region, das an den sogenannten „Deal des Jahrhunderts“ erinnert.

Dies zeigt sich im Ausmaß der Aggression, die über Gaza und andere Krisenherde hinausgeht. Das letztendliche Ziel scheint eine radikale Umgestaltung der geopolitischen Ordnung der Region zu sein – eine, die die Kontrolle über Ressourcen, Häfen und Handelsrouten sichert und gleichzeitig die Bevölkerung unterwirft, um die Vorherrschaft des Westens zu sichern.

Bei diesem Krieg geht es um mehr als nur um Grenzen oder Territorien; es geht um die Kontrolle über die globale Wirtschaftsgeographie und den Einfluss in einer Welt, in der die alte Ordnung in Frage gestellt wird. In diesem großen Kampf um Einfluss zahlen die Menschen vor Ort oft den Preis – ob in der Ukraine, in Gaza oder anderswo.

Die Palästinenser, die sich einer existenziellen Bedrohung gegenübersehen, haben die Al-Aqsa-Flut ins Leben gerufen, um den Lauf der Geschichte zu ändern. Doch je länger der Krieg andauert, desto deutlicher wird, dass dieser Konflikt Teil eines viel größeren globalen Machtspiels ist, dessen Folgen weit über die Region hinaus spürbar sein werden.

Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln nicht unbedingt die von The Cradle wider.

Übersetzt mit Deepl.com

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